Das Symposium ist öffentlich.
Wenn nicht anders angegeben, ist keine Anmeldung
erforderlich.
Das Symposium hat bereits stattgefunden, es ist keine Anmeldung mehr möglich.

Veranstaltungsorte: Universität der Künste Berlin; Medienhaus, Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin, Mittwochabend: Bundesallee 1–12, 10719 Berlin

Sprachen: Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Lautsprache und Deutscher Gebärdesprache (DGS) statt. Die jeweils angebotenen Sprachen sind unter den Panels und Workshops angegeben. Xenia Dürr hat eine Einführung ins Programm in DGS gebärde

Knoten

Unlearning University versammelt Studierende, Mitarbeitende und Lehrende, um zusammen mit (internationalen) Gäst*innen diskriminierungskritisches Wissen und transformative Praxis in den Künsten zu diskutieren und zu erproben.

Ausgehend von der Critical Diversity Policy der UdK Berlin stehen drei Aspekte im Mittelpunkt: Wir fragen nach den Zugängen zu den Künsten und nach der Zugänglichkeit zum Studium der Künste. Wir thematisieren Prozesse der Kanonisierungen und die Notwendigkeiten der Kanonkritik. Und schließlich überlegen wir, welche Methoden des Lehrens und Lernens, des ästhetischen Bewertens und Urteilens wir praktizieren und welche wir praktizieren wollen.

PDF des Programmhefts

Informationen zu Access / Zugänglichkeit
Abstracts und CVs
Informationen zu den Räumen für kollektive Echos

UU

Mittwoch, 7.2.24

Bundesallee 1-12, 10719 Berlin, Joseph-Joachim-Saal

19.30 Uhr, Konzert
Musica inaudita Fokus Lateinamerika

Donnerstag, 8.2.24

Ab 9.30 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10 Uhr Eröffnung
Begrüßung: Ariane Jeßulat, Vizepräsidentin UdK Berlin
Einführung: Kathrin Peters (UdK Berlin)
Einladung zu den Räumen für kollektives Echo: Echo-Raum-Kollektiv

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

11–12.30 Uhr Panel
Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen
mit Merle Grimme (Clashing Differences) Joy Kalu (UdK Berlin), Julia Wissert (Theater Dortmund)
Moderation: Karina Griffith (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

14–17 Uhr Workshops
Workshop 1: Critical.Costume: Memes für Self-Empowerment

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum 103

Workshop 2: Echo-Raum Invitation to Unlearn, Mini-Performance-Workshop von und mit Alisa Tretau

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum: Galerie, 14.45–15.30 Uhr

Pause

17.30–19.30 Uhr Workshops
Workshop 1: Conversations on Care & Access
with Angela Alves and Claire Cunningham (UdK Berlin)

Sprachen: englische Lautsprache mit deutscher Flüsterübersetzung
Raum 6, bitte anmelden und gerne Zugangsbedürfnisse mitteilen.

Workshop 2: Institutioneller Beigeschmack
mit Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache
Raum 101; bitte anmelden und Teilnahmebedürfnisse, Allergien oder Fragen mitteilen.

Freitag, 9.2.24

Ab 9 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

9.30–11.30 Panel
Die Selbstverständlichkeit von Klassismus an Kunsthochschulen: Wie können wir Ausgrenzung vermeiden, wenn sie konstitutiv ist?
mit Ruth Sonderegger (Akademie der bildenden Künste Wien) und Sophie Vögele (Zürcher Hochschule der Künste) sowie „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“
Moderation: Elena Meilicke (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Pause

12–12.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: Deep Tissue, ein partizipativer Selbst-Massage-Workshop von und mit Zaidda Nursiti Kemal

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Aula

12.30–14 Uhr Panel
Verlernen
mit Juana Awad, Julian Sverre Bauer, Maja Figge und Rena Onat 

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutschte Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

15–18 Uhr Workshops
Workshop 1: World-Café zur Critical Diversity Policy
organisiert von Alejandra Nieves Camacho und Mathilde ter Heijne (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Workshop 2: Soundscapes des institutionellen Lernens
mit Jakob* vom Kollektiv Gather

Sprache: deutsche Lautsprache (bilingual friendly)
Raum 6, bitte anmelden

Pause

Ab 18.30 Uhr Echo-Raum
Wht th fck&Tenderness – Zine- und Druck-Workshop mit Silent Dinner: für Taube, Schwerhörige und hörende Gäst*innen von und mit Mudar Al-Khufash, Barbara Bielitz, Xenia Dürr, Judith Greitemann, Ximena Gutiérrez Toro und Zoë Sebanyiga

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie
bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

Konzept und Team

Samstag, 10.2.24

Ab 10 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10.30–12.30 Uhr Panel
Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
Daniele G. Daude (The String Archestra): The Myth of Opera Analysis – For a Situated Opera
Johannes Ismaiel-Wendt (Universität Hildesheim): Von Vorsingen und prekären Bretterbuden
Maiko Kawabata (Royal College of Music, London / Open University): Equality, Diversity and Inclusion in Western Classical Music Performance
organisiert von Isabelle Heiss, Johann Honnens und Christine Hoppe (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Mittagspause

13.30–15.30 Forum und Panel
Forum: Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
mit Daniele G. Daude, Johannes Ismaiel-Wendt, Maiko Kawabata
Moderation: Tsepo Bellwinkel

Sprachen: deutscherund englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Panel: Questions towards the Logics of Canonization in Art and Design Histories
Işıl Eğrikavuk (UdK Berlin): How to collaborate? Building dialogues, co-creation, interconnectedness
Mahmoud Keshavarz (Uppsala Universitet): In Search of Makers in Police Archives: Two Snapshots from Unlearning Histories of Making
Carolin Overhoff Ferreira (Unifesp, São Paulo): How can art be decolonized in theory and practice?
Moderation: Miriam Oesterreich (UdK Berlin)

Sprache: englische Lautsprache
Raum 103

Pause

16–16.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: partizipativ-somatische-Performance mit Lisa Siomicheva

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Galerie

16.30–19 Uhr Echo-Raum
Das zärtliche & tentakuläre Orakel – ein Workshop der Sickness Affinity Group-Mitglieder Frances Breden und Stassja Mrozinski

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie, bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

 

 

Räume für kollektive Echos

„Unlearning (University)“ ist ein unabschließbarer kollektiver Lernprozess. Er beinhaltet somatische Trans*formationen der Machtverhältnisse, die wir verkörpern. Das Symposium Unlearning University baut auf jahrzehntelanger, oft unsichtbarer Arbeit von Positionen auf, die von der Universität meist ausgeschlossen bleiben. Räume für kollektive Echos begleiten das Symposium als partizipative Formate. Sie laden ein zu mehrperspektivischen, widerständigen und fürsorgenden Echos als Formen der kollektiven Evaluation. Sie bieten Raum für Liebesbriefe genauso wie für das Äußern von Dissens. Es

„Unlearning (University)“ ist ein unabschließbarer kollektiver Lernprozess. Er beinhaltet somatische Trans*formationen der Machtverhältnisse, die wir verkörpern. Das Symposium Unlearning University baut auf jahrzehntelanger, oft unsichtbarer Arbeit von Positionen auf, die von der Universität meist ausgeschlossen bleiben. Räume für kollektive Echos begleiten das Symposium als partizipative Formate. Sie laden ein zu mehrperspektivischen, widerständigen und fürsorgenden Echos als Formen der kollektiven Evaluation. Sie bieten Raum für Liebesbriefe genauso wie für das Äußern von Dissens. Es geht um Lernprozesse, die über das Symposium hinausreichen. Aus der Perspektive diskriminierungskritischer Kunstvermittlung wird gefragt: Was will unbedingt betont oder wiederholt werden? Was kommt zu kurz oder fehlt? Die Echos werden vom zärtlichen und tentakulären Wht-th-fck-Orakel in einem Online-Zine versammelt. Das Orakel ist ein ausgehungertes und gefräßiges Wesen. Es lebt im Echo-Raum, einem Portal, das sich auf Zukünfte hin öffnet, von denen weniger Gewalt ausgeht. Das Orakel ist gierig nach den Erfahrungen der Teilnehmenden mit kritischer Vielfalt und (Ver)lernen an der Universität und im Leben. Es ist gierig nach den Echos der Teilnehmenden auf Unlearning University, auf ihre Nachrichten, Fragen und Anliegen.

Die Räume für kollektive Echos werden vom Echo-Raum-Kollektiv verantwortet. Es besteht aus Studierenden und Lehrenden des Instituts für Kunst im Kontext sowie Mitgliedern der Sickness Affinity Group. Das Kollektiv teilt ein Interesse an diskriminierungskritischen Praxen zwischen Kunst, Bildung und Aktivismus.

Folgende Formate sind geplant:

  • Echo-Raum Erste Fütterung des Orakels: Zum Auftakt des Symposiums wird das zärtliche und tentakuläre Wht-th-fck-Orakel mit Wünschen, Visionen, Befürchtungen, Hoffnungen, Ängsten der Teilnehmenden in Bezug auf Unlearning University gefüttert.
    Wann: Donnerstag, 8.2.24, zwischen 10 und 11 Uhr
    Wo: Aula
    Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
  • Echo-Raum Weitere Fütterungen des Orakels: Das zärtliche und tentakuläre Wht-th-fck-Orakel ist nach allen Symposiums-Beiträgen hungrig nach Echos der Teilnehmenden auf die Beiträge. Was ist besonders wichtig für dich? Was muss betont werden? Was berührt dich? Was macht dich wütend? Was fehlt? Das Orakel-mit-Tentakeln füttert den Echo-Raum mit den Echos. Dort werden Echos verdaut, wiedergekäut, ausgeschieden und für zukünftiges „Unlearning“ aufbereitet. Sie können Teil des Echo-Raum-Online-Zines werden. 
    Wann: nach allen Symposiums-Beiträgen
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, DGS (wo im Programm angegeben)
  • Echo-Raum Invitation to Unlearn, Mini-Performance-Workshop von und mit Alisa Tretau. Der Workshop eröffnet den Echo-Raum/Galerie. 
    Wie verstehen die Besucher*innen des Symposiums die Praxis des „Unlearning“ und welche Erfahrungen haben sie damit bereits gesammelt? Welche Gefühle und Hoffnungen berührt die Veranstaltung und wie würde eine verlernte Universität eigentlich aussehen? Diese und viele andere Fragen werden im Mini-Workshop mit Spielen, Statements und Perücken performativ verhandelt. 
    Wann: Donnerstag, 8.2.24, 14:45–15:30 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, bei Bedarf englische Flüsterübersetzung
  • Echo-Raum unlearning verkörpern: Deep Tissue, ein partizipativer Selbst-Massage-Workshop von und mit Zaidda Nursiti Kemal
    Wann: Freitag, 9.2.24, 12–12.30 Uhr
    Ort: Aula
    Sprachen: englische Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
  • Echo-Raum Wht th fck & TendernessZine- und Druck-Workshop mit Silent Dinner: für Taube, Schwerhörige und hörende Gäst*innen von und mit Mudar Al-Khufash, Barbara Bielitz, Xenia Dürr, Judith Greitemann, Ximena Gutiérrez Toro und Zoë Sebanyiga
    Bei diesem Format kann Druck abgelassen oder aufgebaut werden, können Liebesbriefe entstehen und vieles mehr. Es ist ein kulinarisches Silent-Format, bei dem nicht lautsprachlich kommuniziert wird. Kochen und Essen sind dabei wichtige Formen sowohl von Gemeinschaftsbildung als auch für das Unlearning von Ausschlussmechanismen am Tisch (dinner table syndrome). 
    Wann: Freitag, 9.2.24, ab 18:30 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
    Teilnehmer*innen: 25, mit Anmeldung
    Bitte sende eine E-Mail mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen bis spätestens Montag, den 5. Februar an fantastische_gruende@posteo.de
    Betreff: Wht th fck&Tenderness
  • Echo-Raum unlearning verkörpern: partizipativ-somatische-Performance mit Lisa Siomicheva
    Wann: Samstag, 10.2.24, 16 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
  • Echo-Raum Das zärtliche & tentakuläre Orakel – Ein Workshop der Sickness Affinity Group Mitglieder Frances Breden und Stassja Mrozinski
    In diesem Workshop sammelt das Orakel-mit-Tentakeln eure Fragen. Darauf wird kollektiv geantwortet. Dieser Workshop wurde vom Orakel-Format der Sickness Affinity Group inspiriert. 
    Wann: Samstag, 10.2.24 von 16.30-19 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsch Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
    Teilnehmer*innen: 20, mit Anmeldung
    Bitte sende eine E-Mail mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen bis spätestens Montag, den 5. Februar an fantastische_gruende@posteo.de
    Betreff: Das zärtliche & tentakuläre Orakel 

Selbstbeschreibungen der Echo-Raum-Kollektiv-Mitglieder

Mudar Al-Khufashs Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Kulturwissenschaft und Kunst. Er ist der Gründer und Herausgeber des Magazins awham, einer anti-orientalistischen, kulturellen und politischen Publikation. Auf der Grundlage queerer und feministischer Theorien und in einer posthumanen Perspektive artikuliert Mudar seine Diaspora-Erfahrung als Palästinenser und entwickelt auf der Grundlage dieser Identität eine Autotheorie, die er durch eine Mischung aus Wort, Video und performativem Output kommuniziert.

Barbara Bielitz ist eine geborene Erforscherin. Sie wird von Neugier und künstlerischen Experimenten angetrieben und konzentriert sich auf den kreativen Prozess und die konzeptionellen Verbindungen/Überschneidungen/Diffraktionen zwischen Feminismen und technologischen Materialitäten. Ihre Arbeit entfaltet sich sowohl in individuellen als auch in kollektiven Projekten, wobei sich letztere auf die FLINTA*-Migrantengemeinschaft in Berlin konzentrieren. Derzeit entwickelt sie Projekte, in denen sie Sci-Fi als Raum feministischer Spekulation für die Erforschung möglicher Welten nutzt.

Frances Breden ist Kuratorin, Künstlerin und Redakteurin. Sie widmet sich dem gemeinschaftsorientierten und kollektiven Kunstschaffen in digitalen und IRL-Räumen. Sie ist ein Sechstel des queer-feministischen Kunstkollektivs COVEN BERLIN (seit 2014). Frances war 2017 Gründungsmitglied der Sickness Affnity Group, einer Unterstützungs- und Ressourcengruppe zu den Themen Zugänglichkeit, Be_hinderung und Krankheit. Frances‘ neustes Kollektiv heißt Complainers and Killjoys und bietet Workshops über Memes als Form der institutionellen Kritik an.

Xenia Dürr ist Fotograf*in und Aktivist*in. They liebt es, über die Einstellung zu Sprachen zu philosophieren und Menschen mit gesellschaftskritischen Themen, vor allem Audismus, zu konfrontieren. Mit der Fotografie möchte Xenia Aufklärungsarbeit leisten und Menschen dazu bringen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Zudem gibt Xenia regelmäßig audismuskritische Workshops – hauptsächlich im kulturellen Bereich, um hörende Institutionen für einen bewussten Umgang in der Zusammenarbeit mit Tauben Künstler*innen zu sensibilisieren.

Danja Erni übt sich in Langsamkeit und verbringt gerne Zeit mit Pflanzen. Mag unterschiedliche Arten der Kontaktaufnahme und des Austauschs und lernt dazu in Laut- oder Schriftsprache, mit Gebärden, Emotionen, in Bewegung und über Berührung. Sie* beschäftigt sich – meist in Teams – mit Fragen zu Diskriminierungskritik und Intersektionalität zwischen Kunst und Bildung aus kritisch weißer, queer-feministischer und anti-ableistischer Perspektive. 

Ximena Gutiérrez Toro trägt ihre Zeit in sich selbst und macht viele Fehler. Sie ist eine Visuelle Künstlerin mit Erfahrung in Kunstvermittlung, Kunstpädagogik und graphischer Gestaltung. Sie interessiert sich für die Entwicklung von kreativen Projekten, die eine kritische Perspektive einbringen und das Verlernen von sozialen Konstruktionen fördern.

Judith Greitemann beschäftigt sich mit der Darstellbarkeit und Vemittlung von menschlichen Körperwahrnehmungen/-ausdrücken im Spannungsfeld von Kunst und Medizin aus einer anti-ableistischen und queer-feministischen Perspektive. Judith arbeitet filmisch und performativ mit Ästhetiken der Zugänglichkeit. Das Persönliche und Subjektive betrachtet Judith als Ressource und Ausgangspunkt ihrer kollektiven Praxis.

Simon Noa Harder ist eine Wasserratte und ein* Freund* der Weichtiere, engagiert sich für trans*formative Räume am liebsten intersektional, community-basiert und kollektiv mit DIY-Charme und Glitzer. SNH bewegt sich auf Schnittstellen kulturell-politischer Bildung, Kunst/Performance, kritischen Trans*Studies, Embodied Social Justice und somatischer Arbeit. Forscht zur traumainformierten Aneignung von neuroqueeren bodyminds, der Trans*formation von Scham und zur Verkörperung von Pleasure.

Zaidda Kemal stellt viele Fragen über das Wort “being” (das Sein, das Wesen, das Dasein, die Wesenheit, das Geschöpf). Well-being (Wohlbefinden) ist eins davon. Mit Bodywork möchte sie, dass die Menschen ihr Wohlbefinden und die Geschichte ihrem politisierten Körper erzählen. 

Nastassja Isabelle Mrozinski ist Designer*in und Forscher*in. Stassja beschäftigt sich damit, wie verschiedene bodyminds und andere materiell-semiotische Akteure interagieren, sowie mit deren verflochtenen Machtverhältnissen und Geschichten. Als Mitglied der Sickness Affinity Group hilft Stassja bei der Organisation von Selbsthilfegruppentreffen und partizipativen künstlerischen Formaten mit einem Fokus auf das Umlernen von Ableismus und Praxen der Zugangsgestaltung.

Zoë Sebanyiga fühlt sich am wohlsten in Räumen der Reflektion. Nadel, Faden und Textilien sind ihre Werkzeuge, um gesellschaftliche Mauern zu überwinden oder sie einzureißen. Ihre Arbeit als Schneiderin und Modedesignerin, Kostümbildnerin oder auch als Referentin für Antirassismus hinterfragt diskriminierende Strukturen und soll kraftspendend für einen diskriminierungskritischen Weg wirken.

Lisa Siomicheva beschäftigt sich mit dokumentarisch basierter und ortsspezifischer Kunst, mit Gemeinschaften und ihren Narrativen. Durch verschiedene Medien wie Fotografie, Video, Theater, Performance und Installation arbeitet sie oft mit persönlichen und kollektiven Erinnerungen, sammelt Geschichten und Fantasien, durchblättert Archive und setzt Beobachtung und Reflexion ein, um neue verkörperte Formen des Nachdenkens zu entwickeln.

Alisa Tretau glaubt an die Gemeinschaft als Motor kreativer Transformation und übt sich in theatralen Subversionen alltäglicher Machtstrukturen. Ob als Regisseurin oder Performerin, Autorin oder Workshopleiterin – sie beschäftigt sich, am liebsten improvisierend und interaktiv, mit Fragestellungen, die das Private und das Politische performativ zusammenziehen, so zuletzt mit kognitiver Dissonanz im Angesicht der Klimakrise und emanzipatorischen Praktiken im Kontext Elternschaft.

Unlearning University – Access

Sprachen

Die Symposium findet in deutscher und englischer Laut- und deutscher Gebärdensprache (DGS) statt (Maine Callahan, Mille Skovdal Jepsen, Jona Schmitz). Die jeweils angebotenen Sprachen sind unter den Panels und Workshops im Programm vermerkt.

Xenia Dürr hat eine Einführung ins Programm in DGS gebärdet.

Kommunikationsrichtlinien

Im Rahmen von Workshops haben Studierenden der UdK Berlin Richtlinien für Kommunikation in sensiblen Diskussionen erarbeitet, um sicherzustellen, dass politische Diskussionen an der UdK Berlin von Respekt, Empathie und konstruktivem Dialog geprägt sind. Die Beauftragte für Antidiskriminierung und Diversität der UdK Berlin, Alejandra Nieves Camacho, hat die Workshops ausgerichtet.

Gebäude

Das Gebäude und die Veranstaltungsräume sind barrierearm zugänglich.

UdK-Gebäude in der Bundesallee 1-12, 10719 Berlin
– Der Joseph-Joachim-Saal liegt im ersten Stock und ist mit einem Fahrstuhl zu erreichen. Die Pforte ist bis 22.30 Uhr besetzt.
– Der Standort Bundesallee liegt direkt am U-Bahnhof Spichernstraße (U3, U9), mit Aufzug. Außerdem sind folgende Bus-Haltestellen in unmittelbarer Nähe: Friedrich-Hollaender-Platz (Linie: 249) und Spichernstraße (Linie: 204)

UdK-Gebäude, das sogenannte Medienhaus, in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin, ist der Symposiums-Ort vom 8. bis 10.2.
– Das Gebäude liegt nahe der U-Bahnstation Kleistpark (U7), mit Aufzug, und ist über zahlreiche Busse an der Haltestelle Kleistpark erreichbar.
– Das Gebäude ist über eine Rampe zugänglich.
– Die Galerie liegt im Erdgeschoss, direkt gegenüber dem Eingang. Die Aula liegt im ersten Stock genau über der Galerie und ist mit einem Aufzug erreichbar. Während des Symposiums wird es Bean Bags in Galerie und Aula als Sitzmöglichkeiten geben.
– Raum 6 (Oral History-Raum) ist ein kleiner Raum mit Podest, besonders für Filmsichtungen geeignet. Er wird mit Kissen und Klappmatratzen ausgestattet.
– Raum 102 (Klasse Kampagnen) ist ein Seminarraum mit Stühlen und Tischen, er ist über den Aufzug erreichbar.

Während des Symposiums dient Raum 6 als Ruheraum.

Information und Unterstützung

Anmeldung und Information befinden sich in der Galerie.
Ein Awareness-Team (Zélie Dartus-Parraud und Tường Vi Nguyễn) ist vom 8.–10.2.24 vor Ort.

Die Pforte im Medienhaus ist bis 22 Uhr besetzt.
 
Bitte wenden Sie sich jederzeit an uns und teilen uns gerne Ihre Zugangsbedürfnisse mit: unlearning@udk-berlin.de
Toiletten

All-Gender-WCs befinden sich im Vorder- und im Hinterhaus des Gebäudes und sind ausgeschildert. Sie sind nur über die Treppe zu erreichen.
Im Hinterhaus befindet sich ein barrierearm zugängliches all-gender WC. Der Schlüssel dafür ist an unserem Info-Tisch erhältlich.

 

Unlearning University – Konzept und Team

 

Perspektiven für eine diskriminierungskritischere Kunsthochschule

Universität zu verlernen bedeutet, die eigene Institution zu befragen. Auf welchen Annahmen und Traditionen beruht das, was als wichtig erachtet wird? Welches Wissen und welche Wahrnehmungen kommen nicht vor?

Unlearning ist ein Konzept aus der dekolonialen Forschung und Kunst. Es fordert auf, Fähigkeiten und Kenntnisse, die selbstverständlich erscheinen, infrage zu stellen. Verlernen bedeutet dabei nicht, etwas zu vergessen oder auszulöschen, sondern andere Fähigkeiten und die Kenntnisse Anderer anzuerkennen – und es bedeutet auch, hegemoniales Wissen und eingeübte Praktiken zu revidieren. Das kann darauf hinauslaufen, sich mit Nichtwissen, Unwissen und Nichtverstehen auseinanderzusetzen.

Kunsthochschulen sind Orte, an denen Ästhetiken eingeübt werden. Es sind zugleich Orte, an denen ästhetische Praktiken Wahrnehmungen, Erfahrungen und Machtverhältnisse herausfordern können. Denn künstlerische Praktiken eröffnen Ausdrucks- und Handlungsfähigkeit, auch und gerade marginalisierter Gruppen. In den Künsten wird Subjektivität und Zugehörigkeit immer wieder neu verhandelt.

Unlearning University versteht die UdK Berlin als lernende und verlernende Kunsthochschule. Das Projekt nimmt die Critical Diversity Policy, die sich die UdK Berlin gegeben hat, beim Wort. Beteiligte aller Fakultäten, bestehende Initiativen und Gäst*innen versammeln ihre Erfahrungen und Konzepte auf dem Weg zu einer diskriminierungskritischeren UdK Berlin.

Team

Karina Griffith (Co-Projektleitung), Isabell Heiss, Johann Honnens, Christine Hoppe, Elena Meilicke, Miriam Oesterreich, Kathrin Peters (Projektleitung), Mathilde ter Heijne, Melanie Waldheim
Studentische Mitarbeiter*innen: Mika Ebbing, Loran Celebi, Charlotte Riemann, Lea Verholen
Evaluation/Echo-Räume: Danja Erni, Simon Noa Harder
Erscheinungsbild: Giada Armante, Charlotte Riemann, Yui Yamagishi; Beratung: Barbara Kotte, Gosia Warrink
Website/technischer Support: Arwina Afsharnejad
Weitere Beteiligte: Alejandra Nieves Camacho (Diversitätsbeauftragte), Christian Schmidts (Beauftragter für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen)
Kooperation mit Performances von [Weiblichkeit] in den darstellenden Künsten, 26.–28.1.24

Kontakt

unlearning@udk-berlin.de

 
 
 

Unlearning University – Veranstaltungen

7./8.12.23
Alliances – Students, Artists, Scholars at Risk Auf dem Weg in die postmigrantische Kunsthochschule

UdK Berlin, Charlotte-Salomon-Saal (Raum 101/102, Hardenbergstraße) eine Veranstaltung zusammen mit Artist Training Lab Alliances_Programm

8.12.23
Workshop: Overcoming Fear and Shame in White Spaces mit Vivian Ngozika Aghamelu

UdK Berlin, Medienhaus, Aula (Grunewaldstr. 2–5), in deutscher und englischer Lautsprache 15–18 Uhr Overcoming Fear and Shame in White Spaces_Programm

11.12.23
Workshop: Kreatives und non-hierarchisches Lernen mit Gather

UdK Berlin, Medienhaus, Raum 210 (Grunewaldstr. 2–5) In deutscher Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung 17–20 Uhr Kreatives und non-hierarchisches Lernen_Programm gather-berlin.de

7.-10.2.24
Symposium: Unlearning University

UdK Berlin, Medienhaus, in deutscher und englischer Lautsprache, in deutscher Gebärdensprache
Programm, Programmheft (PDF)

Am 05. Dezember 2022 fand der Aktionstag Recognizing barriers an der Universität der Künste statt. Die in diesem Artikel aufgearbeitete, kritische Reflexion des Programms erfolgte durch den Künstler und Kunstvermittler Dirk Sorge, Gründungsmitglied von Berlinklusion, mit dem Schwerpunkt auf Barriereabbau und inklusiver Praxis im Kulturbereich, und der Schwarzen, intersektional verwobenen Künstlerin Lahya (Stefanie-Lahya Aukongo), deren künstlerische Inhalte sich um die Themen Privilegien, Dekolonisierung, Heilung, individuelle sowie kollektive Liebe und Verletzlichkeit spannen.

 

Unter dem Titel Recognizing barriers versammelten das studentische Kuratorium, bestehend aus Vivian Chan, Luïza Luz und Chris McWayne, sowie der Vizepräsidentin Ariane Jeßulat und dem ehemaligen Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragter Mutlu Ergün-Hamaz kritische Stimmen und ermächtigende Strategien zur Bekämpfung systemischer intersektionaler Diskriminierung in einem Aktionstag für Studierende, Lehrende und Interessierte.

Die Aufschrift des Veranstaltungsplakats „Barrieren, die wir sehen, sind Barrieren, die wir bekämpfen können“ unterstreicht die Relevanz der Benennung von Hürden, um ihnen entgegenwirken zu können, und impliziert sogleich die Schwierigkeit, die dem titelgebenden Anliegen anhaftet: Was für manche Körper als Schranke spürbar wird, bleibt anderen verborgen.

Doch was bedeutet es, wenn Barrieren Ausschlüsse produzieren, wenn ihre Widerständigkeit erhöhte Krafteinwirkung erforderlich macht und folglich diese Perspektiven zu großen Teilen am Rande verbleiben? Im Zuge des Aktionstages sollte der Thematik Barriere(-freiheit) – ausgehend von der Erkenntnis, dass die UdK Berlin nicht frei von intersektionaler Diskriminierung ist –, durch den Einblick in unterschiedliche Lebensrealitäten und durch Kritik an bestehenden Barrieren begegnet werden.

Den Programmauftakt am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT) in den Ufer Studios gab die Künstlerin Gugulethu A. Duma mit ihrem Begrüßungsworkshop Awakening Senses, in dem sich die Teilnehmenden einander u. a. über eine von ihnen selbstgewählte Geste vorstellten, die als Begrüßung durch die übrigen Anwesenden imitiert wurde. Das anschließende Panel mit Nanna Lüth (AG Critical Diversity), Sandrine Micossé-Aikins (Diversity Arts Culture), Sophia Neises, Ahmed Shah (Theater X) und Christian Schmidts (UdK Berlin) diskutierte unter dem Titel Recognizing What?! Was (an-)erkannt wird, kann auch verändert werden?

Im Hauptgebäude an der Hardenbergstraße wurde das Programm durch künstlerische Interventionen und Workshops fortgeführt. Die Gruppe Eine Krise bekommen, bestehend aus Studierenden der Fakultät Gestaltung, versammelte in ihrer interaktiven Installation We are sorry to inform you … kollektiv Ablehnungsgründe für die Aufnahme eines künstlerischen Studiums. Sie reagierte damit auf die jährlich verschickten Ablehnungsbescheide, die tausenden Bewerber*innen den Zugang zu Kunsthochschulen verwehren und eine unsichtbare Mauer an Ausschlussmeachnismen und Diskrimierungen bilden. Der Workshop Embodying Vision mit Dr. Aki Krishnamurthy für BIPoC FLINTA* lud dazu ein sich über Übungen aus der Körperarbeit mit der eigenen Kraft, mit Wünschen und Visionen zu verbinden.

 

Alles selbstverständlich – für wen?

Worte finden
Menschen¹

Alles selbstverständlich
für wen?
Ich bin frustriert, erschöpft
schon nach 19 Minuten
Kein Juhu, nur Unmut

Für wen? Wer darf? Wer fehlt?
Ich möchte schreien
Liebe für die Ungesehenen

Lahyas Gedicht, das im Zuge des Begrüßungsworkshops entstanden ist, hallt nach. Ihre Worte markieren den Anfang eines eindringlichen Gesprächs über Barrierefreiheit an der UdK Berlin, das neben Wertschätzung für die Bemühungen um die Gestaltung eines Aktionstages, die liebevolle Atmosphäre, wie Lahya sie beschreibt, und die Menschen, die dem Tag mit Offenheit und Interesse begegnet sind, auch deutliche Kritik verlauten lässt. Ihr Gedicht erinnert uns eindrücklich daran, dass Barrieren direkten Einfluss auf das menschliche Erleben nehmen und ist erneut Appell, die Bedürfnisse und Erfahrungen derjenigen anzuerkennen und anzugehen, die auf sie stoßen.

Der Beginn des Aktionstages mit der Künstlerin Gugulethu A. Duma wirft für Lahya bereits zentrale Fragen auf: „Es fehlten ganz viele Sachen, wo ich auf einmal merkte, so, oh mein Gott, welche Körper werden mitgedacht? Wie werden nicht-sehende oder blinde Menschen mitgedacht, wie werden Menschen mitgedacht, die vielleicht der englischen Sprache nicht mächtig sind, obwohl es natürlich eine Übersetzung und eine Flüsterübersetzung gibt?“ Dirk Sorge macht deutlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Auseinandersetzung mit und dem tatsächlichen Erleben von Barrieren, wenn er teilt, dass auch für ihn im Zuge des Programmauftakts bereits „eine oder mehr Barrieren“ entstanden sind.

Für Dirk Sorge ergab sich daraus die Frage nach dem beabsichtigten Publikum der Veranstaltung, die für ihn bis zum Ende unbeantwortet blieb: „,Der Tag wird größtenteils auf Englisch stattfinden’, ja, welche Teile denn? Wann macht es Sinn für mich, zu kommen? Das ist eine Information, die mehr Fragen aufwirft als Planungssicherheit gibt. Das ist halt das Grundding, ihr müsst transparent sein, damit Menschen mit Behinderung oder auch andere Personen überhaupt im Vorfeld genug Informationen haben, um entscheiden zu können, ob sie mitmachen wollen und dann müsst ihr die Informationen in die Kanäle streuen, die auch genutzt werden.“

Es geht dabei um die Intransparenz wichtiger Informationen, die in Unklarheiten über die sprachliche und physische Zugänglichkeit der einzelnen Programmteile, der Verfügbarkeit von Gebärdensprachdolmetscher*innen und nicht zuletzt im (Nicht-)Wissen um die Veranstaltung selbst als Barriere für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und Sprachkenntnissen wirksam wird. So wurden relevante Communities nicht angesprochen, die möglicherweise bei ausreichender Informationslage in den Aktionstag mit eingebunden hätten werden können, erklärt Lahya. Dirk Sorge bestätigt, dass er als bereits in der Kunst- und Diversitätsszene aktive Person ohne seine eigene Initiative möglicherweise gar nicht von dem Aktionstag erfahren hätte und wirft damit Fragen zur Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule auf.

Sein konkreter Vorschlag: „Egal ob Menschen mit Behinderung kommen oder nicht – wir veröffentlichen einfach über jeden Veranstaltungsort die Barrierefreiheitsbedingungen. In welchem Stockwerk findet das Event statt, in welchen Räumen, Wegbeschreibungen. Die UdK gibt’s jetzt ja auch schon ein paar Jährchen, das hätte man bereits für die jeweiligen Standorte entwickeln können. Das sollte es einfach geben und immer, wenn man eine Veranstaltung plant, wird das eben mitgeschickt, ohne dass man weiß, welche Person welche Bedarfe hat. Genauso wie ich keine Veranstaltung veröffentlichen würde, ohne dass da ein Datum dabei steht.“ Lahya unterstreicht im Zuge der Kritik noch einmal die Relevanz von Multiperspektive durch „critical friends“ innerhalb der Planung und Organisation einer Veranstaltung, um Ausschlüsse zu verhindern.

In puncto Öffentlichkeitsarbeit fordern beide insgesamt weitaus mehr Offensive, um „die Blase der elitären Academia“ zum Platzen zu bringen, sodass zudem keine unnötigen Barrieren für Menschen entstehen, die nicht zum Dunstkreis der UdK Berlin gehören, sich aber potentiell für ein Studium an der Hochschule interessieren. „Dass es nicht einfach möglich ist zu sagen, bewerbt euch doch alle, ihr könnt euch doch alle bewerben, wir sind doch eine freie Uni, wir sind doch sichtbar für alle, sondern, ja, da sind so viele Barrieren, die erstmal abgebaut werden müssen und die müssen angeschaut werden“, ergänzt Lahya.

 

Leerstellen und Abwesenheiten

Auch das Vormittagspanel legte problematische Aspekte offen. „Das Panel und der Tag waren für mich wie eine Zeitmaschine. Ich fühle mich wie im Jahr 2012 und nicht 2022. Alle diese Themen hätten wir vor zehn Jahren genauso besprechen können und haben wir teilweise auch, aber offenbar hat die UdK die letzten 10 Jahre gepennt, ich kann mir das nicht anders erklären“, kritisiert Dirk Sorge die Trägheit des Wandels innerhalb der Hochschule. Lahya fehlte die Radikalität: „Wie können wir Dinge von der Wurzel her verändern? Wie können wir da noch kraftvoller werden?“

Insgesamt unterstreicht sie die Relevanz, auch die teils unsichtbaren Hindernisse sowie Abwesenheiten und Leerstellen in den Bemühungen um Diversität und Inklusion an Hochschulen zu identifizieren, wenn sie fragt: „Wer fehlte da eigentlich auf der Bühne heute, wer fehlte in der Diskussion? Natürlich können wir nicht bis ins Hundertstel alle Leute aufmachen, aber wir können sie zumindest erwähnen oder sichtbar machen, wie den Platz hier unserer Ahninnen [verweist auf den leeren Stuhl neben Mutlu Ergün-Hamaz].“ Es geht darum, ein erweitertes Verständnis von Barrieren zu entwickeln, sie zu benennen und transparent zu machen, um eine umfassende und inklusive Bildungslandschaft zu schaffen. Trans Personen oder Personen mit Fluchterfahrung in der Universität nicht ausreichend zu berücksichtigen, kann als eine Form der Barriereunfreiheit betrachtet werden. Hierbei wird erneut deutlich, dass Barrieren nicht nur physischer Natur sein können, sondern auch soziale, kulturelle und institutionelle Aspekte umfassen.

