Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Artist Training presents: Alliances – Students, Scholars and Artists at Risk is the continuation of the Artist Training Lab for Radical Transformation (2020/21) and How to Create a Safer Space (2022) event series. Together with the representatives and members various Universities and artists, this workshop series was developed to address and discuss structural discrimination and obstacles within German universities, with UdK Berlin being no exception. In collaboration with the Commission for Equal Opportunities and the International Office at UdK Berlin, the workshop series focuses on networking, inventory analysis, and coordination of programs for students, scholars, and artists at risk in the coming years. The reflections on the three workshops are being documented through interviews with participants and invited professionals by a podcast. 

The third episode of Alliances with Activists is set in the context of Human Rights Day 2023 and follows the panel discussion titled Activist Art, featuring Anton Kats, Khaled Barakeh, Michael(a) Daoud and Natalija Yefimkina, moderated by Humza Abid. Based on an exploration of the artists‘ works, the following questions will be discussed: How can socially engaged artists create effective collaborations to overcome structural barriers? Where should spaces for knowledge production position themselves? What role do activists and universities play in shaping a safer, more inclusive environment for free expression? Our guest speaker İpek Çınar, former AStA member for diversity and social justice and former employee of Artist Training, shares her insights in conversation with Johanna Madden.

Speaker: İpek Çınar
Production: Johanna Madden (Moderation) & Sel 
Coordination: Melanie Waldheim (Artist Training Team) 

Diskursraum Diversität UdK 2030 Halftime

When: 12:30 PM – 3:30 PM
Where: Straße des 17. Juni 118, Auditorium

The Commission for Equal Opportunities (KfC) and the Diversity Officer at the University of the Arts (UdK) invited all students and staff to participate in an exciting exchange at the Diversity Discourse Space, which was part of the Future Day UdK2030. We hosted guests and talks that shared their experiences and perspectives from years of anti-discrimination work at UdK, as we critically reflected on the future with feedback, demands, and expectations from participants.

We regret to note that this exchange was held exclusively in German, and no translation into German Sign Language (DGS) was provided. However, participants were encouraged to bring their expectations, demands, and critiques to the discussion in English as well.


All Berlin universities are required by law to develop and implement a diversity strategy. Where does the UdK Berlin stand today on the path to becoming an open, diversity-sensitive university and how can we look to the future from here? To reflect on this question, the  Commission for Equal Opportunities (KfC) and the Diversity Officer invited voices from the beginnings and current work on the topic of diversity. 

Dokumentation Diskursraum Diversität 
Unfortunately, the documentation is currently only available in German.

Veranstaltungen und Workshops Wintersemester 24/25

Liebe Mitglieder der UdK Berlin,

Auch in diesem Semester laden wir euch herzlich ein, an einer vielfältigen Reihe von Workshops und Veranstaltungen zu den Themen Antirassismus und Diversity teilzunehmen. Dank unserer Kooperation mit dem International Office bieten wir unter anderem spannende Stadtführungen an, die sowohl internationalen Studierenden als auch allen anderen Uni-Angehörigen neue Perspektiven auf Berlin eröffnen.

Neben Veranstaltungen zuAntidiskriminierung und Empowerment erwartet euch eine spezielle Workshopreihe zu den Themen Neurodivergenz und Neuroqueerness. Außerdem gibt es interessante Vorträge.

Schaut vorbei – wir freuen uns darauf, euch zahlreich willkommen zu heißen!

Da die Plätze begrenzt sind, richten sich die Veranstaltungen in erster Linie an Studierende. Es werden jedoch auch einige Plätze für Mitarbeiter*innen reserviert. Die Teilnahme an den Workshops ist nur nach vorheriger Anmeldung möglich, wobei die Vergabe nach dem Eingang der Anmeldungen erfolgt.

Anmeldung zu den Veranstaltungen erfolgt unter: dib002@intra.udk-berlin.de

Stadtführungen

Stadtführung: Kritische Museumstour im und um das Humboldt Forum
Datum:
19. Oktober von 14:00 bis 16:00 Uhr
Treffpunkt: Das rekonstruierte Sanchi Gate auf dem Schlossplatz
Sprache: Englisch

Hinweis: Seien Sie 15 Minuten vor Beginn der Tour am Treffpunkt.
Die Tour findet auch bei Regen statt; bringen Sie gegebenenfalls einen Regenschirm mit.

Inhalt: Entdecke die faszinierende Geschichte des Berliner Schlosses auf eine ganz neue Art und Weise mit unserer Dekolonialen Tour! Tauche ein in die Historie und erfahre mehr über die Kolonialgeschichte, die oft übersehen oder verdrängt wird. Erhalte neue Einblicke über die Auswirkungen des Kolonialismus auf unsere heutige Gesellschaft und lasse dich von der Vielfalt der Perspektiven inspirieren.

Veranstaltungsleitung: Dekoloniale Stadtführung

Stadtführung: Schwarzer & Queerer Feminismus in Berlin
Datum:
20. Oktober von 14:00 bis 16:00 Uhr
Treffpunkt: Königskolonnaden im Heinrich von Kleist- Park in Schöneberg
Sprache: Englisch

Hinweis: Seien Sie 15 Minuten vor Beginn der Tour am Treffpunkt.
Die Tour findet auch bei Regen statt; bringen Sie gegebenenfalls einen Regenschirm mit.

Inhalt: Komm mit auf eine transformative Reise durch das inspirierende Vermächtnis Schwarzer und Queerer Feministinnen in Deutschland, den USA und dem afrikanischen Kontinent. Lass uns gemeinsam den Intersektionalen Feminismus erforschen und verstehen, um Inklusion zu fördern und Barrieren abzubauen. Unsere Führungen tauchen außerdem in die spannenden Biographien von Aktivist*innen wie May Ayim, Audre Lorde und Ika Hügel- Marshall ein. Sie waren AfroDeutsche Visionärinnen, die die Menschenrechtsbewegung in Deutschland nachhaltig beeinflusst haben.

Veranstaltungsleitung: Dekoloniale Stadtführung

Stadtführung: Was bewegt die Welt? – Kreuzberger Geschichten von Migration, Flucht und Widerstand
Datum:
27. Oktober von 14:00 bis 16:00 Uhr
Treffpunkt: Baumhaus an der Mauer, Mariannenplatz, 10997 Berlin
Sprache: Englisch

Hinweis: Seien Sie 15 Minuten vor Beginn der Tour am Treffpunkt.
Die Tour findet auch bei Regen statt; bringen Sie gegebenenfalls einen Regenschirm mit.

Inhalt: Unterschiedliche Menschen sind in der Vergangenheit aus dem globalen Süden nach Kreuzberg gekommen. Sie haben Kreuzberg durch Selbstorganisation mitgestaltet, Vereine gegründet, Räume besetzt und für Teilhabe gekämpft. So sind sie ein wichtiger Teil von Kreuzberg geworden. Ihr Wirken hat Kreuzberg zu dem gemacht was es ist und im Stadtraum Spuren hinterlassen. In einem interaktiven Rundgang gehen wir den Spuren und damit den Verflechtungen Kreuzbergs mit der Welt nach. Wir diskutieren, welche Auswirkungen sie auf unser Leben und Handeln in der Gegenwart haben.

Veranstaltungsleitung: Grenzgänge Berlin

Stadtführung: Feministische Kämpfe in Neukölln, gestern und heute
Datum:
2. November von 14:00 bis 16:00 Uhr
Treffpunkt: Eingang zum Volkspark Hasenheide (Hasenheide 101, neben dem Sri-Ganesha-Hindu-Tempel).
Sprache: Englisch / Deutsch

Hinweis: Seien Sie 15 Minuten vor Beginn der Tour am Treffpunkt.
Die Tour findet auch bei Regen statt; bringen Sie gegebenenfalls einen Regenschirm mit.

Inhalt: Welche Geschichte(n) und welche Menschen werden im Stadtraum repräsentiert? An wen denken wir, wenn wir an feministische Kämpfe denken? Und aus welcher Perspektive wird Geschichte erzählt? Was finden wir, wenn wir dominante Narrative hinterfragen? Selbstorganisierung, erkämpfte Straßennamen und Aktionen prägen die Straßen Neuköllns. In diesem Rundgang gehen wir den Spuren dieser feministischen Kämpfe und ihrer Vertreterinnen nach und verbinden Vergangenheit mit Gegenwart.

