Dass es um Diversität im Film schlecht bestellt ist, ist keine Neuigkeit. Bereits seit den 1970er Jahren wird für mehr Frauen hinter der Kamera gekämpft, nicht zuletzt, damit auch andere Bilder von Frauen vor der Kamera entstehen. Diese Forderung steht nach wie vor und immer wieder auf der Agenda, aber mittlerweile geht es um noch viel mehr: Um die Repräsentation einer (post)migrantischen Gesellschaft im deutschen Film. Darüber haben sich Katharina Lüdin und Kathrin Peters mit Pary El-Qalqili und Biene Pilavci, Filmemacherinnen und Gründerinnen der Initiative NichtmeinTatort, und Tatjana Turanskyj, Filmemacherin und Mitbegründerin von Pro Quote Regie, unterhalten.
Katharina Lüdin studiert Narrativer Film an der UdK Berlin und ist Vorsitzende des StuPa-Ausschusses für Gleichstellung und Soziales. Kathrin Peters ist Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur und Vorsitzende der Kommission für Chancengleichheit an der UdK Berlin. Das Gespräch fand am 29.01.21 virtuell statt.
Nachtrag: Am 18.9.2021 ist Tatjana Turanskyj nach schwerer Krankheit gestorben. Kathrin Peters hat für die Zeitschrift Cargo einen Nachruf auf die hochgeschätzte Freundin und Kollegin verfasst: https://www.cargo-film.de/film/nachruf/tatjana-turanskyj/
KATHRIN PETERS
Tatjana, du bist Autorin, Regisseurin, Aktivistin, Produzentin und seit Oktober auch Professorin an der HfG Offenbach für Film …
TATJANA TURANSKYJ
… aber ich würde gerne „digitale Autor*innenschaft“ dazu sagen, um den digitalen Raum zu erobern und on- und offline durch die Räume zu schweben …
KATHRIN PETERS
… außerdem hast du eine lange Geschichte im Bereich Performance und Theater. Nach dem Studium der Soziologie, Theater- und Literaturwissenschaft hast du mit Einar Schleef gearbeitet, Hangover LTD und die OK-GIRL$ Gallery mitbegründet. Deine Filmarbeit begann mit Eine flexible Frau von 2010. Eine flexible Frau ist der Beginn einer Trilogie zu Frauen und Arbeit. Der zweite Teil ist Topgirl oder la déformation professionnelle von 2014.
Tatjana Turanskyj
Bevor ich Filmemacherin wurde, ist meine Arbeit in kollektiver Zusammenarbeit entstanden. Das wollte ich irgendwann nicht mehr, weil wir uns einfach künstlerisch nicht mehr vertraut haben. Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen mit Marita Neher (2017) war dann wieder eine tolle Erfahrung, ein Trip, würde ich sagen. Dazu beigetragen haben auch die Schauspielerinnen Nina Kronjäger und Anna Schmidt, die Kamerafrau Kathrin Krottentahler, der Tonmann Matthias Gauerke, der Choreograf Sven Seeger und die Tänzer und die Köchin in Griechenland, die unerkannt sein will. Das war ein echter gelungener kollektiver Prozess, der diesen Namen auch verdient.
KATHRIN PETERS
Neben deiner feministischen Filmarbeit hast du feministische Filmpolitikarbeit betrieben. Du hat Pro Quote Regie mitbegründet.
TATJANA TURANSKYJ
2013 haben wir angefangen zu recherchieren, wie Filmförderung vergeben wird, wer Regieaufträge vom Fernsehen bekommt. Studien gab es ja nicht. 2014 haben wir Pro Quote Regie auf der Berlinale 2014 initiiert. Dann sind wir mit unseren Zahlen an die Öffentlichkeit gegangen.
KATHRIN PETERS
Woran arbeitest du jetzt?
TATJANA TURANSKYJ
Ich bin jetzt damit beschäftigt meine Professur künstlerisch auszugestalten. Außerdem möchte ich den dritten Teil der Trilogie fertig stellen. Das Projekt heißt Corporate und dabei verlasse ich mich wieder auf mich selber und meine erprobte Arbeitsweise.
KATHRIN PETERS
„Auf sich selbst verlassen“ ist ein wichtiges Stichwort. Biene, du hast an der DFFB Regie studiert, vorher hast du zwei Ausbildungen abgeschlossen: Malerin und Lackiererin und Kauffrau.
BIENE PILAVCI
Genau.
KATHRIN PETERS
Dein Film, Alleine Tanzen, ein Dokumentarfilm von 2012, mit dem du unter anderem den wichtigsten Filmpreis in der Türkei, den des Filmfestivals von Antalya gewonnen hast, handelt von Familie. 2013 hast du in Chronik einer Revolte – Ein Jahr Istanbul ein Film über die Sehnsucht nach einer Demokratie gemacht. Jetzt arbeitest du an einer Sex and Crime-Serie, Macht der Lakaien,und bist Stipendiatin des Berliner Senats für Kunst und Europa.
Zusammen mit Pary El-Qalqili hast du NichtmeinTatort gegründet. Als es zum fünfzigsten Jubiläum von Tatort hieß, der Fernsehkrimi sie immer „nah dran an der Lebenswirklichkeit“ gewesen, habt Ihr das zum Anlass genommen zu fragen: Wie nah an der Lebenswirklichkeit einer (post)migrantischen Gesellschaft ist der Tatort wirklich? Ihr fordert mehr Gendergleichstellung und Diversitätsbewusstsein. Als NichtmeinTatort habt ihr kürzlich zwei Offene Brief geschrieben, auf die wir gleich zu sprechen kommen.
Pary, auch du bist Autorin und Regisseurin. Zunächst hast du Kulturwissenschaft in Frankfurt/Oder studiert, dann Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Dein Film Schildkrötenwut von 2012 erzählt von der Rückkehr deines Vaters nach Palästina. Die Beziehung zu deinem Vater wird eine politische Geschichte von Exil- und Zugehörigkeitsfragen. Der Film hat mehrere Preise bekommen und es gab politische Schwierigkeiten bei der Förderung …
PARY EL-QALQILI
… die deutschen Sender haben nicht zugelassen, dass eine Förderung aus Doha mit an Bord ist, mit dem Argument, ein Film über Israel/Palästina dürfe nicht von arabischer Seite gefördert sein.