 

Von unten und von oben

„Wo sind eigentlich die ganzen Dekan*innen und Menschen, die doch eigentlich heute auch hier sein können, sollen, müssen?“ Die Frage nach Abwesenheiten wird auch beim Blick durch den Raum noch einmal auf andere Weise laut – der Konzertsaal an der Hardenbergstraße ist spärlich gefüllt, neben dem Präsidenten der UdK Berlin Norbert Palz und Vize-Präsidentin Ariane Jeßulat sind nicht viele Leitungspersonen gekommen. Dirk Sorge betont die Notwendigkeit einer klaren institutionellen Verpflichtung zur Barrierefreiheit und führt an, dass Weiterbildung und Sensibilisierung nicht optional sein sollten, sondern als Pflichtveranstaltungen etabliert werden müssen. Er hebt hervor, wie grundlegend es ist, in Stellenausschreibungen die Bedeutung von Barrierefreiheit und Diversität zu betonen. Darüber hinaus wirft er einen Blick auf Auswahlgremien sowie die Besetzung von Professuren und argumentiert für mehr Diversität in diesen Bereichen, fordert Schulungen, um Stereotype und Vorurteile in Auswahlverfahren zu erkennen und zu überwinden.

„Im Bereich Gestaltung wäre es wichtig zu sagen, okay, wir nehmen jetzt ins Curriculum Barrierefreiheit als Pflichtmodul auf, alle Gestalter*innen, Architekt*innen müssen das quasi einmal im Studium thematisiert haben“, schlägt er weiter vor. Dabei ist beiden jedoch bewusst, dass diese Transformationsbemühungen nicht lediglich „von unten“ kommen können: „Man kann an so vielen Stellen ansetzen, aber dabei ist immer die Frage, ist die Leitung an Bord? Sind die Personen an Bord, die das entscheiden können?“, verdeutlicht Dirk Sorge die Verzahnung einer Umsetzung von Maßnahmen und tiefgreifender, struktureller Transformation mit einem Bewusstseinswandel auch oder vor allem in den Reihen von Leitungspersonen.

Lahyas Überlegungen zeichnen ein ähnliches Bild: „Ich habe die Hoffnung, dass solche Institutionen verstehen, dass sie wirklich ihre Plätze frei machen müssen, dass sie wirklich neu denken müssen, dass sie ihren Lehrplan verändern müssen und dass Leute an die Plätze kommen, die vielleicht die letzten fünfhunderttausendmillionen Jahre nicht an den Plätzen waren. Dinge mal wirklich zu verändern und wirklich mal zu gucken: Warum sitze ich hier eigentlich? Was ist mein Privileg, dass ich hier sitzen darf? Und wessen Platz besetze ich hier gerade?“

 

Sara Ahmeds „brick wall“

Inmitten der Reflexion der Respondenzen zu den Herausforderungen und Fortschritten in den Transformationsbemühungen drängt sich eine philosophische Reflexion auf, die sich auf die Worte von Sara Ahmed stützt. Ahmed, eine bekannte Theoretikerin im Bereich der Queer Studies, beschreibt die Anstrengungen um mehr Diversität als ein Kopf-gegen-die-Wand-Erlebnis und veranschaulicht auf eindrückliche Weise, wie es sich anfühlen kann, Welten für jene zugänglich zu machen, die historisch von ihnen ausgeschlossen wurden. Die Wand, die Ahmed als „brick wall“ beschreibt, repräsentiert dabei die Hindernisse und Widerstände, die in der Diversitätsarbeit als eine physische und emotionale Erfahrung der Beharrlichkeit wirksam werden und zugleich Normen und Hierarchien aufrechterhalten, die sich in realen Strukturen und Praktiken manifestieren.

Wenn wir ihre Perspektive einbeziehen, wird deutlich, dass diejenigen, die in der Diversitätsarbeit engagiert sind, nicht nur gegen institutionelle Barrieren kämpfen, sondern auch gegen ein tief verwurzeltes System, das Veränderungen oft hartnäckig widersteht.

Der Weg zur Veränderung ist zweifellos mühsam, aber von entscheidender Bedeutung. Die UdK Berlin wie auch andere Hochschulen müssen ihre Strategien überdenken und aktiv daran arbeiten, Barrieren abzubauen und vielfältige Perspektiven zu repräsentieren.

 

¹ Dieses und folgende Zitate sind der internen Videoaufzeichnung des Panels entnommen.

Quellen:

Feministkilljoys (2014b): Hard, [online] https://feministkilljoys.com/ 2014/06/10/hard/.

Day of Action: Recognizing Barriers, 05.12.2022, Universität der Künste Berlin (o. D.): [online]
https:// www.udk-berlin.de/en/university/translate-to-english-diversitaet-und-antidiskriminierung/translate-to-english- aktionstag-recognizing-barriers/.

Videoaufzeichnung des Aktionstags Recognizing barriers

 

Common Ground 2016-2023

You can also find this text in Arabic (Translation: Michaela Daoud), Farsi (Translation: Forough Absalan) and Ukrainian language (Translation: Yevheniia Perutska).

The student initiative Common Ground originated in the Support Refugees (SURE) project founded by a few students from Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (Communication in Social and Economic Context) at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin) in 2015. The project was a direct response to the war in Syria and the significant number of people seeking refuge in Berlin. Two former UdK Berlin students, Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek, renamed and reshaped it that year into the current format, as part of their Bachelor’s thesis project, envisioning a long-term initiative that would open up institutional walls to offer more welcoming spaces. From its beginnings, the goal of the initiative was to support people who have experienced forced migration, offering advice and opportunities to engage with local creatives and organizations. Over the years, it has further developed to provide assistance and a sense of community to disadvantaged newcomers, before and during their study application process. It continues to be a place for creative encounters between UdK Berlin students and diverse communities in Berlin, as well as for raising awareness about issues relating to migration and exile.

Common Ground’s members act as mediators between prospective students and other university initiatives, such as AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss), the International Office, the Studium Generale, Berlin Career College and the Artist Training. Each year, the group organizes and funds social art projects by, with, and for people who have experienced migration. Over the past eight years, these included exhibitions, performances, film screenings, music jam sessions, workshops, and reading groups, among others. The support comes through establishing helpful contacts with students, artists, and other professionals, as well as financing the realization of artistic projects. The student initiative received funding from the DAAD and the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) through the efforts of International Office.

Since 2020, Common Ground has also been running the Common Ground Studio, a study preparation program providing access to UdK Berlin’s Institute of Fine Arts for disadvantaged individuals. For one academic year, from October to July, it invites selected participants to join one of the specialist artistic classes, granting them guest auditor status. This allows them to actively participate in class meetings, engage in studio projects, and receive guidance from professors. The program offers a valuable opportunity for prospective students to prepare their portfolios for formal study applications, gain insights into the Fine Arts program at UdK Berlin, and further develop their own artistic practice. As a result, the university gains a wealth of diverse perspectives from talented individuals who otherwise may not have had the opportunity to study at UdK Berlin due to structural inequalities.

In this publication, we take a retrospective look at the inception and trajectory of Common Ground: the work accomplished, the challenges faced, and the achievements celebrated. We delve into the low and high points, exploring which strategies have been fruitful and what potential lies ahead. To gain further insights, we had the privilege of speaking with six former and current Common Ground members: Benjamin Glatte, Elisabeth Hoschek, Lima Vafadar, Narges Derakhshan, Forough Absalan, and Vincent Hulme. Their perspectives highlight the continued critical importance of Common Ground at the university, emphasizing its value in supporting disadvantaged individuals and fostering a diverse and inclusive artistic community.


Interview Benjamin Glatte & Elisabeth Hoschek


Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek crossed paths during their studies in the Communication in Social and Economic Contexts (GWK) department at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin). It was in 2015 when they initially conceived the idea for Common Ground. Together, they worked on establishing and maintaining a platform that connected artists in exile and newcomers in Berlin with students and professionals in the art community. Over the course of eight years, what initially began as a communications project for their Bachelor’s thesis has evolved into an enduring initiative that has embraced various forms of community building.Currently, Elisabeth is pursuing her studies in film production at the Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. She also works as a freelance producer and takes on various roles on film sets for television, cinema, and series. Since graduating, Benjamin has established multiple ventures: an NGO that focuses on diasporic communities and artists in exile, a film set rental company, and a web development company. He is also a communications consultant and a communications coach for young adults.

Adela Lovrić:

How did Common Ground initially develop?

Elisabeth Hoschek:

During our final project at GWK, called the Kommunikationsprojekt, our group of five students aimed to develop a communication campaign for a company. Instead, we decided to work with the AStA of UdK Berlin and further develop their campaign that started out as SURE (Support Refugees). Our goal was to create safe spaces and raise awareness within the academy for artists who had recently fled their countries. We acted as an interface, connecting students, teachers, and artists in exile who wanted to contribute their expertise through workshops and seminars. Our main focus was to match demands and offers, and to build a dense network of communication. Natalia Ali, who was a Fine Arts student at the time, organized a discussion at UdK Berlin about the role of women in Syria and how their life changed through the war and thereby introduced us to the community we wanted to reach out to. This event led to further demands for integration into academic and artistic life in Berlin. We restructured and renamed the initiative, putting a lot of work into creating a lasting structure that could address similar situations in the future.

Adela Lovrić:

What kind of work did you engage in within Common Ground and what were some of its goals and guiding principles?

Benjamin Glatte:

We wanted to create a meaningful project that had an impact beyond our end-of-studies presentation. During this time, the conflict in Syria was happening and we wanted to address the issue at UdK Berlin. Things got quite complex because there were a lot of parties involved: UdK Berlin, AStA, professors, and friends. First, we got the confirmation from AStA that we could further promote the Support Refugees project under its umbrella, and then we also received support from various other parties, including Studium Generale, Berlin Career College, the International Office, and many others. Our next step was to connect all of this together and make the project accessible. We then focused on understanding the needs of the people we wanted to support—young artists who were refugees. We wanted to encourage and empower them. We thought it would be great to invite both students and future artists who are here in exile to come together at UdK Berlin and communicate, make projects, and offer or get support for studying at the university. Our aim was to be the interface and direct contact point bridging the gap between the two groups. We wanted to connect, support, inform, document, and mobilize, making it a collective effort rather than just a nice art project. We wanted artists in exile and newcomers in Berlin to engage in projects, to teach and contribute, while also benefiting from UdK students‘ expertise. We also started applying for funding, creating a website, using all the communication channels we had, and establishing new things, and then it all took off. I think 90 percent of the work we did was actually not what we intended to do for our studies, which was a communications project.

Elisabeth Hoschek:

We focused on creating a social network that organically grew to meet the needs of the project. We organized jam sessions, workshops, and portfolio consultations, and maintained a newsletter and blog. We looked for cracks within the university that we could break open and create a more welcoming environment. What we all had in common was having to overcome bureaucratic hurdles. We managed to find some space at the Rundgang to showcase our platforms and the artists we were working with and create a connection between artists and students, which is where the collaboration with UdK’s Berlin Career College became stronger. We saw ourselves as a student initiative, but we had a lot of artists coming to us who had studied before and already worked as professionals. Berlin Career College was working mostly with professionals, but students were always showing up at their door trying to figure out how to study. We tried to bring all those forces together and create spaces of encounter that would allow people to find their way through this network. We also went out and engaged with people directly at different events in Berlin. There was a lot going on but in small circles that sometimes overlapped. We tried to increase the overlap between different scenes and foster word-of-mouth communication. This helped us to create contacts and make the project known.

Adela Lovrić:

What kind of responses to Common Ground did you receive from your target audience?

Elisabeth Hoschek:

There was a lot of interest from all sides, including newcomers, students, the university, and others. Some requests involved urgent matters like finding housing for people, but we were aware that we couldn’t become a flat-searching entity. Instead, we focused on spreading the word and connecting students privately. Sometimes we did manage to engage more in side tasks, but we quickly figured out our limitations and the importance of following our platform’s purpose and communicating it clearly. Some people may have been upset by this, as they expected support in all aspects.

Adela Lovrić:

How did you approach this sensitive task of helping people in need?

Elisabeth Hoschek:

We were aware that as a very white group of people initiating this, it could be seen as the savior complex of rich German kids supporting the “poor refugees.” We invited UdK Berlin students who were related to this context already, to create initiatives and give their opinions on how we should go about things. We really wanted to have eye-level encounters and not something that came from above or was demeaning in any way.

Benjamin Glatte:

The idea was not to approach people as refugees in the first place but as human beings with talents. We wanted to come together at UdK Berlin and create something together, to see if there could be good outcomes for all sides, and to see who could contribute what. This was always the most essential belief when it came to what we wanted to do with Common Ground and what we did not want to do.

Adela Lovrić:

How would you say that Common Ground, being a multi-directional project where both newcomers and the university benefited, has the potential to transform and impact everyone involved, spreading knowledge and ethics beyond its initial scope?

Benjamin Glatte:

This question is pointing towards the core of what it means if people support each other and how you can actually do this, especially if someone is obviously in the more disadvantaged position. In psychology, there’s a concept called a systemic approach, where the specific problem becomes less relevant if you have a solution that works for you. If you put this ideology on our approach, then I’d say we were not focusing on people being in need and being refugees, but on something positive, which is that we are all human beings and we have something to contribute to and share with each other. This is beyond support; it’s how I imagine inclusion to work. It’s about valuing you as a human being, seeing you at eye level, and trying to enrich each other through activity or conversation. This ideology has, through the course of the Common Ground project, definitely stuck with me when it came to how I wanted to engage with people, no matter their background. And, of course, their background is still something to keep in mind.

Elisabeth Hoschek:

We don’t mean to diminish the act of helping others in times of crisis. I genuinely appreciate people who lend a hand when it’s needed. However, the perception of how to really make an impact that goes beyond just giving a hand has shifted, not only for me, but for a lot of people. That comes, for example, through political discussions and developing friendships. For me, the most valuable thing was to get to know so many different people and perspectives that were engaging with us in many different ways. In the end, I’m still very much anchored in the community that resulted from the work we did. I’m in touch with many people we met through the initiative. The nicest thing about the aftermath of Common Ground was the strengthening of a community of art students and artists.

Benjamin Glatte:

During the so-called “refugee crisis”, most problems arose from the lack of direct contact with those who had fled their home countries. There was no direct contact, so they remained a picture on TV. Through Common Ground and getting in contact with people from different nations and contexts, I often had the feeling that this bubble was broken, which had a lasting positive impact on the people that were involved. If I were to explain why Common Ground is so valuable, especially for students, it’s about getting out of their bubble, actually connecting with others, and ultimately becoming more tolerant through this.
I think that Common Ground is not necessarily just dependent on the next crisis, which is definitely going to come. It’s another connection point that opens up UdK Berlin, this environment, and this way of living, thinking, and being to the outside world. And it can be adapted to a lot of causes, not just crises.


Interview Lima Vafadar


Lima Vafadar came to Germany from Iran in early 2011 to continue her Master’s degree in Cultural Media at the University of Paderborn. Prior to moving, she graduated with joint degrees in Iranian Folklore Painting and Print Design from the University of Applied Science of Tehran. Wanting to further pursue her artistic and creative practice, Lima relocated to Berlin and enrolled at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin) to study Fine Art. During her studies, she also worked as a student assistant at Studium Generale, where she contributed to creative projects for newcomers. Among them was Common Ground, an initiative she joined in 2015 upon meeting its co-founders Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek and stayed with until the summer of 2018. As someone who could personally identify with the struggles of people escaping war and other difficult circumstances, Lima engaged wholeheartedly in creating welcoming spaces and a sense of community for newcomers in and outside of the university. Today, she works as a psychosomatic therapist and continues to develop her artistic practice.

Adela Lovrić:

How did you get involved in Common Ground and why did you feel compelled to join?

Lima Vafadar:

I went through a very long path to find my place in Germany as a creative and an artist. I moved to Berlin in 2011 with the wish to continue my creative and artistic career. To achieve this, I started learning German and applied to UdK Berlin. In early 2015, I began working as a student assistant at the Studium Generale department at UdK, where I developed creative projects for newcomers. They provided a platform for collaborating with fellow students and colleagues on making a safe space for newcomers to find their voice in the art scene of Berlin. While working there, I met the founders of Common Ground. I really appreciated their idea of establishing a bigger container that would connect various creative projects throughout Germany. They wanted to build a space for students and newcomers to meet at the university and share their ideas, as well as to make this digital. I found this wonderful and joined the Farsi translation group to contribute to the beautiful mission of Common Ground.

Adela Lovrić:

What were Common Ground’s main objectives at the time when you were active there?

Lima Vafadar:

We came together from different fields of creative study at UdK Berlin. Our meeting space was AStA, where we discussed how to present our platform to the university president and different institutes within UdK. We wanted to establish communication that would help us open spaces and allocate resources for newcomers in Germany who were eager to engage in creative projects. We sought to address the heartfelt aspirations of these newcomers by providing them a platform where they could be seen and heard, and by opening doors in different institutes of UdK as well as many other creative institutions in Germany. Our intention was to secure funding for individuals who had significant reasons to realize their creative ambitions; to help these talents shine by listening to them and building a supportive community.

We organized open calls for artists and extended our efforts to reach newcomers who had just arrived in Germany. We also talked about our project at conferences and established connections with larger institutions throughout Germany, with the aim of uniting similar initiatives in different cities. At UdK Berlin, we had meetings in the garden with students, professors, and newcomers, where we discussed who we were, what our vision was, who we needed to connect to, and which resources we needed. Through sharing our vision, we could also connect to smaller groups of people and realize the next steps.

Adela Lovrić:

How did you personally connect to Common Ground’s mission?

Lima Vafadar:

For me, Common Ground was the most important community for students and newcomers at UdK Berlin. It gave a sense of community where you could always find people with the same interests and the same kind of empathy, who wanted to do creative projects but not all alone. At that time, a very big collective trauma was happening. As an Iranian born during the war between Iran and Iraq, I couldn’t stay silent. When the Syrian war happened, all of my artistic and creative work was involved with what was happening socially and politically. I remember that the only thing that could keep us alive in Iran during the war was the sense of community. Knowing that many others were sharing the same experiences gave us a sense of safety. Being part of Common Ground was very valuable because it offered an opportunity to meet with individuals with the same passion, share our resources, and be present for each other in therapeutic, creative, and fun ways.

Why is it important for Common Ground to continue to exist at UdK Berlin?

Lima Vafadar:

The world needs people who listen and are brave enough to take action. People who are experiencing war trauma go through many brutal experiences. They often have to leave their loved ones behind. For people who have lost their voices and feel alone, having someone to connect with and express what they’re experiencing is very important. Even if they lack the words to articulate their emotions, they can do it through creativity.

I remember how hard it was to communicate when we started. In Common Ground, we had so many people who could translate, who were familiar with the system, and who knew how to be present for people and connect them to their vision and to therapeutic support. I think it’s so important to provide creative spaces for those who have a big heart and an ability to listen, allowing them to share their ideas and stay connected with those who went through a lot and help them express themselves in any way they can. By doing so, we can foster a stronger, more centered, and more supportive society for the next generation.

Adela Lovrić:

What have you learned through working at Common Ground?

Lima Vafadar:

Through my experiences with newcomers at UdK Berlin, I recognized the significance of our work and also how important it is to learn how to interact with big collective traumas. We gradually learned how to enhance our projects by adding resources to ensure that we could hold space for more people and age groups. For example, we needed an art therapist by our side. Many times we also needed a psychotherapist to be present, especially during expressive theater projects or when working with children. We always needed more people, especially those who were fluent in the participants‘ native languages, to hold the space for people partaking in creative projects.

Adela Lovrić:

Has your work at Common Ground in any way continued to inspire you outside of UdK Berlin?

Lima Vafadar:

These experiences inspired me to pursue further studies in psychosomatic therapy, in which I learned how to connect to the emotional and physical parts of people in a very creative way, and to heal trauma in one-on-one and group settings. I’m also still doing my political art these days.

I liked the sense of working in a group because, as an artist, sometimes you feel so alone with your ideas. Through Common Ground, I felt how important it is to share and to resort to other professionals who can help you to create. After finishing my art studies at UdK Berlin, I continued to dedicate myself to this work. I felt how important it was for my own artistic growth to be more connected to people this way. I really hope that we can keep this spirit and let it shine as a beacon for those who have experienced or are currently living through war. It is crucial to be able to come together and hold space for others, not through a rigid systemic way but through heart-to-heart and creative communication.


Interview Vincent Hulme & Forough Absalan


Vincent Hulme moved to Berlin from Canada in 2011. Before enrolling in the Fine Arts program at the Berlin University of the Arts (UdK) in 2017, he worked as an art teacher, gallery assistant, and printmaker in a silkscreen studio. He joined Common Ground in 2019 and, since 2020, he has been managing the Common Ground Studio (CGS), a year-long preparation program for disadvantaged artists aiming to study at UdK. Aside from working and studying at UdK, Vincent continues to develop his expanded media art practice that engages with the topic of normative repercussions.

Forough Absalan is an interdisciplinary textile artist from Iran. Prior to moving to Berlin in 2018, she studied textile and surface design at the Tehran Art University. In 2021, she joined UdK as a student in the MA program Art in Context. The following year, she became a member of Common Ground and currently co-manages the Common Ground Studio alongside Vicent. She is also active in the wider social and cultural field, especially in working with people in the queer BIPOC community. Her most recent educational and cultural art project was a series of collective workshops with FLINTA* migrant youth and children, in cooperation with various NGOs and accommodations in Berlin.

Adela Lovrić:

How did the Common Ground Studio (CGS) start?

Vincent Hulme:

I learned about the *foundationClass at Weissensee when one of its founders visited UdK to showcase their work in 2019, four years after the so-called “refugee crisis”. At the time, the *foundationClass had already been around for some years. I thought it was something really interesting that I would like to get involved with, but at the time they didn’t need more help. The concept resonated with me because, even though I didn’t have to flee my country to come to Germany, I still arrived as a foreigner and had to jump through all the hoops and confusion, mostly by myself. I thought, why wasn’t there something like this at UdK?

When I joined Common Ground, I had the idea to do the same. I met up with Nadira Husain, Marina Naprushkina, and Ulf Aminde from the *foundationClass and asked for their blessing to try something similar at UdK. Then the pandemic happened. I was on the fence about whether this was going to work. I had been looking for a room and it seemed that it was either never going to be a permanent space, or it would have been some weird office and it just wasn’t going to work. I thought of the guest student program, came up with a structure, and asked all the Fine Arts professors if they were willing to try it out. And then we did it and it worked quite well.

Adela Lovrić:

What was the first edition like?

Vincent Hulme:

In the first year we were figuring it all out. It was 2020, five years since a big number of people had arrived in Germany. We debated a lot about whom Common Ground was for, because there weren’t as many new people coming as in 2015 from Syria, and now from Ukraine. We targeted artists in exile who had arrived in Germany in recent years and now wished to study art. Our focus was on individuals who weren’t German or Western European.

To begin, I reached out to professors at UdK, including Mathilde ter Heijne, David Schutter, Hito Steyerl, and Jimmy Robert, who agreed to support the test run by allowing one or two students to join the class for a year. This ensured the students had a studio spot and a connection with professors and students. The idea was to create pathways of access and personal connections, which are so important in the art world. I remember one of the first participants in the CGS went into the studio at UdK for the first time and waited for the professor to tell her what to do, and then nothing happened. She was very surprised because in Syria, the situation was quite the opposite.

In the summer, we launched an open call and screened applicants based on their portfolios, motivation letters, and readiness to study fine arts at a university level. It all happened during the pandemic, so we had to do all of the meetings online, but some people got access to the studios despite it being nearly impossible. In the end, it worked out quite well. Some people didn’t get in, but most did or did something really valuable with their time.

Adela Lovrić:

How did the CGS develop later? Did you implement some changes in the following years?

Vincent Hulme:

The second year was more on autopilot in terms of structure. In the third year, I wanted to encourage a stronger sense of community through simple initiatives like showing work together at school and meeting for drinks. Next year, I hope to get a bit more effort on the participants’ side in terms of building a community and getting involved beyond just coming for info meetings. I also want to make sure that they commit to the program from start to finish. It’s a valuable opportunity, and we do have to turn down some applicants. It’s disheartening when someone disappears after three months, leaving the professors with an empty studio spot. I really want to push them to make the best use of this one-year free pass and the professors who are willing to help.

Forough Absalan:

This year, we also managed a two-week art residency at the university with people from the CGS and UdK students. Every day, we had various activities like performances, screenings, and an exhibition. We are planning to do the residency again with workshops and projects involving the BIPOC art community.

Right now, Vincent and I are also planning for the next semester of the CGS. I would like the participants to also have access to the Master’s program Art in Context. Most of the people I know from the BIPOC community are artists in exile who already have a career and a Master of Arts program is more suitable for them. With this kind of access, we can also accommodate more participants.

Adela Lovrić:

Are there also ways in which the university can help you improve this program?

Forough Absalan:

Every year we have this issue of being told that we can only continue this work until December. It’s disappointing to not know how it’s going to be next year because we cannot plan ahead. It would be great if the university could support this as an ongoing program. It would also be beneficial if the International Office at UdK would involve us more in their decision-making process, since we are more familiar with the students’ and the CGS’s needs and concerns.

Vincent Hulme:

I think it works well right now with putting people into different classes, but the issue with this is that it gets hard to maintain a group dynamic. It would also be good to be independent of the administration as we wouldn’t have to be beholden to its slow pace. It would allow us to be more flexible and attuned to the reality of studying. With more resources and staff, we could definitely have a bigger impact. We are dealing with topics of inequity and discrimination, but I personally don’t feel like the CGS has the capacity and the resources at the moment to address the entirety of these issues.

Adela Lovrić:

How do you see the CGS being beneficial for the communities it targets and the university?

Forough Absalan:

I find it interesting and useful, but there are some things that could be changed. What I and a lot of other people wanted to do when we were new in Germany was to apply to university. At first, I applied to participate in the CGS and then Common Ground advised me to apply for the Art in Context program due to my work and study background. At the time I didn’t know anything about it but I applied and got in. I actually find it much more relevant to my direction than other departments.

I was also involved in the ‚How to Study at UdK‘ and the Artist Training programs. This has helped me because, being new in this country and everything feeling overwhelming, I felt a bit lost. I was reassured that everything was manageable and that I didn’t need to worry. These experiences were very positive, and I hope we can expand the CGS to also include people who already have a career and don’t need to start from the first year.

Vincent Hulme:

Because of exclusionary practices at UdK, there are people who approach it with much more privilege and resources, and who then obviously have better chances of succeeding. CGS can work around those walls to assist people who are just as deserving and skilled artists, but may not have the understanding of the system required to get in. A lot of people who come here come from a completely different art background. There’s a critique of the school that asks what it really means to be an art student, whether it is to make Western European-centric art or to also challenge this way of thinking. I think that putting students and professors in contact with diverse perspectives and backgrounds increases awareness within the school. If the student body becomes more diverse, I believe the policies will have to change as well. We are very fortunate to be here and we should extend access to people who have faced incredibly difficult circumstances or continue to do so. Regardless of the crises, there will always be a need for Common Ground. Perhaps in two years, if it continues to exist, it will have a different focus.


Interview Narges Derakhshan

Narges Derakhshan relocated to Berlin in 2016 with the aim of pursuing her second Bachelor’s degree in Communication in Social and Economic Contexts at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin). Prior to her arrival in Germany, she studied theater and gained experience as a copywriter for advertising agencies in Tehran. Presently, she is an MA student of screenwriting at Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf and works as a screenwriter and editor.
Narges became acquainted with Common Ground during her initial introduction day at UdK Berlin and was immediately captivated by its mission. Shortly thereafter, she made the decision to join the group and remained an active participant until the end of 2019.

Adela Lovrić:

What kind of projects did you realize with your colleagues at Common Ground?

Narges Derakhshan:

At first, we were figuring out how to work as a group of people from really different backgrounds. Personally, I had the challenge of figuring out my place and role and how I could be helpful. Our objective was to come up with new projects and explore ways to improve support for artists who were newcomers to Germany and had no networks here. The idea was to give them a stage to present their art at UdK Berlin. At some point, we started another project which was really dear to me, called “How to Study at UdK Berlin.” We decided to put our minds together and share our own experiences of applying to UdK Berlin, with people who were not German. I think that was also one of our most successful events. Besides that, we were also organizing music jam sessions in the beautiful backyard of the university.

Adela Lovrić:

Can you tell me more about the “How to Study at UdK Berlin” events? What was particularly valuable about this work?

Narges Derakhshan:

At the time, we used Facebook to push the event and that helped a lot to reach out beyond our friend networks. A lot of people that we didn’t know showed up to the event, which was great—people who were interested in studying at UdK Berlin but had no idea how to create a portfolio of their work or how to present themselves. At the event, we had a presentation and we invited UdK Berlin students to show their entry portfolios. Afterward, we had a Q&A session. To me, getting into UdK Berlin was very hard and so my biggest purpose at Common Ground was to help make it easier for someone else. I thought, if just one person can do it in an easier way, then I will be happy. I think one of the successes of these events was also to present study courses that people might not know about. We became friends with some of the people who came to our events and two of them are actually studying at UdK Berlin right now, in courses for which UdK Berlin is not typically known.

Adela Lovrić:

What else was especially important for people reaching out to Common Ground during the time you worked there and how were you able to meet their needs?

Narges Derakhshan:

I think every European has an idea of what a portfolio is. But non-Europeans who are good artists might not know how to present themselves or what to expect. Every now and then, we had people with great ideas reach out to us, but they didn’t know how to translate them into a form that was understandable to a broader audience. I think it was really helpful to share our own experiences and portfolios with newcomers, as it gave them a good example and an idea of how they could also achieve it.

From the outside, UdK Berlin can be scary. Talented artists who need this community and network were scared away because they didn’t know how to get in. For that reason, initiatives like Common Ground are really important. When I got in, I remember Common Ground had a flyer in Farsi and in Arabic. Seeing something I could understand immediately made me feel welcomed and drawn to Common Ground. I also remember a jam session we organized and how cool it was for me to hear an Iranian song inside the university. I think it’s crucial to make UdK Berlin more open to non-Europeans, to people who are a bit afraid of entering this kind of educational atmosphere.

Adela Lovrić:

Can you recall some challenges that you encountered through working in Common Ground?

Narges Derakhshan:

There were many, to be honest. Initially, the biggest challenge was to reach our target group. In the beginning, we also went to refugee camps to present ourselves and hand out flyers. Every time we had an event, there were lots of men showing up and, at some point, I would think: this is about diversity, so how can I reach women? So, at the time, one of our biggest challenges was reaching people who we wanted to actually reach. Another was organizing. I don’t want to repeat the clichés of artists who cannot organize themselves, but when it comes to this kind of work, you have a good will, but on the other side, you need accessibility, programming, and organization.

Adela Lovrić:

Do you still engage in this kind of work or apply some of the lessons learned through Common Ground in your current endeavors?

Narges Derakhshan:

In my work as a screenwriter, I use these experiences a lot. Being a newcomer myself, I was not just an observer but an active participant. I don’t only draw from the people I encountered but also reflect on my own experience. These memories greatly influence my writing and my characters—how they perceive the world and how they feel totally strange but have to pretend they know what’s up.

Adela Lovrić:

Why is it, in your opinion, important to have an initiative like Common Ground at UdK Berlin?

Narges Derakhshan:

Education shouldn’t be a luxury, especially in art. People should trust themselves and give it a shot. But, from the outside, UdK Berlin is seen as a fancy university. Because of that, people don’t have the confidence to apply. The existence of Common Ground is important as a reminder that there are people who share your experiences and to provide this perspective that it’s not only for fancy, rich, privileged people. Everyone is welcome here.


We thank all Common Ground members:

2016
Assali, Mouna
Glatte, Benjamin
Hoffmann, Leander
Hoschek, Elisabeth
Laufkötter, Astrid
Vafadar, Lima
Vent, Johannes

2017
Abo Assali, Mouna
Derakhshan, Nagres
Faulhaber, Leo
Glatte, Benjamin
Haddad, Dana
Hoffmann, Leander
Hoschek, Elisabeth
Khalifeh, Farah
Vafadar, Lima
Vent, Johannes
 
2018
Derakhshan, Narges
Guiness, Joshua
Haddad, Dana
Khalifeh, Farah
Stegmann, Sophia
Vafadar, Lima
White, Dylan

2019
Astrup-Chavaux, Jeanne
Derakhshan, Narges
Stegmann, Sophia
White, Dylan

2020
Hoffman, Lisa
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad
Lovric, Adela

2021
Al-Marai, Ali Adnan Yas
Hoffman, Lisa
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad
Lovric, Adela

2022
Absalan, Forough 
Alizadeh, Saeed
Al-Marai, Ali Adnan Yas 
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad 
Seebeck, Charlotte
Zubytskyi, Dmytro

2023
Absalan, Forough 
Alizadeh, Saeed
Al-Khufash, Mudar
Hulme, Vincent
Perutska, Yevheniia

UdK, Common Ground in collaboration with International Office and Artist Training, UdK Berlin Career College
International Office: Regina Werner
Artist Training: Dr. Melanie Waldheim
Department Fine Arts: Prof. Dr. Jörg Heiser

Common Ground: Benjamin Glatte, Elisabeth
Hoschek, Lima Vafadar, Vincent Hulme,
Forough Absalan, Narges Derakshan

Interview: Adela Lovric
Editor: Mudar Al-Khufash
Proofreadig: Alison Hugill
Photos: Artist Training, İpek Çınar

Graphic Design: Caroline Lei & Quang Nguyen
Typefaces: Impact Nieuw by Jungmyung Lee,
Junicode by Peter S. Baker

Edition: 100

Universität der Künste Berlin
Körperschaft des öffentlichen Rechts
gesetzlich vertreten durch den Präsidenten
Prof. Dr. Norbert Palz
Einsteinufer 43
D-10587 Berlin

The project Common Ground is offered by the Berlin University of the Arts and is funded by the DAAD and Federal Ministry of Education and Research (BMBF) in collaboration with the International Office, Student Office and Artist Training, UdK Berlin Career College.


Berlin University of the Arts, 30.09.2023

Heiko-Thandeka Ncube, 1991–2023

CONTENT WARNING: Wenn Sie sich psychisch belastet fühlen bzw. destabilisiert sind, insbesondere im Zusammenhang mit Rassismus und Gewalterfahrungen, raten wir Ihnen, nicht weiterzulesen.

Wir trauern um Heiko-Thandeka Ncube. Sein Tod hat Schockwellen in seinem Umfeld ausgelöst, die immer noch nachwirken. Heiko war ein Künstler, Filmemacher, Autor und Aktivist, der sich in seinen Arbeiten und Texten mit dem Zusammenhang zwischen Rassismus, Gewalt und Geschichte auseinandersetzte – und dafür eine Bild- und Textsprache analytischer Genauigkeit und ästhetischer Prägnanz fand. Auf der Berlinale 2023 wurde sein Film The early rains which wash away the spaff before the spring rains gezeigt, über den Genozid unter Robert Mugabe an den Ndebele, dem zwischen 1982 und ’87 mindestens 10.000 Menschen zum Opfer fielen (der Titel des Films verweist auf den zynischen Euphemismus des Shona-Begriffs „Gukurahundi“ für den Völkermord, übersetzt: „der frühe Regen, der die Spreu vor dem Frühlingsregen abwäscht“). Der zwölfminütige Videoessay verschränkt rhythmische Abstraktion mit grausamer Konkretion; wie es in einem Begleittext heißt: „Das Werk besteht aus einer Vielzahl von Filmmaterial, das zu einem Mosaik zusammengeschnitten wurde, welches die Geister der Nationalität und der Abstammung heraufbeschwört. […] Der historische Kontext des Völkermordes wird mit affektiven Assoziationen verknüpft, die sich aus dem traumatischen Erbe ergeben. [Der Film] artikuliert ein Gefühl von Trauer, Angst und Gewalt, das über Generationen hinweg weitergegeben wurde.“ Heikos Arbeiten waren auch von einer gewissen Schonungslosigkeit geprägt, unter anderem in seiner letzten unvollendeten Arbeit; einer scharfen Kritik an den inneren Widersprüchen antikolonialer Befreiungsbewegungen in Zimbabwe. Er war nicht an der Erzeugung selbstgefälliger Heldengeschichten interessiert: Im Fokus seines Interesses standen oft problematische, zwiespältige Biografien, wie etwa die von IS-Mitglied Deso Dogg oder Milli-Vanilli-Sänger Rob Pilatus. Genauso scharf kritisierte er rassistische Muster in der deutschen Mythenwelt und Populärkultur ebenso wie die wohlfeile Auslagerung der Kritik rassistischer Zustände auf US-amerikanische Polizeigewalt. Sein brillanter Text Rest in Pieces (2020) befasst sich mit dieser spezifischen Form deutscher und europäischer Schuldabwehr – dies nach dem Anschlag von Hanau wenige Monate zuvor. Sein letzter Diskussionsbeitrag war eine heftige Kritik an einem von ihm als dekadent bezeichneten System des künstlerischen Tokenismus, das für Schwarze Künstler*innen vor allem stereotype, identitätsbasierte Positionen vorsieht und kontroverse und unangenehme Diskussionen vermeidet.