Der Rundgang ist im Projekt Frauen* bewegen Stadt global entstanden und wurde von der Landeszentrale für politische Bildung gefördert. Er wurde im Sommer 2023 aktualisiert.

Veranstaltungsleitung: Grenzgänge Berlin

Workshopreihe Neurodivergente und Queere Body-Minds in der UdK

Einführungsworkshop: Neurodivergenz und Neuroqueerness
Datum:
30. Oktober von 16.00 bis 17.30 ONLINE
Sprache: Deutsch

Inhalt: Der digitale Input schafft einen kurzen Einblick in aktuelle Perspektiven auf Neurodivergenzen und Neuroqueerness und klärt die wichtigsten Begrifflichkeiten. Dabei liegt der Fokus darauf, wie Normkonstruktionen aufgebaut sind und wie wir diese Sichtweisen verlernen können. Zudem werden Diskurse aus der neurodivergenten Community zu Un_Sichtbarkeiten, Herausforderungen und Potentialen angerissen. Im Anschluss findet ein kurzer Austausch dazu statt.

Workshopleitung: Lovis Diedering (B.A. Theaterwissenschaft und Sozial- und Kulturanthropologie sowie B.A. Soziale Arbeit) arbeitet aktuell als Sozialarbeiter*in in der online Krisenberatung und als Bildungsreferent*in für Autismus & Queerness. Lovis Diedering beschäftigt sich wissenschaftlich und politisch mit der Schnittstelle Autismus & Queerness, mit queerfeministischen Diskursen, queeren Normkonstruktionen und Ableismus. Zuvor hat Lovis Diedering in theaterpädagogischen Empowermentformaten, Diversity Trainings und queerer online Beratung gearbeitet.

Empowerment Workshop: Neurodivergent an der UdK
Datum und Ort:
31. Oktober von 16.00 bis 19.00. Raum 4, Hardenbergstraße 33, 10623 Berlin
Sprache: Deutsch

Inhalt: Dieser Workshop richtet sich an Student*innen an der UdK, die neurodivergent sind oder überlegen, ob sie neurodivergent sein könnten (Selbstdiagnose ist ausreichend). Mithilfe von theaterpädagogischen Methoden und Methoden des biographischen Schreibens nähern wir uns Normen, die euch insbesondere an der UdK begegnen und schaffen Raum für eure Gedanken und Gefühle dazu. Im Anschluss beschäftigen wir uns damit, was euch stärkt. Allein für euch, in gemeinsamer Solidarität  und/oder in Strukturen der UdK. Worauf der Fokus liegt, entscheidet ihr. Kommt in Kleidung, in der ihr euch wohlfühlt, negativ auf Corona getestet und nur ohne Erkältungssymptome. Wir entscheiden zu Beginn gemeinsam, wann wir ggf. Maske tragen (Masken werden gestellt). Genauere Ablaufinfos erhaltet ihr etwa eine Woche vor dem Workshop.

Workshopleitung: Lovis Diedering (B.A. Theaterwissenschaft und Sozial- und Kulturanthropologie sowie B.A. Soziale Arbeit) arbeitet aktuell als Sozialarbeiter*in in der online Krisenberatung und als Bildungsreferent*in für Autismus & Queerness. Lovis Diedering beschäftigt sich wissenschaftlich und politisch mit der Schnittstelle Autismus & Queerness, mit queerfeministischen Diskursen, queeren Normkonstruktionen und Ableismus. Zuvor hat Lovis Diedering in theaterpädagogischen Empowermentformaten, Diversity Trainings und queerer online Beratung gearbeitet.

Workshop: Neuroqueer – Awareness Workshop
Datum und Ort:
8. November von 16:00 bis 19:00 Uhr. Raum 201, Hardenbergstraße 33, 10623 Berlin
Sprache: Deutsch und Englisch

Inhalt: Neuroqueerness gibt der Intersektion von Queerness und Neurodivergenz einen Namen. Neuroqueere Ansätze lösen Erwartungen an Neuro-, Cis- und Heteronormativität ab und bieten selbstermächtigende Ansätze. Im Uni- und Gemeinschaftskontext bieten sie wichtige Werkzeuge, um Räume der Vielfalt zu gestalten. In diesem Workshop werden Tools und Erfahrungen geteilt und gemeinsam erarbeitet, wie wir neuroqueeren Strategien anwenden könnten. Dabei betrachten wir Neurodiversität durch queere Perspektiven und Positionen aus den Disablity Studies und der Disability Justice Bewegung.

Workshopleitung: Als trans*nichtbinärer und autistischer bodymind interessiert lotti Seebeck sich für neuroqueere und inklusive künstlerische Praktiken und hat als Masterarbeit in Kunst im Kontext Neuroqueerness durch performative Strategien untersucht.

Workshop:Empowerndes Schreiben für queere Menschen
Datum und Ort: 25.11 von 14:00 bis 17:00 Uhr. Aula Raum 201, Hardenbergstraße 33, 10623 Berlin
Sprache: Englisch und Deutsch

Inhalt: Entdecke deine kreative Stimme in einem queeren Safer Space. In diesem Schreibworkshop verarbeitest du deine Erfahrungen und Emotionen durch kreatives Schreiben – und feierst deine Queer Joy! Ob Kurzgeschichte, Gedicht oder etwas ganz Eigenes – hier kannst du dich ausprobieren und deine queere Identität künstlerisch ausdrücken. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Schreib in der Sprache, die dir am besten liegt, und teile (freiwillig) deine Texte in einer respektvollen, empowernden Gruppe. Intersektional queere Menschen (BIPOC, mit Behinderung, muslimisch, jüdisch, neurodivergent, dick_fett …) sind ganz herzlich willkommen. Eure Geschichten haben hier Platz!

Workshopleitung: Alex Gastel (they/them) ist Autor*in und Diversitäts-Trainer*in. Als trans*, nicht-binäre und polyamore Person bringt Alex persönliche Perspektiven in Workshops ein, die Raum für Vielfalt und intersektionale Geschichten schaffen. Their Texte wurden in verschiedenen Literaturmagazinen und Anthologien veröffentlicht.
Instagram: @empowerndes_schreiben

Antidiskriminierung und Empowerment Workshops

Theaterworkshop: „Körper und Territorium“ für BPoC und LGBTQIAPN+* Menschen
Datum und Ort: 29. Oktober von 17:00 bis 20:00 Uhr. Raum 151, Hardenbergstr. 33. 10623 Berlin
Sprache: Englisch

Inhalt: Der Theaterworkshop basiert auf der Methodik des Theaters der Unterdrückten, inspiriert von Bárbara Santos und den Ideen von Lorena Cabnal, Begründerin des Community Feminism. Er bietet einen sicheren Raum für Menschen aller Hintergründe, um Themen wie Selbstliebe, Selbstfürsorge und Schwesternschaft zu erforschen. Durch Theatertechniken, darunter das Theater der Unterdrückten, werden Erfahrungen geteilt und Wege zu sozialen und politischen Veränderungen gesucht.

Ein zentrales Thema ist die Verbindung zwischen Körper, Territorium und Selbstfürsorge. Der Körper wird als Ort des Widerstands und der Rebellion verstanden, durchdrungen von Cabnals Worten: „Die Körper sind der Ort, an dem die Auswirkungen der Unterdrückung spürbar sind, aber auch die Energie der Emanzipation verwurzelt ist.“

Der Workshop setzt auf Ethik, Solidarität und die Erforschung von Selbstfürsorge, insbesondere in Bezug auf den Globalen Süden. Die Teilnehmer werden eingeladen, neue Wege der Solidarität zu entdecken und die Verbindung zwischen Körper und Geist sowie soziale und ökologische Bewegungen aus einer globalen Perspektive zu reflektieren.