KATHRIN PETERs
Derzeit arbeitest du, Pary, an einem politischen Coming of Age-Film, Still I Rise.
KATHARINA LÜDIN
Biene und Pary, ihr habt Offene Briefe an Arte und ans ZDF geschrieben, in denen ihr auf die strukturelle Benachteiligung von weiblichen Filmschaffenden aufmerksam macht. Ihr habt bestimmte Maßnahme verbindlich gefordert, wie die 50/50 Gender-Quote, ein jährliches Gender-Monitoring und gleichberechtigte Teilhabe von weiblichen Filmemacherinnen, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind. Viele Einzelpersonen haben diese Briefe mitgezeichnet, aber auch Verbände und Kollektive. Was war der auslösende Moment? Gab es eine Initialzündung? Das alles ist ja schon lange Thema, aber gab es den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Sodass klar war: Jetzt müssen wir das machen?
BIENE PILAVCI
Der Offene Brief an Arte entstand, weil der Arte-Wettbewerb „Regisseurin gesucht“, der im letzten Oktober ausgeschrieben wurde, förmlich schrie: „widersprich mir!“ Er war so unterirdisch, dass ich mich einfach dagegen verhalten musste. Arte verlangte, dass Filmemacherinnen fertige Filme einreichen, die Gewinnerin sollte einen Entwicklungsvertrag erhalten, nicht einmal die garantierte Produktion und Ausstrahlung! Als dann Pary um die Ecke kam mit dem Vorschlag einen Offenen Brief zu schreiben, war die Umsetzung nur noch eine Formsache. Anders als Pary hatte ich noch nie einen Offenen Brief geschrieben und konnte gar nicht einschätzen, was da auf mich zukam. Zunächst haben wir zwei Wochen lang, gefühlt 24/7 und mit Kleinkind in Quarantäne Unterschriften gesammelt. Da sind fast 600 Unterschriften zusammengekommen, darunter 30 von Filmverbänden. Die Unterzeichnenden waren ja alle aus der Filmbranche, das heißt, alle brachten eine gewisse Expertise mit. Im persönlichen Austausch war die Empörung sehr deutlich.
PARY EL-QALQILI
Wir sind beide Regisseurinnen, und kämpfen darum, unsere nächsten Filme zu machen. Wenn wir dann eine solche Ausschreibung lesen, „Regisseurin gesucht“, ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Wir versuchen permanent, Gespräche mit Redakteur*innen zu führen. Wir schicken unsere Stoffe zu den Sendern und bekommen kurze oder monatelang gar keine Antworten. Oder wir haben unangenehme Gespräche auf Co-Production-Markets, wo unsere Stoffe abgelehnt und nicht als wichtig wahrgenommen werden. Wenn dann ein Sender versucht, mit so einem lächerlichen Wettbewerb nach außen hin für Gendergerechtigkeit einzutreten, ist das schon empörend. Zumal noch unter solchen Produktionsbedingungen: Da hätten ja die Regisseurinnen auf eigene Kosten neue Kurzfilme herstellen und nur die Gewinnerin hätte dann einen Vertrag bekommen sollen. Selbst wenn die Sender versuchen, mehr Frauen Regie führen zu lassen, sind solche Wettbewerbe das falsche Instrument. Biene und ich waren auch über Tatjana schon Monate zuvor mit Pro Quote beschäftigt gewesen und uns war klar, dass die Quote ein wichtiges filmpolitisches Instrument ist. Aber dieser Wettbewerb hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass die Quote wahrscheinlich das einzige Instrument ist, um tatsächlich Gendergleichstellung umzusetzen.
KATHARINA LÜDIN
Die Reaktionen der Sender auf diese Briefe waren ja doch unterschiedlich. Ihr habt verbindliche Maßnahmen gefordert. Zuerst kam die Reaktion von Arte, im Dezember hat auch ein Gespräch stattgefunden. Danach kam eine Antwort vom ZDF. Arte hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt. Wie zufrieden seid ihr mit diesen Reaktionen? Wird ein Fortschritt erkennbar oder ist das eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
BIENE PILAVCI
Arte hat unter den gegebenen Umständen, also in einem sehr kurzen Zeitraum, sein Bestmöglichstes getan. Die Wettbewerbsausschreibung war ja bereits medial aufgegriffen worden. Um Schaden zu begrenzen, blieb Arte nichts anderes übrig, als sofort zu reagieren. Eigentlich gehört der Sender zu den „Guten“ in der Branche, ein europäischer Kulturkanal mit Vorbildfunktion, der das qualitativ hochwertigste Fernsehprogramm bietet und der sich nach außen hin gerne mit Offenheit und Progressivität schmückt. Hätte sich ein Privatsender so einen Wettbewerb ausgedacht, wäre die Empörung wahrscheinlich weniger drastisch ausgefallen. Dass aus Artes Sicht etwas falsch oder missverstanden worden sei, zeigt, wie unreflektiert die Verantwortlichen bei Arte sind. Es gab bald ein Gespräch mit einer Art Delegation, bestehend aus der Regisseurin Esther Gronenborn, der Filmemacherin und Schauspielerin Sheri Hagen, der Produzentin Alexandra Krampe sowie mit Pary und mir. Generell war die Gesprächsatmosphäre recht offen und freundlich, wir konnten unsere Forderungen unmissverständlich vorbringen. Was wir am Ende der eineinhalbstündigen Besprechung erreicht haben, ist: ein jährliches und transparentes Gender-Monitoring und Gender-Budgeting, beides. Es werden verpflichtende Anti-Bias-Fortbildungen für Arte-Redakteur*innen stattfinden. Des Weiteren wurde der Wettbewerb modifiziert, der sogenannte weibliche Themenbezug ist komplett weggefallen, und es dürfen auch Filme eingereicht werden, die bereits produziert worden sind, deren Auswertung aber noch aussteht. Die Worte Quote haben die Arte-Teilnehmenden nicht in den Mund genommen. Sie nennen es Parität. Arte legt beim nächsten Produzent*innen-Treffen einen Schwerpunkt auf Geschlechtergerechtigkeit. Ein Viertel der Produktionsfirmen, die Arte für den Produzent*innentag einladen wird, sollen Firmen sein, mit denen der Sender noch nicht gearbeitet hat und die zudem hauptsächlich von Frauen geführt werden. Ich finde, an dieser Stelle hat sich Arte ein wenig verraten – denn sonst werden wohl zu solchen Veranstaltungen nur Leute geladen, die sich bereits kennen, womit derartige Treffen eigentlich schon wieder obsolet wären.