Heiko wurde in Harare geboren, simbabwischer und deutscher Abstammung, und er zog als Kind nach Deutschland. An der UdK Bildende Kunst studierend, war er im Sommer 2020 und danach treibende Kraft bei der studentischen Protestinitiative #exitracismUdK, welche den Blick auf Diskriminierungserfahrungen von BiPoC in der Institution lenkte und die Artikulierung dieser Beobachtungen zugleich mit konkreten Forderungen versah, um die diskriminierungskritischen Ansätze und Strukturen an der Hochschule zu unterstützen und aufzubauen. Er stand nun vor dem Abschluss seines Studiums. Sein kämpferisches Engagement, seine kritische Schärfe waren wie selbstverständlich verknüpft mit warmherziger, emphatischer Zugewandtheit, mit einer unverwechselbar humorvollen Ansprache, die ihr Gegenüber ernst nahm. Der Verlust ist immens. Heikos Vermächtnis, die Kritik des Bestehenden ohne Ausflüchte und gefällige Beschönigungen, ist eine Notwendigkeit, eine Aufgabe, die gerade erst anfängt.

Wenn Sie oder andere Menschen in ihrem Umfeld psychisch belastet und destabilisiert sind, können Sie sich jederzeit an folgende Beratungs- und Notfallstellen wenden:

– Berliner Krisendienst: Tel. (030) 390 63 00 (24h, kostenfrei)

Psychologisch-Psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks Tel. (030) 93939 8401, (030) 93939 8438, Sprechzeiten Mo bis Do 9–15 Uhr, Fr 9–13 Uhr 

– Telefonseelsorge (evangelisch/katholisch): Tel. 0800 111 0 111, 0800 111 0 222 oder 116 123,  online.telefonseelsorge.de

Telefonseelsorge (muslimisch):  Tel. (030) 44 35 09 821

Spezifische Hilfe für Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten:

Zentrum ÜBERLEBEN: Terminvergabe für die psychologische Sprechstunde Tel. (030) 30 39 06 722

XENION bietet psychosoziale Angebote für Geflüchtete mit Dolmetschen in 35 Sprachen

Das Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie & Psychotherapie (ZIPP) an der Charité in allen Herkunftssprachen durch Sprach- und Kulturmittelnden: Tel. (030) 450 517 095, Mo bis Fr 08:30–16:30 Uhr, zipp@charite.de

–  KuB, Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. bietet psychosoziale Beratung an: Anmeldung: psb@kub-berlin.org, Tel. (030) 614 94 00 

A New School, A Summer School: (Re-)Imagining Learning Environments 

Stell dir vor, wir könnten eine neue (Kunst-)Hochschule gründen. Mit wem würden wir lernen und Wissen austauschen? Über welche Perspektiven und Themen würden wir in den Kursen sprechen und wer würde das Wissen vermitteln? Wie würden wir in diesen Lernräumen füreinander sorgen? Wie würden wir Entscheidungen treffen? Wäre die (Kunst-)Hochschule überhaupt eine Institution?

Wir laden euch herzlich zu A New School, A Summer School ein, die vom 07. bis 13. August 2023 in der Arthur Boskamp-Stiftung in Hohenlockstedt stattfindet! Während des einwöchigen Treffens möchten wir uns über alternative Lernräume austauschen und die entstehenden Ideen praktisch umsetzen. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir das Experimentieren und Fehler-Machen als Teil unseres Lernens verstehen und ernster nehmen als unsere Angst vor dem Scheitern (alle anderen Gründe für Zögerlichkeiten sind ebenfalls willkommen).
Wir wollen political dreams träumen und die Zukunft immer weiter in die Gegenwart locken, bis sie sich darin gut eingerichtet hat und bleiben möchte. Wir wollen Umwege nehmen und abwegige Ideen begrüßen, Textabschnitte dreimal lesen, Zitronen pflücken, auf-, ab- und umräumen, große und kleine Gedanken denken – und danach auf der Picknickdecke einnicken.

↘ Datum & Ort: 7.–13. August 2023, M.1 Arthur Boskamp-Stiftung (Hohenlockstedt)
↘ Teilnehmer:innen: 25 
↘ Anmeldung: bis 19. Juni 2023 über www.newschool-summerschool.org/, Bestätigung der Teilnahme bis 23. Juni 2023
↘ Sprache: Deutsche Lautsprache, Vorträge/Workshops in Englischer und Deutscher Lautsprache 
↘ Organisator:innen: Destina Atasayar, Katharina Brenner, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka, Lioba Wachtel

How to Create a Safer Space I: Code of Conduct 

Dieser Podcast erscheint auf Englisch.

Die Workshop-Reihe How to Create a Safer Space I-III des Artist Training Labs zielt darauf ab, strukturelle Diskriminierung und Ungleichheiten innerhalb der UdK Berlin zu diskutieren und mit Expert*innen aus den Bereichen Antidiskriminierung und Organisationsentwicklung Strategien zur Gleichstellung zu entwickeln. Jeder Workshop wird von einem Podcast flankiert. In der ersten Podcast-Folge How to Create a Safer Space I: Code of Conduct sprechen zwei Gästinnen: Armeghan Taheri (Schriftstellerin, Künstlerin und Gründerin des Kunst- und Literaturmagazins Afghan Punk Rock) und Elena Buscaino (Studierende an der UdK Berlin, Mitglied des Critical Diversity Blog und Aktivistin). Gemeinsam mit der Podcast-Moderatorin Johanna Madden reflektieren sie den ersten Workshop und diskutieren weiter über die Bedürfnisse der UdK Berlin sowie die mögliche Implementierung eines Code of Conduct.

„Alles ist Dildo!“

Über die Verschiebung der Sexualität

Im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ fragen Paul B. Preciado und ich uns, ob Dildos, die einige Feministinnen als künstliche Nachbildungen des Penis und damit Symbole der patriarchalen Hegemonie bezeichnen, nicht eigentlich das exakte Gegenteil sind: inhärent queere Objekte, die sexuelle Machtstrukturen verschieben.

Schriftliche Ausarbeitung des Referats vom 20.05.2022 über „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“ in Paul B. Preciado: Kontrasexuelles Manifest. Berlin: b—books 2003. Entstanden im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ im Fachgebiet „Geschichte und Theorie der visuellen Kultur“ an der Fakultät Gestaltung der Universität der Künste Berlin, betreut durch Prof. Dr. Kathrin Peters.

(c) Laura Thiele, 2022


Queer-feministische Ästhetik

Strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung beschränkt sich nicht auf öffentliche und private Räume, sondern ist auch im professionellen Umfeld für viele Menschen tägliche Realität. Die Design- und Kunstwelt wurde – wie viele andere Bereiche der Gegenwart – innerhalb der patriarchalen Hegemonie konstruiert. Historisch gewachsene Regeln und Normen der Kunst und Gestaltung, sowie ihrer Rezeption orientieren sich an männlich konnotierten Fähigkeiten und Vorstellungen. Gestaltende mussten sich in vergangenen Jahrhunderten – insofern sie auf wirtschaftlichen Erfolg und Anerkennung hofften – entweder mit vorherrschenden Ideen identifizieren und ihre Regeln anerkennen oder sind der Kunstwelt gänzlich fern geblieben.1 Sich im 21. Jahrhundert in der Branche als nicht-cis-männliche:r Gestalter:in zu behaupten, ist noch immer eine tägliche Aufgabe, die herausfordert und persönliche feministische Positionierungen ins Wanken bringen kann.

Da weibliche Künstlerinnen weder in Museen, noch in Auktionshäusern annähernd so stark repräsentiert sind wie ihre männlichen Kollegen, sah sich das britische Auktionshaus Sotheby’s im Frühsommer 2021 berufen, die Online-Auktion „(Women) Artists“ anzubieten, um weiblicher Kunst der vergangenen 400 Jahre eine dezidierte Platform zu geben und Künstlerinnen der Gegenwart zu fördern.2 Marina Abramović konstatiert eine in der Branche herrschende „sehr große Ungerechtigkeit, da die Arbeiten von weiblichen Künstlerinnen unter ihrem Wert angeboten“3 werden. Dennoch nutzen Kunstschaffende und Gestaltende das Potenzial visueller Kultur – nicht nur als individuelle Ausdrucksform, sondern auch als Instrument im Kampf gegen Diskriminierung und Ausbeutung. Sich dabei von bestehenden normativen Vorstellungen zu lösen, stellt eine besondere Herausforderung dar.

„Im Film und in der Kunst müssen wir auch eine Sprache finden, die uns angemessen ist, die nicht schwarz oder weiß ist.“4 – Chantal Akerman

Das Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ im Fachgebiet „Geschichte und Theorie der visuellen Kultur“ an der Fakultät Gestaltung der Universität der Künste Berlin beschäftigt sich mit der wechselseitigen Beziehung von Gestaltung und gesellschaftspolitischem Kontext. Wann ist Gestaltung feministisch, wann queer? Was macht queer-feministische Ästhetik formal aus und wer ist in der Lage, sie zu produzieren? Wer wird abgebildet und wer nicht? Kann sich Gestaltung, die in einer patriarchal dominierten Welt entsteht, überhaupt von ihr lösen?

„Die Möglichkeit einer anderen Erfahrung und Wahrnehmung der Weiblichkeit durch Frauen wurde als Infragestellung und indirekte Gefährdung männlichen Kunstschaffens häufig schon mit einbezogen.“5

Der binären Norm folgend, bezieht Feminismus traditionell eine oppositionelle Haltung zur patriarchalen Hegemonie, was diese – zum Leid aller feministischen Bewegungen – ständig wiederholt und erhält. Die Literaturwissenschaftlerin Teresa de Lauretis setzt in den späten 1980er und 1990er Jahren in der sog. „Queer Theory“ nicht nur unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander in Bezug und leistet damit einen maßgeblichen Beitrag zum intersektionalen Feminismus6, sondern beschreibt auch eine Kultur, die sich aus den Eigenschaften und Handlungen ihrer Mitglieder positiv konstituiert und nicht alleinige Gegenhaltung ist.7 Queerness funktioniert nur in der Selbstzuschreibung und definiert sich nicht durch klare Abgrenzungen, weshalb die inhaltliche Bedeutung des Begriffs immer wieder neu verhandelt werden kann und muss. Queer ist keine Opposition, ist nicht anti, sondern fluid und pluralistisch. Doch auch wenn in der nicht-binären Theorie keine gegenüberliegende Seite existiert, auf der ein Gegner verortet werden könnte, existiert er trotzdem auch in der Queer Theory: das Patriarchat.

Angst vor dem Dildo

Symbol des Patriarchats und der Männlichkeit im Allgemeinen ist unumstritten der Penis. Kein anderes menschliches oder nicht-menschliches Organ ist so stark aufgeladen mit Inhalten, wird stolz gezeigt, schamhaft versteckt, auf Schultische gekritzelt, als Foto verschickt, beneidet oder verschmäht. Der Penis ist das prunkvolle Siegelwappen der patriarchalen Vorherrschaft und zeitgleich das sensibelste Glied im organischen maskulinen Kettenhemd. Dass einige Lesben und andere Feministinnen daher Dildos, die in ihren Augen künstliche Nachbildungen des Penis sind, ablehnen, überrascht also kaum. Sie befürchten die (Wieder-)Einführung männlicher Vorherrschaft in ihre durch und durch feminine Sexualität. In den 1990er Jahren boykottierten einige feministische Buchläden in London den Verkauf von Del LaGrace Volcanos „Love Bites“, einer Sammlung von Fotografien, in denen u.a. eine Lesbe zu sehen ist, die einen Dildo leckt.8 Penetration? Ja bitte! Aber mit lesbischen Fingern, die fest mit dem lesbischen Körper verwachsen sind!

Del LaGrace Vocano: „Hermaphrodyké“ (1995) in „Sublime Mutations“, Tübingen, konkursbuch, 2000.

Nicht zu leugnen ist, dass Sextoys sich im Allgemeinen einer großen Beliebtheit erfreuen. Laut einer repräsentativen Studie der Technischen Universität Ilmenau, nutzen 52% der heterosexuellen Befragten zwischen 18 und 69 Jahren Sextoys mit Partner:innen. Bei der Masturbation sind es 72% der Frauen und 31% der Männer.9 Nicht repräsentative Studien legen nahe, dass die Zahlen unter queeren Personen nicht etwa geringer, sondern noch höher sind. Genaue Ergebnisse und wissenschaftliche Auseinandersetzungen bleiben jedoch aus. Der Zugang zum Dildo ist auch im wissenschaftlichen Kontext holprig und schambehaftet. Obwohl die Vorstellung von Paul Beatriz Preciados Text „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“, der Teil des „Kontrasexuellen Manifests“ ist, im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ durch mitgebrachte Objekte, Websites und humoristische Illustrationen niedrigschwellig und zwanglos gestaltet wurde, war die Beteiligung unter den Teilnehmenden eher gering und die Grundstimmung unsicher und angespannt.

Preciado denkt über die Bedeutung des Dildo nach und fragt: „Was ist ein Dildo?“10 Bildet der Dildo patriarchale Machtstrukturen im queeren Kontext ab? Ist er Projektion des maskulinen Begehrens auf die weibliche Sexualität? Welche Rolle spielt dabei seine Ästhetik und die Perspektive, aus der er betrachtet wird?

(c) Mattia Friso: Referat im Seminar „Queer-feministische Ästhetik“, 2022.

Preciado beschreibt im Text „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“ eine Szene aus Sheila MacLaughlins Film „She Must Be Seeing Things“ (1987), in der sich die Protagonistin Agatha in einen Sex-Shop begibt, um einen realistischen Dildo zu kaufen. Sie glaubt ihrer Geliebten damit zu gefallen. Beim Anblick des Dildo erkennt sie das zwischen Männern und Frauen herrschende Ungleichgewicht im Zugang zu Sexualität: aufblasbare Puppen – Nachbildungen des gesamten weiblichen Körpers – stehen Dildos – in ihren Augen plumpe Penis- Mimesen – gegenüber. Während männliche Sexualität durch den weiblichen Körper in seiner Ganzheit angesprochen wird, soll die weibliche Sexualität durch den Penis bzw. seine Nachbildung angeregt werden. Agatha entscheidet sich schließlich gegen den Kauf eines Dildos, dessen bloßer Anblick ihr zur Einsicht dieses Machtgefälles verholfen hat. Vielleicht befürchtet sie, dass das sexuelle Begehren ihrer Partnerin sich mit Verwendung des Dildos nur noch auf diesen beschränke und Agathas Körper fortan ausschließe. Preciado stellt fest, dass sich Agathas Sichtweise in diesem Moment der Konfrontation lesbischer Sexualität mit Heterosexualität durch den Dildo verändert und verweist auf Lauretis, die im Dildo einen kritischen, jedoch keinen praktischen Wert erkenne.11

Sowohl Agathas Erkenntnis, als auch Lauretis’ Analyse bauen auf der Annahme auf, dass „jeder Hetero-Sex […] phallisch und jeder phallische Sex […] hetero“12 sei: wenn zwischen Mann und Frau die Penetration durch den Penis ausbleibt, könne – egal wie intensiv die physische Auseinandersetzung ansonsten sein mag – nicht von Sex gesprochen werden. Sobald zwischen Personen ohne Penis penetrative sexuelle Handlungen stattfinden, sei die Referenz zum imaginierten Penis und damit dem Mann und damit dem Patriarchat hergestellt. Im angenommenen phallozentrischen Schema steht der Penis im Mittelpunkt jeglicher Sexualität und sexueller Handlungen. Neben zwischenmenschlichen Interaktionen, wird auch der singuläre weibliche Körper durch die Abwesenheit des Penis definiert. Die Misogynie dieses Denkmodells liegt auf der Hand. Lauretis bringt den Sachverhalt passend auf den Punkt: „Weibliche Sexualität wurde stets im Gegensatz und in Bezug auf männliche Sexualität definiert.“13

Durch die Kombination von Phallozentrik und Verwechslung des Penis mit der ihm zugeschriebenen patriarchalen Macht, ergeben sich sowohl für den Penis, als auch für den Dildo und letztlich die Sexualität selbst fatale Urteile. Diese Kette von Fehlannahmen zurückzuverfolgen, neu aufzuziehen und den eigentlichen Wert des Dildo zu erkennen, erscheint Preciado angebracht.

„Der Phallus ist nur eine Hypostasierung des Penis. Wie bei der Geschlechtsfeststellung intersexueller Babies deutlich wird, ist in der symbolischen heterosexuellen Ordnung der Signifikant par excellence nicht der Phallus sondern der Penis.“14

Schließlich enttarnt der Dildo den Penis und befreit ihn damit vom Gewicht des Phallus. Er offenbart, dass die assoziierte Macht eben kein angewachsenes Recht ist, sondern an jedem beliebigen Körper(-teil) umgeschnallt oder angesaugt werden kann. Sie ist ein Zepter, das beliebig von Hand zu Hand weitergereicht wird. „Der Dildo erscheint als exakte Nachahmung des Penis, bleibt aber vom männlichen Körper abgetrennt.“15 Es klingt wie das Horrorszenario eines jeden Mannes: das Glied ist abgetrennt und wird mal hier, mal dort benutzt, abgelegt oder im kochenden Wasser sterilisiert. Trotzdem ist es voll funktionsfähig – oder sogar noch praktikabler als der organische Referent. Kontrolle und Macht sind nicht angeboren, sondern werden egalitär weitergereicht und nach Lust und Laune eingesetzt. Preciado betont, dass jede:r einen Dildo benutzen und so genderbezogene phallische Machtstrukturen verschieben und in Frage stellen kann.

Vielleicht ist die Angst vor dem Dildo genau deshalb so groß. Die Anerkennung des Dildo als effektiver sexueller Technologie würde dem oder der Besitzer:in eines Penis vor Augen führen, dass ihr bestes Stück eben nur eines ist: ein sensibles Organ. Aber soll diese Erkenntnis nun als Degradierung verstanden werden oder könnte die Anerkennung seiner einzigartigen organischen Fähigkeiten und die gleichzeitige Akzeptanz der technischen Möglichkeiten des Dildo nicht eine Chance sein, die sowohl der Lesbe, als auch dem Hetero-Mann, als auch jeder anderen Person und ihrer Sexualität zugute käme?

(c) Laura Thiele, 2022.

Kontra-Sexualität

„The first twelve years or so I was very busy with trying to turn men on. […] and then after that it was like turn on other kinds of people, but not just in the genitals, but more the mind, the intellect, […] make them laugh, make them think, help them to learn something new“ – Annie Sprinkle16

Wahre Gleichberechtigung kann in jedem noch so kleinen Winkel des gesellschaftlichen Alltags nur bestehen, wenn sie auch dort Realität ist, wo Körper im vermeintlich Privaten und Intimen aufeinandertreffen: beim Sex. Tabus, Scham und Unsicherheit bieten den Nährboden für Gewalt und Missbrauch. Preciados Beitrag zu Gleichberechtigung, für die eine gesunde Sexualität unerlässlich erscheint, ist das Konzept der „Kontra-Sexualität“. Sie handelt „vom Ende der Natur, die als Ordnung verstanden wird und die Unterwerfung von Körpern durch andere Körper rechtfertigt“17. Preciado sieht Individuen nicht mehr als Mann oder Frau, sondern als Subjekte, die zu allen signifizierenden Praktiken gleichermaßen Zugang haben und untereinander gleichwertig sind.

Der Dildo sei das Werzeug der „systematischen Dekonstruktion sowohl der Naturalisierung der sexuellen Praktiken als auch der Geschlechterordnung“18. Dabei geht Preciado so weit, den Dildo als „Ursprung des Penis“19 zu bezeichnen. Diese Umkehrung der eingangs beschriebenen Annahme, der Dildo sei eine Nachahmung des Penis, begründet Preciado mit dem was Derrida als „gefährliches Supplement“ bezeichnet. Das Supplement, vereinfacht übersetzt als „Ergänzung“ oder „Zugabe“, fügt sich etwas hinzu oder setzt sich an die Stelle von etwas, zeigt aber auch die Lücke an, die es füllt. Der Dildo als Supplement vervollständige und produziere den Sex und damit auch den Penis.20

Derrida schreibt: „das Supplement, ob es hinzugefügt oder substituiert wird, [ist] äußerlich, d.h. äußerliche Ergänzung oder Ersatz […]; es liegt außerhalb der Positivität, der es sich noch hinzufügt, und ist fremd gegenüber dem, was anders sein muß als es selbst, um von ihm ersetzt zu werden.“21 Der Dildo bleibt außerhalb des organischen Körpers und ihm damit immer fremd. Er ist eine menschgemachte Maschine, die dem Penis nicht fremder sein könnte, obwohl er sich auf paradoxe Weise an ihm orientiert. Da er nie nur Substitut ist und im Substitut-Sein nicht aufgeht, sondern mehr ist, übersteigert er sich fortlaufend selbst. Er zieht die Autorität seines Referenten ins Lächerliche und widersetzt sich damit heteronormativem Sex.22

Preciado stellt fest: „Der Dildo ist kein Objekt, das sich an die Stelle eines Mangels setzt.“23 Bislang galten die Genitalien als Zentrum der Sexualität. Der Dildo verschiebt dieses Zentrum hin zu anderen Stellen des Körpers und hin zu Objekten außerhalb des Körpers, die durch den Dildo (re-)sexualisiert werden. Die Dezentrierung, die der Dildo auslöst birgt die Chance, den gesamten Raum, über den Körper hinaus, in mögliche Zentren umzuwandeln, bis der Begriff des Zentrums seinen Sinn verlöre.24

„Die Verdrängung der Penetration aus dem Mittelpunkt des sexuellen Geschehens bleibt eine Aufgabe, der wir uns auch heute noch zu stellen haben“25

Der Dildo destabilisert die sexuelle Identität der Person, die ihn trägt und restrukturiert damit auch das Verhältnis zwischen innen und außen, passiv und aktiv, zwischen dem natürlichen Organ und der Maschine.26 Der Dildo ist nicht-binär. Er konstituiert Sexualität positiv und ist somit im doppelten Sinne und inhärent queer.

(c) Laura Thiele, 2022

Laura Thiele (Sie/ihr) studiert visuelle kommunikation an der universität der Künste Berlin und bewegt sich in ihrer gestalterischen Arbeit im Spannungsfeld zwischen Raum, Körper und Gesellschaft. Sie ist stellv. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Gestaltung.

1 Vgl. Silvia Bovenschen: Über die Frage: gibt es eine „weibliche“ Ästhetik?, in: Ästhetik und Kommunikation, Beiträge zur politischen Erziehung, Heft 25, Jahrgang 7, Berlin, 1976, S. 61
2 Vgl. Sotheby’s: (Women) Artists, 2021, https://sothebys.com/en/buy/auction/2021/women-artists (abgerufen am 09.09.2022)
3 Amah-Rose Abrams: Marina Abramović: A Woman’s World, 2021, https://sothebys.com/en/articles/marina-abramovic-a-womans-world (abgerufen am 09.09.2022)
4 Chantal Akerman. Interview mit Claudia Aleman in: Frauen und Film, Nr. 7, Berlin, 1976, zitiert nach Silvia Bovenschen: Über die Frage: gibt es eine „weibliche“ Ästhetik?, in: Ästhetik und Kommunikation, Beiträge zur politischen Erziehung, Heft 25, Jahrgang 7, Berlin, 1976, S.63.
5 Bovenschen: 1976, S. 68.
6 Dieser Begriff gehört heutzutage zur Grundausstattung eines jeden queeren Tinder-Profils.
7 Vgl. Teresa de Lauretis: Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities, An Introduction, in: Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies, Heft 3.2, Providence, 1991, S. 11.
8 Vgl. Paul B. Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin, b_books, 2003, S. 54.
9 Vgl. Nicola Döring & Sandra Poeschl: Experiences with Diverse Sex Toys Among German Heterosexual Adults: Findings From a National Online Survey, The Journal of Sex Research, 2020
10 Preciado: 2003, S. 53.
11 Vgl. Preciado, 2003, S. 57.
12 Preciado, 2003, S. 58.
13 Teresa de Lauretis: Die Technologie des Geschlechts, in: Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie Hamburg (Hamburger Edition) 1996, S. 468.
14 Preciado, 2003, S. 59.
15 Ebd. S. 61.
16 Virginie Despentes: Mutantes – Annie Sprinkle Interview, 2018, https://youtu.be/Bdl5xscdC_0 (abgerufen am 01.09.2022), 05:02-05:26
17 Preciado, 2003, S. 10.
18 Ebd. S. 11.
19 Ebd. S. 12.
20 Vgl. ebd. S. 62.
21 Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1974, S. 251
22 Vgl. Preciado, 2003, S. 62.
23 Ebd. S. 61.
24 Vgl. ebd. S. 65.
25 Lucy Bland: The Domain of the Sexual. A Response. in: Screen Education, Heft 39, S.56, 1981, zitiert nach Teresa de Lauretis: Die Technologie des Geschlechts, in: Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie
Hamburg (Hamburger Edition) 1996, S. 469.
26 Vgl. Preciado, 2003, S. 67.


TERF aesthetics

Triggerwarnung: In folgendem Text werden queer- und transfeindliche Aussagen und Haltungen wiedergegeben.

Vorbemerkung
Bevor ich den Versuch unternehme, mich der medialen Debatte um die transfeindlichen Äußerungen und der daraus folgenden Kündigung der britischen Professorin Kathleen Stock sowie den von verschiedenen Seiten hervorgebrachten Argumenten zu nähern, möchte ich zunächst meine eigene Situiertheit und Vorgehensweise im Diskurs um die Geschlechter beleuchten:
1. Ich habe das Privileg, ohne Gender- oder Körperdysphorie zu leben
. Und ich kann mich mit der sozialen Kategorie ‚Frau‘ insofern identifizieren, als dass diese Zuordnung zu meiner Lebensrealität gehört und meine Diskriminierungserfahrungen in ein strukturelles Machtgefüge einordnet. Frau-Sein ist für mich jedoch etwas Abstraktes und hat wenig mit meiner intrinsisch erlebten, geschlechtlichen Identität zu tun.
2. Ich verfasse diesen Text im Rahmen eines queerfeministischen Seminars. Dies macht es leichter, selbstbewusst gegen hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht zu schreiben. Ich möchte hierbei so radikal wie nötig und so sensibel wie möglich vorgehen. Da ich selbst in eben dieser Hegemonie sozialisiert wurde, muss ich meine Gedanken und Sprache dabei kontinuierlich auf cis-heterosexistische Narrative überprüfen.
3. Genauso wie ich den realen Konsequenzen der gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht nicht entkommen kann, dürfen auch bei der Betrachtung der Debatte um Kathleen Stock die gesellschaftlichen Verflechtungen nicht unterschlagen werden: Sie ist eingebettet in eine Medienlandschaft, die mehrheitlich von cis-geschlechtlichen,
weißen Menschen geformt wird und in der sich Sichtbarkeit und gesellschaftliche Macht gegenseitig bedingen. Da ich mich selbst nicht als trans* identifiziere, möchte ich es vermeiden, für trans* Personen zu sprechen und stattdessen beim Schreiben eine solidarische Position neben ihnen einnehmen (in Anlehnung an die dekoloniale Methodik „Speaking Near-by“ der Filmemacherin und Theoretikerin Trinh T. Minh-ha).


Im Herbst 2021 verlässt die Professorin Kathleen Stock nach 18 Jahren Lehrtätigkeit an der University of Sussex in England ihr Amt. Ihr Rücktritt ist das Ergebnis selbstorganisierter Proteste einer anonymen Gruppe von queeren, trans* und non-binären Student*innen eben jener Universität, die ein Mission Statement gegen sie veröffentlichen und in den darauffolgenden Tagen mit Plakat-Aktionen und Demonstrationen die Entlassung Stocks fordern. Auslöser des Protest sind die queer- und transfeindlichen Äußerungen, die Kathleen Stock vor allem in den letzten drei Jahren ihrer Amtszeit in Zeitungsinterviews, Blogbeiträgen und über ihren persönlichen Twitter-Account veröffentlichte. 

Der folgende Text wird zum einen die Mediendebatte um ihren Rücktritt nachverfolgen, sowie die Argumentation und Rhetorik der damit einhergehenden Cancel-Culture-Vorwürfe und der nachdrücklich geäußerten Befürchtung, die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit seien gefährdet worden. Zum anderen soll er versuchen, spezifische Ästhetiken des Trans-Exclusionary Radical Feminism zu identifizieren.

Es wird dabei vor allem auf verschiedene deutsche und britische Zeitungsartikel Bezug genommen, die über die Debatte berichteten. Zunächst folgt jedoch ein Exkurs in die Argumentations- und Denkstrukturen von TERFs.


Warum Kathleen Stock eine TERF ist

Am 19. August 2008 schreibt die Bloggerin Viv Smythe unter ihrem Pseudonym TigTog auf Finally, A Feminism 101 Blog, ihrem Blog zu Feminismus-FAQs, folgendes:

I am aware that this decision is likely to affront some trans-exclusionary radical feminists (TERFs), but it must be said: marginalising trans women at actual risk from regularly documented abuse /violence in favour of protecting hypothetical cis women from purely hypothetical abuse/violence from trans women in women-only safe-spaces strikes me as horribly unethical as well as repellently callous.1Smythe, Viv: An apology and a promise. in: Finally, A Feminism 101 Blog, 19.08.2008, https://finallyfeminism101.wordpress.com/2008/08/19/an-apology-and-a-promise (letzter Aufruf 30.10.2022)

Kurz darauf taucht die Abkürzung TERF auf weiteren feministischen Blogs auf2Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf … Mehr anzeigen und gewinnt so über die Jahre immer mehr an Popularität. In einem Interview mit The Trans Advocate von 2017 beschreibt Smythe den Begriff als neutrale Bezeichnung einer Strömung des radikalen Feminismus, die vor allem im Netz, auf Blogs und Social Media zu finden ist. Mit dem Begriff habe sie auf einen plötzlichen Anstieg von transmisogynen Kommentaren und Posts in radikalfeministischen Internet-Räumen reagiert, welcher dann von anderen trans*-positiven/-neutralen feministischen Aktivist*innen aufgegriffen und in Abgrenzung verwendet wurde.3Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

TERFs konstruieren trans* Frauen und trans*-feminine Personen in unterschiedlichen Szenarien als Bedrohung für cis-Frauen, weswegen sie deren Inklusion in (Safer) Spaces wie Frauentoiletten oder Frauenhäuser grundlegend ablehnen. 

Unter der höchst transmisogynen Annahme, trans* Frauen blieben ‚biologische Männer‘, werden sie als potentielle Sexualstraftäter imaginiert. Dementsprechend gibt es eine eher ablehnende und teilweise spöttische Haltung gegenüber Begrifflichkeiten wie ‚cis‘ oder selbstgewählten Pronomen. Zudem wird häufig eine neo-liberale trans* Agenda vermutet, die wiederum lesbischen Frauen einrede, sie seien trans* Männer – „transing the gay away“, wie Bev Jackson behauptet, Mitgründerin des transfeindlichen Interessensverbands LGB Alliance dem auch Kathleen Stock angehört.4Dixon, Hayley: Tavistock clinic ‘putting young gay people at risk by treating them as trans’. in: The Telegraph, 12.09.2022, … Mehr anzeigen 

Der Konflikt um Kathleen Stock, die sich in ihrem Lehrstuhl an der University of Sussex vor Beginn des Konflikts mit fiktionalem Erzählen und Imagination sowie Kunst- und Musiktheorie in der Philosophie beschäftigte, entzündet sich 2018 über mehrere Streitschriften und Essays, die Stock auf verschiedenen Blogs anlässlich der geplanten Reformierung des Gender Recognition Acts veröffentlichte – eine Gesetzesreform, die es trans* Personen in Großbritannien erleichtern sollte, ihre geschlechtliche Identität zu ändern, ohne demütigende medizinische oder psychologische Atteste vorlegen zu müssen.

In einem Essay auf der US-amerikanischen Publishing-Platform Medium umschifft sie Begriffe wie ‚cis‘ oder ‚afab‘ indem sie cis-Frauen umständlich „women-who-are-not-transwomen“ nennt und als „WNT“ abkürzt. Dies ist keine harmlose sprachliche Spielerei, sondern folgt einer rhetorischen Strategie, die Cis-Geschlechtlichkeit als gesellschaftliche Norm bewahren will, indem sie nie explizit benannt wird.

Sprache ist ein subtil agierendes, aber effektives Mittel, um bestehende Unterdrückungs- und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten: In einer heterosexistischen, weiß dominierten Gesellschaft wird eine Person so lange als cis-männlich, hetero, weiß, able-bodied usw. imaginiert, bis sie sprachlich als trans*, queer, of Colour oder be_hindert markiert und kategorisiert wird. Sprache kann Macht- und Unterdrückungsstrukturen jedoch auch sehr wirksam demaskieren und destabilisieren, indem sie vermeintliche Normen untersucht und ebenfalls mit Begriffen – wie beispielsweise ‚cis‘ – beschreibt. Dass Kathleen Stock in ihrem Essay das seit den 90er-Jahren in der westlichen Sexualwissenschaft etablierte Konzept der Cis-Geschlechtlichkeit aktiv vermeidet, unterstreicht eindrücklich das progressive Potenzial, was von diesem scheinbar kleinen Wort ausgeht.

Weiter schreibt sie:

Citing the history of male violence against WNT, some have pointed out what seems perfectly reasonable — that this change in the law will allow some duplicitous or badly motivated males to “change gender” fairly easily […] in order to do harm to WNT in women-only spaces, and possibly children too, since children are often with their mothers.5Stock, Kathleen: Academic philosophy and the UK Gender Recognition Act. in: Medium, 07.05.2022, https://medium.com/@kathleenstock/academic-philosophy-and-the-uk-gender-recognition-act-6179b315b9dd … Mehr anzeigen 

Im selben Jahr äußert sie sich gegenüber der britischen Lokalzeitung The Argus wie folgt: „many trans women are still males with male genitalia, many are sexually attracted to females, and they should not be in places where females undress or sleep in a completely unrestricted way“6Doherty-Cove, Jody: ‚Trans women are still males with male genitalia‘ – university lecturer airs controversial views. in: The Argus, 15.07.2018, … Mehr anzeigen. Und auch im international renommierten Magazin The Economist veröffentlicht Stock einen Text, der ein äußerst biologistisches und essentialisierendes Denken über die sozialen Geschlechterkategorien „Mann“ und „Frau“ offenbart und geschlechtliche Selbstbestimmung als Kriminalstatistiken verfälschendes Vergewaltigungs- und Drohszenario für cis-Frauen prognostiziert.7Stock, Kathleen: Changing the concept of “woman” will cause unintended harms. in The Economist, 06.07.2018, … Mehr anzeigen 

Auch wenn Stock regelmäßig alle Vorwürfe der Transfeindlichkeit von sich weist, so liegt dies letztendlich ausschließlich im Ermessen der Betroffenen. Im Fall der studentischen Proteste an der University of Sussex ist es jedenfalls eindeutig. In ihrem am 6. Oktober über den Instagram-Kanal antiterfsussex veröffentlichten Mission Statement schreibt die anonyme Gruppe von queeren, trans* und non-binären Aktivist*innen:

Transphobes like Stock are anti-feminist, anti-queer and anti-intellectual, they are harmful and dangerous to trans people. […] They camouflage their transphobia in academic language, in fake feminism, in „reasonable concerns“, and then we suffer the real material consequences of it.8antiterfsussex, 06.10.2021, https://www.instagram.com/p/CUrjq01MbQ1 (letzter Aufruf 31.10.2022)

© INSTAGRAM ACCOUNT @ANTITERFSUSSEX


Mediale Darstellung des Konflikts über Wissenschaftsfreiheit, Cancel Culture und Diskurshoheit

Sowohl in britischen als auch in den deutschen Medien ziehen die Proteste und die nachfolgende eigenständige Kündigung Stocks große Aufmerksamkeit auf sich. So titelt die britische Boulevardzeitung The Daily Mail:

Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women’s right. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly says she WON‘T be silenced in fight for freedom of thought9Bindel, Julie: Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women‘s rights. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly … Mehr anzeigen 

Minimal gemäßigter schreibt die deutsche Tageszeitung FAZ über „Cancel Culture“10Vukadinović, Vojin Saša: Chronik einer orchestrierten Verleumdung. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2021, … Mehr anzeigen und die „Schmutzkampagne gegen eine Philosophin“11Vukadinović, Vojin Saša: Schmutzkampagne gegen eine Philosophin. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2021, … Mehr anzeigen, während die taz in ihrer Berichterstattung die verspottende Wortneuschöpfung ‚Wokistan‘ nutzt12Feddersen, Jan: Antifreiheitliches Wokistan. in: taz, 01.11.2021, https://taz.de/Professorin-tritt-nach-trans-Eklat-ab/!5809038 (letzter Aufruf 30.10.2022). Die Tageszeitung Zeit spricht von „Transaktivisten [die] auf Feministinnen losgehen“13Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf … Mehr anzeigen und sieht damit die Wissenschaftsfreiheit gefährdet. Ein Autor tritt in dem Diskurs auffällig oft in Erscheinung: Vojin Saša Vukadinović, der selbst Anfang der 2000er Jahre Gender Studies studierte und diese dann 2017 als „akademische[n] Sargnagel der Frauenemanzipation“14Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. in: Emma, 28.06.2017, https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569 (letzter Aufruf 30.10.2022) bezeichnete, verteidigt in seinen Texten Stocks Position äußerst vehement und unnachgiebig.