Workshopleitung: Uriara Maciel wurde in Bahia, Brasilien, geboren und lebt derzeit in Berlin. Sie arbeitet als Schauspielerin und Theatermacherin mit Fokus auf dekoloniale und feministische Themen. Im Theater der Unterdrückten arbeitete sie mit Augusto Boal (2006-2009) und seit 2007 mit Bárbara Santos. 2017 führte sie Regie bei „Preta, Preta, Preta“. Sie engagiert sich auch für die LGBTTQI+-Gemeinschaft und entwickelt gemeinsame Projekte in Brasilien und Europa. Der Film „Aschermittwoch“, in dem sie die Hauptrolle spielt, wurde im Februar 2023 auf der Berlinale uraufgeführt. Für das Kollektiv Kakalaques inszenierte sie die Stücke „TV Las Estrelladas“ (2017) und „A not very human story“ (2019). Sie arbeitet freiberuflich für das Ballhaus Naunynstraße, Kuringa Berlin und andere Regisseure.
Workshop:Visual Poetry, Visual Essay – Undocumented, Unlearning, Unrelated
Datum und Ort:
6. November von 16:00 bis 18:30 Uhr. Raum 16, Grunewaldstraße 2-5, 10823 Berlin
Sprache: Englisch

Inhalt: Der Workshop „Visual Poetry, Visual Essay: Undocumented, Unlearning, Unrelated“ bietet einen Raum, um Gedichte und Essays zu schreiben. Er schafft ein politisches Umfeld, in dem die Teilnehmer*innen Praktiken der Dokumentation erforschen und hinterfragen, wie der Prozess das Dokumentierte verändert und welchen Einfluss Autorenschaft hat. Die Teilnehmerinnen sammeln (un)vergessliche (Mikro)geschichten und persönliche Erfahrungen. Im ersten Teil präsentieren die Referentinnen ihre Erfahrungen mit Kollektivität als lebendiges Archiv, gefolgt von Beiträgen von Hyejeong Yun zu visuellen Essays und Yan Lin zu ihren künstlerischen Praktiken.

Im zweiten Teil schreiben die Teilnehmer*innen einen Brief oder „(ent)schreiben“ ihn, gefolgt von einem Schreibspiel zu [(DIS)CONNECTION]. „Unlearning“ bezieht sich auf Ariella Aisha Azoulays „Unlearning Imperialism“.

Workshopleitung:Yan Lin und Hyejeong Yun vom Asian Feminist Studio for Art and Research. Das Asian Feminist Studio for Art and Research (AFSAR) ist ein Ort für die Archivierung zeitgenössischer feministischer Diskurse und künstlerischer Forschung. Innerhalb von AFSAR ist der SiSalon (Poetry Salon) eine Untergruppe, die sich auf die kollektive Forschung in diesen Bereichen konzentriert. Über unsere lebendige Online-Plattform kommen Praktiker*innen aus verschiedenen Disziplinen und Bereichen über geografische Grenzen hinweg zusammen, um sich in die Kunst des „Poesie-Machens“ zu vertiefen. Diese Plattform ist unsere (nicht-)virtuelle Gemeinschaft, in der wir zusammenkommen und unsere Leidenschaft für Poesie teilen.

Online-Workshop: Allyship! Solidarisch gegen Rassismus!
Datum:
7. November von 17:00 bis 20:00 Uhr ONLINE
Wer sollte teilnehmen? Dieser Workshop richtet sich an weiß positionierte Studierende und Beschäftigte der UdK Berlin.
Sprache: Deutsch

Inhalt: Dieser Online-Workshop beschäftigt sich damit, wie Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft sich als Verbündete gegen Rassismus engagieren können.

Diese Fragen werden behandelt:
Was bedeutet es, ein*e Ally zu sein?
Wie werde ich zum Ally?
Warum möchte ich Ally sein?
Wie spreche und handele ich im Kontext von Rassismus?
Welche Rolle spielt meine weiße Identität in meinem Engagement gegen Rassismus?

Workshopleitung: Aşkın-Hayat Doğan (er/ihn) kam 1980 in Berlin auf die Welt und verbrachte größte Teile seiner Kindheit in Ankara und Istanbul. Später studierte er Turkologie und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und verdingt sich als Diversity- und Empowerment-Trainer, Sensitivity Reader, Übersetzer für Türkisch-Deutsch sowie Autor und Redakteur.

Rita Zobel (sie/ihr) studierte Japanologie an der Freien Universität Berlin. Neben ihrer Forschungstätigkeit im Wissenschaftszentrum Berlin promovierte sie im Bereich Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2016 engagiert sie sich in der Arbeit mit Geflüchteten und ist als Facilitatorin und Diversity-Trainerin aktiv.

Grundlagen Workshop: Antisemitismus verstehen, erkennen, benennen und  Vertiefuns Workshop: Antisemitismus in Kunst und Kultur

Datum und Ort: 13. November von 14:00 bis 18:00 Uhr. Raum 110, Hardenbergstraße 33,10623 Berlin
Sprache: Deutsch

Datum und Ort: 20. November von 14:00 bis 18:00 Uhr. Raum 215, Mierendorffstr.30, 10589 Berlin
Sprache: Deutsch

Hinweis: Der Grundlagenworkshop „Antisemitismus verstehen, erkennen, benennen“ und der Workshop „Antisemitismus in Kunst und Kultur“ sind aufeinander aufbauend und müssen zusammen besucht werden.

Inhalt: Grundlagen-Workshop: Heutige Formen von Antisemitismus äußern sich oft über Umwege: in geschichtsklitternden Aussagen, im Hass auf Israel, in verkürzter Eliten und Kapitalismuskritik oder Verschwörungstheorien. Bei der Verbreitung von Ressentiments und Stereotypen spielen auch soziale Medien und die Populärkultur eine zentrale Rolle. Dabei ist es nicht immer ganz einfach den antisemitischen Kern von Aussagen, Beiträgen oder Bildern zu erkennen. Gleichzeitig entzünden sich immer wieder Debatten darum, bei welchen Phänomenen es sich um Antisemitismus handelt. Das gilt besonders im Umgang mit Israel. Die Frage darum, was Kritik ist und was die Anwendung antisemitischer Narrative auf den jüdischen Staat, wird nicht nur in Deutschland regelmäßig ausgetragen. Während des Workshops werden die verschiedenen aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus sowie Ansätze, das Phänomen zu definieren vorgestellt. Außerdem soll es um die historische Entwicklung von Antisemitismus gehen und es werden antisemitische Codes und Bilder in aktuellen Debatten aufgezeigt. In der Arbeit an konkreten Beispielen lernen die Teilnehmer*innen, antisemitische Bilder und Erzählungen zu erkennen und adäquat einzuordnen: Wie erkenne ich Aussagen, die einen antisemitischen Kern beinhalten, aber sich beispielsweise einer Form von „Umwegkommunikation“ bedienen? Welche Formen der Neuformulierung traditioneller antisemitischer Erzählungen gibt es?

Vertiefungs-Workshop:Der interaktive Workshop bietet Austauschmöglichkeiten und sensibilisiert dafür, unterschiedliche Formen, Merkmale und Funktionen von Antisemitismus zu erkennen. Ziel ist es, eine selbst-reflexive Haltung zu entwickeln, die Funktion von Antisemitismus zu verstehen und die Perspektiven von Betroffenen ernst zu nehmen. Ein Überblick über die Debatten zu Antisemitismus in der Kulturszene wird den Teilnehmenden gegeben. Darauf aufbauend wird ein Austauschraum für Handlungsperspektiven für den Arbeitsbereich Kunst und Kultur im Umgang mit Antisemitismus und Rassismus geboten.

Workshopleitung: Bildungsstätte Anne Frank

Vorträge

Vortrag: Kunst in den #MustFall-Bewegungen – eine afrikanisch-queere Perspektive
Datum und Ort:
22. November von 10:00 bis 12:30 Uhr.
Sprache: Englisch

Inhalt: Der Vortrag stützt sich auf Vorstellungen von queer heritage-making, die für die Position diverser und dynamischer kreativer Bestrebungen plädieren, die die Ausstellungsräume und den kulturellen Raum destabilisieren. Inspiriert von künstlerischen Interventionen auf dem Universitätscampus in Südafrika während der #RhodesMustFall-Bewegung und deren Nachwirkungen, werden zethu Matebeni und Yvette Mutumba die Möglichkeiten queerer Dekolonisierungsbemühungen innerhalb der afrikanischen Landschaft diskutieren. Die Präsentation positioniert queere Kunst als notwendige Zäsur des kolonialen Blicks und bietet Möglichkeiten für Freiheit und Gerechtigkeit.

Referent*innen:Prof. Dr. zethu Matebeni ist Professor und Mitglied des Forschungslehrstuhls der National Research Foundation (NRF) South Africa für Sexualitäten, Geschlechter und Queer Studies an der Universität Fort Hare. Matebeni ist eine treibende Kraft in den afrikanischen Queer Studies, die sich mit den Überschneidungen von Ethnie, Klasse, Geschlechtervielfalt und Sexualität im postkolonialen Afrika befassen. In Zusammenarbeit mit Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen hat sie innovative Forschungen und Interventionen zu queeren Themen, kritischen Ethnien und Dekolonisierung durchgeführt und sich unter anderem an der #RhodesMustFall-Bewegung und #AlternativeInclusivePride beteiligt. Zu Matebenis bemerkenswerten Werken gehören die von ihr mit herausgegebenen Bänden “Queer in Africa: LGBTQI Identities, Citizenship, and Activism“ (2018), und “Beyond the Mountain: Queer Life in ‚Africa’s Gay Capital’“ (2020).