Beim ZDF war alles ganz anders. Weil das ZDF und die ARD Arte mit Inhalten beliefern, mussten wir auch an das ZDF einen kritischen Brief mit unseren Forderungen formulieren. ZDFs Reaktion war jedoch ein Schlag in die Magengrube. Der Intendant persönlich, Dr. Thomas Bellut, hat uns geantwortet. Ich kann nur vermuten, dass Bellut sich der Problematik nicht bewusst war, denn der Brief ist durchtränkt von einem realitätsfernen Hochmut. Bellut hat sogar die Chuzpe, voller Stolz drei Regisseurinnen beim Namen zu nennen, die vom ZDF vermeintlich gefördert werden, weil sie Rosamunde Pilcher inszenieren dürfen. Wenn in einen Brief läppische drei Namen passen, dann heißt das, dass eben nur die Drei gefördert werden – nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Und das nennt Bellut dann Frauenförderung oder Genderförderung. Gemessen an den Fakten (zum Beispiel die Studie Genderlupe der Filmförderanstalt), sollte sich jedoch das ZDF schämen, dass es nur diese drei Regisseurinnen vorbringen kann. Denn Regisseur*innen, Kamerafrauen*, Autor*innen, Produzent*innen werden hier systematisch benachteiligt. Die Sache ist, dass wir Frauen und FLINTA* keine Förderung, sondern Gleichberechtigung wollen.
PARY EL-QALQILI
Ob die sich in den Sendern ihres Gender Bias’ bewusst sind oder nicht – nach außen treten sie natürlich so auf, als ob sie sich für Gendergerechtigkeit einsetzen würden. Die würden ja niemals sagen „nein, wir fördern bewusst keine Frauen“. Aber das bedeutet nicht, dass sie wirklich für strukturelle Gleichberechtigung sind.
KATHARINA LÜDIN
Dazu noch ein Gedanke: Pro Quote Film verweist auf einen Vortrag von Skadi Loist zu Diversitätsstandards des Britischen Filminstituts von 2018. Das Britische Filminstitut hat targets formuliert. Von „Quote“ sprechen sie nicht, sie verwenden laut Loist „target“ als positiven Begriff für Inklusion. Das sind Förderkriterien, vergleichbar mit der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, aber noch strenger: 50/50 Gender, 20% Black, Asian and Minority Ethnic, 9% LGBT und 7% Menschen mit Behinderung. Nur wenn zwei Punkte eingehalten oder erfüllt sind, werden Produktionen überhaupt gefördert. Das ist also die Mindestanforderung. Bei vier oder mehr erfüllten Kriterien gibt es noch extra Punkte für „good practice“. Wieso funktioniert das in UK? Warum kämpfen wir in Deutschland erfolglos? „Erfolglos“ ist falsch, aber ich habe schon das Gefühl, dass es hier viel zäher ist. Allein das Bewusstsein, dass Programmkonferenzen oder auch Fördergremien paritätisch besetzt werden sollten – und zwar nicht nur auf Gender, sondern auch auf Intersektionalität bezogen –, fehlt. Solange das so ist, wird sich in den einzelnen Sendern und auch am Programm nichts nachhaltig verändern. Ich frage mich, woran es liegt, dass das in UK offensichtlich schneller geht.
TATJANA TURANSKYJ
Wir kämpfen ja nicht seit gestern, sondern eigentlich seit über 50 Jahren. Angefangen hat das mit Helke Sander und der Zeitschrift Frauen und Film beziehungsweise der zweiten Frauenbewegung. Helke Sander, die die Zeitschrift mitbegründet hat, war Filmfrau und Feministin. Sie hat auch Kinderläden gegründet und wundert sich heute mit 80, dass sich nichts geändert hat. Angela McRobbie, die Kulturwissenschaftleirn, hat einiges dazu geschrieben, warum es so ist, wie es ist. Ich muss sagen, dass alles, was in dem Brief an Arte steht, wir auch schon geschrieben haben. Wir, also Pro Quote Regie, wir mussten Studien erkämpfen, um überhaupt Zahlen zu Geschlechtergerechtigkeit vorliegen zu haben. Die Studien sind ja auf Druck von Pro Quote Regie entstanden und nicht vom Himmel gefallen. Eigentlich haben wir nur erreicht, dass ein Bewusstsein entsteht, und jetzt wurden Veränderungen erreicht. NichtmeinTatort musste kommen, eine neue Sprecherinnenposition entstehen, die Pary und Biene einnehmen.
PARY EL-QALQILI
Es ist wichtig, was Tatjana sagt. Biene und ich haben im Endeffekt nur die Pro-Quote-Forderung aufgenommen. Wir standen im ganz engen Austausch mit Barbara Teufel und Tatjana Turanskyj, weil wir uns auch absichern wollten: Ist das der richtige Schritt, jetzt mit den Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen? Beide haben sofort gesagt: „Genau so, macht das“. Sie haben uns total empowered, das so rauszuschicken.