So gut wie alle Artikel, die über den Fall berichten, werden illustriert mit einem Foto von der zurückgetretenen Professorin, einer weißen Frau mit grauem Kurzhaarschnitt, mal porträtiert in ihrem Büro mit erschöpftem Lächeln oder zermürbtem Blick, mal in heroischer Perspektive von schräg unten, dann wieder mit dem Rücken zur Kamera, die dunklen Schatten einer Menschenmenge darüber retouchiert. Die Bildpolitik macht deutlich: die Angeklagte und ihre Perspektive haben das Wort.

In den Debattenbeiträgen werden die von Stock durch Aktivist*innen erfahrenen Anfeindungen wortreich thematisiert. Die Mehrheit der studentischen Aktivist*innen hatte in Form von Flyer- und Plakataktionen, Social Media Posts und Demonstrationen zwar aufsehenerregend, aber dennoch friedlich protestiert. Dennoch wird der Protest als gezielte Diffamierung, Lügenkampagne, Hass und Hetze von übersensiblen Student*innen verunglimpft, und die Argumentation des von über 600 Philosoph*innen weltweit unterzeichneten Protestbriefs15Open Letter Concerning Transphobia in Philosophy, 06.2021, https://sites.google.com/view/trans-phil-letter (letzter Aufruf 30.10.2022) weitestgehend unterschlagen. Stocks beharrliches Festhalten an längst überholten Biologismen und Binärismen wird als mutiges Hinterfragen des „Gender-Paradigmas“ überhöht.16Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf … Mehr anzeigen Gleichzeitig bleiben ihr abwertendes und diffamierendes Verhalten gegenüber trans* Personen innerhalb und außerhalb der Universität vollständig unerwähnt, und auch dass sie „dessen Thematisierung in einer Studierendenzeitschrift zu verhindern versuchte“17Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen, wie die Philosoph*innen und Sozialwissenschaftler*innen Robin Celikates, Katharina Hoppe, Daniel Loick, Martin Nonhoff, Eva von Redecker und Frieder Vogelmann in einem weiteren Zeit-Beitrag betonen. Zurecht erheben sie als Verfasser*innen einer der wenigen Gegenpositionen Einspruch gegen die Behauptung, die Wissenschafts- und Redefreiheit sei bedroht und zeigen die Doppelstandards auf, die der Argumentation zugrunde liegen:

Die Einseitigkeit in der Darstellung solcher Fälle hat Methode und ist ein echter Grund zur Sorge. Immer wieder soll die Öffentlichkeit mit ähnlichen Strategien davon überzeugt werden, dass es ausgerechnet die Etablierten sind, die bedroht würden.18Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen

Wissenschaftsfreiheit sei ein reines Schlagwort, das Macht- und Gewaltverhältnisse der akademischen Welt unsichtbar machen und reaktionäre Positionen damit legitimieren soll. Ein emanzipatorisches Verständnis von Wissenschaftsfreiheit wäre demnach nötig, dass die Universität als einen Ort anerkennt, der von aus historischen Herrschaftsverhältnissen hervorgehenden Ausschlüssen und Hierarchien geprägt werde. Gute Wissenschaft könne daher nur durch Einbeziehung marginalisierter Positionen und den kontinuierlichen Abbau von Machtasymmetrien betrieben werden.19Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen

Grace Laverey, Professorin in Berkeley, trans* Aktivistin und ehemalige Studentin an der University of Sussex, stellt in einem zur selben Zeit auf ihrem Blog veröffentlichten Essay klar, dass nicht die Wissenschafts- und Redefreiheit Stocks beschnitten wurde, jedoch auf beschämende Art die der Aktivist*innen.20Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022) Als beispielsweise Amelia Jones, studentische Beauftragte für trans* und non-binäre Menschen an der University of Sussex, in einem Interview mit der BBC darlegt, weshalb Kathleen Stock als aktives Mitglied der transfeindlichen LGB Alliance and ihre Unterschrift unter der Women‘s Declaration of Sex-Based Rights – einem Manifest gegen trans* Rechte – eine unsichere Atmosphäre für trans* Student*innen schaffe21Thorburn, Jacob: BBC is forced to air ‚correction‘ from feminist professor Kathleen Stock after allowing students‘ union officer to ‚falsely‘ claim that she signed a ‚declaration to … Mehr anzeigen, beginnt Stock eine mediale Offensive gegen die Studentin, woraufhin diese nach Attacken durch Stocks Supporter*innen ihre Social Media Accounts schließen muss.22Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: http://www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

Und auch die Äußerungen des Vizekanzlers Adam Tickell auf dem Twitteraccount der University of Sussex stellen in der Tat eine Verletzung der Rechte der Studierenden auf akademische Freiheit dar, indem mit der Einleitung von Untersuchungen und Konsequenzen für diejenigen gedroht wird, die Argumente für die Suspendierung von Kathleen Stock veröffentlichen, d. h. Plakate aufhängen. Während Kathleen Stock also in zahlreichen Medien und von der Universitätsleitung, inbesondere vom Vizekanzler Adam Tickell, kontinuierlich Rückendeckung erhält und sich äußern darf, werden die Position und Argumente der Aktivist*innen in der medialen Darstellung mundtot gemacht.

Die Art der Berichterstattung veranschaulicht die herrschenden Machtverhältnisse in der Gender-Debatte eindeutig, und dass Kathleen Stock wenige Tage nach ihrem Rücktritt eine Lehrposition an der ‚free-speech‘ University of Austin in Texas angeboten bekommt (und annimmt)23Woolcock, Nicola: Kathleen Stock: Exiled academic joins free-speech college The University of Austin. in: The Times, 10.11.2021, … Mehr anzeigen ist nur ein weiterer Beleg für den Irrtum der Cancel-Culture-Erzählung, die behauptet, progressive Debatten würden fortlaufend zum systematischen und konsequenten Ausschluss zuvor etablierter Positionen führen. Im Gegenteil, dass die Aktivist*innen mit ihren Protesten den Rücktritt Kathleen Stocks erkämpfen konnten, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie mussten laut, multimedial und konsequent vorgehen, um in ihren Forderungen ernstgenommen zu werden und dennoch sind sowohl die britischen als auch die deutschen Medien unweigerlich der cis-heterosexistischen Perspektive gefolgt24Steinhoff, Uwe: Was man nicht kritisieren darf. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2021, … Mehr anzeigen und haben dabei einige der extremsten und beängstigendsten Positionen in der aktuellen Debatte über die Menschenrechte von trans* Personen vertreten.

In einem abschließenden Statement schreiben die Aktivist*innen über ihren Teilerfolg:

We have organized as a network of autonomous actors – and it is due to our anonymity, plurality of tactics and decentralized structure that we have succeeded. Fuck the national press media who happily collaborated with the university and Stock to turn this into a debate about ‘free speech’ and ‘academic freedoms’. […] For those reaching out to this account, we will not speak to the press because we will never debate, discuss or organize on the terms of the people who have enabled discrimination and transphobia. […] But the struggle isn’t over. Institutional transphobia lives on, it runs deeper than Stock or Tickell or Sussex or any university. Trans liberation is possible in our lifetimes but we must stand strong together in the face of structures that support eliminationists and bigots.25antiterfsussex: ANTI-STOCK ACTION 2021, 28.10.2021, https://www.instagram.com/p/CVlRyn3gcrs (letzter Aufruf 31.10.2022)


TERF Ästhetiken und deren Nähe zu neurechten Erzählweisen

Die zutiefst transmisogyne Behauptung, trans* Frauen sind und bleiben ‚biologische Männer‘ ist nicht neu. Sie wird unterfüttert von einem veralteten, aber weitverbreiteten biologistischen Binärismus, der die Menschheit in zwei Gruppen unterteilt: die XX-Gruppe und die XY-Gruppe, und alle diejenigen die diesen Binärismus stören pathologisiert. Jeder Debatte, die über die vorausgehenden Bedingungen dieser Einteilung sprechen möchte und somit ihre Objektivität infrage stellt, wird wiederum, in dem Versuch diese zu delegitimieren, subjektive (d. h. ‚unwissenschaftliche‘) Betroffenheit vorgeworfen. 

Die Filmtheoretikerin und Literaturwissenschaftlerin Teresa de Lauretis ist eine der etlichen Vertreter*innen der Gender und Queer Studies, die seit Jahrzehnten gegen diesen Vorwurf anschreiben. Sie versteht die kulturelle Hervorbringung von Geschlecht im Sinne von Michel Foucault als ‚Technologie des Sexes‘, das „ein Produkt verschiedener sozialer Technologien wie Kino und institutionalisierter Diskurse, Erkenntnistheorien, kritischer Praxisformen und auch von Alltagspraxis ist“26de Lauretis, Teresa: Die Technologie des Geschlechts. In: Kathrin Peters (Hg.), Andrea Seier (Hg.), Gender & Medien-Reader, S. 459. (letzter Aufruf 31.10.2022). Mit anderen Worten: Technologie setzt sich aus vielfältigen Praktiken/Diskursen (Popkultur, Gesetze, Polizei, Kunst, mediale Diskurse, Wissenschaft) zusammen, die kontinuierlich Konzepte wie ‚sex‘ und ‚gender‘ (re-)produzieren.

Tatsächlich ist die trans- und queerfeindliche Trope des Serienmörders oder Sexualstraftäters in Frauenkleidung in vielfacher Ausführung in der Popkultur zu finden, wie beispielsweise in den preisgekrönten und millionenfach rezipierten Kinofilmen Psycho von 1960, in dem der Serienmörder glaubt, seine eifersüchtige verstorbene Mutter hätte von ihm Besitz ergriffen, und daher die Frauen, die er begehrt in Frauenkleidern und Perücke ermordet, oder Das Schweigen der Lämmer von 1991, in dem ein Mann Frauen entführt, sie ermordet und ihnen die Haut abzieht, um sich daraus ein Kleid zu nähen, aus dem Wunsch heraus, eine Frau zu sein. Diese transmisogynen Erzählungen sind ein direktes Produkt der Misogynie des Patriarchats, das selbstbestimmt handelnde Frauen inherent dämonisiert und dementsprechend Männer, die ihre Weiblichkeit explorieren für wahnsinnig und monströs erklärt.

 

PSYCHO, 1960, © SUNSET BOULEVARD/CORBIS/GETTY IMAGES

Nicht nur TERFs greifen in ihren Argumentationen diese durch Popkultur verstärkten, gewaltvollen Erzählungen auf, sondern auch in rechten und neurechten Kreisen ist eine explizit transfeindliche und antifeministische Überzeugung mittlerweile zu einem Grundpfeiler neo-faschistischer Ideologie geworden. Sascha Krahnke, der bei der Amadeu Antonio Stiftung zu Rechtsextremismus forscht, beschreibt, wie sich rechtsextreme und transfeindliche Desinformationskampagnen annähern: „Seit ein paar Jahren oder verstärkt dieses Jahr [sehen wir] die starke Fokussierung auf das Thema Trans. Und vor allen Dingen als Transfrauen oder Transweibliche Personen als Feindbild, als Bedrohung.”27Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf … Mehr anzeigen 

Desinformation ist jedoch nur ein Beispiel für Taktiken und Rhetoriken von TERFs, die zu denen (neu-)rechter Bewegungen erschreckend ähnlich sind. Auch die Vereinnahmung von ursprünglich Linken Begriffen und Thesen gehört dazu: Bezeichnungen wie Cancel Culture und woke/wokeness/Wokistan, deren Wortursprünge aus queeren und/oder Schwarzen (Internet-)Communities stammt, sind ähnlich wie das Konzept der Political Correctness mittlerweile rechtskonservative Kampfbegriffe. Die Vereinnahmung, Verzerrung und Verkehrung von Linken Bildern, Begriffen und Narrativen ist bei der Identitären Bewegung unter dem Namen ‚Metapolitik‘ bekannt28https://www.identitaere-bewegung.de/faq/was-ist-unter-dem-begriff-metapolitik-zu-verstehen (letzter Aufruf 04.12.2022), eine politische Strategie die groteskerweise vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci geprägt wurde.

Das letzte Beispiel führt uns wieder zurück zu Kathleen Stock: ähnlich wie in neurechten Ideologien, lässt sich auch in diesem Fall die Erzählung des*der Held*in/Märtyrer*in wiederfinden, die sich traut, gegen die angeblich diskursdominierende Gender-Ideologie ihre Stimme zu erheben. So lautet der Slogan, der deutschen TERF-Zeitschrift Emma „Bleibt mutig!“, eine Zeitschrift, die Kathleen Stock in einem langen Artikel verteidigte29Louis, Chantal: Kathleen Stock: Realität & Ideologie. in: Emma, 23.02.2022, https://www.emma.de/artikel/realitaet-wiegt-schwerer-als-ideologie-339251 (letzter Aufruf 31.10.2022), wenige Wochen nachdem sie die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer nicht nur implizit als Mann in Frauenkleidern bezeichnete30Ganserer: Die Quotenfrau. in: Emma, 19.02.2022, https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185 (letzter Aufruf 31.10.2022). Und die mit pathetischer Musik unterlegte Erzählstimme im Werbevideo für die sogenannten ‚Forbidden Courses‘, einer Art Summer School der University of Austin, Texas, an der Stock nun unterrichtet, schwärmt vom Konzept der Hochschule: „willing to take intellectual risk will attract the intellectual risk takers and those of course are the intellectual innovators“31https://www.uaustin.org/forbidden-courses (letzter Aufruf 31.10.2022). Gleichzeitig fliehen seit dem erstarken der religiösen Rechten in den USA immer mehr trans* Menschen aus Texas, aus Angst, ihre Menschenrechte zu verlieren.32Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

Der Kreis scheint sich zu schließen bei der Fülle an Hinweisen auf Personen aus neonazistischen Netzwerken unter den Unterstützer*innen der LGB Alliance, der Kathleen Stock angehört.33Parsons, Vic: Neo-Nazis and homophobes are among the supporters of the ‘anti-trans’ group LGB Alliance. in: PinkNews, … Mehr anzeigen Das Statement auf deren Website, „a religious person who is struggling with their sexuality [should] be allowed to seek guidance or counselling from their faith group or religious leaders“34https://lgballiance.org.uk/end-conversion-therapy (letzter Aufruf 31.10.2022) – Konversionstherapie light sozusagen –, und die engen Verbindungen vieler Mitglieder zu konservativen und religiösen Gruppen wie die Heritage Foundation, die Alliance Defending Freedom oder das Centre for Bioethics and Culture haben35Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022), überrascht schlussendlich auch nicht mehr.


TERFake News, TERFaschismus, TERFundamentalismus…?

Beim Nachverfolgen der Debatte wird klar: Transfeindlichkeit, und insbesondere Transmisogynie ist, genau wie Rassismus oder Antisemitismus, fester Bestandteil westlicher Gesellschaften, den sich seit einiger Zeit politische Gruppen von Rechts zu Nutze machen, um ihre faschistischen Ideologien zu stärken und gesellschaftsfähig zu machen. Dieses Vorgehen ist kalkuliert und äußerst effektiv und kann nur durch die Sichtbarmachung ebenjener strukturellen Diskriminierungen in westlichen Gesellschaften und die daran anschließende konsequente, machtkritische Aufarbeitung dieser Strukturen unterbrochen werden. Oder um es praxisbezogener mit Grace Laverys Worten zu sagen:

Sussex University needs to start acting like a University again. Adam Tickell, who misunderstands academic freedom and who issues vague threats against student protestors, needs to lose his job. […] And the British media needs to grow a spine, swallow its pride, and hire a bunch of trans editors, any of whom could have seen this coming a mile off.36Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)

Referenzen

Referenzen
1 Smythe, Viv: An apology and a promise. in: Finally, A Feminism 101 Blog, 19.08.2008, https://finallyfeminism101.wordpress.com/2008/08/19/an-apology-and-a-promise (letzter Aufruf 30.10.2022)
2, 3 Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf 30.10.2022)
4 Dixon, Hayley: Tavistock clinic ‘putting young gay people at risk by treating them as trans’. in: The Telegraph, 12.09.2022, https://www.telegraph.co.uk/news/2022/09/12/nhs-clinic-transing-gay-away (letzter Aufruf 30.10.2022)
5 Stock, Kathleen: Academic philosophy and the UK Gender Recognition Act. in: Medium, 07.05.2022, https://medium.com/@kathleenstock/academic-philosophy-and-the-uk-gender-recognition-act-6179b315b9dd (letzter Aufruf 30.10.2022)
6 Doherty-Cove, Jody: ‚Trans women are still males with male genitalia‘ – university lecturer airs controversial views. in: The Argus, 15.07.2018, https://www.theargus.co.uk/news/16334391.trans-women-still-males-male-genitalia—university-lecturer-airs-controversial-views (letzter Aufruf 30.10.2022)
7 Stock, Kathleen: Changing the concept of “woman” will cause unintended harms. in The Economist, 06.07.2018, https://www.economist.com/open-future/2018/07/06/changing-the-concept-of-woman-will-cause-unintended-harms (letzter Aufruf 30.10.2022)
8 antiterfsussex, 06.10.2021, https://www.instagram.com/p/CUrjq01MbQ1 (letzter Aufruf 31.10.2022)
9 Bindel, Julie: Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women‘s rights. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly says she WON‘T be silenced in fight for freedom of thought. in: The Daily Mail, 03.11.2021, https://www.dailymail.co.uk/news/article-10163007/Ex-university-lecturer-Kathleen-Stock-says-WONT-silenced-fight-freedom-thought.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
10 Vukadinović, Vojin Saša: Chronik einer orchestrierten Verleumdung. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2021, https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/cancel-culture-an-hochschulen-chronik-einer-verleumdung-17247116.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
11 Vukadinović, Vojin Saša: Schmutzkampagne gegen eine Philosophin. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2021, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/transaktivisten-bedrohen-die-philosophieprofessorin-kathleen-stock-17580157.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
12 Feddersen, Jan: Antifreiheitliches Wokistan. in: taz, 01.11.2021, https://taz.de/Professorin-tritt-nach-trans-Eklat-ab/!5809038 (letzter Aufruf 30.10.2022)
13 Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf 04.12.2022)
14 Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. in: Emma, 28.06.2017, https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569 (letzter Aufruf 30.10.2022)
15 Open Letter Concerning Transphobia in Philosophy, 06.2021, https://sites.google.com/view/trans-phil-letter (letzter Aufruf 30.10.2022)
16 Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf 30.10.2022)
17, 18, 19 Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, https://www.zeit.de/2021/47/wissenschaftsfreiheit-universitaeten-cancel-culture-kathleen-stock (letzter Aufruf 30.10.2022)
20, 35, 36 Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)
21 Thorburn, Jacob: BBC is forced to air ‚correction‘ from feminist professor Kathleen Stock after allowing students‘ union officer to ‚falsely‘ claim that she signed a ‚declaration to eliminate trans people in law‘ during live broadcast. in: MailOnline, 15.10.2021, https://www.dailymail.co.uk/news/article-10095721/BBC-apologises-student-union-rep-says-professor-supports-elimination-trans-people-law.html#v-642147033211617435 (letzter Aufruf 30.10.2022)
22 Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: http://www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)
23 Woolcock, Nicola: Kathleen Stock: Exiled academic joins free-speech college The University of Austin. in: The Times, 10.11.2021, https://www.thetimes.co.uk/article/kathleen-stock-exiled-academic-joins-free-speech-college-the-university-of-austin-kdrf883sj (letzter Aufruf 30.10.2022)
24 Steinhoff, Uwe: Was man nicht kritisieren darf. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2021, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gender-studies-konformismus-im-fall-kathleen-stock-gefordert-17645134.html (letzter Aufruf 04.12.2022)
25 antiterfsussex: ANTI-STOCK ACTION 2021, 28.10.2021, https://www.instagram.com/p/CVlRyn3gcrs (letzter Aufruf 31.10.2022)
26 de Lauretis, Teresa: Die Technologie des Geschlechts. In: Kathrin Peters (Hg.), Andrea Seier (Hg.), Gender & Medien-Reader, S. 459. (letzter Aufruf 31.10.2022)
27, 32 Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf 31.10.2022)
28 https://www.identitaere-bewegung.de/faq/was-ist-unter-dem-begriff-metapolitik-zu-verstehen (letzter Aufruf 04.12.2022)
29 Louis, Chantal: Kathleen Stock: Realität & Ideologie. in: Emma, 23.02.2022, https://www.emma.de/artikel/realitaet-wiegt-schwerer-als-ideologie-339251 (letzter Aufruf 31.10.2022)
30 Ganserer: Die Quotenfrau. in: Emma, 19.02.2022, https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185 (letzter Aufruf 31.10.2022)
31 https://www.uaustin.org/forbidden-courses (letzter Aufruf 31.10.2022)
33 Parsons, Vic: Neo-Nazis and homophobes are among the supporters of the ‘anti-trans’ group LGB Alliance. in: PinkNews, 03.04.2022https://www.pinknews.co.uk/2020/04/03/lgb-alliance-neo-nazi-homophobia-spinster-death-head-charity-commission/ (letzter Aufruf 31.10.2022)
34 https://lgballiance.org.uk/end-conversion-therapy (letzter Aufruf 31.10.2022)

فُرم های اجرایی اعتراضات زنان در ایران

For the English version change language selection.

اکثر کشورهای خاورمیانه دارای نوعی از رژیم های استبدادی هستند که در بهترین حالت با زنان به عنوان جنس دوم رفتار کرده و حقوق اولیه آنها را زیر پا می گذارند. روایت کلان آنها از قدرت بر پایه ارزش های مردسالارانه و مذهبی تعریف شده است. در چنین حکومت هایی، نادیده گرفتن حقوق زنان و دگرباشان جنسی و همچنین تحقیر آنها بدل به امری عادی شده است. عموماً رژیم هایی که „دیگری زنانه“ را تهدیدی علیه هژمونی مردانه می بینند، به شکل قبیله ای، غیر تکثرگرا و دیکتاتوری جوامع خود را اداره و کنترل می کنند. 

زنان، دگرباشان جنسی، طرفداران محیط زیست، حامیان خلع سلاح هسته ای و غیره، از سوی حکومت های توتالیتر و متحجر در خاورمیانه از جمله ایران، یک تهدید محسوب می شوند. بر اساس قوانین رژیم های خودکامه، این گروه ها اقلیت هایی هستند که مدام علیه ارزش های تعریف شده حکومت می جنگند. از سوی دیگر، ظهور احزاب افراطی و بنیادگرا در کشورهای دموکراتیک، باعث بیگانه هراسی، نژاد پرستی، ملی گرایی و مهاجر ستیزی شده که این مهم یک تهدید جدی برای حیات دموکراسی قلمداد می شود. در چنین شرایطی، فعالان حقوق زنان و دگرباشان جنسی می توانند با حمایت از خیزش زنان در کشورهایی دارای حکومت های دیکتاتوری مانند ایران، از مفهوم دموکراسی به معنای کلی آن دفاع کنند. 

© REX/SHUTTERSTOCK

در خاورمیانه، جمهوری اسلامی ایران، یکی از محافظه کارترین رژیم های تمامیت خواه محسوب می شود. این رژیم همواره در برخورد با جنبش های اجتماعی به شکل متخاصم، خشن و متجاوزانه عمل کرده است. حکومت ایران برای حفظ نظم سیاسی- اجتماعی خود همواره تقابل و طرد „دیگری“ را در دستور کار قرار داده است. در شرایط کنونی ایران، زنانگی، عاملی قدرتمند و تهدیده کننده علیه نظم جعلی جمهوری اسلامی است که اساساً با درک مفاهیمی همچون عدالت، برابری و آزادی غریبه است. حکومت اسلامی ایران در طول چهل و سه سال حاکمیت خود، همواره حقوق بشر را به طرق مختلف نقض کرده است. این رژیم، اقلیت های جنسی، مذهبی، سیاسی و سایر گروه های مخالف را تحقیر کرده و به شکل مداوم فعالان زن را بدون توجه به اصل کثرت گرایی اجتماعی- سیاسی، سرکوب و بازداشت کرده است. رژیم اسلامی در مقاطع مختلف، با امواجی گسترده از نارضایتی مردم روبرو شده است. اعتراضات ملی ایران در دهه اخیر بیشتر ناشی از افزایش شکاف طبقاتی، فساد سیستماتیک دولتی، نقض مکرر حقوق بشر و فشارهای کشورهای خارجی بوده است. بر اساس گزارش مجمع جهانی اقتصاد در سال 2009 میلادی، ایران از نظر تبعیض جنسیتی، از میان 134 کشور، در رتبه 128 قرار گرفت.1https://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_2009.pdf

زمزمه های اجباری شدن حجاب از اولین روزهای پس از پیروزی انقلاب اسلامی در سال 1357 خورشیدی شنیده می شد تا اینکه در سال 1362 توسط مجلس شورای اسلامی به شکل قانون تصویب شد. طبق قانون مجازات اسلامی، زنی که حدود شرعی حجاب را رعایت نکند، به 70 ضربه شلاق یا 60 روز حبس محکوم می شود. 

مرگ ژینا (مهسا) امینی در 25 شهریورماه 1401 خورشیدی، بار دیگر باعث توجه جهانیان به موضوع زنان در ایران شد. قتل مهسا به وسیله گشت ارشاد تهران (پلیس اخلاقی) به دلیل رعایت نکردن حجاب طبق قوانین معیار، باعث اعتراضات بسیار گسترده ای در ایران و سایر کشورهای جهان شد. نام مهسا امینی، میلیون ها بار در شبکه های اجتماعی تکرار شد و در دو ماه گذشته هشتگ MahsaAmini# رکورد بیشترین اشتراک گذاری در توئیتر را شکست.2 https://globalvoices.org/2022/10/13/the-world-must-hear-the-voice-of-iranian-women

© FRANCEPRESS

اعتراضات زنان در ایران در نتیجه ظهور مهسا به عنوان یک „دیگری“ نمادین علیه رژیم اسلامی، فُرم های نوین و خلاقانه ای به خود گرفت. بر اساس نظریه باتلر، اعتراضات زنان در ایران را می توان اجرایی دانست چرا که آنها مشروعیت رژیم را از طریق ظاهرسازی بدن های خود در فضاهای عمومی و تکرار ژست ها حتی به صورت دیجیتال زیر سئوال می برند. بدن هایی که در حال مبارزه در برابر خشونت و احیای حق خود برای (ادامه وجود) هستند.3نگاه کنید به کتاب جودیت باتلر: یادداشت هایی درباره نظریه اجرایی اجتماع. کمبریج، اِم اِی، انتشارات دانشگاه … Mehr anzeigen در اینجا و به اختصار، به بررسی چند نمونه از فُرم های اجرایی اعتراضات زنان در تظاهرات اخیر می پردازیم:

  • آتش زدن روسری و ایجاد کمپین روسری سوزان در اعتراض به حجاب اجباری. این فُرم اعتراض از تجمعی در شهر ساری4
    این اعتراض علیه حجاب اجباری در تاریخ 29 شهریورماه 1401 خورشیدی و با دعوت فعالان زن در شمال ایران
    ، واقع در شمال ایران سرچشمه گرفت و سپس در بسیاری از شهرهای دیگر تسری پیدا کرد. (https://www.youtube.com/watch?v=spSTw-zs-AA)
  • بر اساس یکی از رسوم کهن ایرانیان باستان و برخی ملل دیگر، کندن یا کوتاه کردن مو (گیسو بُران)، نشانه ای برای ابراز غم و ناراحتی است. پس از انقلاب اسلامی در ایران، این رسم به فراموشی سپرده شده بود اما پس از قتل مهسا، این کنش بدل به فُرمی اجرایی و نمایشی جهت اظهار انزجار، خشم و ناراحتی توسط زنان و مردان شد. (https://www.youtube.com/watch?v=_zNngyPYK2w)
  • پاره کردن تصویر بنیانگذار و رهبر جمهوری اسلامی از کتاب های درسی دانش آموزان.
    (https://tinyurl.com/yv9ammrd)
  • تکرار شعار زن، زندگی، آزادی(ژن، ژیان، ئازادی). این شعار ریشه در ژینولوژی5ژینولوژی (کُردی: (Jineolojî شکلی از فمنیسم و برابری جنسیتی است که توسط حزب کارگران کردستان (PKK) و چتر گسترده اتحادیه … Mehr anzeigen داشته و گفته می شود که توسط عبدالله اوجالان، رهبر حزب کارگران کردستان (پ.ک.ک) ابداع شده است. این شعار نشان دهنده فعالیت های سیاسی زنان کُرد در سال 2000 میلادی است. (https://tinyurl.com/ms7fy822)
  • انتشار ویدئوی دختری ناشناس که اقدام به بستن موهایش جهت رویارویی با مأموران امنیتی می کند، بدل به یکی دیگر از نمادهای اعتراضات شد. در فرهنگ ایرانی، بستن مو نشانه ای برای آماده شدن زنان جهت انجام اقدامی مهم تعبیر می شود. تعداد زیادی از جوانان با تکرار این کنش و اشتراک گذاری ویدئوی آن در شبکه های اجتماعی، آمادگی خود برای مقابله با نیروهای سرکوبگر را اعلام کردند. (https://tinyurl.com/2p9xupzm)
  • بوق زدن ممتد اتومبیل ها در خیابان ها و بزرگراه ها، یکی دیگر از نمادهای اعتراضات امسال است. اتومبیل ها با بوق زدن، با صدای معترضین در خیابان ها همراهی می کنند. (https://tinyurl.com/44a4nae6)
  • در اکثر دانشگاه های ایران، رد دست های خونی بر در و دیوار کلاس ها، نشانه ای از اعتراض علیه جنایت های رژیم در برخورد با دانشجویان و برخی اساتید است. (https://tinyurl.com/53uyhhu5)
  • بسیاری از بازیکنان در رویدادهای ملی و بین المللی ورزشی، از خواندن سرود جمهوری اسلامی سر باز زده و با بازوبند یا مچ بند مشکی در مسابقات حاضر می شوند. در جام جهانی فوتبال 2022، قطر که به دلیل نقض مکرر حقوق بشر و به رسمیت نشناختن اقلیت های جنسی مورد انتقاد گسترده قرار گرفته، در اقدامی هماهنگ با حکومت ایران، از ورود ایرانیان معترض به داخل ورزشگاه ها جلوگیری کرد. لازم به ذکر است که بازیکنان تیم ملی فوتبال ایران قبل از اولین مسابقه خود برابر انگلیس، سرود جمهوری اسلامی را نخواندند. (https://www.cbsnews.com/news/iran-national-anthem-world-cup-england)

روز به روز، فُرم های اعتراضات متنوع تر شده و افراد بیشتری از بخش های مختلف جامعه را تحت تأثیر قرار می دهد. شکی نیست که اعتراضات جاری در ایران، بزرگترین، یکپارچه ترین و گسترده ترین اعتراضات بعد از انقلاب اسلامی است. اعتراض زنان به حجاب اجباری می تواند باعث آزادی جامعه ایران، سقوط رژیم اسلامی و در نهایت آزادی تمام زنان، دگرباشان جنسی و سایر اقلیت ها شود. وظیفه ما به عنوان مدافعین حقوق زنان و اقلیت های جنسی به عنوان ارکانی از حقوق بشر، حمایت از تمام زنان، مردان و هر فردی از هر جنسیتی در خیابان های ایران است که فریاد می زنند: زن، زندگی، آزادی.

_ دکتر حامد سلیمان زاده، منتقد و فیلسوف فیلم است که هم اکنون به عنوان پژوهشگر تحت حمایت بنیاد انیشتین آلمان در دانشگاه هنرهای برلین (UdK) فعالیت می کند. 

Referenzen

Referenzen
1 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_2009.pdf
2 https://globalvoices.org/2022/10/13/the-world-must-hear-the-voice-of-iranian-women
3

نگاه کنید به کتاب جودیت باتلر: یادداشت هایی درباره نظریه اجرایی اجتماع. کمبریج، اِم اِی، انتشارات دانشگاه کمبریج ۱۳۹۳
4
این اعتراض علیه حجاب اجباری در تاریخ 29 شهریورماه 1401 خورشیدی و با دعوت فعالان زن در شمال ایران
5

ژینولوژی (کُردی: (Jineolojî شکلی از فمنیسم و برابری جنسیتی است که توسط حزب کارگران کردستان (PKK) و چتر گسترده اتحادیه جوامع کردستان (KCK) حمایت می شود.

allí a mi espalda llevo mi casa

Karla Yumari hat sich im Rahmen des Seminars Feministische und dekoloniale Gesten und Ästhetik von Pary El-Qalqili im Wintersemester 2021/2022 an der UdK Berlin mit verschiedenen Themen rund um intersektionalen Feminismus beschäftigt. Dabei ist dieser Brief entstanden, den wir hier auf Mexikanisch1 veröffentlichen. In Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Zugehörigkeit stellt Karla die Geschichte ihrer verstorbenen mexikanischen Urgroßmutter ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart gegenüber.
Als Grundlage dienten Texte von Alice Walker, bell hooks, Gloria Anzaldúa, Saidiya Hartman sowie Trinh Minh Hà.

Querida Abuelita,
esta carta me va llevar a lugares de cuales no sabía
lugares que siempre has cuidado
en mi alma,
en mi corazón
historias las cuales tú viviste
me las compartes
y yo, yo las vivo
contigo en mi presente

Quisiera que esto fuera una plática entre tu y yo. Aurora, la mujer a la que nunca conocí pero igual siempre has estado allí. En cada cuento que mi Padre me contaba, en cada una de las historias de las cuales Opa Luciano me hablaba, siempre estabas allí. Hablando con cariño los pensamientos de mi Opa Luciano se iban a recuerdos, a lugares lejanos. Igual estabas cerca cuando contaban historias, cuando pensaban en el pasado.

Estaríamos en la casa tuya Aurora, allí en Oaxaca en el patio con la luz más suave, los árboles con frutos de Lima y la mesita de plástico. Recuerdo esa mañana en mi niñez, contigo allí, la cual nunca conocí. Pero siempre estabas allí. En Silacayoapan, la tierra que compartimos. Naciste y creciste allí . Aurora, la mujer que veo en las fotos, tiene una fuerza que resalta de la imagen. Veo el cariño en tus ojos y el altruismo en tus manos.

Igual veo tu rostro y me veo, me reconozco. El momento en el cual naciste fue casi 100 años antes de que yo naciera. Eras una de muchos hijos en tu familia; en tiempos de revolución y peste. Mucha de tu realidad era muy lejana de la mía.

Me cuentan que desde chiquita cuidabas a niños, los cuales la revolución y la peste les quitó sus padres. Con cariño los criabas uno por uno. Abuelita, ¿sabes de cuántas historias eres parte? Una mujer que formó a tantas vidas, que tantas de esas vidas te siguen llevando en sus historias. Y yo soy una de esos niños, una de esas historias en las que sigues viviendo . Te cuento que pienso que en tu forma de pensar la familia, veo una forma de pensar la familia en un sentido feminista. Con tu hermana, Catalina criaste niños que a pesar de que nos les diste luz, crearon una comunidad. Un hogar, una forma de familia. Pensando en el significado de la familia,

la que me enseñaron que debo desear,
de la mía, que entre amor y muchas lágrimas, se construyó
e igual la que yo estoy aprendiendo de poder soñar

Pienso cómo quiero ver a la familia, cuáles comunidades quiero crear y puede ser que tenemos más en común que hacen parecer esos 100 años que nos separan. Con tu hermana criaron a muchos niños, vivieron juntas y hasta el final se cuidaron entre ustedes. Yo con mi hermana, mis amigas, mi pareja en conjunto así quiero criar a los niños de cada una. Como tu abuelita ¿Me podrías contar qué tan fácil puede ser amar a cada niño, sin que importe quién le dio luz? ¿Igual me podrías contar qué tanto quisiste dar luz a un hijo y cuánto tiempo pasó para que se volviera realidad tu deseo? “La bendición” le dicen a los hijos y para ti mi Opa Luciano seguro fue eso. Sé que creíste mucho en Dios. Viviste tu vida siguiendo las reglas de la Iglesia y tengo todo respeto a eso. Pero viendo la crueldad que viene hasta hoy con la religión católica, me cuesta entender el amor que mi familia mexicana le tiene a la fe. Más cuando todo en el presente recuerda al dolor del pasado. En un pueblo que fue maltratado por los conquistadores igual se comunicaban con el lenguaje de los conquistadores. Cuando llegué de méxico a alemania me enojaba porque nadie sabía ni que méxico no era españa, ni que mexicano no era el lenguaje que yo hablaba. Pero un querido amigo mexicano me dijo que él igual no hablaba español, que él hablaba la lengua de Mexico, el mexicano y abuelita creo que ahora yo igual hablo mexicano. Sea la religión o la lengua, la apropiamos y la hicimos nuestra pero hasta hoy siento el dolor que lleva cada palabra. Busco mi identidad en un lengua que duele y solo puedo apreciar de lejano la lengua que tú hubieras hablado, la que yo hablaría. Y siempre pienso en eso, con amor uso mis palabras en mexicano, las busco y
me cuestan pero las amo. Igual las amo porque son las tuyas, son tus palabras que me prestas. Las mismas, las que tú usabas e igual traían el dolor de un lenguaje que ninguna de nosotras dos pudo hablar. El lenguaje es lucha e igual por eso amo el mexicano, nuestro lenguaje, el lenguaje de amor y familia, de historias compartidas. Más y más he conectado con las palabras; no solo hablando sino escribiendo y pensando.