Dr. Yvette Mutumba ist Mitbegründerin und künstlerische Leiterin der Plattform Contemporary And (C&). Seit 2020 ist sie Curator-at-large am Stedelijk Museum in Amsterdam, war Teil des kuratorischen Teams der 10. Berlin Biennale (2018) und Gastprofessorin für Globale Diskurse an der Kunsthochschule für Medien, Köln (2017-2018). Von 2012 bis 2016 war sie als Kuratorin am Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main tätig. Hier ko-kuratierte sie die Ausstellungen „Ware & Wissen – or the stories you wouldn’t tell a stranger“, „El Hadji Sy: Paintings, Performance, Politics“ und „A Labour of Love“. Letztere war für den Global Fine Arts Award nominiert. Mutumba studierte Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und promovierte am Birkbeck, University of London. 2020 wurden sie und Julia Grosse mit dem Preis „Europäische Kulturmanager*in des Jahres“ ausgezeichnet.

Installation und Podiumsdiskussion: Muslimische Interventionen in der Kunst
Datum und Ort:
 15. Januar von 17:00 bis 20:00 Uhr. Raum 102, Hardenbergstr. 33, 10623 Berlin
Sprache: Englisch

Inhalt: Mehr Informationen folgen.

Referent*innen: Ozan Zakariya Keskinkılıç ist Politikwissenschaftler, freier Autor und Lyriker. Er studierte in Wien, Berlin und Cambridge und lehrt und forscht an Berliner Hochschulen u. a. zu (antimuslimischem) Rassismus, Antisemitismus, Orientalismus sowie zu Erinnerung und widerständiger Kunst- und Kulturproduktion. 2024 wurde er als Mitglied in die Berliner Expert:innenkommission gegen antimuslimischen Rassismus berufen. Im vergangenen Jahr erschien sein vielbeachtetes Buch „Muslimaniac. Die Karriere eines Feindbildes“ in einer Neuauflage im Verbrecher Verlag. Neben wissenschaftlichen Texten schreibt Keskinkılıç Kolumnen, Essays, Prosa, Hörstücke und Lyrik. Seine Gedichte werden in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht und in verschiedene Sprachen übersetzt, u.a. Englisch, Italienisch und Kasachisch. 2022 erschien sein Lyrikdebüt „Prinzenbad“ im ELIF Verlag. Seine lyrischen Arbeiten wurden als Teil multimedialer Kunstausstellungen im Grassi Museum Leipzig, in der Literaturpassage Wien und zuletzt in der ACUD Galerie in Berlin präsentiert. 2024 wurde er für den Heidelberger Clemens-Brentano Preis und den Dresdner Lyrikpreis nominiert.

Anja Saleh ist eine interdisziplinäre Künstlerin und Dichterin und Autorin von „Soon, The Future Of Memory“, ihrem ersten abendfüllenden Gedichtband, der im Juni 2021 bei Edition Assemblage in Deutschland erscheint. Anja Saleh, die Politik- und Sozialwissenschaften studiert hat, beschäftigt sich in ihrer Forschung und Kunst mit Kunsthandwerk, Erinnerung und Zukunftsstudien. 2018 gründete Anja Saleh das TAVII Studio, ein kulturelles Projekt und ein Fair-Trade-Schmuckgeschäft, das in Zusammenarbeit mit Kunsthandwerkern in Kairo, Ägypten, Ouagadougou, Burkina Faso und Berlin, Deutschland, echte Handwerkskunst in den Mittelpunkt stellt.

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Artist Training presents: Alliances – Students, Scholars and Artists at Risk is the continuation of the Artist Training Lab for Radical Transformation (2020/21) and How to Create a Safer Space (2022) event series. Together with the representatives and members various Universities and artists, this workshop series was developed to address and discuss structural discrimination and obstacles within German universities, with UdK Berlin being no exception. In collaboration with the Commission for Equal Opportunities and the International Office at UdK Berlin, the workshop series focuses on networking, inventory analysis, and coordination of programs for students, scholars, and artists at risk in the coming years. The reflections on the three workshops are being documented through interviews with participants and invited professionals by a podcast. 

The second podcast Alliances with art universities focuses within the exchange meeting: On the way to the postmigrant society in collaboration with Unlearning University and with representatives of art universities. The guest is Alejandra Nieves Camacho, Diversity Manager at UdK Berlin. Together with moderator Johanna Madden, they will reflect on the expiring programs and ideas for further development.

Coming Soon.

Speaker: Alejandra Nieves Camacho (Diversity Manager at UdK Berlin)
Production: Johanna Madden (Moderation) & Sel
Coordination: Melanie Waldheim (Artist Training Team) 

Die Migrationsgesellschaft verteidigen – 5 Thesen für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung an Kunsthochschulen

 

 

Deutsch:
20.07.2024

Mit Sorge beobachten wir – Vertreter*innen künstlerischer Hochschulen in Berlin – die gegenwärtigen Verschärfungen der Migrations- und Asylpolitik, die Kürzung der Förderungen für Geflüchtete und den gesellschaftlichen Rechtsruck, der die plurale Gesellschaft in Gefahr bringt. Angesichts dieser Entwicklungen sind wir jetzt gefragt, Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte weiterhin Zugänge zu Studium, Lehre, Forschung und Arbeit zu gewährleisten.

In den letzten Jahren haben wir mit großem persönlichen, oft ehrenamtlichen Engagement Strukturen aufgebaut, um Studieninteressierten, Studierenden, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen mit Fluchtgeschichte Teilhabe zu ermöglichen.

Diese Strukturen wurden mit Drittmitteln aufgebaut und sind akut, gefährdet. Denn die Förderprogramme, die sie ermöglicht haben, sind ausqelaufen (DAAD) oder werden voraussichtlich nicht fortgesetzt (QIO). Fest steht: Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte Zugänge zu ermöglichen, ist kein Projekt, sondern eine Daueraufqabe aller Hochschulen.

Künstlerische Hochschulen haben in einer pluralen Gesellschaft Vorbildfunktion. Denn in den Künsten wird soziale und kulturelle Zugehörigkeit verhandelt. Wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich eröffnen die Künste marginalisierten Gruppen Ausdrucks- und Handlungsfähigkeit, die in den Kultur – und Bildungseinrichtungen unterrepräsentiert sind. Um der Vielfalt und Pluralität der Gesellschaft gerecht zu werden, sind die künstlerischen Hochschulen in der Pflicht, es geflüchteten Personen zu ermöglichen, an der Freiheit der Künste und der Wissenschaften teilzuhaben.

Die Migrationsgesellschaft zu verteidigen und das Recht auf Bildung und Teilhabe abzusichern, darf nicht an knappen Ressourcen oder Sachzwängen scheitern. Geflüchtete, Migrant *innen und Personen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, sollen einen Platz an unseren Hochschulen haben. Darüber hinaus müssen künstlerische Hochschulen Orte des kritischen Denkens, der wissenschaftlichen und künstlerischen Freiheit sein und bleiben. Zudem ist die Auseinandersetzung mit vielfältigen künstlerischen Perspektiven für die Zukunft künstlerischer Hochschulen unerlässlich. Wir brauchen angesichts des Rechtsrucks der Gesellschaft mehr denn je dauerhafte Schutzstrukturen und Programme zur Sicherung demokratischer Werte.

  1. Strukturelle Verankerung
  2. Zugang zum künstlerischen Studium
  3. Zugang zu Forschung
  4. Zugang zu Arbeitsplätzen und Aufträgen in Lehre und Verwaltung
  5. Zugang zu einer diskriminierungsfreien Lern- und Arbeitsumgehung

 

Ukrainisch:

Ми, представни*ці мистецьких університетів Берліна, з глибоким занепокоєнням спостерігаємо за поточним посиленням політики щодо міграції йнадання притулку; скороченням фінансування для біжен*ок та правими тенденцями – усе це становить величезну загрозу плюралізмовісуспільства.