Katharina, du hattest ja gefragt, weswegen in Großbritannien der BFI-Standards eingeführt werden konnte. In Deutschland gibt es einen institutionellen und strukturellen Rassismus im Kunst- und Kulturbetrieb und damit auch in der Filmbranche. Die wichtigen Positionen sind mehrheitlich weiß besetzt: Entscheidungsträger*innen in Fördergremien und Sendern sind mehrheitlich weiße cis Männer, oder, leider, Frauen, die in einem patriarchalen System verortet sind und oft abwertend über die Quote denken. In Deutschland gibt es immer noch kein Verständnis dafür, dass eine diverse Gesellschaft etwas positives ist. Es gibt verhärtete Strukturen, und die Abwehr gegen das vermeintlich Andere ist stark. Biene und ich haben ein Gespräch mit Helge Albers von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein geführt. Er hat erläutert, dass sie die BFI-Standards angeschaut und überlegt haben, wie sie diese auf den deutschen Kontext übertragen könnten. Was in Deutschland aber ein Tabu ist, ist die Zählung. Es gibt Kritik daran, Menschen mit Migrationshintergrund zahlenmäßig zu erfassen, weil der Begriff „Migrationshintergrund“ nicht alle diejenigen einschließt, die von Rassismus betroffen sind, aber schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben. Welche Kategorien sind für den deutschen Kontext adäquat? Das ist einfach noch nicht geklärt.
KATHRIN PETERS
Auch in Großbritannien gibt es Sexismus und Rassismus, aber im Vergleich zu Deutschland haben die Stimmen der Betroffenen ein anderes Gewicht und finden mehr Gehör. Großbritannien versteht sich als postmigrantische Gesellschaft und hat sich mit seiner Kolonialgeschichte befasst. Das ist hier anders.
Ich würde gerne noch einmal darauf zurückkommen, dass die Verantwortlichen in den Sendern offenbar gar nicht merken, dass sie ständig Einreichungen und Anfragen von Frauen erhalten. Sie denken, sie müssten die Arbeit von Frauen erst entdecken. Das ist eine bemerkenswerte Fehlwahrnehmung. Tatjana hat das als Wiederholungsschleife beschreiben: Man muss immer wieder von vorne anfangen mit der Forderung nach Repräsentation. Vor 50 Jahren Frauen und Film, vor 10 Jahren Pro Quote Film und jetzt werden wieder dieselben Forderungen erhoben.
TATJANA TURANSKYJ
Ja, warum tut sich die Film- und Förderlandschaft so schwer mit Gender- und Diversity-Standards? Da sind konservative, nicht transparente Kräfte am Werk, die sich und ihre Privilegien bedroht fühlen. Vielleicht schafft es die nächste Generation, die postmigrantische Generation, wenn Deutschland nicht mehr so weiß ist, Veränderungen durchzusetzen.
PARY EL-QALQILI
Es gibt von der Filmförderanstalt die Studie „Gender und Film“. Die analysiert, dass Regisseurinnen weniger Kompetenz und an Leistungsfähigkeit zugetraut wird. Damit hängt zusammen, dass Regisseurinnen immer noch weniger Budget für ihre Filme bekommen als männliche Kollegen. Jüngeren männlichen Regie-Kollegen wird schon relativ schnell nach der Filmhochschule ein hochbudgetierter Film zugetraut, während sich Regisseurinnen über mehrere unbedeutende Formate erst einmal hocharbeiten und beweisen müssen, damit sie irgendwann ein höheres Budget bekommen. Pro Quote Film hat zu den Stereotypisierung von Frauen hinter der Kamera gearbeitet. Die Gründerinnen von Pro Quote waren diejenigen, die überhaupt erst eingefordert haben, dass es Erhebungen gibt zur Teilhabe von Regisseurinnen. Die jährlichen Diversitätsberichte, aber auch die FFA-Studie haben wir der Initiative von Pro Quote Film zu verdanken.
BIENE PILAVCI
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind sehr hierarchisch aufgestellt. Ich habe den Eindruck, dass sie in ihrer eigenen Wohlstands-Bubble stecken. Die Redaktionsebene ist das gut bezahlte Fußvolk und da sind tatsächlich zahlreiche Redakteurinnen vertreten. Meiner Beobachtung nach sind sie, wie alle anderen, in patriarchalen Strukturen sozialisiert worden und tragen bewusst oder unbewusst auch starke Vorbehalte gegenüber anderen Personengruppen in sich. Sie meinen, eine solidarische Haltung gegenüber anderen Frauen zu haben. Ja, sie solidarisieren sich teilweise mit Frauen, aber aus welchen Gruppen? Gleich und gleich gesellt sich gern. Ich sehe nicht, dass (post)migrantische oder diasporische Frauen eine Chance bekommen. Bei diesem Auftaktgespräch mit Arte nahmen auch Abteilungsleiterinnen teil. Eine berichtete ausgiebig von ihren tollen Taten, ihren Projekten, ihren Zahlen. Aber wir hatten Dank crew united, dem deutschsprachigen Filmnetzwerk, die aktuellen Zahlen und die stehen für sich. Wir mussten wirklich intervenieren, weil die geschönten Zahlen von Arte nicht haltbar waren. Solange bei Arte und den anderen Sendern keine selbstreflexiven Frauen auf der Entscheidungsebene mitwirken, kann sich auch nichts Grundlegendes ändern. Die Geschichte würde sich nur wiederholen: Weiße alte Cis-Frauen würden weiße Cis-Frauen fördern …
Auf der anderen Seite hat sich in den letzten 50 Jahren einiges getan – vor und hinter der Kamera. Fassbinder hat noch Filme über uns gemacht. Mittlerweile machen wir, wenn wir gelassen werden, selbstbestimmte Filme über uns. Es werden auch Redakteur*innen kommen, die Postmigrant*innen sind oder in der Diaspora leben. Aber es dauert. Einen sicheren Job gibt man ja auch nicht gerne ab. Die Verantwortlichen müssten erst in Pension gehen, bevor Leute nachrücken können. Beziehungsweise, es braucht einfach eine andere Personalpolitik.