Busco y busco las palabras, la lengua, lo que quiero decir, las historias que quiero contar. Igual esa búsqueda es una lucha.

cada dia defino

cada dia extiendo

cada dia reinvento

cada dia defiendo

mi búsqueda, mis palabras, mi lenguaje, mis historias y mis espacios

Pero con amor coloco cada palabra.
Me muevo en las calles, dejo mis pensamientos flotar, siento mi alma que se alimenta de esos momentos. Los pequeños momentos en donde ando solo yo, yo en un espacio que creo para dejar flotar los pensamientos ¿Abuelita tú tuviste esos momentos de poder estar sola? En calma contigo, un momento pequeño. Un momento en el patio de tu casa entre los árboles de Lima, un momento en donde los niños dormían, los mosquitos se quedaban quietos, el aire suave tocaba tu piel y el olor a tierra húmeda alimentaba el aire ¿Qué hacías en esos momentos? ¿Igual te gustaba escribir o dibujar? ¿A dónde se iban tus pensamientos? ¿De cuáles cuentos soñabas? Por los años del 1993 escribiste una carta a mi Opa Luciano, que decía “Ya llegaron los tiempos”, siento que en esas únicas palabras de las que se que fueron escritas por ti hay tanta poesía y tanto amor. Los tiempos llegan, algo nuevo comienza, la forma con la que le quisiste avisar a tu único hijo que ya pronto morirías. Me gustaría pensar que igual tu buscabas tus palabras y las colocabas con amor. En tus pensamientos colocabas y buscabas esas palabras. Nadie nunca las vio ni las escuchó, pero allí estaban y allí continúan. Yo las llevo en cada letra que escribo, en cada palabra que digo. Las escribo en mi mi libro negro, 13cmx10cm. Cada dia lo lleno con mis palabras, con tu palabras, con las nuestras.

Escribo de lo que me alegra, escribo de lo que me hace llorar, escribo de lo que amo y de lo que odio, de mis miedos y mis sueños. Escribo del amor y de la belleza, de una mujer, la cual me hace feliz. Y abuelita ese amor es el mismo que tú llevas en tu corazón.

Compartimos el mismo amor sin saber si estaríamos en la misma lucha. Pero contigo coloco las palabras en mi libreta. 13cmx10cm que no tuviste. No te esperaban hojas para llenar cuando te daba tiempo de descansar. Tu soñabas de los colores más fuertes, que ahora, yo busco y dibujo. Me paso horas y horas buscando espacios en los cuales puedo pasar mi tiempo buscando mis colores y ordenando mis palabras, poniendo en orden nuestro mundo.

Esos 13cmx10cm siempre llevan mi nombre y con eso empiezo ponerle orden a nuestro mundo. Karla Yumari Martinez Royal. ¿Cuál sería tu libreta? Igual quieres esas hojas de 50mg, que se manchan con cada color que escoges usar?
pondrías tu nombre en la primera página:
Aurora Avila de Martinez
o pondrías Ramirez? Igual cada vez sería el nombre de tu marido muerto, el nombre que indica pertenencia. Me duele leer tu nombre así “DE” Martinez. Me cuenta que eres propiedad de alguien, de un hombre. Pero nunca pertenecemos a nadie. No somos propiedad. Porque eso no va a la utopía de la que yo sueño, la utopía que llevas en tus historias. Poseer es patriarcal, sea la tierra o las mujeres. El sistema patriarcal nos ve como propiedad y abuela estoy segura que tu alma era de las más libres,

nunca nadie la pudo pertenecer
como yo no soy de nadie
y tú eres la tuya.

Nuestras piernas las tuyas y las mías nos dejan partir los ideales de propiedad y de querer poseer a otro ser. Pero tu lo traías hasta en tu nombre y a mi me cuesta decirle a mi novia –que no le quiero decir que es “mía”–, porque es libre y nadie la puede poseer.

Nadie nos puede poseer ni nos puede encerrar, somos libres hasta las fronteras de nuestros privilegios. Igual tu hermana pequeña llegó a las fronteras de sus privilegios y sus privilegios la dejaron encerrada. Se la llevaron, se la robaron. Una más que pienso y pido por ni una más que se llevan, ni una más que se toman
como una mercancía.
Y cuando hablo de la posesión y de los hombres que se las llevan, y de los nombres que se las prometen, abuelita hablo de un mundo que no encuentro las palabras para poner orden. Busco y busco, las páginas se llenan y la voz igual es mía cuando todas piden que no somos de nadie y ni una más!

Abuelita, te veo en las fotografías y en las historias y sé que mujer tan fuerte y luchadora eres. Abuelita, por tu ser, yo soy la que soy.

Karla Yumari Martinez Royal. Igual, no la soy. Mi pasaporte alemán dice mitad de mi nombre. Karla Yumari Royal. Nunca dice Martinez, traigo el nombre de mi mamá y te digo que no pertenecemos a nadie pero, igual quiero pertenecer. Quiero ser parte.

Cuando Chavela Vargas cantaba en el coche de Opa Luciano que “no soy de aqui ni soy de allá” yo solo podía anhelar con mi mirada los paisajes que pasaban. Que ni yo era de allí. Pero sentía con todo mi corazón la pertenencia a esas tierras. Los paisajes que pasaban y me contaban de las historias, las cuales traían tu nombre.

Los viajes al pueblo. Abuelito, Opa Luciano siempre manejaba y durante todo el viaje acariciaba con su mirada el paisaje. Escuchábamos Chavela Vargas, Lola Beltran y Pedro Infante. Pasamos las sierras secas con los nopales infinitos, las montañas que cuidaban la selva y los acantilados que me hacían cerrar los ojos. Pero yo no era de allí, y si lo soy. Buscando mi casa recorrí muchas sierras, montañas y acantilados.

Pero por un tiempo no estaba en casa en ningún lugar.

Con cariño recuerdo cada viaje a Oaxaca, a nuestras tierras que nunca son nuestras. Las tierras en las cuales sembrabas. Tu huerto, Abuelita. Me contaron que sembrabas frijoles, maíz y cerca del río, caña. Y cuando llegué allí, igual recuerdo como los bueyes cultivaban la tierra para sembrar. La tierra era oscura y fértil. Recuerdo el olor cuando en la mañana apenas salía el sol y la tierra respiraba por primera vez. Recuerdo esa mañana en mi niñez: contigo allí, la cual nunca conocí. Comí mis tortillas azules con una taza de chocolate oaxaqueño. Me lo sirves con una cuchara en mi taza de barro, la cual sabe a la tierra de tu huerto . Y allí, allí en tu patio, entre los árboles de Lima. En la mesita de plástico, sabía que igual allí estoy en casa.

Porque allí a mi espalda llevo mi casa, la llevo contigo por dentro a donde yo vaya.

1 Im Text wird auf die Selbstbezeichnung der eigenen Sprache als Akt des Empowerments näher eingegangen.

Karla Yumari studiert Architektur an der UDK Berlin und setzt sich mit queer-feministischen Themen innerhalb der Architektur sowie in ihren kreativen Arbeiten auseinander. Sie nähert sich diesen Themen durch Fotografie und kreatives Schreiben an. 


Gender is performance. But how does it perform? On the occasion of the Medienhaus Lectures 2021 at Berlin University of the Arts, Paris based writer and researcher Claire Finch re-visited the queer-feminist notion of gender’s performativity. We publish the lecture together with an introduction by Annika Haas, who co-organised the two-day conference together with Henrike Uthe.

Claire Finch is a writer and researcher whose work samples queer and feminist theories as a way to intervene in narrative. Their recent projects include „I Lie on the Floor“ (After 8 Books, 2021), „Lettres aux jeunes poétesses“ (L’Arche 2021), „Kathy Acker 1971-1975“ (Editions Ismael, 2019) and their translation into French of Lisa Robertson’s „Debbie: An Epic“ (with sabrina soyer, Debbie: une épopée, Joca Seria, 2021).

Introduction by Annika Haas

Regarding the notion of performing gender, Claire Finch intervened into a common misunderstanding of the concept coined by Judith Butler right in the beginning of their lecture stating that “it’s not about acting, but more about interrupting the idea of what it means to be an actor, to be a self, to have a body […]”. In turn, even what has been called the “assigned sex” presented itself as “the residue, the result of citing re-citing gender gender gender as the body gets all solid in repetition”. Tackling this issue, Finch’s contribution to the conference motto “Performance? Performance. Performance!” was an exercise in stretching, bending, loosening and cross-cutting the identities that form and solidify in bodies and “the residue of sex and language” respectively. This exercise is physical, emotional, sensational and text-based, all at once. Finch proposes to utilize strategies like plagiarism, body functions like vomiting, technologies like sex toys, and last but not least language for what they broadly understand as “textual intervention” into the livid residue of our bodies and in order to cross-cut their identities.

In this way, seemingly separate spheres and practices in themselves – e. g. writing and using sex toys – creatively begin to inform each other. Considering for example, as Finch remarked, that “[y]ou can attach a sextoy to any part of the body and transform that part of the body into a sexual surface” not only decenters sex and the gendered body. It also inspires textual strategies: “What happens when we think of the sextoy as a textual graft, if we perform the same decentering and reorganizing operations on form, as we do on the body?”

Making these connections by translating and transposing concepts and practices from one medium and form into another and thus allowing for mutual interventions – e. g. of the body or the sex toy into the text and vice versa – is what drives their practice, as Finch underlined in the discussion that followed the lecture and that left the audience with an inspiring task: To develop further dissident strategies with their bodies and tools of their choice in order to practically do these things that we say we want to do in theory.

Annika Haas is a media theorist and works as a research associate at the Institute for History and Theory of Design of Berlin University of the Arts (UdK). She completed her PhD on Hélène Cixous’s philosophy and embodied writing practice. Annika’s practice at the intersection of art and theory includes art criticism and experimental publishing.

Zu den Medienhaus Lectures werden einmal im Jahr Gestalter*innen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten an die Universität der Künste Berlin eingeladen. 2021 fanden die Medienhaus Lectures als Kooperation zwischen Gestaltung und Theorie statt und wurden von Henrike Uthe und Annika Haas organisiert. Unter dem Motto „Performance? Performance. Performance!“ stellten sie den menschlichen Körper als Akteur sowie Adressat von Design in den Mittelpunkt und fragten: „Wie divers sind die Körper, die an Entwurfsprozessen beteiligt sind? Wie differenziert ist das Körperbild im Design? Welche Normen und Regeln werden daraus abgeleitet? Und wie wirken diese auf unsere Körper zurück?“ Wir veröffentlichen hier die Aufzeichnung der Lecture der Gestalterin Hannah Witte zu gendersensibler Typografie sowie eine Tagungsnotiz von Annika Haas.

Hannah Witte (sie*ihr) ist Grafikdesignerin und lebt in Leipzig. Ihre gestalterische Praxis dreht sich hauptsächlich um feministische Themen, Gender-Stereotype und non-binäre Typografie und wurde 2021 mit dem iphiGenia Gender Design Award ausgezeichnet. Ihr Buch Typohacks – Handbuch für gendersensible Sprache und Typografie erschien 2021 im form Verlag.

Tagungsnotiz von Annika Haas

Sprache befindet sich in einem permanenten Wandel. Das zeigt sich nicht nur in gendersensiblen Sprech- und Schreibweisen, sondern auch im Schriftbild. Mit Typohacks (form-Verlag 2021) hat Hannah Witte den ersten Leitfaden zur Gestaltung gendersensibler Typografie im deutschsprachigen Raum vorgelegt. Auf den oft kaum beachteten Zusammenhang von Sprache und Typografie machte sie bei den Medienhaus Lectures mit der Wortschöpfung „Ortho-Typografie” aufmerksam. Kathrin Peters hob als Moderatorin des Talks zudem hervor, dass Typografie und Sprache voller Normen seien und der Genderstern diese Normiertheit kenntlich mache. Denn da es sich dabei um ein Sonderzeichen handelt, das in den meisten Fonts anders als Buchstaben skaliert ist, sticht es im Schriftbild hervor bzw. fällt heraus. Während es zunehmend Fonts gibt, die den Genderstern gleichrangig mit Buchstaben setzen1, regt Typohacks dazu an, den Genderstern variabel und kontextuell einzusetzen: Mal bedarf es vielleicht eines Unruhe stiftenden „Gender-Trouble-Sterns“, mal ist eine barrierearme Einbettung wichtiger. Etwa, wenn es um Texte geht, die für Menschen mit Legasthenie gut lesbar sein sollen. Dabei spielen, wie die Designhistorikerin Anne Massey zeigt, ganz andere Kriterien als die normativ formulierten für ‚gute Lesbarkeit‘ eine Rolle.2

Dass sich die Frage nach ‚guter Lesbarkeit‘ nur spezifisch beantworten lässt, zeigte bei den Medienhaus Lectures 2021 auch das Werkstattgespräch zwischen dem Designstudio Liebermann Kiepe Reddemann und den Direktor*innen der Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle und Juliane Schickedanz über die gemeinsame Arbeit an der Website für das Jahresthema „Barrierefreiheit“. Fazit: Was barrierearm ist, ist eine Frage des*der jeweiligen Betrachter*in bzw. Zuhörer*in. So unterbricht der Genderstern den Textfluss auch auf akustische Weise, wenn Screenreader Texte vorlesen. Sie interpretieren z. B. „Gestalter*in“ als: „Gestalter, Stern, in“. Unabhängig von der Typografie verhalten sich Buchstaben und das nichtlautliche Zeichen * damit auf der akustischen Ebene weiterhin disparat zueinander. Sofern keine genderneutralen Alternativen gefunden werden können, empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband den Genderstern dennoch, da er im Schriftbild besser als ein Doppelpunkt oder Unterstrich lesbar ist.

Rund um den Genderstern und die Fragen seiner typografischen wie technologischen Einbettung zeigt sich damit einmal mehr, dass die universalistische Rede von ‚guter Gestaltung‘ unhaltbar geworden ist. Wie auch zahlreiche queer-feministische und postkoloniale Design-Plattformen und -Publikationen zeigen, ist Design situiert und damit weder losgelöst von seinen Produzent*innen, noch von den Adressat*innen zu denken.3 Diversitätskritisches Design braucht also diverse Beteiligte und Perspektiven.

Annika Haas ist Medientheoretikerin und wurde 2022 mit einer Arbeit über Hélène Cixous an der Universität der Künste Berlin promoviert, wo sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung ist. Kooperationsprojekte wie die Medienhaus Lectures 2021 prägen ihre Theoriepraxis an den Schnittstellen von Theorie, Kunst und Gestaltung. 


1 Siehe dazu das Gespräch mit der Schriftgestalterin Charlotte Rohde auf diesem Blog: https://criticaldiversity.udk-berlin.de/en/charlotte-rohde/. Gendersensible „Ortho-Typografie“ ist zudem regionalspezifisch, wie die genderfluiden Fonts für französischsprachige Texte von Bye Bye Binary zeigen: https://typotheque.genderfluid.space

2 Massey, Anne. „Design History and Dyslexia.“ Design and Agency: Critical Perspectives on Identities, Histories, and Practices. Ed. John Potvin. Ed. Marie-Ève Marchand. London: Bloomsbury Visual Arts, 2020. 259–272. Bloomsbury Collections. Web. 31 May 2021.

3 Siehe z. B. https://futuress.org/, https://teaching-design.net, https://depatriarchisedesign.com, https://www.decolonisingdesign.com

The Lonesome Crowded West

In Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte fertigte die Künstlerin Ana Tomic eine Serie von zehn Pastellkreide-Zeichnungen an, die jeweils eine Zeile ihres Gedichts „The Lonesome Crowded West” illustrieren. Der Titel ist vom gleichnamigen Album der us-amerikanischen Band Modest Mouse aus dem Jahr 1997 übernommen. In das Gedicht und die Zeichnungen sind dabei ihre Erfahrungen als Teenager und erwachsene Frau, Zitate des Vaters, Darstellungen von Luxus und Erfolg in sozialen Medien, sowie Referenzen auf kanonische Maler wie Caravaggio und Kandinsky eingewoben. Dabei entsteht an manchen Punkten eine interessante Spannung zwischen den autobiografischen Anteilen der Arbeit und den Zitaten aus Kunstgeschichte und Popkultur, an anderer Stelle sind sie wiederum deckungsgleich.Ana Tomic thematisiert in dieser eindrucksvollen Arbeit internalisierte Vorurteile über die eigene Herkunft sowie idealisierte Vorstellungen über die westliche Welt.

Die Arbeit entstand im Rahmen des Seminars Feministische dekoloniale Gesten und Ästhetik, organisiert und durchgeführt von Pary El-Qalqili im Wintersemester 2021/2022 an der UdK Berlin.

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Last year, the student initiative Common Ground at the UdK Berlin launched the Common Ground Studio (CGS), a mentorship program aiming to support disadvantaged people with migration experience ahead of their Fine Art study application. It offered aspiring artists access to one of the classes, as well as assistance during their preparation and application process.

Samet Durgun was one of the seven participants in the inaugural CGS 2020/21 edition, attending the class of Mathilde ter Heijne, along with many online meetings with the group. During this time, Samet further developed his photographic project “Come Get Your Honey” into an eponymous book published in June this year by Kehrer Verlag. He also exhibited the photo series on several occasions, including the group show “Seen By #15. Nothing Ever Happened (Yet)” at the Museum für Fotografie in Berlin.

In this interview with the Common Ground member Adela Lovric, Samet speaks about his project that tells the story of a group of gender-nonconforming, trans*, queer refugees and asylum seekers in Berlin, and his own journey of weaving bonds and friendships with them through vulnerability and joy. Its title—taken from the pop song „Honey“ by Robyn—reflects their shared desire to live better lives while staying true to themselves.

ADELA LOVRIc

Samet, what does your photo series “Come Get Your Honey” aim to show?

SAMET DURGUN

With this photographic story, I aim to broaden what we understand about photographing people who have multiple, historically oppressed identities by challenging the power and relationship dynamics between me—“the artist“—and „the subject.“ I strive to depict everyone as complex human beings in their wholeness while being aware of the limitations of representation.

ADELA LOVRIC

Who are the subjects starring in these photographs?

SAMET DURGUN

They are the people I bonded with, who are queer, trans, gender-nonbinary refugees and asylum seekers from Berlin. As a side note, I prefer not to use the word ’subject‘ as I strive to close the gap between the artist, the viewer, and the people in front of the camera.

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Samet Durgun, Keil Li in Patricia’s Lap, 2020

ADELA LOVRIC

What other term would be more fitting than ’subject‘? Does ‚protagonist‘ work in this case?

SAMET DURGUN

It could be words such as ‚person,‘ ‚individual,‘ ‚people,‘ or anything that reminds us that they are human beings. The way I see it, ‚protagonist‘ is an alienating term that better fits fictional characters in movies, plays, or novels.

The artist Martha Rosler says: „[T]he ’non-artist‘ art world prefers art that doesn’t direct their attention to the now … They prefer to see it as something that helps them move away from concerns of the everyday … Art has an obligation to speak to people about the conditions of everyday life, not necessarily to make them feel insuperable, quite the opposite, to remind them that they are engaged citizens.“

Even if art, especially photographing people, might seem close to „the now“ and appreciated for it, the power dynamics in photography are still rigid, therefore serving the viewer’s old expectations. I want to create art that makes non-artists feel neither insuperable nor superior. 

ADELA LOVRIC

Can you tell me more about these people and your relationship with them?

SAMET DURGUN

The first person I’ve met was Prince Emrah, a gender-nonbinary (she/he) refugee from Turkmenistan and a figure known in the Berlin underground performance art scene as a belly dancer. Back then, she formed a collective called House of Royals, which provides space and champions BIPOC LGBTQIA+ artists, especially refugees and asylum seekers. Against all odds, Emrah was doing truly trailblazing work, and he was kind enough to accept my request to photograph him for a photo series I was doing at the time. From that portrait session, we grew a friendship. I was able to support the collective with photos while spending time with them and to develop my aesthetics and artistic process.

On one of the show days, Emrah introduced me to a close group of friends with whom she used to share a dorm. That day I met Reza who encouraged me to tell their story and opened the doors of the dorm for me. My visits became regular and relationships got closer; friends introduced me to their friends. I got to know an incredibly diverse group of queer individuals, in and outside the dorm, from countries like Russia, Syria, Serbia, Afghanistan, Nigeria, Iran, Malaysia, Yemen, Libya, and Turkey.

During those meetings, their stories felt extremely close to me. There it was, a group of people I was more comfortable with than most people I’ve met in my entire life. Every gender-nonconforming, trans*, and queer individual had a different story, a different origin, a different way of living in Berlin, and different plans for the future. Yet there was an understanding for each other, a sense of relief.

Samet Durgun, Prince Emrah at Silver Future, 2018
Samet Durgun, Cherry Petals, 2020

ADELA LOVRIC

The photos are very tender and intimate; they imply an atmosphere of trust. Can you tell me about the process of making them and your intentions behind this kind of up-close approach? 

SAMET DURGUN

During my visits, we talked a lot about how we like it in Berlin and how we are doing now. Those were the moments when I was impressed by the warmth, kindness, and resilience I witnessed.

The up-close approach allowed me to eliminate most of the visual clues of the physical space. The viewer is left with the person in front of them, and the rest is up to their imagination. There are fewer elements to be used to perpetuate what we assume about a person or a community. There are also multiple portraits of the same individuals.

As a person who sits in the middle of many historically oppressed identities, I have formed a ’superpower‘ to perceive who is looking down on me. Thus I asked myself a fundamental question while photographing the individuals: „Whose gaze am I going to serve?“

I try my best to disengage from artistic and journalistic storytelling made merely out of curiosity, saviorism, pity, or toxic masculinity; narratives that are pervasively melancholic, objectifying, mystifying, sensationalizing, or brutally simplifying, thus ultimately dehumanizing. 

ADELA LOVRIC

So, this is the gaze you’re actively not serving. To borrow your question—whose gaze are you serving with these works?

SAMET DURGUN

The people I photograph first. And then those who are aware of the pitfalls of today’s storytelling and willing to expand their perception.

Samet Durgun, Gabo Gazing, 2020
Samet Durgun, Shoes under a Bridge, 2020

ADELA LOVRIC

You yourself are not part of the depicted community. Why was it important for you to focus on its members?

SAMET DURGUN

Before becoming a permanent immigrant (recently, a German citizen) in Berlin, I came here in 2010 for a summer internship, and I fell in love with the city. The only choice I had back then was to live in Istanbul, and I knew that deep down, I would never feel comfortable living there just being myself.

I grew up watching legendary trans*, gender-nonconforming, and other queer artists on TV, but they seemed from another planet. Until my mid-twenties, no one ever told me their gender identity or sexual orientation—neither did I to anyone! While my friends didn’t owe me an „outing,“ it was very lonely. At the same time, I was always sure that we were plenty (according to a Gallup survey, 15% of the Gen Z in the US identify as queer). Over the years, I had openly gay friends, but the invisibility of the other letters of LGBTQIA+ carried on. 

I have so many identities that make me belong to several communities and none of them at the same time. My mom brought us up by comparing us to the mother and the father’s side. Men and women in the big family ate in different rooms when gathered together for holidays; guess which side I was on. I’ve learned about the forced displacement my forebears went through only by reading books. People often questioned if I was a minority in my hometown because of my pale skin, „too thin” bones, and off-accent. My manager in Berlin once asked me at a party if I was drinking water because I am Muslim. I didn’t tell him that I am agnostic.

To clarify: I am not counting all these to justify my connection with „the community.“ In contrast, when there are so many intersections in someone’s identity, I look for what connects us—a common ground—rather than what separates us, as there will never be a proper match. As far as the book’s context is concerned, I belong to a group of individuals in Berlin who deeply knew they had to find a new home because of their gender or sexual identity. With the power of the community, I am able to connect to a bigger consciousness than myself.

Samet Durgun, Suryani’s Body, 2020
Samet Durgun, View from the 18th floor, 2020

ADELA LOVRIC

How were your ideas, approach, and the final result received by the people you photographed?

SAMET DURGUN

Sometimes ideas came up while in a casual stillness, preparing for a show, or in the middle of cooking. There were also times when I would come up with a concept and visit a particular person. We would discuss the feasibility and drop the idea if necessary. There were times the idea was too personal to show it in a book. I wanted to make sure everybody was comfortable with what they present. Mirna, a hairdresser, asked me to take a picture while she was whipping her hair—she said she had gotten new fancy extensions. On the same day, she pulled out a huge pack of chips from under her bed. We also made pictures of her tying that with a belt, looking like a dress. One of those two ideas made it to the book.

One of the last steps in forming the book was to interview Prince Emrah, who would ask me anything. I showed all the pictures which will be in the book. During our talk, she said she remembers my self-portraits in full-blown makeup and a belly dance costume, which I didn’t include. He suggested including them since they deserve a spot. After cross-checking with a couple more people from the book, those pictures became a part of it.

ADELA LOVRIC

This reversal of roles you experienced with Prince Emrah and the interview that resulted seems like a very significant moment in the process. What did this shift of dynamic between you and this self-portrait, chosen by Emrah, mean to you in the context of this photo series?

SAMET DURGUN

The dynamic of the gaze has always been a mix from the first moment. When people are involved in photographic work, it is necessary to acknowledge their power. By acknowledging, I don’t mean to „provide space;“ I mean accepting that there is participation. People pose for me, and even if they don’t, they see the photos afterward. Communication and collaboration go hand in hand.

Two self-portraits were also a fruit of this collaboration, another way of expressing my subjectivity. Thus Emrah’s suggestion was a warm welcome; he understood my good intention and will to visualize my participation.

One picture came to life when I borrowed his dress during a show night. His dresses are puzzling even the belly dancers in Turkey, where he lived for a few years before arriving in Germany. She mixes traditionally gendered costumes or rather removes the gender from them. Her clothes are the representation of gender fluidity, thus a fashion statement.

I made the second self-portrait after a makeup workshop session in the dorm. I was there to witness the occasion, and I was asked if I also wanted to participate. One of the friends I knew from House of Royals saw my raw craft and decided to paint me. She certainly did not need that workshop; she just happened to be there and wanted me to look good. I was mesmerized by this interaction, so I had to record this moment. We came to her kitchen during sunset. Her shadow is now present in the picture—both metaphorically and literally.

Samet Durgun, Self-Portrait With Julie’s Makeup, 2019

ADELA LOVRIC

„Come Get Your Honey“ is not just a series of photographs but also a photobook containing quotes, interviews, voice and video recordings, and a link to the website where the audience can access and read the backstories of some pictures. Can you tell me more about this part of the work and explain why you chose this way of portraying this community instead of limiting it to purely pictorial content?

SAMET DURGUN

The idea sparked while showing an early selection of images to Marianne Ager, the curator who wrote the outro for the book. She asked me whether I had videos. My immediate response was “no,” but that question stayed with me. Why was I stuck to the images, although there was so much more to offer?

Perhaps because very few authorities define my taste and hold too much cultural, economic, and political—thus decisional—power. Or maybe I wish to make perfect sense of what I see because it is a photograph. If I think about music, a much more decentralized and mature art form, there are more than 5000 genres. How many photography genres can you count? When I listen to 800 different genres, why should my photography fit one?

Over time, I started seeing photography more as a means than a medium. I remind myself to let go of certain expectations of the medium and form relationships with different elements to enrich my stories, so that people discover, unfold, feel closer, and engage more.

ADELA LOVRIC

And lastly—has this project had any sort of direct impact on this community or on you personally? 

SAMET DURGUN

Two people featured in this photo series came to me and asked for a copy of the book to share with their lawyer because both of them, separately, heard that this could be useful as proof for their case of getting a refugee status. The biggest issue asylum seekers face in Berlin, or probably everywhere else, is that the authorities are not convinced by their story. That is why getting refugee status sometimes takes weeks or even years. For these people, in particular, it’s been taking a long time. I can’t say yet if this was of any help because they didn’t get their refugee status yet, but they’re in the process. I never thought this could be something helpful in this sense but I hope it will be. 

I have also been personally affected as this is my “coming out” to many of my relatives besides my core family and friend group. Whoever goes to my Instagram now can see me in a belly dance costume. So, on a personal level, it was not just about my self-expression but also about finding my confidence and being brave.

www.sametdurgun.com
@hi.sametdurgun 

Rassismuserfahrungen stehen nicht zur Debatte

Oder: Nieder mit dem Advocatus Diaboli

Einer Person of Colour begegnen ein Leben lang weiße Menschen, die auf unterschiedliche Weise über das Thema Rassismus reden wollen. Eine Form, die mir besonders häufig begegnet und durch ihre tückische Beiläufigkeit auffällt, ist eine männlich kodierte Position des Bescheidwissens oder des Mansplainings: genauer die des weißen Mannes, der gerne Advocatus Diaboli, den Anwalt des Teufels, spielt. 

Die Erfahrungen und die Lebensrealität von Betroffenen werden von ihm als rein theoretisches Gedankenexperiment behandelt – denn diese Probleme sind für den Außenstehenden nur theoretisch, nicht realistisch erfassbar. Es macht ihm Spaß, über die Rechte und Existenzen von PoC zu diskutieren: „Lasst uns darüber sprechen, warum euer Existenzkampf diskutabel ist.“ Die tatsächlichen Probleme sind für ihn wie ein Spielball, denn sie betreffen ihn nicht. Er kann es sich leisten, sich munter über Definitionen von Rassismus zu äußern, denn er erfährt die Müdigkeit, die emotionale Arbeit, das Trauma und die Diskriminierung hinter dem Begriff nicht am eigenen Leib.

Rassismus-Debatten werden von ihm aufgegriffen, um die eigene vermeintlich kosmopolitische Fortschrittlichkeit und Belesenheit zur Schau zu stellen. Vielleicht auch, weil er einem „aktuellen Trend“ folgen will. Ohne Bedenken übergeht er die Lebensrealitäten von PoC sowie die gewählten Mittel, mit denen Betroffene ihre Erfahrungen kommunizieren. Aus purer (Schaden-)Freude an der Diskussion wird eine problematische Aussage in den Raum geworfen, nur um sich anschließend unter dem schützenden Mantel von „Zu einer Diskussion gehören auch Gegenmeinungen“, „Das darf man ja wohl noch sagen dürfen!“ und „Meinungsfreiheit“ zu verstecken. Unter diesem Deckmantel liegt die Tücke des Phänomens: Betroffene erkennen den Typus nicht immer sofort, doch lesen die Situation als äußerst unangenehm. Womöglich realisiert man nicht richtig, wieso man sich so herabgewürdigt fühlt. Es ist doch nur eine wissenschaftliche Debatte, alles komplett objektiv – oder?

Dass der Außenstehende am Ende ausweicht, in passiv-aggressive Defensivhaltung verfällt und seine problematischen Aussagen als rein hypothetische oder gar wissenschaftliches Gedankenexperiment bezeichnet, gehört dabei zur gängigen Technik. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass es ihm nie darum geht, zu lernen oder das eigene Wissen zu erweitern. Ganz im Gegenteil: Er will Dinge beim Alten belassen, denn er profitiert vom aktuellen Status Quo. Das Ziel des weißen Mannes in dieser Situation ist es, seine eigene Überlegenheit und Deutungshoheit zur Schau zu stellen. Das Wichtigste ist, dass ihm weiterhin Aufmerksamkeit geschenkt wird. Insbesondere dann, wenn er ausnahmsweise einmal nicht im Zentrum steht. 

Was passiert also, wenn Betroffenen wieder und wieder darauf hinweisen, dass sie von diesen Gedankenexperimenten verletzt werden? Was passiert, wenn sich zahlreiche Stimmen von PoC gegen diese demütigenden Diskussionen erheben?

Leider nur wenig. Uns wird Emotionalität, Empörung und fehlende Empirie vorgeworfen, welche im krassen Gegensatz zur Wissenschaftlichkeit und Rationalität des reinen Beobachters ständen. Wenn wir uns nicht auf eine Fortführung der Gespräche einlassen und keine kostenlose Bildungsarbeit leisten möchten – sei es aus Erschöpfung, Angst, Zeitmangel, fehlenden Ressourcen oder sonstigem Grund –, wird uns vorgeworfen, nicht offen zu sein und keine ertragreichen Diskussionen zu wollen. Die Schuld liegt nie bei demjenigen, der Erfahrungen in Frage stellt, sondern immer bei denjenigen, die sich nicht für die Evidenz ihrer traumatischen Erfahrungen rechtfertigen wollen. Das bringt mich zur Frage: Wie reden wir über und mit Betroffenen?

Ich habe diese Spielchen satt. Wer tatsächlich im Fokus stehen sollte, sind Menschen, die Rassismus erleben. Ihre Erfahrungen und Perspektiven sind viel wertvoller für unsere gesellschaftliche Entwicklung, als es eine polemische Debatte, ob diese Erfahrungen überhaupt real sind, jemals sein könnte.

Christina S. Zhu arbeitet als Illustratorin und studiert im Master an der UdK Berlin. Sie engagiert sich für intersektionale Antidiskriminierung und ist Referentin für Antidiskriminierung des Inneren im AStA, Mitglied der studentischen Initiative I.D.A. und der AG Critical Diversity.

#MeToo Machtmissbrauch im Theater – und dann?

Verschriftlichte Momentaufnahme vom 11. Juni 2021
Wir danken Anna Bergel für die Einladung zu diesem Beitrag und die Erstredaktion des Textes.

Feministische Held*innen an der Volksbühne Berlin, Emanzipationshilfe von außen und der institutionelle Wandel in den deutschen Stadttheatern

Seit 2014 ist ein rasanter Anstieg der Verwendungshäufigkeit des Begriffs „Machtmissbrauch“ in der deutschen Presse zu beobachten – abzulesen in einer sogenannten Wortverlaufskurve für den Zeitraum von 1946 bis 2021 im deutschen Zeitungskorpus. Und auch 2021 zeichnet sich kein Ende der neuen Popularität des Begriffs ab. Forscher*innen wie Naika Foroutan, Aladin El-Mafaalani und andere legen nahe, dass es heute nicht unbedingt mehr Machtmissbrauch als früher gäbe, sondern dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein dafür geschärft hat. Bestimmte Verhaltensweisen von Autoritäts- oder Führungspersonen werden heute kritischer bewertet bzw. vor allem auch öffentlich kritisiert. Wir sehen zudem, dass es ein relativ klares Bewusstsein dafür gibt, dass diejenigen, denen Machtmissbrauch vorgeworfen wird, ihr Amt an dieser Stelle nicht mehr weiter ausführen sollten. Aber – und hier sieht es bisher noch wenig erfreulich aus – was passiert mit denen, die es gewagt haben, den Missbrauch öffentlich zu machen? 

„Machtmissbrauch“ ist definitiv kein Phänomen, das allein in staatlich finanzierten Theatern anzutreffen wäre; viele gesellschaftliche Institutionen, aber auch Wirtschaftsunternehmen sind betroffen, oder die Institution Familie. Allerdings scheint es fast, als sei „Machtmissbrauch“ in jüngeren Theaterdiskursen der am häufigsten verwendete Begriff seit Veröffentlichung von Thomas Schmidts heftig debattierter Studie Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht im Herbst 2019 – tatsächlich aber nicht erst seitdem. 