У світлі цих подій ми повинні забезпечити тяглість доступу до навчання, викладання, досліджень і роботи людям з історією біженства та міграції.За останні роки ми створили структури, де люди віддано і часто добровільно працюють для всебічного залучення до навчання й роботи майбутніх ітеперішніх студент*ок, мист*кинь і науков*иць, які колись були змушені покинути свої домівки. Ці структури, створені за рахунок сторонньогофінансування, зараз перебувають під загрозою зникнення. Програми фінансування або закінчилися (DAAD), або навряд чи будуть продовжені(QIO). Одне можна сказати напевно: відкритість до людей з історією біженства та міграції – не тимчасовий проєкт, а постійний обов’язок кожногоуніверситету.

Мистецькі виші – це модель наслідування у плюралістичному суспільстві, адже соціальна й культурна приналежності обумовлюються мистецтвом.На відміну від будь-якої іншої сфери, саме мистецтво дозволяє маргіналізованим і недостатньо представленим групам виражати себе і діяти.Задля підтримки розмаїття й плюралізму виші мусять забезпечити людям із досвідом біженства свободу в мистецтві й науці.

Не можна дозволити обмеженим ресурсам і буденним труднощам стати на заваді захисту суспільства, інклюзивного щодо міграції, і забезпеченнюправа на освіту й рівної залученості. Біжен*ки мігрант*ки й постраждалі від расизму й антисемітизму повинні мати місце в наших університетах.Крім того, мистецькі виші зобов’язані лишатися бастіонами критичного мислення, академічної та мистецької свободи. Різноманітність художніхперспектив має важливе значення для майбутнього цих інституцій. У світлі суспільного зсуву праворуч нам необхідні сталі структури захисту йпрограми підтримки демократичних цінностей.

  1. Структурна підтримка і закріплення
  2. Доступ до мистецької освіти
  3. Доступ до досліджень
  4. Доступ до роботи та завдань у сфері викладання та адміністрування
  5. Доступ до недискримінаційного навчального та робочого середовища

 

Farsi:

ما نمایندگان دانشگاه‌های هنری برلین، با نگرانی عمیق، تشدید سیاست‌های مهاجرت و پناهندگی، کاهش بودجه برای پناهندگان، و تغییر جامعه به راست را مشاهده می‌کنیم که همگی یک جامعه کثرت‌گرا رابه خطر می‌اندازند.

با توجه به این تحولات، اکنون ما گرد هم امده ایم

تا اطمینان حاصل کنیم که افراد دارای سابقه فرار و مهاجرت همچنان به تحصیل، تدریس، تحقیق و کار دسترسی دارند. در سال‌های اخیر، ما ساختارهایی را با تعهد شخصی و اغلب داوطلبانه ایجادکرده‌ایم تا امکان مشارکت دانشجویان، هنرمندان و دانشگاهیان بالقوه و فعلی را فراهم کنیم.

این ساختارها که با بودجه شخص ثالث ایجاد شده اند، اکنون به شدت در معرض خطر هستند. برنامه های بودجه ای که آنها را ممکن ساخت یا منقضی شده است (DAAD) یا بعید است ادامه یابد(QIO). یک چیز مسلم است: ارائه دسترسی به افراد با سابقه فرار و مهاجرت یک پروژه موقت نیست، بلکه یک مسئولیت دائمی برای همه دانشگاه ها است.

کالج های هنر به عنوان الگو در یک جامعه کثرت گرا عمل می کنند زیرا وابستگی های اجتماعی و فرهنگی از طریق هنر مذاکره می شود. برخلاف هر بخش دیگری از جامعه، هنر به گروه‌های به حاشیه راندهشده و کم‌نمایش اجازه می‌دهد تا خود را ابراز کنند و دست به اقدام بزنند. برای ارج نهادن به تنوع و تکثر جامعه، دانشگاه های هنر باید اطمینان حاصل کنند که پناهندگان می توانند در آزادی هنر و علوممشارکت کنند.

دفاع از جامعه ای فراگیر مهاجرت و حفاظت از حق آموزش و مشارکت نباید به دلیل منابع کمیاب یا محدودیت های عملی شکست بخورد. پناهندگان، مهاجران و کسانی که تحت تأثیر نژادپرستی و یهودیستیزی قرار گرفته اند باید جایگاهی در دانشگاه های ما داشته باشند. علاوه بر این، دانشگاه های هنری باید سنگرهای تفکر انتقادی و آزادی علمی و هنری باشند و باقی بمانند. درگیر شدن با دیدگاه هایهنری متنوع برای آینده این موسسات ضروری است. در پرتو تغییر اجتماعی به راست، ما به ساختارها و برنامه‌های حفاظتی دائمی برای حفظ ارزش‌های دموکراتیک نیاز داریم.

  1. هماهنگ سازی
  2. دسترسی به مطالعات هنری
  3. دسترسی به تحقیق
  4. دسترسی به مشاغل و تکالیف در تدریس و اداره
  5. دسترسی به محیط کار و یادگیری بدون تبعیض

 

Arabisch:

نحن، ممثلو الجامعات الفنية في برلين، نلاحظ بقلق عميق تشديد سياسات الهجرة واللجوء الحالية، وخفض التمويل للاجئين، والتحول المجتمعي نحو اليمين، وكلها عوامل تعرض المجتمع التعددي للخطر.

وفي ضوء هذه التطورات، أصبحنا مدعوين الآن إلى ضمان استمرار الأفراد الذين لديهم تاريخ من الفرار والهجرة في الحصول على الدراسة والتدريس والبحث والعمل. وعلى مدى السنوات الأخيرة، أنشأنا هياكلذات التزام شخصي كبير وطوعي في كثير من الأحيان لتمكين مشاركة الطلاب والفنانين والأكاديميين الحاليين والمحتملين الذين لديهم تاريخ من الفرار.

هذه الهياكل، التي أنشئت بتمويل من طرف ثالث، معرضة الآن لخطر شديد. فقد انتهت صلاحية برامج التمويل التي جعلتها ممكنة (DAAD) أو من غير المرجح أن تستمر (QIO). هناك شيء واحد مؤكد: توفيرالوصول للأشخاص الذين لديهم تاريخ من الفرار والهجرة ليس مشروعاً مؤقتاً ولكنه مسؤولية دائمة لجميع الجامعات.

تعمل كليات الفنون كنماذج يحتذى بها في مجتمع تعددي لأن الانتماءات الاجتماعية والثقافية يتم التفاوض عليها من خلال الفنون. على عكس أي مجال آخر من مجالات المجتمع، تسمح الفنون للمجموعاتالمهمشة وغير الممثلة بالتعبير عن نفسها واتخاذ الإجراءات اللازمة. ولتكريم التنوع والتعددية في المجتمع، يجب على جامعات الفنون ضمان تمكين اللاجئين من المشاركة في حرية الفنون والعلوم.

لا ينبغي أن يفشل الدفاع عن مجتمع شامل للهجرة وحماية الحق في التعليم والمشاركة بسبب ندرة الموارد أو القيود العملية. يجب أن يكون للاجئين والمهاجرين والمتضررين من العنصرية ومعاداة السامية مكان فيجامعاتنا. وعلاوة على ذلك، يجب أن تكون الجامعات الفنية وتظل معاقل للتفكير النقدي والحرية الأكاديمية والفنية. إن التعامل مع وجهات نظر فنية متنوعة أمر ضروري لمستقبل هذه المؤسسات. وفي ضوء التحولالمجتمعي نحو اليمين، نحتاج إلى هياكل وبرامج وقائية دائمة لدعم القيم الديمقراطية.

  1. ترسيخ هيكلي
  2. الوصول إلى الدراسات الفنية
  3. الوصول إلى البحوث
  4. الوصول إلى الوظائف والمهام في التدريس والإدارة
  5. الوصول إلى بيئة تعليمية وعمل غير تمييزية

Veranstaltungen und Workshops Sommersemester 2024

Liebe Mitglieder der UdK,

Auch in diesem Semester wird es wieder die Möglichkeit für euch geben, an Workshops und Veranstaltungen zu Themen rund um Antirassismus und Diversity teilnehmen zu können.

Diese Veranstaltungen werden aufgrund der begrenzten Plätze vorrangig für Studierende angeboten, stehen aber allen Universitätsangehörigen offen. Die meisten Plätze sind für Studierende vorgesehen, aber wir reservieren auch einige Plätze für Beschäftigte. Je nach Verfügbarkeit können weitere Plätze frei werden. Die Teilnahme an den Workshops ist nur nach Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de möglich und wird nach zeitlichem Eingang priorisiert. Bei der Anmeldung bitten wir um Angabe, ob Sie Studierende oder Mitarbeitende sind.