KATHRIN PETERS
Du hast Recht, Biene. Ich beobachte an mir selbst durchaus die Dynamik, die ich bei anderen ankreide, dass ich dazu tendieren, mich für Leute aus dem eigenen Milieu einzusetzen. Daher ist die Selbstbeobachtung des eigenen Bias so wichtig.
Ich würden gerne auf die historische Ebene zurückkommen. Tatjana hat es schon erwähnt, 1974 ist die Frauen und Film gegründet worden, die ja bis heute besteht. Dann entstanden die ersten Frauenfilm-Festivals in den 1980er Jahren. Feministische Künstlerinnen organisierten Ausstellungen wie Kunst mit Eigen-Sinnin Wien. Was ich an diesen Bezügen so wichtig finde, ist, dass es nicht nur um zahlenmäßige Repräsentation ging, sondern darum, den Kunst- und Filmbegriff zu verschieben. Perspektiven, die im Film- oder Kunstbetrieb nur an den Rändern vorkamen, sollten in den Mittelpunkt gerückt werden. In der bildenden Kunst wurden von feministischen Künstlerinnen ganze Gattungen hinterfragt. Denn in der Malerei oder der Bildhauerei als Frau in den 1970er Jahren reüssieren zu wollen, das wäre ein geradezu absurdes Unterfangen gewesen. Video, Performance und Fotografie waren und sind gerade für Künstlerinnen hingegen wichtige Medien. Man muss in diesem Sinne die ganze ästhetische Produktionsweise in Frage stellen, um eine Veränderung hervorzubringen. Wie wichtig ist für euch die Frage nach anderen Filmen?
BIENE PILAVCI
Ich denke, man muss sich anschauen, wer entscheidet. Wer sind die Geldgeber, und wie denken Geldgeber. Sie denken in Gewinnmargen. Man muss sie dort packen und das Potential eines diversen Casts und diverser Crews in den Vordergrund stellen. Ganz im Sinne von Netflix und Co.: „Die Klickzahlen bestätigen dies.“ Oder anders gesagt: Die aktuellen FFA-Zahlen belegen, dass in den letzten Jahren immer mehr und mehr Geld in deutsche Filme, „deutsche Geschichten“, deutsche Produktionen gesteckt wurden. Aber die Zuschauenden zahlen an der Kinokasse für andere Filme, für nichtdeutsche Produktionen. Warum ist das so? Weil eben im deutschen Kino das läuft, was die weiße Mehrheitsgesellschaft schon in- und auswendig kennt. Marginalisierte Personengruppen kennen den deutschen Film auch schon ziemlich gut. Das heißt, es müssen neue Perspektiven und Formen her. Es gibt ja Geld, es muss nur anders verteilt werden. Es nützt nichts, noch und noch mehr Geld in das immer Selbe zu pumpen. Das ist Wahnsinn! Also: (Post)migrantische und black Filmemacher*innen of color könnten den deutschen Filmkanon interessant machen und nachhaltig prägen. Pary sagt immer, Gerechtigkeit ist das eigentliche Argument.
PARY EL-QALQILI
Ja, Biene und ich hatten da natürlich Diskussionen, weil Biene über den Markt argumentiert und sagt, es sei im Interesse des Markts, diverser zu werden. Also ganz pragmatisch. Und ich argumentiere auf der Rechte-Ebene, dass es unser Grundrecht ist mitzugestalten. Aber du, Kathrin, hast gefragt, wie man die Produktionsverhältnisse ändern kann.
KATHRIN PETERS
Ich argumentiere auf der ästhetischen Ebene.
PARY EL-QALQILI
Die Frage ist, inwiefern klassische Erzählstrukturen überhaupt Brüche zulassen, oder ob die nicht immer nur wiederholen, was uns weder intellektuell noch emotional-affektiv weiterbringt. Daran arbeitet ja Tatjana: die Form aufzubrechen und andere Formen zu finden. Das ist in den jetzigen Förderstrukturen fast nicht möglich. Es gibt eine Experimentalfilm-Förderung beim Medienboard und es gibt ein schätzenswertes, aber auch kleines Künstlerinnenprogramm des Berliner Senats. Aber in den anderen Förderungen ist nicht verankert, dass erwünscht ist, jenseits des Dreiakters zu erzählen, dass auch Risiken eingegangen werden sollen. Ich glaube, dass einerseits eine Grundsicherung für Künstlerinnen und Filmemacherinnen wichtig ist, also ähnlich wie in Frankreich, damit man nicht in ein Prekariat abgeschoben wird. Da wären wir auch schon beim nächsten Thema, class: Wer kann es sich überhaupt leisten, Filme zu machen und insbesondere in Kinofilme Zeit zu investieren und Stoffe fürs Kino zu entwickeln. Das können nur Menschen, die aus privilegierten Familien kommen und darüber eine Absicherung haben.
KATHRIN PETERS
Das stimmt. Ich insistiere noch einmal mit der Frage nach Form und Ästhetik. Wenn wir für zahlenmäßige Repräsentation bestimmter Gruppen eintreten, dann kommt die Antwort vom ZDF, sie hätten ja gerade eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung an eine Regisseurin vergeben. Die Antwort ist ja gar nicht unpassend. Sie erscheint uns nur deswegen falsch, weil wir etwas anderes meinen: Es geht um mehr als um Zahlen, nämlich um Stoffe und Perspektiven. Wenn ein weißer Hetero-Kitsch nun von Frauen gedreht wird, ist nichts gewonnen. Tatjana, deine Filme sind ja nun wirklich Filme, die sich ganz klar auf weibliche Erfahrungen, auf weibliche Lebens- und Arbeitsformen beziehen – sowohl inhaltlich als auch in der narrativen Struktur. Weibliche Körper bekommen unheimlich viel Raum in deinen Filmen, als agierende Körper. Es geht ins Obszöne, ins Theatrale, ins Alberne … oder alles zugleich, wenn Julia Hummer zum Beispiel in Top Girl vor Casterinnen performt und die Rolle, um die es geht, schon gar nicht mehr haben will.