In seiner nachtkritik.de-Kolumne „Das Ende der Ausreden“ riet Dirk Pilz bereits im Februar 2018 dem Bühnenverein, sich endlich der lange bekannten und öffentlich diskutierten (Machtmissbrauchs-)Probleme in den Theatern anzunehmen:

„Diesmal zu #MeToo, zum Theater und den Folgen, noch einmal. Es muss sein. Es wird ja eifrig diskutiert in Theaterkreisen derzeit. Dieter Wedel, Matthias Hartmann, die vielen verstreuten Aussagen, Interviews, Statements über Machtmissbrauch an den Theatern: Jeder Fall will eigens betrachtet werden, Vorverurteilungen sind so verwerflich wie Vergröberungen, sicher. Aber es ist keine Frage der Debatte, dass es erstens ein immenses Problem mit Machtmissbrauch an den Theatern gibt und dieses zweitens durch nichts zu rechtfertigen ist.“

Das nur als ein Beispiel von so vielen Texten und Berichten, die wieder und wieder und wieder auf die vielfältigen und miteinander verflochtenen Probleme innerhalb der staatlich finanzierten Produktionsbetriebe aufmerksam gemacht haben. Und auch immer wieder darauf, dass nicht allein Sexismus und die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Theater oder aber Rassismus und die Exklusion von nichtweißen Menschen (und vieler anderer) und auch nicht einzelne „Macht missbrauchende“ Theaterleitungen als Problem zu identifizieren sind, sondern ein ganzes System. Ein System der staatlich finanzierten Produktion dessen, was wir ‚Theater‘ nennen oder ‚Kunst‘ oder ‚Abendunterhaltung‘ oder ‚kulturelle Bildung‘ oder einen ‚Möglichkeitsraum der Demokratie‘. 

Wo also ansetzen mit der Kritik zur Veränderung der Theaterbetriebe, in denen in den meisten Fällen dieselben Machtverhältnisse und Prinzipien herrschen, wie in anderen Bereichen unserer deutschen bzw. europäischen Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts? Auch hier wird – sehr grob gesagt – weißen Männern aus der Mittelschicht – besonders in der Rolle als Führungskraft oder Regiekünstler – schon per se eine andere Kompetenz unterstellt als Frauen*1. Auch hier wird vor allem Leistungsbereitschaft geschätzt, herrscht Konkurrenz zwischen den Theaterschaffenden und wird der Erfolg der Arbeit in Zahlen (Produktionen pro Spielzeit, Anzahl der verkauften Tickets, Höhe der Eigeneinnahmen des Theaters und Fähigkeiten zum Umgang mit Etateinsparungen etc.) gemessen. Anders als im Fall eines privatwirtschaftlichen Unternehmens geht es allerdings tatsächlich nicht um privaten Kapitalgewinn: Wenn eine Stadt bzw. Kommune vielleicht Dank ihres Theaters die eigene kulturelle Anziehungskraft erhöht und für Tourist*innen und Unternehmen mit gut qualifizierten Arbeitskräften besonders attraktiv wird, kommen diese zusätzlichen Steuereinnahmen auch wieder der Stadt oder Kommune zugute. Soweit jedenfalls die Theorie. 

In der Theorie ist schließlich auch vorgesehen, dass es sich bei den öffentlichen Theatern um Orte der Demokratie handelt und verschiedene Menschen hier gemeinsam miteinander Kunst produzieren und andere Menschen einladen, diese Kunst in Form von Aufführungen anzusehen, mitzugestalten und dabei über sich selbst, das gesellschaftliche Leben, politische und philosophische Fragen zu reflektieren. Dabei haben Theatermacher*innen und Publikum (mindestens) einen persönlichen Gewinn, so die Idee, auch wenn Anstrengung und Überforderung durchaus dabei sein dürfen. – Wie kommt es nun zur guten Praxis dieser Ideen?

Zuallererst müssen Probleme überhaupt von Betroffenen – d. h. hier: Theatermitarbeiter*innen – selbst bemerkt und benannt werden – dabei hilft die öffentliche Thematisierung bislang tabuisierter Missstände, die eine kritische Spiegelung der eigenen Situation erleichtert, ein Wiedererkennen und Bemerken von Mustern.2018 veröffentlichten Mitarbeiter*innen des Burgtheaters Wien einen offenen Brief gegen Ex-Intendanten Matthias Hartmann (der war bereits 2014 entlassen worden); es gab im selben Jahr auch einen offenen Brief an Ex-Intendanten Castorf wegen dessen sexistischer Äußerungen (der Brief stammte allerdings nicht von früheren Mitarbeiter*innen); 2019 kamen die Vorfälle rassistischer Beleidigungen am Theater an der Parkaue in die Presse (in Folge Intendanzabgang „aus persönlichen Gründen“); 2020 wurden die Vorwürfe zum als „toxisch“ bezeichneten Führungsstil des Generalintendanten Peter Spuhler in Karlsruhe publik (und nach vielen Monaten die Abberufung des Intendanten beschlossen). 2021 folgten Sexismus-Vorwürfe an den Interimsintendanten der Volksbühne (er trat zurück – sowieso nur wenige Monate vor Ablauf seines Vertrags); Rassismus-Vorwürfe am Schauspielhaus Düsseldorf wurden laut (das Haus versucht sich jetzt intern zu erneuern) und zuletzt wurde Gorki-Intendantin Shermin Langhoff Machtmissbrauch vorgeworfen (es ist noch unklar, was passieren wird – oder vielmehr: nicht). Hier handelt es sich nur um eine Auswahl der bekanntesten Fälle der Kritik an Intendant*innen (und Regisseur*innen) allein im Bereich des Schauspiels in letzter Zeit.

Aber dürfen diese Beispiele und die sie begleitenden öffentlichen Debatten und von Theaterschaffenden miteinander geführten Diskussionen jetzt zu der Annahme führen, es würde tatsächlich nach und nach aufgeräumt mit den übergriffigen Führungskräften im deutschen Stadttheater? Mit Sexismus und Rassismus und der Angst, sich als abhängig beschäftigte*r Angestellte*r oder beauftragte*r Gastkünstler*in gegen schlechte bis unerträgliche Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen?

Im Hinblick auf das Ausmaß der unter Theaterschaffenden bekannten Fälle von Machtmissbrauch und Übergriffigkeit kam es nur zu sehr wenigen Intendanzwechseln. Und es kam in diesem Zusammenhang bisher vor allem auch noch zu keinem Versuch, mit einer neu gedachten Leitungs- und Organisationsform innerhalb eines deutschen Stadttheaters andere Machtverhältnisse nachhaltig zu institutionalisieren oder andere Machtverhältnisse sich durch andere strukturelle Voraussetzungen entwickeln zu lassen. 

Es wurden zwar durchaus Forderungen nach neuen demokratischeren Organisationsmodellen und kollektiveren Leitungsstrukturen für die öffentlich finanzierten Theater laut, es wurde – pandemiebedingt vor allem online – miteinander gelernt und diskutiert. In vielen Theatern, aber auch organisiert durch solidarische, alle Theaterschaffenden ansprechende Netzwerke wie etwa das bundesweite ensemble-netzwerk e.V. mit seinen vielen Schwestern-Netzwerken oder durch andere ehrenamtlich Engagierte – auch Nichttheaterschaffende, wie sie im Berliner Kollektiv Staub zu Glitzer versammelt sind – haben Veränderungsprozesse begonnen, die vor allem für bessere oder überhaupt erträgliche Arbeitsbedingungen eintreten. 

Ist also alles auf einem guten Weg, eine kritische Masse veränderungswilliger Theatermacher*innen erreicht? Anlass zur Hoffnung besteht sicherlich, zur Entspannung allerdings nicht. Vor allem wurden die konkret betroffenen Mitarbeiter*innen bislang in aller Regel vergessen, sie bleiben mit den gesundheitlichen, sozialen und – infolge von Kündigung – auch den finanziellen Folgen toxischer und Angst machender Arbeitsbedingungen auf sich gestellt.


Wie kam es zum Bekanntwerden des #MeToo-Moments an der Volksbühne Berlin? Ein Protokoll von Sarah Waterfeld – mit Anmerkungen von Anna Volkland

Wir fragen im folgenden Beitrag nach einem konkreten Fall der Öffentlichmachung von Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen – nämlich an der Volksbühne Berlin während der Interimsleitung von Klaus Dörr. Es handelte sich um einen Zeitraum zwischen der Kündigung des in Berlin kaum akzeptierten neuen Theaterchefs Chris Dercon ab Frühjahr 2018 und dem Start der nächsten neuen Leitung von René Pollesch ab Sommer 2021. Dörr, der nur noch wenige Monate im Amt gewesen wäre, ist am 15. März 2021 überraschend schnell zurückgetreten nach dem Bekanntwerden verschiedenener, vor allem weibliche Mitarbeiterinnen betreffende Vorwürfe ihm gegenüber. 

„Mal, so erzählen es die Frauen, die mit der taz gesprochen haben, sei da ein Streicheln über den Arm gewesen, mal bleibe die Hand auffällig lang auf der Schulter oder an der Taille liegen. Vor allem aber funktioniere Dörrs Übergriffigkeit über stierende Blicke auf Brust und Beine, durch sexistische Witze und Kommentare. Und dann sind da noch die SMS, von denen ein großer Teil der Frauen zu berichten weiß. Sie kämen spät abends, Berufliches und Privates seien darin vermischt.“
(Viktoria Morasch im ausführlichen Bericht in der tageszeitung die taz vom 13.03.2021, hier vollständig nachzulesen)

Seitdem ist die Stille aus dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz sehr laut. Was genau passierte nach den öffentlichen Debatten in verschiedenen überregionalen Zeitungen, Radio- und Fernsehprogrammen im Frühjahr 2021?

Die Berliner Autorin SARAH WATERFELD, seit 2017 Sprecherin des Kollektivs Staub zu Glitzer, schildert aus ihrer Perspektive als begleitende Aktivistin und Künstlerin, wie es überhaupt dazu kam, dass Mitarbeiterinnen der Volksbühne sich zusammenfanden und sich Hilfe holten, welche Rolle die Unterstützung von außen spielte, welche Schwierigkeiten und Mängel im Opferschutz sich aber auch zeigten – Probleme, über die bisher noch nicht öffentlich gesprochen wurde.
Sarah Waterfelds Bericht wird durch in das Protokoll hineinmontierte reflektierende Rahmungen und Einschübe der Dramaturgin ANNA VOLKLAND ergänzt, die von 2014 bis 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin gewesen ist und seitdem zur Geschichte der Institutionskritik im deutschen Stadttheater und ihren Formen in der Gegenwart forscht, das heißt, auch zu den selbst- und machtkritischen Demokratisierungsbestrebungen, die von den Theaterschaffenden selbst ausgingen und -gehen.

Sarah Waterfeld

Es befremdet mich sehr, wie in der Öffentlichkeit mit dem #Metoo-Skandal an der Volksbühne umgegangen wird. Interessiert es denn niemanden, wie der Aufarbeitungsprozess im Haus abläuft? Wie die Mediator*innen vorgehen? Werden die Opfer des Machtmissbrauchs gut betreut? Wie geht es ihnen heute? Haben sie alle noch einen Job? Was hat es zu bedeuten, wenn die aktuelle Interimsintendantin Sabine Zielke in ihrem ersten größeren Interview, nach einem Sexismus-Skandal an ihrem Haus sagt, sie sei keine Feministin? Wie haben wir uns das vorzustellen? Sie wünscht sich keine Gleichberechtigung aller Geschlechter, sondern verteidigt das Patriarchat? What the hell!? 

In meinen Augen sind die Frauen, die sich zu der Beschwerde gegen Dörr durchgerungen haben, feministische Held*innen.

Aber um sich zur Wehr zu setzen, brauchten sie auch den Impuls von außen. Vielleicht erzähle ich von vorne, denn insgesamt hatte ich fast ein Jahr mit der ‚Causa Klaus Dörr‘ zu tun. Im April 2020 organisierte unser Kollektiv – Staub zu Glitzer – im Bündnis mit 25 anderen Gruppen die Gegenproteste zu den neurechten Hygienedemos auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. In diesem Zusammenhang hörte ich zum ersten Mal von den Anschuldigungen gegen den Interimsintendanten. Ende Juni fand ein erstes Treffen statt mit mehreren Frauen, die Vorkommnisse beschrieben oder bezeugten. 

Mitte Juli dann trafen Betroffene – auf mein Insistieren hin – mit mir zusammen eine Vertrauensperson aus dem Kultursenat. Das ist ein wichtiger Punkt, den Die Welt später versuchte zu skandalisieren. Das ist natürlich albern, denn unentwegt finden informelle Gespräche statt, die folgenlos bleiben können. Inwiefern solche Gespräche dann in eine formelle Ebene überführt werden, entscheiden die Beteiligten und da spielen Emotionen eine große Rolle. Gleichzeitig kann ein Kultursenator nicht jedem Fall oder Gerücht nachgehen, das in privatem Rahmen mit Mitarbeiter*innen besprochen wurde. Das ginge theoretisch schon – dann bräuchte es aber wesentlich mehr Personal.  

Bei einem Beschwerdeverfahren gegen den Leiter einer staatlichen Institution braucht es mehr als nur einen anekdotenhaften Plausch, bei dem sich alle Diskretion versprechen. Der Plausch allerdings ist gut für die Psyche. Dieses erste Treffen war sehr wichtig für uns, da wir ermutigt wurden, weiterzugehen. Wir bekamen das klare Signal: Ihr seid nicht allein und es ist völlig richtig, dass niemand weiter ertragen sollte, was am Haus vor sich geht. Selbstverständlich kann jede*r Bürger*in im Kultursenat anrufen oder eine Mail schreiben und von Missständen berichten. Das reicht nur eben nicht aus. Betroffene müssen sich organisieren. Sich dafür mit Menschen zu beraten, die eine gewisse Erfahrung haben mit aktivistischer Arbeit, ist sicherlich hilfreich. 

Seit Dörrs Rücktritt habe ich schon mit mehreren Betroffenen anderer Institutionen gesprochen, die sich wegen der Zeitungsinterviews oder unserer Pressemitteilung in sozialen Medien meldeten (etwa hier, hier und hier); ich habe ihnen Tipps geben können und Kontakte zur Presse vermittelt. Die Emanzipation im Kunst- und Theaterbereich fängt ja gerade erst an. 

ANNA VOLKLAND – „EMANZIPATION“

Emanzipation ist ein wichtiges Stichwort linker Bewegungen, auch schon unter jungen, institutionskritischen Theaterschaffenden der späten 1960er Jahre in der BRD, das heißt, neu ist es nicht. Heute ist das Stichwort „Emanzipation“ oder „Selbstbewusstsein“ von Theaterschaffenden vor allem mit dem ensemble-netzwerk e.V. verknüpft und die Verwendung ist durchaus eine etwas andere als vor über 50 Jahren: Theaterschaffende, vor allem Schauspieler*innen und andere abhängig am Theater Beschäftigte (künstlerisch Mitarbeitende) wenden sich damit gegen schlechte Arbeitsbedingungen und eine oftmals fehlende demokratische Kultur im Theater, die Gespräche auf Augenhöhe verunmöglicht und die nur sehr wenigen künstlerische Selbstverwirklichung verspricht (etwa bestimmten „Star“-Regisseur*innen).

Sehr vielen Theaterschaffenden wird dagegen das engagierte Mitmachen und Schweigen nahelegt, wenn sie nicht mit „künstlerischem Liebesentzug“ durch die Regie oder Theaterleitung oder mit einer Nichtvertragsverlängerung bzw. der Nichteinladung durch die Intendanz bestraft werden wollen.

Das war zuerst durchaus auch die Perspektive der Schauspieler*innen, die beispielsweise 1969 anlässlich der Inszenierung des scheinbar wohlbekannten Goethe-Dramas „Torquato Tasso“ – und der Identifikation mit dem von seinem adeligen Mäzen in jeder Hinsicht abhängigen Dichters Tasso – erstmals anfingen, die eigene Unfreiheit zu erkennen. Die Schauspielerin Edith Clever bemerkte damals dazu im Programmheft:

„Die meisten Schauspieler […] haben ständig Existenzangst. Sie müssen ankommen. Beim Publikum, beim Regisseur, beim Intendanten, bei Kollegen etc. – Will er [sic] eine Rolle nicht spielen, wird er bestenfalls mit dem Argument gezwungen, er solle fürs Haus denken wie ein Intendant. Zur Spielplanbesprechung wird er nicht hinzugezogen. Und selbst Kostüme werden aufgezwungen, wenn der Regisseur es für richtig hält. So träumt jeder Schauspieler davon, einmal Star zu werden, um mehr Rechte zu bekommen. Das heißt, er will Macht.“1Clever zitiert nach Erich Emigholz, „30 Fragen zum Bremer ‚Tasso‘“, in: Canaris Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 150 f.

Durch die „Tasso“-Arbeit habe Clever begriffen, „daß diese Zustände veränderbar sind, daß es nicht zwangsläufig so sein muß“.2Ebd., S. 151. (Mehr dazu hier.)

Im wenige Monate später 1969/70 in Zürich von Bruno Ganz, Günther Lampe, Jutta Lampe, Rita Lesha, Rüdiger Kirschstein und Tilo Prücker „auf Anregung von Peter Stein“ (d.h. des Regisseurs auch der „Tasso“-Inszenierung) verfassten Gründungsmanifest der als ‚Mitbestimmungstheater‘ gedachten Schaubühne am Halleschen Ufer in Westberlin wird der Emanzipationswille dann bereits als Sehnsucht nach der Überwindung des eigenen „bürgerlichen Individualismus“ gefasst:

„Die Arbeit im herkömmlichen Theaterapparat bietet uns außer ‚Jobbertum‘ keine Perspektiven. Möglichkeiten, zu anderen Formen der Organisation und Arbeit zu gelangen, bietet uns die Schaubühne Berlin. Unsere Erfahrungen in Zürich […] zeigen, daß kollektive Arbeit nur möglich ist, wenn die Interessen der Produzierenden grundsätzlich übereinstimmen. Um diesen ‚Konsens’ im Ensemble zu fördern, dieses Papier: Wir betrachten Theater als ein Mittel zu unserer Emanzipation. Wir wollen versuchen, als bürgerliche Schauspieler unseren bürgerlichen Individualismus durch kollektive Arbeit am Theater zu überwinden, um sozial wirksam zu werden […].“3Zitiert nach Roswitha Schieber: Peter Stein. Ein Protrait, Berlin 2005, S. 93f.

Das ist hier nicht zitiert, um zu sagen, dass die damaligen politischen Ideen in dieser Form heute fehlen würden – tatsächlich ist vieles an der damaligen Theorie und Praxis zu kritisieren, allerdings lohnt die Auseinandersetzung damit. Es bestehen heute sicher für die nachhaltige emanzipatorische Arbeit ganz andere Herausforderungen als damals – vor allem, wenn wir sehen, dass heute der Anlass zur Emanzipation erst (oder schon) der erlittene Übergriff im Sinne eines juristischen Tatbestandes ist – zum Beispiel erkennbar als Sexismus – und dass jenseits solcher Übergriffe und Belästigungen keine grundsätzlichen Probleme für das Arbeiten innerhalb eines oft hierarchisch strukturierten Betriebs gesehen werden. Wenn in jedem Fall akzeptiert wird, dass Regie und Intendanz immer das letzte Entscheidungsrecht haben und hierbei über andere Körper und Ideen urteilen können, dann ist es schwerer, Diskriminierungen und Abwertungen etwa in Probenprozessen als soziales und künstlerisches Problem zu markieren.   

Emanzipation von Theaterschaffenden bedeutet, sich Wissen über die eigenen Rechte als Arbeitnehmer*in anzueignen und für diese Rechte solidarisch mit anderen Kolleg*innen und anderen Berufsgruppen einzutreten. Es gilt auch, Arbeit als solche zu benennen und nicht lediglich von Kunst und Liebe zu sprechen, da tatsächlich alle Körper – sogar die kunstliebendsten – auch materielle sowie Ruhe- und Schutzbedürfnisse haben. (Wer es als Akt der künstlerischen Freiheit ansieht, sich selbst zu schädigen, darf das tun, aber niemand sollte von Anderen – wie indirekt auch immer – dazu aufgefordert werden.) Außerdem brauchen alle eine Anerkennung für ihre Arbeit und Mitarbeit, auch diejenigen, denen nicht öffentlich applaudiert wird (das betrifft einen Großteil der Theatermitarbeiter*innen), und alle – von den Ausstattungsassistent*innen über die Techniker*innen bis zum Kassenpersonal – brauchen die Möglichkeit, ihre Ideen, Erfahrungen und Kritikpunkte einbringen zu können. Kritik zu äußern, sollte als konstruktive Mitarbeit begrüßt werden – und niemand, auch nicht die Vorgesetzten, sollten sich davor fürchten. Emanzipierte Theaterschaffende sind die, die nicht mehr „unter“ einer Intendanz arbeiten, sondern mit Kolleg*innen. Es sind die, die auf viele verschiedene Ideen von Kunst und Theater und Wirklichkeit neugierig sein können – auch hier ohne Angst, nicht ‚auf der richtigen Seite‘ zu stehen. (Das heißt, rechte Gesinnungen sind von dieser Vielfalt ausgeschlossen, denn hier dominieren starre Vorstellungen von ‚richtig‘ und ‚falsch‘.)

SARAH WATERFELD

Wir haben schon sehr früh Kontakt zu Journalist*innen aufgenommen. Allen Betroffenen kann ich nur raten, möglichst früh die Presse als vierte Gewalt im Staat einzuschalten, Menschen mit Erfahrungen und kurzem Draht zu Jurist*innen. Auch das ist nicht nur eine praktische, sondern auch eine emotionale Stütze, da es den Kreis an erfahrenen, gleichzeitig aber diskreten Gesprächspartner*innen erweitert. Strategien können abgewogenen werden, Argumente überprüft. Dafür braucht es auch nicht das Einverständnis von Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Gewalt und Belästigung e.V., mit der die betroffenen Frauen später zusammenarbeiteten. Ich erwähne das, da auf der Themis-Homepage seit dem ‚Fall Dörr‘ eine Erklärung zu finden ist, in der betont wird, dass sie keine Unterlagen an Journalist*innen weitergeben. Soweit ich weiß, hat dies auch niemand behauptet. Später hat auch der Arbeits- und Medienrechtler, der unser Kollektiv seit Jahren betreut, Teile der Frauen beraten. 

Trotzdem vergingen wieder Monate, bis sich die Betroffenen soweit organisiert hatten, dass sich alle gemeinsam in einem Online-Meeting mit der Beschwerdestelle Themis versammelten und auch gemeinsam eine junge Filmemacherin online trafen, die uns inzwischen vermittelt worden war. Zuvor hatte es schon ein Präsenz-Treffen in kleinem Kreis gegeben mit dieser Journalistin, die einen wichtigen Teil der Recherchearbeit im ‚Fall Dörr‘ geleistet hat und für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender arbeitet. Das war Anfang November. Doch mit den Wochen zeichnete sich ab, dass die meisten betroffenen Frauen nicht den Mut aufbrachten, ihre Geschichte in einem Beitrag im Fernsehen zu erzählen oder erzählt zu sehen. Ihnen wurde vollständige Anonymisierung angeboten, die Möglichkeit, Begebenheiten mit Comics nachzustellen oder ein Interview vor der Kulisse einer anderen Stadt und verfremdet. Allerdings hätte es auch mehrere Frauen geben müssen, die mit Klarnamen auftreten. Das wollten die Allermeisten nicht. 

Ich muss hier noch einmal klarstellen: Auch wenn Geschichten anonymisiert veröffentlicht werden, müssen selbstverständlich die Journalist*innen und Justiziar*innen des jeweiligen Mediums die Namen kennen und auch eidesstattliche Erklärungen einholen, wenn es keine anderen Beweise gibt, wie zum Beispiel Screenshots von SMS, Zeug*innen usw.

Auch muss der Beschuldigte oder die Beschuldigte rechtzeitig über den anstehenden Bericht informiert werden. Klaus Dörr hat also vor Veröffentlichung der Artikel in der tageszeitung (taz), zuerst am 12. und dann noch einmal ausführlich in der Wochenendausgabe am 13./14. März 2021, einen Fragenkatalog erhalten und hatte die Möglichkeit, per einstweiliger Verfügung gegen die Artikel vorzugehen. Für diesen Fall hätte die Zeitung dann dem Gericht die Beweislage präsentieren müssen. Es entscheiden also bei jeder einzelnen Formulierung die Justiziar*innen der Zeitung, ob sie so in Ordnung bzw. juristisch wasserdicht ist. 

Es wurden dann von allen Betroffenen der Volksbühne schriftliche Berichte bei Themis eingereicht. Berichte von Opfern anderer Theater, an denen Dörr arbeitete, wollte Themis nicht, da sie nur für aktuelle Arbeitsverhältnisse zuständig sind. Die Verschriftlichung der Erlebnisse ist eine große Hürde, finde ich, sich festlegen müssen auf eine bestimmte Formulierung. Es macht einen Unterschied, ob ich schreibe, jemand sei einen Schritt auf mich zugegangen, oder jemand habe mich bedrängt. Mit dieser Aufgabe waren die Betroffenen allein. 

Themis hat dann auf Grundlage der eingereichten schriftlichen Berichte einen Beschwerdebrief verfasst. Die Frauen hatten die Gelegenheit zur Korrektur und nahmen diese auch wahr. Nur drei Tage nach Übermittlung des Briefs an den Kultursenat gab es ein Online-Meeting mit den betroffenen Frauen, Themis und vier Vertreter*innen des Senats, inklusive dem Kultursenator. Für manche war das sehr nervenaufreibend und beängstigend. Immerhin hatte der Kultursenator den Intendanten ja eingestellt und nachgerade als Retter der Volksbühne ausgewiesen nach Dercons Kündigung. 

In dem Online-Meeting sollten die Frauen dann in der Gruppe ihre Erlebnisse schildern. Ich muss leider sagen – mit Safer Space und Opferschutz hatte das nichts zu tun.

Aber Themis hat an diesem Verfahren keinen Anstoß genommen, das hat mich befremdet. Überhaupt niemand in diesem Gespräch hat das Format und das Setting explizit in Frage gestellt. Die Frauen, die mir davon berichteten, hatten unterschiedliche Meinungen dazu. Es wurde teilweise als beruhigend empfunden, in so einer großen Gruppe nur eine von vielen zu sein. Andere sahen es so wie ich, wollten aber nicht anecken mit einer Beschwerde darüber. 

Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Frauen einzeln und – gegebenenfalls in Begleitung einer psychologischen Betreuung – mit einer Anwältin oder einem Anwalt vertraulich sprechen können. 

Die schriftlichen Berichte der Frauen gingen dann im Anschluss an dieses Meeting auch an den Kultursenat. Es tut mir leid, dass ich das hier kritisieren muss, aber mir ist die Leistung von Themis nicht ganz klar. Sie haben einen Beschwerdebrief formuliert anhand der schriftlichen Berichte, die dann aber auch direkt an den Senat gingen. Formaljuristisch hat dieser Brief, formuliert von der Mitarbeiterin eines privaten Vereins, nicht mehr Gewicht als ein Brief, den die Frauen selbst verfasst und verschickt hätten. Das Verfahren hat vor allem Zeit in Anspruch genommen, Zeit, in der immer wieder auf die Ängste und Zweifel der Frauen, die mit jeder Woche zunahmen, eingegangen werden musste. 

Es ist laut Themis wohl so, dass nur 3 % aller Betroffenen, die sich an die Vertrauensstelle wenden, auch wollen, dass ihr*e Arbeitgeber*in davon erfährt. Dieses Verhältnis sollte uns alarmieren und verweist doch auch darauf, dass noch einmal grundsätzlich über die Verfahrensweise bei Beschwerden wegen sexueller Belästigung und Gewalt in der Theaterbranche (und sicher auch bei Film und Fernsehen und anderswo) nachgedacht werden muss. Der beschuldigte Intendant Dörr war ja noch am Haus, es fanden Meetings mit ihm statt usw. 

Die Frauen organisierten sich im Grunde konspirativ – und das musst du nervlich als Betroffene erst einmal durchstehen. Die Aussage – „ich habe solche Angst, der hat solche Macht“ – habe ich in dem halben Jahr vor dem Rücktritt etwa 2000 Mal gehört. Ich will damit sagen, dass es ein noch sehr viel besseres Verfahren für solche Machtmissbrauchsfälle geben muss. Da muss sehr viel mehr Geld in die Hand genommen werden, damit nicht nur Opferschutz gewährleistet ist, sondern auch eine adäquate Betreuung der Betroffenen und Traumatisierten stattfindet. 

Dann ist natürlich das Konkurrenzsystem an Theatern und insgesamt in unserer Gesellschaft ein Problem für kollektives emanzipatorisches Handeln. Im taz-Artikel stand der Satz: „Die Frauen sind keine Freundinnen.“ Nun, das ist eine Beschönigung. Es gab Betroffene, die wollten, dass Themis in einer Mail an den Kultursenat formuliert, dass keine Kündigung des Beschuldigten gewollt ist. Am Ende haben sich glücklicherweise diejenigen durchgesetzt, die so einer Aussage nicht zustimmten. Der Satz wurde gestrichen. Für mich persönlich war das schon seltsam. Frauen beschweren sich wegen sexueller Belästigung und wollen aber schriftlich festgehalten wissen, dass sie sich ein Fortwirken des Belästigers wünschen. Ich denke, es geschah aus Angst. Falls er nicht gehen muss und weiterhin im Theaterbetrieb relevant bleibt. 

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Anna Volkland – „BEZIEHUNGEN“

Worin wurzelt diese „Macht“ von Theaterchefs, die solche Angst macht? Macht ist keine Eigenschaft einer Person, sondern wird soziologisch als Beziehung zwischen sozialen Akteur*innen beschrieben. Es wurde schon häufiger erklärt, dass ein entscheidendes Problem der Angestelltenverhältnisse in Theaterbetrieben darin liegt, dass es sich hier um ein Berufsfeld handelt, in dem Menschen einander permanent in Bezug auf ihre Qualifiziertheit bzw. eher „Geeignetheit“, ihre „Begabung“ und vor allem persönlichen Passung („die Chemie muss stimmen“) einschätzen bzw. beurteilen. Das heißt, die Kriterien, die über Einstellungen, Einladungen und Wertschätzung (auch ausgedrückt durch Auszeichnungen oder Stipendien etc.) entscheiden, sind in hohem Maße subjektiv und von persönlichen Erfahrungen und Wertmaßstäben geprägt. Anders als in bürokratischen Organisationen sind Zeugnisse oder formale Abschlüsse dagegen weitgehend irrelevant, wenn es darum geht, sich auf dem Arbeitsmarkt Theater positionieren zu wollen, wobei es nicht vollkommen unwichtig ist, an welchen Institutionen (und mit wem) gelernt oder gearbeitet wurde. Es handelt sich um ein Berufsfeld, in dem eine große Mobilität herrscht und Arbeitspartnerschaften wechseln, alle aber permanent im Austausch miteinanderstehen und vor allem: im Austausch über einander. Relevant sind hier die Meinungen und Urteile vor allem derjenigen, die andere engagieren und einladen können: Kurator*innen, Chefdramaturg*innen, bekannte Regisseur*innen etc. – und natürlich Theaterleiter*innen. Die Arbeitssoziolog*innen Axel Haunschildt und Doris Eikhof haben das etwa in ihrem 2004 unter anderem in Theater heute veröffentlichten und immer noch sehr lesenswerten „Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“ („Haupttitel: „Die Arbeitskraft-Unternehmer“, gemeint waren vor allem Schauspieler*innen) beschrieben. Auch, welcher Stress und welche permanente Notwendigkeit strategischer Kommunikation und strategischer sozialer Interaktion daraus resultiert, während gleichzeitig genau ein Agieren im Sinne von Karriere- oder auch nur Berufsplanung verschleiert wird: Es dominiert immer die Behauptung des „reinen“ gegenseitigen Interesses aneinander – aus Gründen der Freundschaft oder aus Begeisterung für die jeweilige künstlerische Arbeit. Tatsächlich geht es um Arbeitsmöglichkeiten, aber nicht um irgendwelche, sondern um „gute“, die Sinn und Befriedigung eigener künstlerischer Bedürfnisse versprechen – und sei es erst auf lange Sicht, weil jedes Projekt, jeder Kontakt eine Chance bieten, zu einem weiteren Arbeitszusammenhang zu führen.

„Die Überzeugung ‚Gute Leute bekommen auf lange Sicht auch gute Rollen’ leisten sich dabei eher erfolgreichere Schauspieler, die Mehrheit dagegen sieht Engagement- und Besetzungsentscheidungen eindeutig als Resultat sozialer Kontakte und Freundschaften zu Regisseuren, Intendanten, Dramaturgen und anderen Schauspielern.“4Doris Eikhof/Axel Haunschild: „Die Arbeitskraft-Unternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“, in: Theater heute, Heft 3, 2004, S. 4-17, hier S. 8.

Natürlich, auch darauf ist schon häufiger aufmerksam gemacht worden, handelt es sich hier um Phänomene einer neoliberalen Arbeitswelt, die überall dort auftauchen, wo Menschen Selbstverwirklichung (zu der laut Intendant Ulrich Khuon Schmerz dazugehört, wie er im Interview 2004 erklärte)5Franz Wille: „’Auch Schmerz gehört zur Selbstverwirklichung.’ Ein Gespräch […] mit Ulrich Khuon und den Sozialwissenschaftlern Doris Eikhof und Axel Haunschild“, in: Theater heute, März … Mehr anzeigen und Projektarbeit bzw. befristete Verträge miteinander in Einklang zu bringen versuchen. 

Obwohl besonders im Theaterfeld, wie die Soziolog*innen Eikhof und Haunschild beschreiben, alle einander gegenseitig bewerten und auch Theaterleiter*innen ihrerseits unter dem Druck des Beobachtet- und Beurteiltwerdens stehen (durch Presse und Kulturpolitik), haben besonders die Theaterleitungen (aber auch bekannte Regisseur*innen) die Macht, wirksame Drohungen auszusprechen: Wer sich „falsch benimmt“, darf erwarten, eine negative Bewertung (z.B.: „schlechte Künstlerin“, „schwierig“, „inkompetent“ etc.) durch den oder die Vorgesetzte*n zu erfahren – und infolgedessen bald jegliche Reputation innerhalb „der gesamten Theaterwelt“ zu verlieren, so die durchaus glaubhafte Behauptung. Es wird gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, „das Spiel mitzuspielen“. Ein Intendant formulierte es kürzlich im Interview mit einer Zeitung achselzuckend wie folgt: „Das ist die Brutalität unseres Jobs. Der ist im wahrsten Sinne des Wortes asozial. Aber alle, die sich darauf einlassen, wissen davon.‘“6Jens Neundorff von Enzberg im Gespräch mit Michael Helbing: „Intendant für Eisenach & Meinungen: ‚Ich bin der falsche Feind’“, in: Thüringer Allgemeine, 28.11.2020, online: … Mehr anzeigen (Es ging um die Gepflogenheit von neu antretenden Theaterleitungen, zuvor große Teile des künstlerischen Personals auszuwechseln, sprich: die Mitarbeiter*innen und das Ensemble aus der Amtsperiode der früheren Leitung aus Gründen der „künstlerischen Erneuerung“ – und weil jede Leitung „eigene“ loyale Angestellte braucht – zu entlassen.) Dieser Merksatz aus der Theaterfolklore bedeutet: Man weiß, dass es in der Theaterwelt hart zugeht – und wer damit nicht zurechtkommt, kann sich einen anderen Beruf suchen. 

Sarah waterfeld

Wir als Kollektiv Staub zu Glitzer jedenfalls und Teile der Betroffenen hatten ursprünglich fest mit einer außerordentlichen Kündigung des Intendanten gerechnet. Die hätte nach BGB §626 innerhalb von zwei Wochen erfolgen müssen. Unsere kleine Gruppe hat es sehr erschüttert, dass Anwält*innen entschieden, dass die vorgebrachten Anschuldigungen nicht für eine fristlose Kündigung reichten. 

Für uns hieß das: So etwas, diese Art der Übergriffigkeit, Diskriminierung und Herabwürdigung darf passieren. Für mich persönlich war das ein Schock. Ich würde gerne das Gutachten der Kanzlei sehen. Es kann natürlich auch sein, dass zuvor anekdotisch vorgetragene Vorwürfe im Zuge der Verschriftlichung dermaßen verwässert wurden, dass die Kanzlei zu gar keinem anderen Schluss gelangen konnte. Auch das interessiert mich, denn ich kenne die schriftlichen Berichte nicht.  

Du sagst also einem Opfer, einer gegebenenfalls traumatisierten, verängstigten Person: Schreib mal alles auf. Aber bedenke, falls der Beschuldigte nachher wegen Rufmord klagt, dann ist dein Bericht schon auch Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Und das Gerichtsverfahren ist natürlich öffentlich. Das hören dann alle, vielleicht steht‘s in der Zeitung.  