Workshop: Reflexion über Privilegien und Mehrfachdiskriminierung: Erkennen, reflektieren, handeln!

Datum und Ort:
30. April von 14:00 bis 16:30 Uhr, Bundesallee 1 – 2, Raum 340 – Barrierefrei zugänglich.

Wer sollte teilnehmen?
Dieser Workshop richtet sich an weiß positionierte Studierende und Beschäftigte der UdK.

Inhalt:
In diesem interaktiven Workshop werden die Teilnehmer*innen die komplexen Dynamiken von Privilegien und Mehrfachdiskriminierung untersuchen. Wir werden erforschen, wie diese sich überschneidenden Faktoren unsere Erfahrungen, Einstellungen und Handlungen im täglichen Leben prägen. Indem wir unsere eigenen Privilegien erkennen und die Auswirkungen von Diskriminierung verstehen, möchten wir Empathie, Bewusstsein und umsetzbare Veränderungen fördern.

Workshop-Leitung: My Democracy – La Red – Vernetzung und Integration e.V. 

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de .

Webinar „Konflikt über den Konflikt: Ein Blick auf die Israel/Palästina-Debatte an der Universität“ mit Prof. Kenneth Stern

Datum und Ort:
7. Mai, von 17:00 bis 18:00 Uhr, online.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
Wir freuen uns, Sie zu unserem Online-Webinar mit Kenneth Stern einzuladen. Stern, amerikanischer Anwalt, Autor und Leiter des Bard Center for the Study of Hate am Bard College, wird uns durch das Hauptthema seines 2020 erschienenen Buches „The Conflict Over the Conflict: The Israel/Palestine Campus Debate“ führen.

In seinem Buch analysiert Stern Versuche, Meinungen an Universitäten zu zensieren und deren Folgen für die Wissenschaft. Er zeigt auf, dass viele Studierende komplexen Themen lieber ausweichen, anstatt sich ihnen zu stellen. Zudem verdeutlicht er, wie starke Bindungen zu sozialen Themen unser rationales Denken einschränken und zu „wir gegen sie“-Haltungen führen. Für Stern ist die Universität der geeignete Ort, um diesen Konflikt zu behandeln und kritisches Denken zu fördern.

Zusätzlich wird Stern als Mitverfasser der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus deren Hintergrund und Bedeutung erläutern.

Das erste Kapitel des Buches „The Conflict over the Conflict“, das Kenneth Stern freundlicherweise für Interessierte an der UdK Berlin zur Verfügung gestellt hat, ist hier zu finden.

Die Veranstaltung findet online statt. Die Zugangsdaten werden nach der Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de verschickt.

Workshop: Hass und Rassismus im Netz bekämpfen: Grundlagen

Datum und Ort:
23. Mai von 12:00 bis 14:30 Uhr, Kammersaal / Fasanenstr. 1B – Barrierefrei zugänglich.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
In diesem Workshop erwerben die Teilnehmer grundlegendes Wissen und praktische Strategien, um Hassrede, Rassismus und diskriminierende Inhalte im digitalen Raum zu erkennen und damit umzugehen. Wir werden die Auswirkungen von Hassrede untersuchen, Anzeichen dafür erkennen und uns mit grundlegenden Werkzeugen ausstatten, um eine inklusivere und respektvollere Online-Umgebung zu fördern.

Workshop-Leitung: My Democracy – La Red – Vernetzung und Integration e.V. 

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de.

Podiumsdiskussion – Über Antisemitismus sprechen: Aktuelle Debatten

Datum und Ort:
30. Mai von 16:00 bis 19:00 Uhr,  Grunewaldstr. 2-5, Raum 306 – Barrierefrei zugänglich.

Sprache:
Deutsch

Inhalt:
In dieser Podiumsdiskussion werden die verschiedenen Definitionen von Antisemitismus, insbesondere die Unterschiede zwischen der Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) und der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) beleuchtet. Dabei werden sowohl wissenschaftliche als auch politische Schwierigkeiten diskutiert.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Analyse aktueller Formen von Antisemitismus und die Bedeutung einer klaren Verständigung darüber. Zudem werden die Herausforderungen und die Wirksamkeit der aktuellen Politiken und Diskurse im Kampf gegen Antisemitismus, einschließlich der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sowie der Förderung von Toleranz und Vielfalt, betrachtet.

Gäste:
Prof. Dr. Elad Lapidot ist Professor für Jüdische Studien an der Universität Lille, Frankreich. Er lehrte Philosophie und Talmud an zahlreichen Universitäten, u. a. an der Universität Bern in der Schweiz sowie an der Humboldt-Universität und der Freien Universität in Berlin. Seine Forschung wird von Fragen nach dem Verhältnis von Wissen und Politik geleitet. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: Anti-Anti-Semitismus. Eine philosophische Kritik (Berlin: Matthes & Seitz, 2021), hebräische Übersetzung mit Einleitung und Kommentar (mit Roi Bar) von Hegels Phänomenologie des Geistes (Tel Aviv: Resling Verlag, 2020), und Heidegger and Jewish Thought. Difficult Others, herausgegeben mit Micha Brumlik (London/New York: Rowman & Littlefield, 2018).

Prof. Dr. Uffa Jensen ist Historiker und seit 2017 Professor für Antisemitismusforschung sowie stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkten umfassen die Geschichte des Antisemitismus, der deutschen Juden, der Psychoanalyse, der Emotionsgeschichte und der historischen Bildforschung..Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen: „Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“, „Wie die Couch nach Kalkutta kam: Eine Globalgeschichte der frühen Psychoanalyse“ (Berlin 2019), „Zornpolitik“ (Berlin 2017), „Gefühle gegen Juden. Die Emotionsgeschichte des modernen Antisemitismus“ (Aufsatz zusammen mit S. Schüler-Springorum 2013).

Moderation: 
Prof. Dr. Kathrin Peters, Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur an der UdK Berlin & Alejandra Nieves Camacho, Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragte UdK Berlin.

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de.

Workshop: Strategien im Umgang mit polarisierenden Inhalten und Rechtsextremismus in sozialen Medien: Fortgeschrittene*

Datum und Ort:
6. Juni von 12:00 bis 14:30 Uhr, Fasanenstr. 1 B, Kammersaal – Barrierefrei zugänglich.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
Digitale Räume wie soziale Netzwerke sind oft geprägt von Aggression und diskriminierenden Vorurteilen, die sich in verschiedenen Formen manifestieren. Diskriminierende Erzählungen, Hass und Vorurteile werden zunehmend indirekt verbreitet. Daher ist es manchmal herausfordernd zu erkennen, was an bestimmten Inhalten falsch ist und wie man effektiv dagegen vorgehen kann. Dieser Workshop soll den Teilnehmern helfen, verschiedene Formen von Online-Aggressionen und gruppenbezogener Feindseligkeit zu erkennen und bietet Strategien für den Umgang mit diesen indirekten Formen von polarisierenden Inhalten und Aggressionen.

*Die Teilnahme am Grundlagenworkshop wird für diesen Termin empfohlen, ist aber nicht verpflichtend.

Workshop-Leitung: My Democracy – La Red – Vernetzung und Integration e.V. 

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de .

Workshop: 500 Jahre Antiziganismus durchbrechen – Sensibilisierung für Medienbilder und Diskurse

Datum und Ort:
13. Juni von 15:00 bis 18:00 Uhr, Bundesallee 1 – 2, Raum 341 – Barrierefrei zugänglich.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
Fast jeder hat das Wort „Antiziganismus“ schon einmal gehört. Doch wie haben sich die hartnäckigen Vorurteile über Roma historisch in Medien wie Literatur, bildender Kunst, Musik und journalistischer Berichterstattung entwickelt? Und wie prägen sie noch heute die deutsche Medienlandschaft? Nach einer Einführung in das Thema werden wir anhand verschiedener praktischer Beispiele interaktiv angstbesetzte Muster in Text und Bild identifizieren. Am Ende des Workshops möchten wir auch über die Rolle der Kunst in der Community für Identitätsbildung und Widerstand sprechen.

Workshop Leitung: Amaro Foro e.V. ist eine transkulturelle Organisation von Rom*nja und Nicht-Rom*nja. Gemeinsam engagieren wir uns gegen Antiziganismus und für ein gleichberechtigtes Recht auf Teilhabe der Community. Seit März 2020 führen wir ein Pilotprojekt durch, um Medienschaffende für das Thema zu sensibilisieren. Wir sind der Meinung, dass die Beschäftigung mit verschiedenen Formen von Diskriminierung ein fester Bestandteil der Ausbildung von Künstlern, Kulturschaffenden und Journalisten sein sollte. Wir freuen uns darauf, gemeinsam zu diskutieren und zu lernen!