TATJANA TURANSKYJ
Aus dem Grund habe ich eine eigene Produktionsfirma gegründet – um unabhängig zu sein. Ich kann nur allen Leuten empfehlen, dies zu tun, weil das zum Beispiel bedeutet, bei der Filmförderung einreichen zu können, unabhängig zu produzieren. Die Filmförderung, die wir jetzt haben, vor allem übrigens die kulturelle BKM-Förderung [Filmförderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Medien], ist eine Kontrollförderung und außerdem völlig intransparent. Papas Kino ist schon tot, und Mamas Kino muss auch sterben. Da ist alles in Bewegung und deshalb spreche ich von digitaler Autor*innenschaft. Biene, du hast in deinem Vortrag an der HfG Offenbach neulich davon gesprochen, dass Kino etwas anderes als Film ist.
BIENE PILAVCI
Kino ist ja nicht nur ein Film, den man auf der Leinwand sieht, sondern Kino ist ja etwas, das passiert, etwas Lebendiges. Der Film wird auf die Leinwand projiziert und die Töne umgeben uns durch die Soundanlage. Das ist sozusagen die Fläche, ich nenne sie A. Mit meinen Augen und Ohren nehme ich die audiovisuellen Reize wahr, die im Hirn ankommen, das ist dann B. Schließlich gibt es eine chemische Reaktion in diesem geschlossenen Raum, das ist dann C …
TATJANA TURANSKYJ
… das ist der Film.
BIENE PILAVCI
Die Sehhörung in einem geschützten Raum, gemeinsam mit anderen – in meiner Vorstellung mit einem Idealpublikum aus einander unbekannten, jedoch gleichgesinnten Menschen – das ist der Film. Das Kinoerlebnis, eine Erfahrung.
TATJANA TURANSKYJ
Man könnte das Kino retten, wenn man wollte. Aber das widerspricht dem Markt, wie du argumentierst, Biene, den Marktverhältnissen. Dass Film nur mit zwei Millionen, ach Quatsch, was sag ich da – das ist ja Low Budget! –, mit fünf Millionen Euro gemacht werden kann, wie soll das amortisiert werden? Wie soll das gehen? Ich würde vorschlagen, das Kino zu schützen, indem man es auf die Weltkulturerbeliste setzt. Dadurch wäre es geschützt und niemand muss noch durch diese Administrationshölle gehen, um einen Film zu machen.
KATHRIN PETERS
Aber ich kenne eure Filme doch. Irgendwoher gibt es also Geld.
TATJANA TURANSKYJ
Meine Filme sind deshalb gefördert worden, weil man nicht mehr drum herumkommen konnte, sie zu fördern. Es macht sich gut, einen – aber eben nur einen – feministischen Film zu fördern. Aber natürlich mit wenig Geld! Ich war froh, dass ich meine Filme überhaupt machen konnte oder durfte …
BIENE PILAVCI
Zunächst kann ich Tatjana nur beipflichten. Kino als Weltkulturerbe zu deklarieren, wäre für alle hilfreich und könnte das Kino langfristig vor seinem Untergang wahren. In Anbetracht der Tatsache, dass wir in einem neoliberalen System leben, klingt in meinen Ohren Tatjanas Idee mit der Weltkulturerbe viel realistischer als die, das System reformieren zu können.
Parallel zu Macht der Lakaien arbeite ich gerade auch an Nackt – ein Film über Selbstbestimmung anhand eines Castings. Das ist, wofür ich das Senats-Stipendium erhalten habe. Dieses Stipendium ist eine Anschubfinanzierung, um ein gutes Finanzierungspackage zu schnüren. Aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Film durch das Raster der Finanzierungsoptionen fliegen könnte, weil Nackt ein hybrider Essayfilm ist, das heißt, er ist dokumentarisch und fiktional, aber nicht experimentell. Für solche Stoffe gibt es keine Schublade in Deutschland. Ein weiser und weißer, alter Mann hat mal gesagt, „Kunst in Kategorien einzuteilen, ist ein Widerspruch in sich und zutiefst deutsch.“ Naja, oder so ähnlich. Wie wollen wir denn neue Formen finden, wenn es dafür keine Bereitschaft zur Finanzierung gibt? Ein Deutschland ohne Schubladen – das wünsche ich mir.
TATJANA TURANSKYJ
Ganz genau.
BIENE PILAVCI
Der Deal ist: „Wir Gönner geben euch Künstlern ein bisschen was in die Hand und ihr geht uns dann nicht mehr auf den Sack.“ Wir bekommen alle gerade mal so viel, dass wir unsere Filme auf kleiner Flamme umsetzen können und dabei wird auch noch Dankbarkeit von uns erwartet. Aber davon leben können die wenigsten Autorenfilmer*innen. Und ob sich jemand auf diese Weise künstlerisch weiterentwickeln kann, ist auch zu bezweifeln. Der große Batzen wird unter den üblichen Verdächtigen aufgeteilt. Und argumentiert wird das Ganze mit, dass Arbeitsplätze geschaffen würden. Ernsthaft! Es geht also nicht um Inhalte und Filmkunst, sondern um Arbeitsplätze! Als ob Autorenfilmer*innen mit mehr Budget nicht nur auch Arbeitsplätze schaffen würden, sondern imstande wären, die Wirtschaftsdarlehen zurück zu bezahlen.
KATHRIN PETERS
Ihr tretet ein für verschiedene Arten des Verhältnisses von Frauen und Film, so habe ich das jetzt verstanden. Biene dafür, dass auch Frauen an der Filmindustrie teilhaben. Wenn es aber um ein feministisches Argument geht, finde ich, steht auch zur Debatte, wer wie gezeigt wird, welche Perspektiven Raum finden, wem Gehör verschafft wird. Es geht auch um Formfragen.