Ich würde mal sagen, nach so einer Ansage, sind die meisten schon raus. Jede*r Rechtskundige muss das so deutlich formulieren, da es der Realität entspricht. Wir haben das intensiv diskutiert, auch mit unserem Anwalt. Der Opferschutz in unserem Rechtssystem insgesamt ist beschämend. Doch auch eine ordentliche Kündigung Dörrs erfolgte nicht. Wieder vergingen Wochen und wir befürchteten, dass es darauf hinauslaufen könnte, dass die ganze Geschichte vom Kultursenat ausgesessen wird. Danach sah es leider aus, auch, weil wir keinen Einblick in die senatsinternen Vorgänge hatten, sich einfach niemand mehr meldete. 

Auch mit dem Dreh der Reportage konnte nicht begonnen werden, da noch immer nicht genug Frauen bereit waren, daran mitzuwirken. Die Filmemacherin hatte schon monatelang recherchiert und diverse Betroffene aus anderen Städten, von anderen Theatern gesprochen. Am Ende entschieden wir, in kleinem Kreis mit der taz zu sprechen. 

Ich habe dann das erste Gespräch mit der taz-Autorin Viktoria Morasch geführt und noch am selben Tag gab es ein erstens Online-Meeting mit Morasch, in dessen Verlauf ich erst Betroffene davon überzeugen musste, ihre Kamera einzuschalten und ihren Namen zu nennen. Ich möchte hier nochmal ganz klar sagen: Dass meine monatelange Arbeit in dem Artikel mit keiner Silbe erwähnt wird, hat mich schwer enttäuscht. Das ist nicht feministisch. Ich habe im Anschluss noch einmal mit Morasch dazu gesprochen und sie gebeten, das wieder gutzumachen, vielleicht in einem späteren Hintergrundartikel, einem Interview, whatever. Sie hat sich seither nicht gemeldet. 


Anna Volkland – „helfen?“

An dieser Stelle habe ich eine Nachfrage und interveniere ausnahmsweise direkt in Deinen Bericht und spreche Dich direkt an, Sarah: Wie hättest Du Dir gewünscht, dass die Rolle von Staub zu Glitzer oder aber Deine persönliche Rolle im taz-Artikel vom 13. März (oder später) geschildert wird? Es gibt diesen – ich glaube, sehr christlichen – Satz: „Tue Gutes und schweige darüber.“ Der ist vielleicht bei einigen von uns als Moral noch tief verankert. Gleichzeitig ist dieses Schweigensollen natürlich auch ein wenig eigenartig … Ich unterstelle der Journalistin erst einmal gar keine Bösartigkeit, sondern denke, dass es vielleicht auch ein Stück Hilflosigkeit ist, diese Deine/Eure Rolle zu benennen. Es gibt, scheint mir, noch kein Narrativ für diejenigen, die – nicht selbst betroffen und ganz freiwillig – Anderen helfen, sich zu beschweren und sie aktivistisch begleiten. 

Würdest Du Dein/Euer Engagement als zivilgesellschaftliche Courage bezeichnen oder solidarischen Aktivismus oder sogar eher ein – ja journalistisch schon etabliertes – Held*innen-Narrativ verwenden? Letzteres kennen wir eher in Bezug auf Männer, etwa: „Er rannte ins Feuer, die Feuerwehr war noch nicht vor Ort, und rettete – unter eigener Lebensgefahr – das bereits halb ohnmächtige Kleinkind …“ – Wie Du den Fall der Volksbühne beschrieben hast, gab es diese geforderte, sehr schnelle Reaktion, die ein Nachdenken über die eigenen Gefahren tatsächlich unmöglich macht, aber gar nicht – es handelte sich im Gegenteil um einen langwierigen Prozess – und zum anderen war Dein/Euer Leben auch nicht in Gefahr, was aber scheinbar immer wichtig ist für das Narrativ der „selbstlosen Held*innen“ … 

Ich denke, ‚solidarischer Aktivismus’ passt als Begriff am besten, aber gleichzeitig erzeugt das bei Menschen die meisten Fragen nach der Motivation einer solchen Mühe für Andere, von der die Helfer*innen selbst gar nichts zu haben scheinen … Wie würdest Du also die eigene Motivation dieses Engagements beschreiben? 

Sarah Waterfeld

Unser Kollektiv hat sich im Jahr 2017 allein aus dem Grund gegründet, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu reformieren und dafür haben wir viele hunderte Partner*innen gewinnen können, denen wir bis heute eng verbunden sind. Auch seit der Räumung [der durch Dercon angeordneten polizeilichen Beendung der sogenannten Besetzung der Volksbühne im September 2017, A.V.] haben wir nichtmonetär und ehrenamtlich an theater- und stadtpolitischen Themen gearbeitet, haben vier Monate lang ein Containerschiff in der Rummelsburger Bucht besetzt, einen alternativen Volksbühnen-Gipfel veranstaltet und die KeinHausWeniger-Gala im Festsaal Kreuzberg, haben Unterstützer*innenlisten für linke Kulturprojekte erarbeitet und Menschen gewinnen können wie Donna Haraway, Elfriede Jelinek, Frigga Haug usw. 

Für uns ist der Zustand unserer Gesellschaft so alarmierend, dass wir es für unsere Pflicht halten, uns zu engagieren. 

Ich bin damals dem Kollektiv beigetreten, um über den ganzen Prozess schreiben zu können, über „B6112“, unsere transmediale Inszenierung, die häufig als Besetzung bezeichnet wird. Vorher habe ich „transmediale Strategien politischer Intervention“ an der Uni Potsdam gelehrt und hatte schon eine transmediale Romanreihe verfasst. Ich sage das, um klar zu machen: Ich hatte nicht nur als Mitglied von Staub zu Glitzer ein Interesse daran, das Femwashing Dörrs an der Volksbühne zu entlarven – wir haben uns ja von Beginn an öffentlich sehr kritisch zu seinem Programm geäußert. Ich hatte auch als Autorin Interesse an dem Kampf der Frauen in all seinen Details, mit all den Abgründen. Ich beende gerade den Roman zur Sache. Selbstverständlich wissen und wussten das die Frauen, die ich begleitete. Es ist der zweite Teil meiner Volksbühnen-Trilogie. Männer denken übrigens immer, ich mache einen Scherz, wenn ich sage, woran ich arbeite. Sie halten eine Volksbühnen-Trilogie wohl für überambitioniert. Meine Romane komponiere ich nach einer speziellen Poetik der Mimesis 2.0. Es ist demnach transmediale, engagierte und emanzipatorische Literatur. Damit will ich nur sagen, den Frauen zu helfen war nicht nur die reine Selbstlosigkeit, sondern ich war auch als Literatin von Kampfeswillen und Neugierde getrieben. 
Es gab tatsächlich ein, zwei Mal den Punkt, an dem ein Aufgeben im Raum stand und ich habe ganz egoistisch gedacht: Ich will, dass dieser verdammte Roman ein Happy End bekommt, wo doch schon der erste mit einer dramatischen Räumung endet. Es war nicht mein erster Kampf und wird auch nicht mein letzter sein. 

Sarah waterfeld

Als der taz-Artikel dann endlich erschien, nachdem die Filmemacherin, mit der wir monatelang arbeiteten, ihre Rechercheergebnisse mit Morasch geteilt hatte, ließ Dörr verlautbaren, die Vorwürfe seien haltlos. Wir hatten für diesen Fall schon etwa zehn Tage vorher begonnen, Erstunterzeichner*innen für eine Petition, in der der Rücktritt verlangt wurde, in Einzelgesprächen zusammenzusuchen. 

Das hat viel Unruhe verursacht. Es gab dann Personen, die juristisch gegen diese Petition vorgehen wollten. Das ist dann schon nicht mehr nur antifeministisch, das ist schon antidemokratisch. Es steht selbstverständlich jeder Bürger*in frei, gemeinsam mit Erstunterzeichner*innen eine Petition aufzusetzen zu egal welchem Sachverhalt, und anderen steht es frei, diese Petition zu kritisieren oder zu ignorieren oder eine Petition mit gegenteiligem Inhalt zu verfassen, oder sich anders öffentlich zu äußern. 

Die betroffenen Frauen jedenfalls, die auf einem Rücktritt oder einer Kündigung Dörrs bestanden, waren extremem Druck ausgesetzt. Ich habe den allergrößten Respekt vor ihnen. Und ich hoffe, dass sie sich eines Tages so sicher fühlen, wissen, dass sie aufgefangen werden in der Theatercommunity, dass sie öffentlich über das Erlebte sprechen können, um andere zu ermutigen, denselben Weg zu gehen und gegen Machtmissbrauch vorzugehen. Dass sie es heute noch nicht können, ist nicht ihre Schuld. Das liegt an unserer Gesellschaft. 

Die Frage ist doch nicht nur, wie verunmöglichen wir Machtmissbrauch, sondern auch: wie können wir Arbeits-, Wohn- und Lebensräume schaffen, in denen Macht und Verantwortung möglichst gleich verteilt sind, in denen alle als gleichwertige und gleichberechtigte Partizipierende wirken. Theater müssen sich verändern und ich halte „B6112“ aktuell noch immer für den spannendsten Vorschlag in der Debatte. Aber wir werden sehen, was noch kommt.

ANNA VOLKLAND – „WELCHE FREIHEIT?“

Die Auseinandersetzungen um Recht und Unrecht gehen in den verschiedensten gesellschaftlichen Feldern weiter. Im Feld des professionellen Theaterschaffens werden immer wieder Stimmen laut, die meinen, angesichts aktueller Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen und vor allem innerhalb der Stadttheaterlandschaft, an die alten „Weisheiten“ der Theaterfolklore erinnern zu müssen: Theater sei Kunst und Kunst sei kompromisslos und nicht „sozial“, sie dürfe nicht „reguliert“ werden, sie müsse „frei“ sein, rücksichtslos sogar usw.. Bürokratisierung und gar Zensur werden gefürchtet, die letzten unangepassten Großgenies argumentativ in Schutz genommen gegen eine vermeintliche Kleingeistigkeit gutmenschenhafter Theateraktivist*innen. Wie oben schon erwähnt:

‚Wer zu empfindlich ist, ist am Theater falsch‘ – so die Idee. 

Dramaturg Carl Hegemann steht als früherer Mitarbeiter von Frank Castorf und Christoph Schlingensief nicht unbedingt unter Verdacht, zu den vermeintlich empfindlichen Theateraktivist*innen zu gehören. In seinem zuerst 2018 erschienenen und jetzt in seinem neuen Buch Dramaturgie des Daseins, Everday live wieder abgedruckten Aufsatz „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“ erklärt er allerdings, dass die Grenze zwischen Kunst und Leben zwar nicht immer ganz trennscharf zu ziehen sei, gleichzeitig aber ein wichtiger Unterschied zwischen Tyrannei und Freiheit, zwischen Grenzüberschreitungen auf und hinter der Bühne bestehe und letztere auch künstlerisch fraglos kontraproduktiv seien:

„Die ästhetischen Freiheiten des schönen Scheins [nach Schiller] zum politischen Programm zu erklären, um die Welt nach ästhetischen Kategorien zu perfektionieren, ist kein Weg zur Befreiung, sondern der Einbruch totalitärer Gewalt. Gerade im Theater herrscht deshalb ein verschärftes Gewaltverbot. Weil man sich im Spiel auf menschliche Abgründe, auf ungebändigte Natur, auf unwahrscheinliche Sensationen einlässt und das, was einem sonst einfach passiert, autonom produziert, bedarf es großer Sachlichkeit und Nüchternheit bei der Herstellung dieser Kunstwerke. Gewaltexzesse und Psychoterror, Intimität und Verrat auf die Bühne zu bringen, ist leichter, wenn außerhalb der Bühne und bei der Herstellung des Kunstwerks (bei den Proben) Vorsicht und Rücksicht herrschen, auch wenn sich Parallelen zwischen Kunst und Leben nicht immer fein säuberlich trennen lassen. Die Exzesse der Kunst und speziell des Theaters lassen sich nur diszipliniert und möglichst unabhängig von der eigenen Triebstruktur realisieren, das unterscheidet sie strukturell von den Exzessen der Könige, die [Eli] Sagan [in „Tyrannei und Herrschaft“] beschreibt.“7Carl Hegemann: „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“, in ders.: Dramaturgie des Daseins, Everday live, Berlin 2021, S. 54f.

Was hat nun das allem Anschein nach besonders Frauen gegenüber übergriffige und respektlose Verhalten eines Theatermannes wie Klaus Dörr mit irgendwelchen Ideen von Kunstfreiheit zu tun? Richtig, nichts. Dörr ist auch kein Künstler, sondern studierter Wirtschaftswissenschaftler. Das hat ihn sicherlich angreifbarer gemacht als manch anderen, der sich als (meist regieführender) Künstlerintendant versteht und für seine besondere künstlerische Arbeit Anerkennung genießt. Wenn Dörr auf einer Premierenfeier – vor ein paar Jahren schon, noch als Stellvertreter des Intendanten Armin Petras am Schauspiel Stuttgart – etwa einer engen Mitarbeiterin gegenüber feststellt: „Du bist eine scheiß Assistentin, aber jeder will dich ficken.“ (zitiert nach: taz, 13.03.2021), bewegt er sich so eindeutig fern jeder Kunst und innerhalb einer „öden Alltagsrealität“ des männlichen Chauvinismus, dass selbst Bernd Stegemann (der sonst fordert, die Probe dürfe nicht zum korrekten Verwaltungsvorgang werden) kaum widersprechen könnte. Tatsächlich sagen aber auch andere Theatermänner solche Sätze und auch Theaterfrauen in Machtpositionen sind nicht qua Geschlecht „netter“. 

Die (noch) öffentlich finanzierten Theater stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen – die klassischen Themen seit Jahrzehnten bestehen immer noch in der strukturellen Unterfinanzierung und im niemals leicht zu gewinnenden Publikum. Die gute Nachricht ist: Kein Verhalten, das dazu gedacht ist, Mitarbeiter*innen einzuschüchtern, zum Schweigen, zum Funktionieren und zum Gehorsam zu bringen, muss von irgendwem akzeptiert werden. Das Verschweigen und Akzeptieren von Übergriffen dient weder der Rettung der Häuser noch der Kunst. 


1 Anm. d. Redaktion: Sprache befindet sich im ständigen Wandel. Die Schreibweisen Frauen* und weiblich* galten zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes als inklusiv für Menschen, die durch Sexismus strukturell benachteiligt werden. Mittlerweile werden diese Bezeichnungen aufgrund ihrer Ungenauigkeit und Reproduktion sexistischer Stereotypen im Antidiskriminierungskontext nicht mehr verwendet. Stattdessen werden Begriffe benutzt, die genauer beschreiben, wer jeweils gemeint ist – z. B. „FLINTA*“. In jüngeren Blog-Texten und Interviews wurde auf die Schreibweise Frauen* und weiblich* deshalb verzichtet.

Referenzen

Referenzen
1 Clever zitiert nach Erich Emigholz, „30 Fragen zum Bremer ‚Tasso‘“, in: Canaris Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 150 f.
2 Ebd., S. 151.
3 Zitiert nach Roswitha Schieber: Peter Stein. Ein Protrait, Berlin 2005, S. 93f.
4 Doris Eikhof/Axel Haunschild: „Die Arbeitskraft-Unternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“, in: Theater heute, Heft 3, 2004, S. 4-17, hier S. 8.
5 Franz Wille: „’Auch Schmerz gehört zur Selbstverwirklichung.’ Ein Gespräch […] mit Ulrich Khuon und den Sozialwissenschaftlern Doris Eikhof und Axel Haunschild“, in: Theater heute, März 2004, S. 12.
6 Jens Neundorff von Enzberg im Gespräch mit Michael Helbing: „Intendant für Eisenach & Meinungen: ‚Ich bin der falsche Feind’“, in: Thüringer Allgemeine, 28.11.2020, online: https://www.thueringer-allgemeine.de/kultur/intendant-fuer-eisenach-meiningen-ich-bin-der-falsche-feind-id231022298.html [Inzwischen ist der Artikel online nicht mehr frei verfügbar.]
7 Carl Hegemann: „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“, in ders.: Dramaturgie des Daseins, Everday live, Berlin 2021, S. 54f.

„Das ist so kitschig, das würde sogar Erdoğan gefallen“, sagte mir ein alter weißer Mann, der an der HfG Offenbach1Die Hochschule für Gestaltung Offenbach bietet die Studiengänge Kunst und Design an und genießt mit einem aufwendigen Aufnahmeverfahren und etwa 750 Studierenden einen hervorragenden Ruf. als Professor für Markenstrategie unterrichtete. Als ich mich 2017 an deutschen Kunstuniversitäten bewarb, wurde ich mit autoritären Machtdemonstrationen, Rassismus, Sexismus und toxischer Männlichkeit konfrontiert – und stelle mir nun die Frage, inwiefern die Strukturen von Kunstuniversitäten pädagogisch verändert werden müssen, um solchen Dynamiken entgegenzuwirken. 

Bevor es überhaupt losging 

Um sich für den Studiengang Kunst an der HfG Offenbach zu bewerben, braucht es Zeit: Für die Bewerbungsunterlagen, ein Portfolio mit mindestens 30 Facharbeiten, die künstlerische Eignungsprüfung und mehrere Mappensichtungen im Voraus, die dringend empfohlen werden. Dort schauen sich Professor*innen der Hochschule vor anderen potentiellen Bewerber*innen die Mappen an und sollen eigentlich konstruktives Feedback geben. Bei solch einer Mappensichtung befand ich mich 2017 und wartete, bis ich dran war. Vor mir bewarben sich Menschen mit Abschlüssen von verschiedenen Kunstakademien und zeigten ihre Werke und Lebensläufe. Der zuständige Professor jedoch machte sich genüsslich über die Deutschkenntnisse von Bewerber*innen lustig, anstatt eine Einschätzung oder Kritik der Arbeiten anzubieten: Er fragte eine Südkoreanerin, wieso die Illustrationen denn nicht im Manga-Stil gestaltet wurden. „Manga passt doch so gut zu dir“, bemerkte er. Ihre Fotografiearbeit zu Rotweinsorten wurde kommentiert mit „Gibt’s bei euch in Korea überhaupt Wein?“ Einer anderen Person sagte er „Das ist ja so bedrückend wie euer China“, woraufhin diese konterte: „Ich bin aus Japan.“ Während die Arbeiten von männlich gelesenen Personen mit unkommentiertem Kopfnicken bestätigt wurden, mussten sich viele Bewerberinnen solche Sticheleien anhören. 

Und nun war ich dran – meine Gefühlslage war eine unangenehme Mischung aus Nervosität und unterdrückter Wut. Bevor es überhaupt losging, fragte er mich penetrant nach meiner ‚Herkunft‘ – meine Antwort „Ich bin aus Frankfurt, gleich hier um die Ecke“ reichte natürlich nicht. Nach einer Weile gab ich nach. „Aha“ antwortete er, und während des Sichtens meiner Mappe wiederholte er dann viermal: „Das ist so langweilig, so kitschig, dass es sogar Erdoğan gefallen würde“ und schaute mich provokant an. Es war der Teil meiner Mappe, welcher nicht der ,westlichen‘ Ästhetik entsprach. „Das hat doch gar nichts mit Kunst zu tun“ sagte ich perplex. „Ja, genau deswegen“ antwortete er willkürlich. 

© Sarah Böttcher

Eine falsche Assoziation, die im Übrigen (unabhängig von der diskriminierenden Aussage) nicht einmal auf meine Familiengeschichte und Antwort zutrifft. Ich erinnere mich, dass ich trotzdem den gesamten Rückweg „nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen“ in meinem Kopf wiederholte. Und darauf folgend: „Wieso habe ich nicht besser gekontert oder wenigstens den Anderen geholfen?“ Peinlich berührt realisierte ich, dass ich nach diesen Machtdemonstrationen keine Zivilcourage geleistet habe, weil ich einen guten Eindruck hinterlassen wollte, um an der Universität angenommen zu werden. Mein zukünftiger Studienort als auch die Bewertung meiner Arbeiten hingen davon ab, wie er mich wahrnimmt: Ich rebellierte nicht, um nicht als wütende Migrantin abgestempelt zu werden. 

Diese Dynamik funktionierte, da sich der Professor als einzige Person im Raum zu den Arbeiten äußern durfte – nach anderen Meinungen wurde weder gefragt, noch waren sie erwünscht. Von seinem privilegierten Standpunkt aus spielte er mit der Unsicherheit der Bewerber*innen: Die hierarchische Situation wurde für vermeintliche Witze und unprofessionelle Bemerkungen genutzt. Welcher Ästhetikbegriff hierbei eine Rolle spielte, wurde durch das Betonen der assoziierten ‚kulturellen‘ Zugehörigkeit ebenso klar: Deine ‚Herkunft‘ bestimmt über deine Mappe, und nicht andersherum. Entweder passt du zur HfG, oder deine Arbeit ist zu ‚fremd‘ und ‚kitschig‘. 

Von Zuschreibungen und Betroffenheit 

Die Vorstellung, als etwas abgestempelt zu werden, oder auch Sich-Denken-Was-Der-Andere-Von-Einem-Denkt, öffnet die Büchse des internalisierten Wahnsinns. Hierbei werden nicht nur die eigenen politische Haltungen, sondern auch Emotionen unterdrückt oder hinterfragt. Das Dilemma, sich von zugeschriebenen Rollen (hier: die wütende Migrantin, die keine Abweisung verkraften kann) zu distanzieren und zugleich antidiskriminatorische Arbeit leisten zu wollen, beschreibt Sara Ahmed mit der Figur des Feminist Killjoys: Eine Spielverderberin*, die, egal wie sie spricht, als Feministin* wahrgenommen wird, die ständig Probleme verursacht. Und dadurch selbst das Problem verkörpert.2Ahmed, Sara: Living a Feminist Life, Duke Univ. Press (2017)

Am Beispiel der Mappensichtung in Offenbach – wie auch in vielen anderen Fällen – ist aber der zu beachtende Punkt, dass von Diskriminierung Betroffene nicht die Pflicht tragen, den*die Täter*in zu konfrontieren. Denn letztere haben in den Strukturen der Kunstuniversitäten die Möglichkeiten, ihre Macht und Überlegenheit zu demonstrieren – und das nutzen sie oftmals auch. So entsteht eine Wissenshierarchie, in der überwiegend westeuropäische Künste wertgeschätzt und legitimiert werden. Wenn Lehrende eine ästhetische Sprache auferlegen, reproduziert das weiterhin die bestehenden Strukturen, was bei Lernenden negative Folgen im Studienalltag auslöst. Laut Ira Shor zählen dazu Selbstzweifel, Empörung, Frustration und Langeweile: „These […] are commonly generated when an official culture and language are imposed from the top down, ignoring the students’ themes, languages, conditions, and diverse cultures.“3Shor, Ira: Empowering Education: Critical Teaching for Social Change (1992) 23

© Sarah Böttcher

Das unbenannte Vorwissen und Verständnis einer ästhetischen Sprache formulieren sich unter anderem wie folgt: „Diesen Künstler müssten Sie aber kennen!“ Es wird angenommen und vorausgesetzt, dass Studierende ähnlich sozialisiert sind wie Lehrende, sei es eine vergleichbare Bildungssituation oder ein bestimmtes Kunstverständnis und ‚Allgemeinwissen‘. Dies äußert sich oft durch Abfragen von Referenzen bis hin zur ästhetischen Wertung, deren Begründung oftmals nicht genau benannt werden kann. Der Standpunkt, der hier als lehrende Person eingenommen wird, ist geprägt durch die eigene Bewertung und Wahrnehmung von Künsten.

Diese unausgesprochenen Normen können nur jene verstehen, die auch in einem spezifischen kulturellen und akademischen Kontext aufgewachsen sind, wodurch sich die Bildungsungleichheit verstärkt. Gerade Kunsthochschulen, die sich als zukunftsorientiert, vielseitig und offen verstehen, bestärken diese Dynamik durch fehlende transkulturelle Kompetenzen.

Dass Studierende of Color besonders betroffen sind in von Diskriminierung geprägten Situationen, zeigen die vielen anonymen Rassismuserfahrungsberichte, die an der Universität der Künste Berlin im Rahmen der Protestaktion #exitracismUDK gesammelt und an den Universitätsfassaden4exitracismUdK ist ein offener Brief mit formulierten Forderungen an die Universität der Künste Berlin, und eine Antwort auf die „mangelnde Solidarität von Seiten der Lehrenden.“ https:// … Mehr anzeigen gezeigt wurden. So schrieb ein*e Queer Student of Color: „Den Lehrenden fehlte es an emotionaler, pädagogischer, sowie (trans)kultureller Sensibilität.“5Ausschnitt eines Erfahrungsberichtes, welcher durch exitracismUdK in der UdK-Ausstellung KUNST RAUM STADT am 16-17.7.2020 gezeigt wurde. „2018 wurde ich für den Master an der  UdK angenommen. … Mehr anzeigen

Die Vorstellung, dass lediglich Betroffene die Aufgabe tragen, Diskriminierungen zu behandeln oder aufzuarbeiten, funktioniert nicht: Es ist ignorant und verwerflich, sich der Verantwortung zu entziehen, bestehende Strukturen weiterzuführen – und von ihnen zu profitieren. Denn nach bell hooks6bell hooks ist Literaturwissenschaftlerin, Professorin, Aktivistin und Autorin intersektionaler, anti-rassistischer und feministischer Bücher.  ist Bildung politisch und findet in einem spezifischen politischen Kontext statt, verbunden mit einem politischen Ziel, auch wenn dieses nicht explizit hervorgehoben wird.7Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016). Lehrende treffen politische Entscheidungen, wenn sie lehren, was im Kontrast zu dem verbreiteten Bild einer objektiven und universellen Bildung steht.

© Sarah Böttcher

Ein Beispiel nehmen an bell hooks

bell hooks formuliert hierbei pädagogische Praktiken, die auf8ebd. Lehrende sowie Lernende zutreffen: Das Bewusstsein davon, dass Bildung politisch ist und dass politische Entscheidungen getroffen werden, was und wie gelehrt wird; die Anerkennung davon, dass der gesellschaftliche Kontext diskriminierende Strukturen aufweist; und das kritische Hinterfragen der eigenen Position.9Eine Positionierung in bestehenden Machtverhältnissen können Angaben zu unter anderem Geschlechtsidentitäten, sexuelle Identitäten, Behinderungen, Rassismuserfahrungen oder ökonomische … Mehr anzeigen Denn Bildung kann und sollte auch ein Werkzeug sein, um Rassismus, (Hetero)sexismus, Ableismus, Antisemitismus und viele weitere Diskriminierungsformen zu überwinden: Indem es zu einer Auseinandersetzung kommt und internalisierte Vorstellungen aufgebrochen werden, geht der Raum des Lernens über die Wissensaneignung hinaus. Im ‚participatory space‘, also einem Raum, in dem die Teilhabe jeder*jedes  Einzelnen möglich ist, wird kritisches Denken trainiert. Das bedeutet auch, dass im Gegensatz zur häufigen Forderung, objektive Fakten zu nutzen, auch individuelle Erfahrungen anerkannt, wertgeschätzt und nicht von der Theoriearbeit getrennt werden. Erst daraus können wertvolle Diskurse und eine feministische, antirassistische, dekoloniale und antiklassistische Lehre entstehen. Kurz: eine kollektive, kritische Praxis.10Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016)

Design, aber dekolonial. 

Im Kontext der Kunstuniversität bedeutet eine kollektive, kritische Praxis auch das Überdenken der Lehrinhalte. Diskurse um Künste, Ästhetik und Design müssen unter anderem antirassistisch, feministisch und dekolonial neu gedacht werden. Das kann nur geschehen, indem sich zuerst mit der (vor allem kolonialen) Geschichte auseinandergesetzt wird, um sie zu reflektieren und in der Lehre widerspiegeln zu lassen. Danah Abdulla erklärt, dass der Designbegriff als kontextbasierte, sich ständig entwickelnde Praxis verstanden werden muss11Abdulla, Danah: Design Otherwise: Towards a locally-centric design education curricula in Jordan (2017) – und nicht als Ergänzung für eurozentristische Kategorisierungen. Das bedeutet also nicht nur eine Erweiterung und das Hinterfragen des Lehrmaterials oder der Referenzen, sondern auch das geschichtliche Aufarbeiten und Benennen des eigenen Standpunkts: Alle sind ein Teil der Praxis der Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse – und deswegen geht es auch alle etwas an. Inwiefern das im Designkontext aufgearbeitet werden kann, zeigt die Forschungsgruppe Decolonising Design12Decolonising Design ist eine Forschungsgruppe, die analysiert, in welchen kolonialen Strukturen Gestaltung und Design agieren. (https://www.decolonisingdesign.com/) sowie Open Source13Teaching Design ist eine Open Source Bibliografie mit dem Fokus auf Designvermittlung in der Bildung aus intersektional-feministischen, dekolonialen Perspektiven. (https://teaching design.net/) Bibliografien wie Teaching Design oder Decentering Whitenes14Decentering Whiteness in Design History Resources ist eine Open Source Bibliografie, die von Designgeschichtsdozent*innen erstellt wurde als Reaktion auf die Forderungen der Studierenden,  … Mehr anzeigen in Design History Resources.

Diese (oftmals von BIPoC aufgearbeiteten) Informationen sind ausreichend vorhanden – die Frage ist nur, wann und wie sich Kunstuniversitäten aufrichtig selbstkritisch reflektieren und pädagogisch neu positionieren, jenseits des oberflächlichen Diversity-Images. 

© Sarah Böttcher

Was wäre wenn?

Wenn ich an die Situation an der HfG Offenbach denke, formuliere  ich viele Was-Wäre-Wenn-Überlegungen, denn in diesem Raum haben allein in einer Stunde etwa sechs Menschen Rassismus und Sexismuserfahrungen gemacht, ausgehend von einem einzigen Professor. Weder seine studentische Hilfskraft neben ihm, noch der andere Professor im selben Raum haben interveniert oder widersprochen, trotz ihrer privilegierteren Position als weiße cis Männer. Wenn der Raum partizipativer gewesen wäre, hätten mehr Menschen auf die Werke reagieren können, wodurch sich die Wissens- und Machthierarchien verschoben oder sogar aufgelöst hätten. Im Falle von diskriminierenden Äußerungen hätten sich nicht nur mehr Menschen wohlgefühlt, zu reagieren – idealerweise hätte sich der Täter nicht wohl gefühlt, diese überhaupt zu äußern. Der Professor wäre vielleicht auch nie berufen worden. Kein „Wo kommst du her“ und „Ihr macht das dort drüben doch so“ oder „Mach das mal, das passt doch so gut zu dir“, keine unterdrückte Wut, Unwohlsein und sich Hinterfragen auf dem Rückweg nach Hause. Und vor allem auch keine kreativen Hemmungen, die sich durch das gesamte Studium ziehen15Als mittlerweile zugelassene UdK-Studentin musste ich erleben, dass der Studienalltag von patriarchaler Hierarchie geprägt ist und von eurozentristischen Bewertungen abhängt, die umso  … Mehr anzeigen, weil die eigene Praxis ständig mit Ästhetikdefinitionen verglichen wird, die man sich zähneknirschend aneignet, um mitreden zu können.

Was wäre also, wenn die Lehrenden an deutschen Kunstuniversitäten all diese Bauhaus-Referenzen16Die Kunst- und Designschule Bauhaus war 1919-1933 aktiv, der Einfluss auf deutsche Kunsthochschulen bleibt weiterhin stark: In meinem Studium der Visuellen Kommunikationwurde ich in vielen Seminaren … Mehr anzeigen in ihrer Lehre mit Werken von BIPoC Künstler*innen, Gestalter*innen und Wissenschaftler*innen ersetzen würden? Oder anders: Was wäre, wenn die Präsenz der sogenannten ‚Bauhaus-Frauen‘ nicht als Frauengleichstellung verstanden, sondern ihre Realität gezeigt wird – nämlich in der Weberei, und kaum in Führungspositionen? Angemessen wäre es, wenn sich der Blick auf die Künste von Grund auf verändert. Denn die Biennale ist nicht nur in Venedig.17sondern auch in: Chengdu, Kairo, Singapur, Breslau, Ulaanbaatar, Porto Alegre, Ouagadougou, Prag, Casablanca, Bukarest, Shanghai, Moskau, Gwangju, Idanha-a-Nova, Havanna, Busan, Istanbul, Athen … Mehr anzeigen

Dieser Beitrag wurde zuerst in der Publikation „Eine Krise bekommen“ veröffentlicht. Studierende der Fakultät Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin schreiben mit kritischem Blick über die Auswirkungen der Pandemie, ambivalente Identitäten und die politische Verantwortung der Kunsthochschule. Die vierzehn Beiträge entstanden im Jahr 2020 – einer Zeit, in der die Gefährdung verwundbarer Gruppen verdeutlicht wurde – aus dem Drang, unterrepräsentierte Auseinandersetzungen und studentische Perspektiven sichtbar zu machen. Sie fordern einen differenzierteren Austausch und Anerkennung marginalisierter Perspektiven in den Räumen der Kunsthochschule – anstelle von leeren Worten zu Vielfalt und Solidarität.

„Eine krise bekommen“ ist im Buchhandel und über den UdK Verlag erhältlich. Zum Preis von 5 Euro + ggf. Versandkosten kann die Publikation hier direkt bestellt werden:
einekrisebekommen@systemli.org

Link zur Online-Publikation:
https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/1469

Anmeldungen zur Releaseparty/Lesung am 19.7.2021:
https://tripetto.app/run/2BJWQFMCZU

Referenzen

Referenzen
1 Die Hochschule für Gestaltung Offenbach bietet die Studiengänge Kunst und Design an und genießt mit einem aufwendigen Aufnahmeverfahren und etwa 750 Studierenden einen hervorragenden Ruf.
2 Ahmed, Sara: Living a Feminist Life, Duke Univ. Press (2017)
3 Shor, Ira: Empowering Education: Critical Teaching for Social Change (1992) 23
4 exitracismUdK ist ein offener Brief mit formulierten Forderungen an die Universität der Künste Berlin, und eine Antwort auf die „mangelnde Solidarität von Seiten der Lehrenden.“ https:// exitracismudk.wordpress.com/ (abgerufen am 11.03.21) 
5 Ausschnitt eines Erfahrungsberichtes, welcher durch exitracismUdK in der UdK-Ausstellung KUNST RAUM STADT am 16-17.7.2020 gezeigt wurde. „2018 wurde ich für den Master an der  UdK angenommen. Was die eigentliche Erfüllung eines lange erkämpften Traumes sein sollte,  entpuppte sich als richtiger Horrortrip. […] Ich hatte das Gefühl, dass man von mir verlangte,  meinen multiethnischen Background so zu präsentieren wie es für sie (die Lehrenden) am  verdaulichsten ist: wenig kritisch und am liebsten exotisierend. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten,  mich in diesem Umfeld einzufügen. Den Lehrenden fehlte es an emotionaler, pädagogischer,  sowie (trans)kultureller Sensibilität – Queer student of color“ 
6 bell hooks ist Literaturwissenschaftlerin, Professorin, Aktivistin und Autorin intersektionaler, anti-rassistischer und feministischer Bücher. 
7 Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016).
8 ebd.
9 Eine Positionierung in bestehenden Machtverhältnissen können Angaben zu unter anderem Geschlechtsidentitäten, sexuelle Identitäten, Behinderungen, Rassismuserfahrungen oder ökonomische Situationen sein.
10 Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016)
11 Abdulla, Danah: Design Otherwise: Towards a locally-centric design education curricula in Jordan (2017)
12 Decolonising Design ist eine Forschungsgruppe, die analysiert, in welchen kolonialen Strukturen Gestaltung und Design agieren. (https://www.decolonisingdesign.com/)
13 Teaching Design ist eine Open Source Bibliografie mit dem Fokus auf Designvermittlung in der Bildung aus intersektional-feministischen, dekolonialen Perspektiven. (https://teaching design.net/)
14 Decentering Whiteness in Design History Resources ist eine Open Source Bibliografie, die von Designgeschichtsdozent*innen erstellt wurde als Reaktion auf die Forderungen der Studierenden,  Perspektiven und Werke von Black, Indigenous, Latinx, Asian und anderen Designer*innen und  Wissenschaftler*innen of Color in den Designkursen richtig zu repräsentieren. (https:// www.designhistorysociety.org/news/view/decentering-whiteness-in-design-history-resources)
15 Als mittlerweile zugelassene UdK-Studentin musste ich erleben, dass der Studienalltag von patriarchaler Hierarchie geprägt ist und von eurozentristischen Bewertungen abhängt, die umso  persönlicher werden, da es an professioneller Distanz zu den Lehrenden fehlt (das verbreitete ‚per Du‘ dient oftmals lediglich dem Image der Universität). Meine Kursauswahl ist dementsprechend  primär von den wenigen kritischen Lehrenden und kaum von den Inhalten abhängig.
16 Die Kunst- und Designschule Bauhaus war 1919-1933 aktiv, der Einfluss auf deutsche Kunsthochschulen bleibt weiterhin stark: In meinem Studium der Visuellen Kommunikationwurde ich in vielen Seminaren penetrant auf dessen Relevanz hingewiesen.
17 sondern auch in: Chengdu, Kairo, Singapur, Breslau, Ulaanbaatar, Porto Alegre, Ouagadougou, Prag, Casablanca, Bukarest, Shanghai, Moskau, Gwangju, Idanha-a-Nova, Havanna, Busan, Istanbul, Athen und vielen weiteren Orten.