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de.

Online-Workshop: Argumentationstraining: Anti-Rassismus in Chatgruppen (Telegram)

Datum und Ort:
17. Juni, 16:00 – 19:00 Uhr, online.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
Dieser Workshop konzentriert sich darauf, die Fähigkeit der Teilnehmer zu verbessern, in Chatgruppen effektiv und respektvoll zu diskutieren, insbesondere zum Thema Anti-Rassismus. Da Online-Plattformen wie Telegram und WhatsApp eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Gesprächen spielen, ist es entscheidend zu verstehen, wie man Rassismus entgegenwirken und Inklusivität fördern kann. Der Workshop wird online stattfinden. Die Teilnehmer werden eingeladen, an einer Diskussion in einer Telegram-Gruppe teilzunehmen und einige Strategien zur Bewältigung von Online-Aggressionen und gruppenbezogener Feindseligkeit in die Praxis umzusetzen. Installieren Sie die App bitte vor dem Workshop.

Workshop-Leitung: My Democracy – La Red – Vernetzung und Integration e.V. 

Die Veranstaltung findet online statt. Die Zugangsdaten werden nach der Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de verschickt.

Workshop: Desinformation, Fake News und deren Verbindung zu Hass und Rassismus in sozialen Medien

Datum und Ort:
2. Juli von 12:00 bis 14:20 Uhr. Der Raum wird bekannt gegeben.

Sprache:
Englisch

Inhalt:
In diesem Workshop werden wir das Thema Desinformation und Fake News und deren Verbindung zu Vorurteilen vertiefen. Wir werden die Grundlagen untersuchen: Warum sich Fake News verbreitet, wie sie die Bildung von Vorurteilen beeinflusst und wie wir sie erkennen können, um uns selbst und andere zu schützen.

Workshop-Leitung: My Democracy – La Red – Vernetzung und Integration e.V. 

Wir bitten um Anmeldung unter dib@intra.udk-berlin.de.

Workshop: Anti-Rassismus für Lehramt Studierenden

Datum und Ort:

08. Juli

Weitere Informationen folgen zeitnah.

Danke, dass ihr euch mit uns gemeinsam gegen Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung und für ein friedliches Miteinander einsetzt!

Schauen Sie regelmäßig auf unserer Website vorbei! Dort werden demnächst weitere Workshops und Updates zur Veranstaltung veröffentlicht.

Bei Fragen oder Anmerkungen schreibt bitte an: dib@intra.udk-berlin.de .

Visual communication: Michael(a) Daoud.

Das Symposium ist öffentlich.
Wenn nicht anders angegeben, ist keine Anmeldung
erforderlich.
Das Symposium hat bereits stattgefunden, es ist keine Anmeldung mehr möglich.

Veranstaltungsorte: Universität der Künste Berlin; Medienhaus, Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin, Mittwochabend: Bundesallee 1–12, 10719 Berlin

Sprachen: Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Lautsprache und Deutscher Gebärdesprache (DGS) statt. Die jeweils angebotenen Sprachen sind unter den Panels und Workshops angegeben. Xenia Dürr hat eine Einführung ins Programm in DGS gebärde

Knoten

Unlearning University versammelt Studierende, Mitarbeitende und Lehrende, um zusammen mit (internationalen) Gäst*innen diskriminierungskritisches Wissen und transformative Praxis in den Künsten zu diskutieren und zu erproben.

Ausgehend von der Critical Diversity Policy der UdK Berlin stehen drei Aspekte im Mittelpunkt: Wir fragen nach den Zugängen zu den Künsten und nach der Zugänglichkeit zum Studium der Künste. Wir thematisieren Prozesse der Kanonisierungen und die Notwendigkeiten der Kanonkritik. Und schließlich überlegen wir, welche Methoden des Lehrens und Lernens, des ästhetischen Bewertens und Urteilens wir praktizieren und welche wir praktizieren wollen.

PDF des Programmhefts

Informationen zu Access / Zugänglichkeit
Abstracts und CVs
Informationen zu den Räumen für kollektive Echos

UU

Mittwoch, 7.2.24

Bundesallee 1-12, 10719 Berlin, Joseph-Joachim-Saal

19.30 Uhr, Konzert
Musica inaudita Fokus Lateinamerika

Donnerstag, 8.2.24

Ab 9.30 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10 Uhr Eröffnung
Begrüßung: Ariane Jeßulat, Vizepräsidentin UdK Berlin
Einführung: Kathrin Peters (UdK Berlin)
Einladung zu den Räumen für kollektives Echo: Echo-Raum-Kollektiv

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

11–12.30 Uhr Panel
Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen
mit Merle Grimme (Clashing Differences) Joy Kalu (UdK Berlin), Julia Wissert (Theater Dortmund)
Moderation: Karina Griffith (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

14–17 Uhr Workshops
Workshop 1: Critical.Costume: Memes für Self-Empowerment

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum 103

Workshop 2: Echo-Raum Invitation to Unlearn, Mini-Performance-Workshop von und mit Alisa Tretau

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum: Galerie, 14.45–15.30 Uhr

Pause

17.30–19.30 Uhr Workshops
Workshop 1: Conversations on Care & Access
with Angela Alves and Claire Cunningham (UdK Berlin)

Sprachen: englische Lautsprache mit deutscher Flüsterübersetzung
Raum 6, bitte anmelden und gerne Zugangsbedürfnisse mitteilen.

Workshop 2: Institutioneller Beigeschmack
mit Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache
Raum 101; bitte anmelden und Teilnahmebedürfnisse, Allergien oder Fragen mitteilen.

Freitag, 9.2.24

Ab 9 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

9.30–11.30 Panel
Die Selbstverständlichkeit von Klassismus an Kunsthochschulen: Wie können wir Ausgrenzung vermeiden, wenn sie konstitutiv ist?
mit Ruth Sonderegger (Akademie der bildenden Künste Wien) und Sophie Vögele (Zürcher Hochschule der Künste) sowie „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“
Moderation: Elena Meilicke (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Pause

12–12.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: Deep Tissue, ein partizipativer Selbst-Massage-Workshop von und mit Zaidda Nursiti Kemal

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Aula

12.30–14 Uhr Panel
Verlernen
mit Juana Awad, Julian Sverre Bauer, Maja Figge und Rena Onat 

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutschte Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

15–18 Uhr Workshops
Workshop 1: World-Café zur Critical Diversity Policy
organisiert von Alejandra Nieves Camacho und Mathilde ter Heijne (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Workshop 2: Soundscapes des institutionellen Lernens
mit Jakob* vom Kollektiv Gather

Sprache: deutsche Lautsprache (bilingual friendly)
Raum 6, bitte anmelden

Pause

Ab 18.30 Uhr Echo-Raum
Wht th fck&Tenderness – Zine- und Druck-Workshop mit Silent Dinner: für Taube, Schwerhörige und hörende Gäst*innen von und mit Mudar Al-Khufash, Barbara Bielitz, Xenia Dürr, Judith Greitemann, Ximena Gutiérrez Toro und Zoë Sebanyiga

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie
bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

Konzept und Team

Samstag, 10.2.24

Ab 10 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10.30–12.30 Uhr Panel
Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
Daniele G. Daude (The String Archestra): The Myth of Opera Analysis – For a Situated Opera
Johannes Ismaiel-Wendt (Universität Hildesheim): Von Vorsingen und prekären Bretterbuden
Maiko Kawabata (Royal College of Music, London / Open University): Equality, Diversity and Inclusion in Western Classical Music Performance
organisiert von Isabelle Heiss, Johann Honnens und Christine Hoppe (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Mittagspause

13.30–15.30 Forum und Panel
Forum: Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
mit Daniele G. Daude, Johannes Ismaiel-Wendt, Maiko Kawabata
Moderation: Tsepo Bellwinkel

Sprachen: deutscherund englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Panel: Questions towards the Logics of Canonization in Art and Design Histories
Işıl Eğrikavuk (UdK Berlin): How to collaborate? Building dialogues, co-creation, interconnectedness
Mahmoud Keshavarz (Uppsala Universitet): In Search of Makers in Police Archives: Two Snapshots from Unlearning Histories of Making
Carolin Overhoff Ferreira (Unifesp, São Paulo): How can art be decolonized in theory and practice?
Moderation: Miriam Oesterreich (UdK Berlin)

Sprache: englische Lautsprache
Raum 103

Pause

16–16.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: partizipativ-somatische-Performance mit Lisa Siomicheva

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Galerie

16.30–19 Uhr Echo-Raum
Das zärtliche & tentakuläre Orakel – ein Workshop der Sickness Affinity Group-Mitglieder Frances Breden und Stassja Mrozinski

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie, bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

 

 

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Artist Training presents: Alliances – Students, Scholars and Artists at Risk is the continuation of the Artist Training Lab for Radical Transformation (2020/21) and How to Create a Safer Space (2022) event series. Together with the representatives and members of various universities and artists, this workshop series was developed to address and discuss structural discrimination and obstacles within German universities, with UdK Berlin being no exception. In collaboration with the Commission for Equal Opportunities and the International Office at UdK Berlin, the workshop series focuses on networking, inventory analysis, and coordination of programs for students, scholars, and artists at risk in the coming years. The reflections on the three workshops are being documented through interviews with participants and invited professionals by a podcast. 