BIENE PILAVCI
Ich selbst bin meine erste Zuschauerin. Ich gehe daher von mir aus, bei dem, was ich gerne auf der Leinwand oder vor dem heimischen Bildschirm sehen möchte. Ich interessiere mich für viele Themen und Sachverhalte, aber eben aus meiner, einer intersektionalen Perspektive. Im Übrigen denke ich, dass auch weiße Cis-Menschen sich für meine Perspektive interessieren könnten, da jene weißen Cis-Menschen, Verteter*innen der Dominanzgesellschaft, auch ihrer Perspektive überdrüssig sind und das vermeintlich Andere sehen wollen. Auch wenn ich mir nicht anmaßen will, mich in eine*n Zuschauer*in hineinversetzen zu können, merke ich im persönlichen Austausch mit weißen Cis-Kolleg*innen und weißen Cis-Freund*innen, dass da ein großer Wissensdurst herrscht.
Mir persönlich geht es nicht darum, meine Arbeit in einen (film)politischen und ästhetischen Kontext zu setzen. Dass dies trotzdem geschieht, liegt in der Natur der Sache. Da unser aller politische Haltung – auch deren Negierung – Teil unserer Sozialisierung und Lebensrealität ist, tragen wir diese Haltung selbstverständlich in einen Schaffensprozess hinein. Bei der Rezeption nehmen wir dies auch entsprechend wahr.
Mir geht es zwar darum, grundlegendste Konditionen des Filmemachens und Filmesehens in Frage zu stellen. Aber nicht aufgrund eines selbstauferlegten Prinzips, sondern weil ich durch die Filmbranche damit unmittelbar konfrontiert bin und darunter sogar leide. Dieses Gefühl der großen Ungerechtigkeiten und ein konstruktiver Umgang damit fließen mittlerweile ganz natürlich in meine Arbeiten hinein.
PARY EL-QALQILI
Wir wollen nicht nur Teilhabe am System, eigentlich wollen wir, dass sich das System ändert. Aber, wie?
KATHRIN PETERS
Tatjana, wir waren vor ein paar Jahren bei einer Pro-Quote-Veranstaltung und haben festgestellt, dass dort ein bestimmter Mainstream-Feminismus verteidigt wurde. Es schien das Ziel zu sein, überall mitzumachen, aber nicht, Fragen nach Form oder Format zu stellen. Ich finde das durchaus legitim, aber es ist nicht mein Einsatz. Ich denke, uns allen geht es doch im Sinne des queer-feministischen, des antirassistischen Films um mehr als darum, beim Bestehenden mitzumischen. Sowohl die Frauenförderung als auch die Diversity-Politik arbeiten mit der Hoffnung, dass, wenn Leute mit verschiedenen Biografien und Erfahrungswelten mitmachen, sich schon von selbst etwas ändert, künstlerisch, also in Erzählungen, Darstellungen, Bildern oder Dramaturgien. Aber da bin ich skeptisch.
TATJANA TURANSKYJ
Ja, das bezweifle ich auch.
KATHARINA LÜDIN
Ich glaube nach wie vor, dass, wenn in Head of Department-Positionen in Regie, Produktion oder Kamerafunktion etc. FLINT-Personen oder BIPoC verantwortlich sind, dass diese Filme diversere Perspektiven bekommen. Doch, das glaube ich schon. Dass das nicht mit jeder weißen cis Frau automatisch passiert, ist klar.
TATJANA TURANSKYJ
Katharina, entschuldige, dass ich dich unterbreche, alleine vom Head of Department zu sprechen, das ist schon Institution, das ist schon falsch.
KATHARINA LÜDIN
Wieso falsch?
KATHRIN PETERS
Vielleicht, weil man die Strukturen damit reproduziert, wenn man in diesen Kategorien denkt. Tatjana, du hast betont, dass es dir um Kooperation geht, Film als kooperative Praxis …
TATJANA TURANSKYJ
… genau.
KATHARINA LÜDIN
Ich möchte diesen Punkt zu Ende führen, weil es immer oder noch eine Weile Filme geben wird, die in diesem System arbeiten. Egal, ob wir jetzt persönlich als Autor*innenfilmende oder in Kollektiven arbeiten, oder wie auch immer wir unsere Arbeit gestalten, es wird trotzdem noch eine Weile diese Filme geben, weil Filmschulen stark auf Department-Trennung hin schulen. Bei uns an der UdK gibt’s diese Trennung nicht, an der HFBK Hamburg, wo ich vorher studiert habe, auch nicht. Darüber bin ich froh. Aber an Filmhochschulen gibt es sie. Ich sag’s deshalb nochmal: Wenn ein*e Regisseur*in, Kameraperson, Produzent*in eine Person ist, die auf der intersektionalen Ebene eine Mehrfachdiskriminierung mitbringt – beispielsweise eine Schwarze Frau oder nichtbinäre Person oder eine Person mit Behinderung –, dann wird sich die Erzählperspektive ändern und damit auch ein Blick auf Gesellschaft. Das wäre meine These oder meine Hoffnung, dass sich der Film zwar nicht unbedingt sofort in der Form, aber zumindest in der Repräsentation von Figuren ändert. Wenn ich fernsehe, halte ich die stereotype Darstellung von Personen, die nicht cis, weiß, hetero sind, kaum aus. Das hat definitiv damit zu tun, dass die Person, die den Film gedreht hat, eine weiße cis Person ist, beispielsweise. Menschen, die einer Ethnisierung unterliegen, werden ganz bestimmt klischeehaft dargestellt. Das Gleiche passiert mit einer homosexuellen oder trans Person, einfach weil die Personen, die für Regie, Buch oder Kostüm etc. verantwortlich waren, kein ausreichendes Bewusstsein haben. Es könnte ja auch mal eine nichtweiße oder trans Protagonist*in geben, die sich in einer Erzählung mit etwas anderem beschäftigen darf als ausschließlich mit ihrer Diskriminierungserfahrung. Das kann auch eine Realität verändern, wenn diese Person ganz unabhängig von ihren Merkmalen in der Geschichte auftritt. Darum geht es mir.