A Letter to Gloria Anzaldúa

4rd of January 21

Dear Gloria Anzaldúa,

Ich setze mich an meinen Tisch, in einer kleinen Wohnung in kaltes dunkles Berlin. Als ich spreche, oder ich schreibe, ich sehe dich, im Licht, unter die Sonne, dein Gesicht, deine Haut.

Dein Brief – “Speaking In Tongues: A Letter To 3rd World Women Writers” – war mir 29 Jahre nicht bekannt und ich bin langsam beim Schreiben. Außerdem, du hattest Recht als du es gesagt hast, dass wir Hindernisse nicht überwinden werden, wir müssen durch das Gefahr gehen, hier sagt man “durchbeißen”, wenn ich die Sprache korrekt verstanden habe.

I’m not sure if I should be answering this letter as if you were directing it to me. But right now I don’t know to whom I should direct this. Should I write it to my mom and tell her about you? No, I prefer to do this in person, during a long talk. To my fellow creators I think is pointless since I much rather send them your beautiful letter instead. So I will write this one to you and I will call you by your first name and I will be very respectful.

This is gonna be written in my way of writing German, Portuguese, and English as my mind seems to be trapped in a confusion between this three. I also wanted to appropriate myself with your poetic way of intertwining both línguas maternas.

11th Jan 2021

Today was a grey snowy day. I walk over the bridge on my way to University and think about the words you wrote. Today I made the house very quiet, so I could only hear the old fridge screaming at me to write back to you. I thought it would make me more productive to sit in my yellow lighted desk, surrounded by my crayons, some candle light, shadowed by the plants, and just face the subject that is about to reveal from my writing.

The nakedness I see in your words makes me want to do the same, but I don’t know if I’m gonna like to see my demon of writing. Is not laziness you see, is resentimento. Writing might be one of those things that were denied to me as a brown girl growing up in São Paulo. In such a big place with people who have such big words, where is the space or even necessity to voice my thoughts? At least I used to think like that until I heard about you through Pêdra Costa, the first person to tell me I was an academic.

An academic in German University, a big combination of words that have very little to do with how I would see myself, but I am nobody to disagree with Pêdra Costa, so let me try and get along with it. Here I am, writing to you.

The first time I get in the room is a seminar, the discussion is about Foucault … Auf Deutsch! I am the only person from outside Europe in the class, the only third-world woman, can you imagine my face? As they discuss objectively all the violence I got to know by close and even experienced myself in Brasil and kalte Deutschland.

I think about the access to the education they had growing up. I split, that brown part is acknowledged, as I hadn’t yet reconciled with it. I get transported to my high school, where we were forbidden to get in the library due to the dangerous situation the room was left at, falling apart, piles of moldy books donated by the community. My spine starts to hurt, I can feel my bones shaking, my chest feels like is gonna jump on top of the table, I want to scream and run. I don’t understand myself, I can’t talk this language objectively, I can’t stand their privilege, the absence of others “like me” is violent. Or is it my privilege I can’t stand? Being part settler-colonizer as I am.

Either way, I have visions.

My mother overworking herself, her knees getting swallowed, 8 hours in front of the furniture store, in the loud and rainy city center, trying to catch the next client with her wide smile, her singing accent from Bahia.

Now she stays under the unforgiving sun, breathing warm wet air, selling apartments. She has her business now, dona do próprio nariz, still working a lot but on her own terms. At least I think so, for 6 years our relationship was reduced to a flat-screen, 15 cm x 6 cm wide.

She has nothing to do with simple, my mother is deep, she has the wisdom nobody in the academic world knows how to give prizes to. She knows how to survive a racist patriarchal society, gets her money, does business that would make any wall street gringo’s jaw drop, while singing Caetano, dancing in the kitchen, cooking her beans, and giving the most soul-warming look anybody can ever receive.

To be far from my family because of the system that had made them humans and us something in between beasts and invisible ghosts. I can say it was challenging to face them and to face “them” in me, both the white and the brown. But there is something important about being in the room.

Working as a cleaner for all those years had also made me a stranger to sitting at tables. I miss having all that body movement, I can feel my mind frying from sitting. I remember how it used to be in houses before I started to study, some wouldn’t even imagine to ask themselves, who I was, besides the exotic and servant imaginary I was not worthy of not even a look, or to have my name be remembered. Wake up, put on clothes, breath, put on some Racionais MC’s, jump on that train, go, clean clean clean, time management, discipline, get paid, go back. Next morning all over again. The romanticization of being working class sometimes was toxic, but I confess I still get the chills when I listen to “Deeper Love” from Aretha Franklin. It is almost dangerous how hustling after a while starts to make you proud of yourself. Some people were so evil with me I even started to trip and think I was paying for my ancestors’ sins.

A man even spat on me in front of my job once. But there were also the goody goods, the ones that would ask me my story, I would say I came to study, that I was at UdK, their eyes would go big, the treatment was different from that moment on. I used to feel sometimes like a savior, they would almost “like” me so much, I would get the creeps like they wanted to domesticate me. I was the perfect cleaner, the “educated”, “the-one-that-would-get-them” kind of person. There was a woman in Grünau that would try to get any way she could to book me, she would comment on how I dress, how I look, how I speak, how I study, ask “what made you come to do in Germany?”, she even had the nerve once to tell me I was too skinny, I laugh so hard at this kind of clients, in contrast, they made my life feel so absurdly beautiful in its simplicity.

They could have my time, they could have my physical effort, they could have my talk, my smile, but they would never get my mind, which was jumping around, thinking about 2pac, “It’s just me against the world”, thinking about boys, thinking about drawing, crazy ideas for animations, I created complete long movies in my head, performances, I would think about politics, I loved to look at the shelves, pick their brains, some had some really good books I would take pictures. At every swipe I was rewriting myself, myself for myself, it would happen in my mind, nobody could use it, nobody could judge it, I would imagine myself outside my body. But they would try. The Kalk in the bathrooms, a lap for every specific function, the product smells, I love the one that was Lavanda, the lemon one where disgusting though, the pink for the toilet, the blue for the living room, the yellow for the kitchen.

I also found humanity, the honest and kind hearted people, the ones that helped me analyze my portfolio to get to University, the old lady who invited me to lunch, the one who spoke Portuguese, would give me books, I have an actual feeling of love for them.

The thick skin as you advised is starting to build up. New acknowledgments are appearing from the discussions little by little. To not see everything through the “good or bad” lenses. Violent processes have no other way but violent ways to be dismantled. But affection is a valid way too, afinal “O sorriso é a única língua que todos entendem”. The subject must be geographically positioned and self-criticism is a very important tool.

There is still a lot of work to do, there is so much to grow, to appropriate, to learn. That’s why this letter is still so confused. I want to complement this with drawings inspired by your words.

But there is more. About writing.

Between you and me. Writing might be that one thing that fell down the whole on me, the whole of frustration. That thing that has not been seeing the light of the day, so it is kind of … moldy. Assombrosa. I start to ask myself why when I write I talk so much about myself, I feel selfish. Lacking objectivity. Until I read “Stop the chatter inside their heads”. This gave me the understanding to see that, there is a force in this world trying to tell us who we are and that I have let the image of myself eat me up from inside out way too long. That pain on my spine I talked about, has a lot to do with this chatter, my silence.

So as much as it makes me uncomfortable I have to talk for myself, I can’t talk for all of us, mix raced, traped in between, third world women, migrants, working class. But I can rewrite what being all of that means to me, instead of letting them do the talk.

To me, it is to walk on the gray streets of dreckige Berlin listening to Milton Nascimento and still feel the warm breeze of the ocean on my skin. To get in communion with other “third world” people, complain laughing, while we make up dreams of a comfortable life working with whatever we want. Is to love to work, por a mão na massa, to make my money, to surprise myself with how far I can get without stepping on others, which, knowledge has led me to believe that this is actually an everyday failure.

Is to look back at my ancestors, to be connected to the spirit of my creole grandpa and my indigenous grandma putting me back on track, to keep trying to find ways. There is nothing romantic about that but somehow I still manage to write as if it was. Inferno!

25 de Janeiro 2021

I see your words as a kind of magic. There are symbols and metaphors you use to describe the feeling. Like that Tiger on the shoulder. Your hand coming from miles away and grabbing the hands of other writers as you clench the pen in togetherness. To write cooking a dinner. To empty oneself.

This is the way I feel when I draw. This is the way I relate to reality and it has its language. Sometimes it gets stuck in places where only the water that passes over bridges can reach to make it flow. The water with your words. I keep digging it up. The wind you blew yesterday is feeding the fire in our tongues today.

With love,

Thaís

This letter is an answer to the text “Speaking In Tongues: A Letter To 3rd World Women Writers” written by Gloria Anzaldúa, and published in the book “This Bridge Called My Back” (1981) edited by Cherrie Moraga and Gloria Anzaldúa. The letter was written during the Seminar “Seeing ourselves clearly” with Pary Beata El-Qalqili during the Winter Semester 2020/21 at the Berlin University of the Arts.

Die AG Critical Diversity ist eine Initiative der Kommission für Chancengleichheit der

Ableismus ist die Diskriminierung und das soziale Vorurteil gegenüber Menschen mit bestimmten körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Bedürfnissen. In der Regel handelt es sich dabei um eine Abwertung der physischen und psychischen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, die auf einer vermeintlichen biologischen (körperlichen und/oder geistigen) Norm dessen beruht, was ein nichtbehinderter, neurotypischer Mensch sein sollte. Ableismus kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung wie Rassismus und Sexismus überschneiden.

Adultismus ist die im Alltag und im Recht anzutreffende Diskriminierung, die auf ungleichen Machtverhältnissen zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen andererseits beruht.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, ist das einheitliche zentrale Regelwerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rassifizierung, ethnischer Herkunft, Geschlechtsidentität, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung umfassend regelt.

Antisemitismus ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber jüdischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, jüdischen Einrichtungen oder allem, was als jüdisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Antisemitismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Barrierefreiheit bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Umgebung für möglichst viele Menschen zugänglich ist und von ihnen genutzt werden kann. Inklusive Barrierefreiheit bewertet daher die Bedürfnisse und Wünsche aller möglichen Menschen – einschließlich derjenigen, die neurodivergent sind oder unterschiedliche Fähigkeiten haben – und bezieht diese in Design und Funktion mit ein. Änderungen, die Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten die gleiche Chance und Teilnahme ermöglichen, werden oft als behindertengerechte Anpassungen bezeichnet.

Belästigung ist ein unerwünschtes und nicht einvernehmliches Verhalten, das die Würde einer anderen Person verletzt. Belästigung kann oft ein einschüchterndes, feindseliges, demütigendes oder kränkendes soziales Klima erzeugen und kann auf der sexuellen Orientierung, der Religion, der nationalen Herkunft, einer Behinderung, dem Alter, der Rassifizierung, dem Geschlecht usw. einer Person beruhen. Belästigungen können verschiedene Formen annehmen, darunter verbale, körperliche und/oder sexualisierte.

Das binäre Geschlecht ist die Einteilung der Geschlechter in zwei unterschiedliche und entgegengesetzte Kategorien: Mann/männlich und Frau/feminin. Dieses Glaubenssystem geht davon aus, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit den traditionellen sozialen Konstruktionen von männlicher und weiblicher Identität, Ausdruck und Sexualität übereinstimmt. Eine Zuweisung außerhalb des binären Geschlechts wird in der Regel als Abweichung von der Norm betrachtet.

Das Konzept des biologischen Geschlechts bezieht sich auf den biologischen Status einer Person, welcher meist bei der Geburt zugewiesen wird – in der Regel aufgrund der äußeren Anatomie. Das biologische Geschlecht wird in der Regel als männlich, weiblich oder intersexuell kategorisiert.

Cis-Geschlechtlichkeit, oder einfach cis, bezieht sich auf Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Cis kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „auf dieser Seite von“ bedeutet.

as Konzept nach Birgit Rommelspacher geht davon aus, dass es ein System von Hierarchien, Herrschaft und Macht gibt, indem die verschiedenen rassistischen, sexistischen, klassistischen und weiteren Herrschaftsformen sich ineinander verflechten. In dieser Verflechtung hat jeweils eine dominante Gruppe die Macht, welche gesellschaftlich immer wieder ausgehandelt wird. In einer bestehenden Gesellschaft erlangt die dominante Gruppe ihre Rolle dadurch, dass sie als zur Mehrheit der Bevölkerung gehörend wahrgenommen wird und in den gesellschaftlichen Institutionen eine bedeutende Präsenz hat.

Der gefängnisindustrielle Komplex (PIC) ist ein Begriff, der die komplexen und miteinander verknüpften Abhängigkeiten zwischen einer Regierung und den verschiedenen Unternehmen und Institutionen beschreibt, die von den Praktiken der Freiheitsentziehung profitieren (z. B. Gefängnisse, Haftanstalten, Abschiebeeinrichtungen und psychiatrische Kliniken). In Anlehnung an den Begriff „militärisch-industrieller Komplex” plädiert der PIC für eine umfassendere Analyse der Art und Weise, wie die Freiheitsberaubung in einer Gesellschaft eingesetzt wird, und nennt alle Interessengruppen, die finanzielle Gewinne über Strategien der Vermeidung der Inhaftierung von Menschen stellen.

Genderexpansiv ist ein Adjektiv, das eine Person mit einer flexibleren und fließenderen Geschlechtsidentität beschreiben kann, als mit der typischen binären Geschlechtszugehörigkeit assoziiert werden könnte.

Geschlecht wird oft als soziales Konstrukt von Normen, Verhaltensweisen und Rollen definiert, die sich von Gesellschaft zu Gesellschaft und im Laufe der Zeit verändern. Es wird oft als männlich, weiblich oder nicht-binär kategorisiert.

Die Geschlechtsangleichung ist ein Prozess, den eine Person durchlaufen kann, um sich selbst und/oder ihren Körper in Einklang mit ihrer Geschlechtsidentität zu bringen. Dieser Prozess ist weder ein einzelner Schritt noch hat er ein bestimmtes Ende. Vielmehr kann er eine, keine oder alle der folgenden Maßnahmen umfassen: Information der Familie und des sozialen Umfelds, Änderung des Namens und der Pronomen, Aktualisierung rechtlicher Dokumente, medizinische Maßnahmen wie Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe, die oft als geschlechtsangleichende Operation bezeichnet werden.

Der Ausdruck des Geschlechts ist die Art und Weise, wie eine Person ihr Geschlecht nach außen hin verkörpert, was in der Regel durch Kleidung, Stimme, Verhalten und andere wahrgenommene Merkmale signalisiert wird. Die Gesellschaft stuft diese Merkmale und Leistungen als männlich oder weiblich ein, obwohl das, was als männlich oder weiblich gilt, im Laufe der Zeit und zwischen den Kulturen variiert.

Geschlechtsdysphorie ist eine psychische Belastung, die sich aus der Inkongruenz zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der eigenen Geschlechtsidentität ergibt. Menschen aller Geschlechter können Dysphorie in unterschiedlicher Intensität oder auch überhaupt nicht erleben.

Die Geschlechtsidentität ist das innere Selbstverständnis einer Person in Bezug auf ihr Geschlecht. Im Gegensatz zum Geschlechtsausdruck ist die Geschlechtsidentität für andere nicht äußerlich sichtbar.

Heteronormativität ist das Konzept, dass Heterosexualität – romantische und/oder sexuelle Anziehung zwischen Menschen des „anderen“ Geschlechts –  die normative oder einzig akzeptierte sexuelle Orientierung in einer Gesellschaft ist. Heteronormativität geht vom binären Geschlechtsmodell aus und beinhaltet daher den Glauben an eine Übereinstimmung zwischen Sexualität, Geschlechtsidentität, Geschlechterrollen und biologischem Geschlecht. Als vorherrschende soziale Norm führt die Heteronormativität zu Diskriminierung und Unterdrückung derjenigen, die sich nicht als heterosexuell identifizieren.

Bei der Hormontherapie, auch geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) oder Hormonersatztherapie (HRT) genannt, werden Geschlechtshormone oder andere hormonelle Medikamente verabreicht. Diese Hormonveränderungen können körperliche Veränderungen auslösen, die als sekundäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet werden und dazu beitragen können, den Körper besser auf die Geschlechtsidentität einer Person anzupassen.

Institutionelle Diskriminierung bezieht sich auf vorurteilsbehaftete organisatorische Maßnahmen und Praktiken innerhalb von Institutionen – wie Universitäten, Unternehmen usw. –, die dazu führen, dass eine marginalisierte Person oder Personengruppe ungleich behandelt wird und ungleiche Rechte hat.

Inter* oder Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der Menschen beschreiben kann, die Unterschiede in der reproduktiven Anatomie, bei den Chromosomen oder den Hormonen aufweisen, die nicht den typischen Definitionen von männlich und weiblich entsprechen. Das Sternchen (*) unterstreicht die Vielfalt der intersexuellen Realitäten und Körperlichkeiten.

Intergenerationales Trauma bezieht sich auf das Trauma, das von einer traumaüberlebenden Person an deren Nachkommen weitergegeben wird. Aufgrund von gewalttätigen und lebensbedrohlichen Ereignissen wie Kriegen, ethnischen Säuberungen, politischen Konflikten, Umweltkatastrophen usw., die von früheren Generationen erlebt wurden, können die Nachkommen negative emotionale, körperliche und psychologische Auswirkungen erfahren. Da die ursprünglichen Ursachen von Traumata durch Formen der Diskriminierung wie Rassifizierung und Geschlecht bedingt sind, treten intergenerationale Traumata auch entlang intersektionaler Achsen der Unterdrückung auf. Schwarze Gemeinschaften haben zum Beispiel das intergenerationale Trauma der Versklavung ans Licht gebracht. Intergenerationales Trauma wird manchmal auch als historisches Trauma, multi- oder transgenerationales Trauma oder sekundäre Traumatisierung bezeichnet.

Intersektionalität benennt die Verflechtung von Unterdrückungssystemen und sozialen Kategorisierungen wie Rassifizierung, Geschlecht, Sexualität, Migrationsgeschichte und Klasse. Intersektionalität betont, dass die einzelnen Formen der Diskriminierung nicht unabhängig voneinander existieren und auch nicht unabhängig voneinander betrachtet und bekämpft werden können. Vielmehr sollten bei der Bekämpfung von Unterdrückung die kumulativen und miteinander verknüpften Achsen der verschiedenen Formen von Diskriminierung berücksichtigt werden.

Islamophobie ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber muslimischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, muslimischen Einrichtungen oder allem, was als muslimisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Islamophobie kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Klassismus ist ein Begriff, der die Diskriminierung beschreibt, die auf der Überzeugung beruht, dass der soziale oder wirtschaftliche Status einer Person ihren Wert in der Gesellschaft bestimmt. Klassismus als eine Form der Diskriminierung und Stigmatisierung basiert auf tatsächlichen oder angenommenen finanziellen Mitteln, dem Bildungsstatus und der sozialen Integration. In der Hierarchie „unterlegene“ gesellschaftliche Klassen werden problematisiert und stereotypisiert und erhalten oft ungleichen Zugang und Rechte innerhalb der Gesellschaft.

Kolonialismus ist die Kontrolle und Dominanz einer herrschenden Macht über ein untergeordnetes Gebiet oder Volk. Bei der Unterwerfung eines anderen Volkes und Landes beinhaltet der Kolonialismus die gewaltsame Eroberung der Bevölkerung, die oft mit der Massenvertreibung von Menschen und der systematischen Ausbeutung von Ressourcen einhergeht. Abgesehen von den materiellen Folgen zwingt der Kolonialismus dem unterworfenen Volk auch die Sprache und die kulturellen Werte der herrschenden Macht auf, was kulturelle, psychologische und generationenübergreifende Traumata zur Folge hat.

Kulturalistisch argumentierter Rassismus richtet sich gegen Menschen aufgrund ihres mutmaßlichen kulturellen oder religiösen Hintergrunds. Diese Form der Diskriminierung kann unabhängig davon auftreten, ob sie tatsächlich eine Kultur oder Religion ausüben und wie religiös sie sind (z. B. antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus).

Kulturelle Aneignung ist der Akt der Übernahme von Aspekten einer marginalisierten Kultur durch eine Person oder eine Institution, die dieser Kultur nicht angehört, ohne umfassendes Verständnis des Kontexts und oft ohne Respekt für die Bedeutung des Originals. Kulturelle Aneignung reproduziert Schaden, wenn sie negative kulturelle oder rassistische Stereotypen fördert. Kulturelle Aneignung kann oft die Machtdynamik innerhalb einer Gesellschaft offenbaren: So wird beispielsweise eine weiße Person, die die traditionelle Kleidung einer marginalisierten Kultur trägt, als modisch gelobt, während eine rassifizierte Person von der dominanten Gruppe isoliert und als fremd bezeichnet werden könnte.

Marginalisierung beschreibt jeglichen Prozess der Verdrängung von Minderheiten an den Rand der Gesellschaft. Marginalisierten Gruppen wird in der Regel unterstellt, dass sie nicht der normorientierten Mehrheit der Gesellschaft entsprechen und sind in ihren Möglichkeiten, sich frei zu verhalten, gleichen materiellen Zugang zu haben, öffentliche Sicherheit zu genießen usw., stark eingeschränkt.

Mikroaggression bezeichnet einzelne Kommentare oder Handlungen, die unbewusst oder bewusst Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Mitgliedern von Randgruppen zum Ausdruck bringen. Als kleine, häufige und kumulative Vorkommnisse können Mikroaggressionen aus Beleidigungen, Stereotypen, Abwertung und/oder Ausgrenzung bestehen. Mikroaggressionen wirken sich oft negativ auf die Person aus, die sie erleidet, und beeinträchtigen ihre psychische und physische Gesundheit und ihr Wohlbefinden.

Misogynie ist ein Begriff für sexistische Unterdrückung und Verachtung von Frauen, der dazu dient, Frauen in einem niedrigeren sozialen Status als Männer zu halten und so patriarchalische soziale Rollen aufrechtzuerhalten. Misogynie kann eine Haltung von Einzelpersonen und ein weit verbreitetes kulturelles System bezeichnen, das häufig alles abwertet, was als weiblich wahrgenommen wird. Frauenfeindlichkeit kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung und des Hasses überschneiden, z. B. mit Homophobie, Trans*-Misogynie und Rassismus.

Neurodiversität ist ein Begriff, der die einzigartige Funktionsweise der Gehirnstrukturen eines jeden Menschen beschreibt. Die Grundannahme, welche Art von Gehirnfunktion in einer normorientierten Mehrheitsgesellschaft gesund und akzeptabel ist, wird als neurotypisch bezeichnet.

Nonbinär ist ein Begriff, der von Personen genutzt werden kann, die sich selbst oder ihr Geschlecht nicht in die binären Kategorien von Mann oder Frau einordnen. Es gibt eine Reihe von Begriffen für diese Erfahrungen, wobei nonbinary und genderqueer häufig verwendet werden.

Das Patriarchat ist ein soziales System, in dem cis-geschlechtliche Männer sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich eine privilegierte Stellung einnehmen. In der feministischen Theorie kann der Begriff verwendet werden, um das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern zu beschreiben, das die männliche Dominanz begünstigt, sowie die Ideologie der männlichen Überlegenheit, die die Unterdrückung von Frauen und allen nicht-normativen Geschlechtern rechtfertigt und durchsetzt.

Pronomen oder persönliche Geschlechtspronomen (PGP) sind die Pronomen, die eine Person verwendet, um sich selbst zu bezeichnen, und die andere verwenden sollen, wenn sie sich auf sie beziehen. Die Liste der Pronomen entwickelt sich ständig weiter. Eine Person kann mehrere bevorzugte Pronomen haben oder auch gar keine. Die Absicht, die Pronomen einer Person zu erfragen und korrekt zu verwenden, besteht darin, die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen für diejenigen zu verringern, deren persönliche Pronomen nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen, die von einer cis-normativen Gesellschaft angenommen wird. Die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen und Begriffe sind ebenfalls inkludierende Schritte, die sich dem binären Geschlechtermodell und der Cis-Normativität widersetzen.

Rassismus ist der Prozess, durch den Systeme, politische Maßnahmen, Aktionen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen aufgrund von Rassifizierung und rassistischen Zuschreibungen schaffen. Rassismus geht über individuelle oder institutionelle Vorurteile hinaus und tritt auf, wenn diese Diskriminierung mit der Macht einhergeht, die Rechte von Menschen und/oder Gruppen einzuschränken oder zu unterdrücken. Rassismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Sex-Gender-Differenz bezeichnet die Unterscheidung zwischen dem Konzept des „biologischen Geschlechts“ als biologischer Tatsache und dem Konzept des „sozialen Geschlechts“ als Produkt kultureller und sozialer Prozesse, wie z. B. sozial konstruierte Rollen, Verhaltensweisen, Ausdrucksformen und geschlechtsspezifische Identitäten.

Sexismus ist der Prozess, durch den Systeme, Politiken, Handlungen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen auf der Grundlage ihres zugeschriebenen oder vermeintlichen Geschlechts schaffen und beschreibt die Ideologie, die diesen Phänomenen zugrunde liegt. Der Begriff wird meist verwendet, um die Machtverhältnisse zwischen dominanten und marginalisierten Geschlechtern in cisheteronormativen patriarchalen Gesellschaften zu benennen.

Sexuelle Orientierung ist der Begriff, der beschreibt, zu welchem Geschlecht sich eine Person emotional, körperlich, romantisch und/oder sexuell hingezogen fühlt.

Die soziale Herkunft beschreibt die soziokulturellen Werte und Normen, in die jemand hineingeboren wird, einschließlich Faktoren wie Umfeld, Klasse, Kaste, Bildungsbiografie und mehr. Die Werte, die mit der sozialen Herkunft einhergehen, sind konstruiert, haben aber oft materielle Auswirkungen, die bestimmte Gruppen und Menschen privilegieren oder benachteiligen. Wer beispielsweise in einem westlichen Land lebt, generationenübergreifenden Reichtum geerbt hat und über eine durchweg gute Ausbildung verfügt, hat als Erwachsener bessere Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz. Die soziale Herkunft muss also berücksichtigt werden und nicht die inhärente Eignung für einen Job.

Eine soziale Norm ist ein gemeinsamer Glaube an den Standard für akzeptables Verhalten von Gruppen, der sowohl informell als auch in der Politik oder im Gesetz verankert ist. Soziale Normen unterscheiden sich im Laufe der Zeit und zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaften.

Der sozioökonomische Status, der in der Regel als niedrig, mittel oder hoch eingeordnet wird, beschreibt Menschen auf der Grundlage ihrer Ausbildung, ihres Einkommens und der Art ihrer Tätigkeit. Die Werte und Normen, die den einzelnen sozioökonomischen Klassen zugeordnet werden, sind sozial konstruiert, haben aber materielle Auswirkungen.

Strukturelle Diskriminierung bezieht sich auf Verhaltensmuster, Strategien und Einstellungen, die auf der Makroebene der Gesellschaft zu finden sind. Diese Diskriminierung sozialer Gruppen beruht auf der Natur der Gesellschaftsstruktur als Ganzes. Strukturelle Diskriminierung unterscheidet sich von individuellen Formen der Diskriminierung (z. B. eine einzelne rassistische Bemerkung, die eine Mikroaggression darstellt), obwohl sie oft den kontextuellen Rahmen für das Verständnis der Gründe für diese individuellen Fälle liefert.

Tokenismus ist eine nur oberflächliche oder symbolische Geste, die Angehörige von Minderheiten einbindet, ohne die strukturelle Diskriminierung der Marginalisierung wesentlich zu verändern oder zu beseitigen. Der Tokenismus ist eine Strategie, die den Anschein von Inklusion erwecken und von Diskriminierungsvorwürfen ablenken soll, indem eine einzelne Person als Vertreter einer Minderheit eingesetzt wird.

Weiße Vorherrschaft bezeichnet die Überzeugungen und Praktiken, die Weiße als eine von Natur aus überlegene soziale Gruppe privilegieren, die auf dem Ausschluss und der Benachteiligung anderer rassifizierter und ethnischer Gruppen beruht. Sie kann sich auf die miteinander verknüpften sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systeme beziehen, die es Weißen ermöglichen, sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene strukturelle Vorteile gegenüber rassifizierten Gruppen zu genießen. Der Begriff kann sich auch auf die zugrundeliegende politische Ideologie beziehen, die vielfältige Formen der Vorherrschaft von Weißen und nicht-weißen Anhängern erzwingt und aufrechterhält, von der Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus bis hin zu den heutigen Neofaschismen.

Weißsein ist ein gesellschaftlich und politisch konstruiertes Verhalten, das eine Ideologie, Kultur, Geschichte und Wirtschaft aufrechterhält, die zu einer ungleichen Verteilung von Macht und Privilegien zugunsten derjenigen führt, die gesellschaftlich als weiß gelten. Die materiellen Vorteile des Weißseins werden auf Kosten Schwarzer, indigener und Menschen of Color erzielt, denen systematisch der gleiche Zugang zu diesen materiellen Vorteilen verwehrt wird. Auf diesem Blog wird weiß oftmals kursiv geschrieben, um es als politische Kategorie zu kennzeichnen und die Privilegien des Weißseins zu betonen, die oft nicht als solche benannt, sondern als unsichtbare Norm vorausgesetzt werden.

Xenophobie bezeichnet die Feindseligkeit gegenüber Gruppen oder Personen, die aufgrund ihrer Kultur als „fremd“ wahrgenommen werden. Fremdenfeindliche Haltungen sind oft mit einer feindseligen Aufnahme von Einwanderern oder Flüchtlingen verbunden, die in Gesellschaften und Gemeinschaften ankommen, die nicht ihre Heimat sind. Fremdenfeindliche Diskriminierung kann zu Hindernissen beim gleichberechtigten Zugang zu sozioökonomischen Chancen sowie zu ethnischen, rassistischen oder religiösen Vorurteilen führen.

Abolition ist ein Begriff, der das offizielle Ende eines Systems, einer Praxis oder einer Institution bezeichnet. Der Begriff hat seine Wurzeln in den Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert und wird heute oft verwendet, um die Praxis der Polizei und des Militärs und/oder die miteinander verbundenen Gefängnisse, Geflüchtetenlager, Haftanstalten usw. zu beenden. Weitere Informationen finden Sie in der Definition des gefängnisindustrielle Komplexes).

Accountability oder auch Rechenschaftspflicht ist die Verpflichtung und die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit bezieht sich die Rechenschaftspflicht auf die Art und Weise, in der Einzelpersonen und Gemeinschaften sich selbst an ihre Grundsätze und Ziele halten und die Gruppen anerkennen, denen gegenüber sie verantwortlich sind. Rechenschaftspflicht erfordert oft einen transparenten Prozess und ein kontinuierliches Selbst- und Kollektivbewusstsein.

Ageism, auch Altersdiskriminierung genannt, ist eine Diskriminierung oder ein Vorurteil aufgrund des Alters einer Person, z. B. wenn Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgrund des höheren oder niedrigeren Alters einer Person in Frage gestellt und bewertet werden.

Agender ist ein Adjektiv, das von Personen genutzt werden kann, die sich mit keinem bestimmten Geschlecht identifizieren.

BIPoC steht für Black, Indigenous und People of Color. Dieser aus den USA stammende Begriff ist eine Selbstbezeichnung, die darauf abzielt, Menschen und Gruppen zu vereinen, die von Rassismus betroffen sind. Die Selbstbezeichnung rückt die spezifischen Erfahrungen Schwarzer, indigener und anders rassifizierter Gruppen in den Mittelpunkt, welche stark von systematischer rassistischer Ungleichbehandlung, deren Wurzeln in der Geschichte der Versklavung und des Kolonialismus liegen, betroffen sind.

Colorism ist ein Begriff, der die Vorurteile oder Diskriminierung beschreibt, welche rassifizierte Menschen mit hellerer Hautfarbe bevorzugt, während solche mit dunklerer Hautfarbe benachteiligt werden. Er wird vor allem verwendet, um die nuancierte Diskriminierung innerhalb einer rassifizierten oder ethnischen Gruppe zu beschreiben.

Die Critical Diversity Policy der UdK ist ein Dokument, welches die Vorstellung hervorheben und durchsetzen soll, dass Unterschiede in Werten, Einstellungen, kulturellen Perspektiven, Überzeugungen, ethnischen Hintergründen, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Fähigkeiten, Wissen und Lebenserfahrungen jeder*jedes Einzelnen in jeder Gruppe von Menschen innerhalb der Universität berücksichtigt und überwunden werden sollten.

Deadnaming ist der Akt, für eine trans*, nicht-binäre oder genderexpansive Person mit ihren Geburtsnamen oder einen falschen Namen zu nutzen, wenn diese ihren Namen als Teil ihres Geschlechtsausdrucks geändert hat. Es ist niemals in Ordnung oder notwendig, den Deadname einer Person zu verwenden, wenn sie ihren Namen geändert hat, auch nicht bei der Beschreibung von Ereignissen in der Vergangenheit. Wenn Du eine Person mit ihrem Deadname anredest, übernimm Verantwortung, indem Du dich entschuldigst und verpflichtest, dies in Zukunft nicht mehr zu tun. Erkundige Dich nach dem aktuellen Namen der Person und bemüh Dich, ihn konsequent zu verwenden.

Dieser soziologische Begriff konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Menschen Geschlecht wahrnehmen, (re-)produzieren und im täglichen Leben als relevant erachten. Im Gegensatz zur Annahme, dass Geschlecht eine angeborene Eigenschaft ist, unterstreicht das Konzept des “doing gender”, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, das die tägliche menschliche Interaktion prägt.

Misogynoir ist ein von der Schwarzen Feministin Moya Bailey 2010 geprägter Begriff, der die geschlechtsspezifische und rassistische Unterdrückung beschreibt, mit der Schwarze Cis- und Transgender-Frauen konfrontiert sind (letztere wird manchmal auch durch den Begriff Trans*-Misogynoir charakterisiert). Ausgehend von einer intersektionalen Sichtweise untersucht das Konzept, wie sich anti-Schwarzer Rassismus und Frauenfeindlichkeit zu einer besonderen Form der Unterdrückung und Diskriminierung verbinden.

Queer ist ein Oberbegriff für Menschen, die nicht heterosexuell oder cisgender sind. Er wird für ein breites Spektrum an nicht-normativen sexuellen und/oder geschlechtlichen Identitäten und Politiken verwendet.

Safer Spaces sollen Orte sein, an denen marginalisierte Gemeinschaften zusammenkommen und gemeinsame Erfahrungen austauschen können, frei von Voreingenommenheit, Konflikten oder Verletzungen, die von Mitgliedern einer dominanten Gruppe verursacht werden. In Anerkennung der Tatsache, dass es unter den gegenwärtigen Systemen unserer Gesellschaft keinen vollkommen sicheren Raum für marginalisierte Menschen gibt, verweist der Begriff „safer“ auf das Ziel einer vorübergehenden Entlastung sowie auf die Anerkennung der Tatsache, dass Verletzungen auch innerhalb marginalisierter Gemeinschaften reproduziert werden können. Beispiele für sichere Räume, die in Organisationen und Institutionen geschaffen wurden, sind Queer-only Räume und/oder Räume nur für Schwarze, Indigene und People of Color.

Social Justice ist eine Form des Aktivismus und eine politische Bewegung, die den Prozess der Umwandlung der Gesellschaft von einem ungerechten und ungleichen Zustand in einen gerechten und gleichberechtigten Zustand fördert. Social Justice beruht auf der Auffassung, dass jeder Mensch die gleichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte und Chancen verdient und das Grundrecht hat, sich psychisch und physisch sicher zu fühlen. Social Justice zielt daher darauf ab, geltende Gesetze und gesellschaftliche Normen zu ändern, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart bestimmte Gruppen gegenüber anderen unterdrückt haben. Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur die Abwesenheit von Diskriminierung, sondern auch das Vorhandensein bewusster Systeme und Unterstützungen, die Gleichheit entlang der Grenzen von Rassifizierung, Geschlecht, Klasse, Fähigkeiten, Religion usw. erreichen und erhalten.

Transgender, oder einfach trans*, ist ein Adjektiv, das sich auf Menschen bezieht, deren Geschlechtsidentität sich von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet. Trans kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „hindurch“ oder „darüber hinaus“ bedeutet. Die Selbstbezeichnung gibt als Identitätsmerkmal nicht automatisch an, ob sich diese Person mit einem anderen Geschlecht, keinem Geschlecht oder mehreren Geschlechtern identifiziert. Es gibt also mehrere Trans*-Identitäten. Das Sternchen (*) unterstreicht die Pluralität und Fluidität von Trans-Identitäten.