PARY EL-QALQILI
Genau, bei dieser Repräsentationsfrage haben wir auch angesetzt mit NichtmeinTatort zum Beispiel. In der ganzen Auseinandersetzung haben wir aber gemerkt, dass es nicht nur um Repräsentation gehen kann, solange sich am Gerüst dieses wirkungsmächtigen Formats Tatort nichts ändert. Da kannst du nochmal versuchen, eine Figur unkonventionell zu erzählen, es wird trotzdem kein Film werden, der dir irgendwie einen größeren intellektuellen oder emotionalen, affektiven Gewinn verschafft. Ich glaube, die Repräsentationsebene alleine ist nicht die Lösung des Problems. Da setzen wir natürlich filmpolitisch an, in der Hoffnung, dass sich durch die Veränderung des Zugangs zum Filmmarkt etwas ändert. Aber alleine das kann es nicht sein. Wie Tatjana gesagt hat: Wenn der Prozess des Films anders gestaltet ist, wenn es Raum dafür gibt, dass dort andere Formen der Hierarchie oder keine Hierarchien stattfinden, kann das Auswirkung für den Film haben. Solche Prozesse sind ja noch nicht damit gelöst einzufordern, dass es eine andere Form der Beteiligung vor und hinter der Kamera gibt. Machtverhältnisse können sich auch dann widerspiegeln. Das wäre eine Selbstkritik an uns, an NichtmeinTatort. Wir haben einen Faden aufgenommen, aber die Kritik müsste eigentlich über diese ganze Repräsentationsebene hinausgehen. Unsere Forderungen mit NichtmeinTatort ist auch nicht gelöst, wenn auf einmal 50 Prozent der Drehbücher von Autorinnen geschrieben oder Regisseurinnen gedreht werden. Eigentlich wollen wir keinen Tatort machen und uns nicht mit Ermittlerinnen identifizieren.
KATHRIN PETERS
Ich bin durchaus dafür, dass viele Frauen Tatort machen. Ich denke auch beim Tatort gelingt manchmal etwas. Aber man muss natürlich mit diesem Genre umgehen wollen.
KATHARINA LÜDIN
Ja, diese Hierarchien sind sowieso das eigentliche Problem, oder eines der Probleme: die Aufrechterhaltung eines Systems. Wer bestimmt die Stimmung am Set, wer traut sich, die Stimme zu erheben? Wir müssen auf diverse und sensibilisierte Besetzung achten, wenn noch nicht mal das Bewusstsein da ist, dass Frauen weniger privilegiert sind als Männer, dass Schwarze Menschen weniger privilegiert sind als weiße und dass Menschen ohne Behinderung privilegierter sind als Menschen mit Behinderung. Ich glaube schon, dass deswegen eine breite Repräsentation ohne Stereotype im Fernsehen und diverse Positionen hinter der Kamera wichtig sind.
PARY EL-QALQILI
Gegen Stereotype ankämpfen ist ein Problem in sich, weil man es auf der Folie der Stereotypen, gegen die man ankämpfen möchte, tut. Die Frage ist, inwiefern man sich auch durch alternative Darstellung davon befreien kann …
KATHARINA LÜDIN
… weil das nur in dem Rahmen gelesen wird, in dem wir denken …
PARY EL-QALQILI
… genau. Du hast es nicht gelöst, wenn du einen Schwarzen Arzt als Figur in einem Tatort einsetzt.
KATHRIN PETERS
Der Punkt wäre doch, dass das Schwarzsein des Arztes nicht thematisiert wüirde, sondern dass er einfach ein Arzt ist.
BIENE PILAVCI
Es geht auch darum, dass das deutsche Fernsehen eine Affinität für Krimis und Polizeiserien hat. Bei diesen Krimis sollen sich die Zuschauende mit den Polizist*innen identifizieren. Ich kam und komme bei verschiedenen Gelegenheiten auch mit der Exekutive und Judikative in Berührung. Ihr könnt mir glauben, ich habe absolut kein Bedürfnis, mich mit Kriminalist*innen zu identifizieren. Warum hat die weiße Dominanzgesellschaft ein Bedürfnis nach, ich nenne es mal, Beschützerserien? Solange die TV-Beamt*innen munter Fälle lösen, kann die Welt nicht ganz so upgefuckt sein? In dieser Logik würde dann niemand, solange sich alle in ihrem Bettchen beschützt wähnen, auf die Barrikaden gehen? Oder, weil die Welt da draußen böse und kalt ist, will ich mir vor dem Fernsehen eine Auszeit gönnen und keine Weltprobleme lösen, sondern das lieber die Ermittler*innen machen lassen? Da wären wir bei der Frage, was wir vom Film erwarten können? In einem Zeit-Interview hat ein Tatort-Drehbuchautor ganz unverhohlen gesagt, dass das Fernsehen ein Nebenbei-Medium sei, er schreibe die Bücher so, dass nebenher noch gearbeitet oder Bier geholt werden könne. Dafür ist der Tatort also gut genug? Dafür verballern die Tatort-Redaktionen das höchste Budget im deutschen Fernsehen? Um nebenher angeguckt zu werden? Als GEZ-Gebührenzahlerin finde ich das inakzeptabel. Als Filmemacherin erwarte ich definitiv mehr von einem Film, auch im deutschen Fernsehen, als nebenher konsumierbar zu sein.
KATHRIN PETERS
Ja, das sind eigentlich gar keine Detektivfilme, sagen wir, in der Tradition der Film Noir. Das ist einfach deutsche Polizei. Wobei die Dynamik von Tatort sicherlich auch aus der Serialität entsteht. Aber ich möchte eine historische Perspektive auf das Fernsehen richten: Das war ja nicht immer so. Das Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre in der BRD hat seinen Bildungsauftrag ernst genommen. Der WDR zum Beispiel hat viel ermöglicht. Unter dem Druck der Einschaltquoten und der Privatsender hat sich das verändert. Fernsehen ist durchaus ein interessantes Medium, nur, in der Form, in die es geraten ist, ist es das nicht mehr. Aber gerade weil es zu einem Nebenbei-Medium wird, könnte das Fernsehen etwas auszuprobieren …
BIENE PILAVCI
… unbedingt.