The first podcast of the series „Alliances with representatives of Berlin’s Universities“ with eight universities focuses on exchanging ideas, analyzing and building stronger alliances. The meeting takes place against the backdrop of the discontinuation of DAAD funding for refugees at universities in Germany. The first guest is author and activist Sanaz Azimipour. Together with moderator Johanna Madden, they will reflect on the expiring programs and ideas for further development.

Speaker: Sanaz Azimipour (Author and Activist)
Moderation/Production: Johanna Madden (UdK Alumni)  
Coordination: İpek Çınar & Melanie Waldheim (Artist Training Team) 

In den Workshops zum Thema „Gewaltfreie Kommunikation in sensiblen Diskussionen“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Let’s talk! Israel / Palästina”, sind Kommunikationsrichtlinien für sensible politische Diskussionen entstanden. Die Beauftragte für Antidiskriminierung und Diversität der UdK Berlin, Alejandra Nieves Camacho, hat die Workshops ausgerichtet.

Diese Richtlinien wurden von Studierenden der UdK Berlin im Rahmen der Workshops erarbeitet, um sicherzustellen, dass politische Diskussionen an der UdK Berlin von Respekt, Empathie und konstruktivem Dialog geprägt sind. Die Richtlinien sind unverbindlich. Sie sind als Hilfsmittel zur Förderung des Dialogs gedacht und können an die Bedürfnisse der Gruppen, die solche Diskussionen führen wollen, angepasst werden.

Kommunikationsrichtlinien

Communication Guidelines

Am 05. Dezember 2022 fand der Aktionstag Recognizing barriers an der Universität der Künste statt. Die in diesem Artikel aufgearbeitete, kritische Reflexion des Programms erfolgte durch den Künstler und Kunstvermittler Dirk Sorge, Gründungsmitglied von Berlinklusion, mit dem Schwerpunkt auf Barriereabbau und inklusiver Praxis im Kulturbereich, und der Schwarzen, intersektional verwobenen Künstlerin Lahya (Stefanie-Lahya Aukongo), deren künstlerische Inhalte sich um die Themen Privilegien, Dekolonisierung, Heilung, individuelle sowie kollektive Liebe und Verletzlichkeit spannen.

 

Unter dem Titel Recognizing barriers versammelten das studentische Kuratorium, bestehend aus Vivian Chan, Luïza Luz und Chris McWayne, sowie der Vizepräsidentin Ariane Jeßulat und dem ehemaligen Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragter Mutlu Ergün-Hamaz kritische Stimmen und ermächtigende Strategien zur Bekämpfung systemischer intersektionaler Diskriminierung in einem Aktionstag für Studierende, Lehrende und Interessierte.

Die Aufschrift des Veranstaltungsplakats „Barrieren, die wir sehen, sind Barrieren, die wir bekämpfen können“ unterstreicht die Relevanz der Benennung von Hürden, um ihnen entgegenwirken zu können, und impliziert sogleich die Schwierigkeit, die dem titelgebenden Anliegen anhaftet: Was für manche Körper als Schranke spürbar wird, bleibt anderen verborgen.

Doch was bedeutet es, wenn Barrieren Ausschlüsse produzieren, wenn ihre Widerständigkeit erhöhte Krafteinwirkung erforderlich macht und folglich diese Perspektiven zu großen Teilen am Rande verbleiben? Im Zuge des Aktionstages sollte der Thematik Barriere(-freiheit) – ausgehend von der Erkenntnis, dass die UdK Berlin nicht frei von intersektionaler Diskriminierung ist –, durch den Einblick in unterschiedliche Lebensrealitäten und durch Kritik an bestehenden Barrieren begegnet werden.

Den Programmauftakt am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT) in den Ufer Studios gab die Künstlerin Gugulethu A. Duma mit ihrem Begrüßungsworkshop Awakening Senses, in dem sich die Teilnehmenden einander u. a. über eine von ihnen selbstgewählte Geste vorstellten, die als Begrüßung durch die übrigen Anwesenden imitiert wurde. Das anschließende Panel mit Nanna Lüth (AG Critical Diversity), Sandrine Micossé-Aikins (Diversity Arts Culture), Sophia Neises, Ahmed Shah (Theater X) und Christian Schmidts (UdK Berlin) diskutierte unter dem Titel Recognizing What?! Was (an-)erkannt wird, kann auch verändert werden?

Im Hauptgebäude an der Hardenbergstraße wurde das Programm durch künstlerische Interventionen und Workshops fortgeführt. Die Gruppe Eine Krise bekommen, bestehend aus Studierenden der Fakultät Gestaltung, versammelte in ihrer interaktiven Installation We are sorry to inform you … kollektiv Ablehnungsgründe für die Aufnahme eines künstlerischen Studiums. Sie reagierte damit auf die jährlich verschickten Ablehnungsbescheide, die tausenden Bewerber*innen den Zugang zu Kunsthochschulen verwehren und eine unsichtbare Mauer an Ausschlussmeachnismen und Diskrimierungen bilden. Der Workshop Embodying Vision mit Dr. Aki Krishnamurthy für BIPoC FLINTA* lud dazu ein sich über Übungen aus der Körperarbeit mit der eigenen Kraft, mit Wünschen und Visionen zu verbinden.

 

Alles selbstverständlich – für wen?

Worte finden
Menschen¹

Alles selbstverständlich
für wen?
Ich bin frustriert, erschöpft
schon nach 19 Minuten
Kein Juhu, nur Unmut

Für wen? Wer darf? Wer fehlt?
Ich möchte schreien
Liebe für die Ungesehenen

Lahyas Gedicht, das im Zuge des Begrüßungsworkshops entstanden ist, hallt nach. Ihre Worte markieren den Anfang eines eindringlichen Gesprächs über Barrierefreiheit an der UdK Berlin, das neben Wertschätzung für die Bemühungen um die Gestaltung eines Aktionstages, die liebevolle Atmosphäre, wie Lahya sie beschreibt, und die Menschen, die dem Tag mit Offenheit und Interesse begegnet sind, auch deutliche Kritik verlauten lässt. Ihr Gedicht erinnert uns eindrücklich daran, dass Barrieren direkten Einfluss auf das menschliche Erleben nehmen und ist erneut Appell, die Bedürfnisse und Erfahrungen derjenigen anzuerkennen und anzugehen, die auf sie stoßen.

Der Beginn des Aktionstages mit der Künstlerin Gugulethu A. Duma wirft für Lahya bereits zentrale Fragen auf: „Es fehlten ganz viele Sachen, wo ich auf einmal merkte, so, oh mein Gott, welche Körper werden mitgedacht? Wie werden nicht-sehende oder blinde Menschen mitgedacht, wie werden Menschen mitgedacht, die vielleicht der englischen Sprache nicht mächtig sind, obwohl es natürlich eine Übersetzung und eine Flüsterübersetzung gibt?“ Dirk Sorge macht deutlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Auseinandersetzung mit und dem tatsächlichen Erleben von Barrieren, wenn er teilt, dass auch für ihn im Zuge des Programmauftakts bereits „eine oder mehr Barrieren“ entstanden sind.

Für Dirk Sorge ergab sich daraus die Frage nach dem beabsichtigten Publikum der Veranstaltung, die für ihn bis zum Ende unbeantwortet blieb: „,Der Tag wird größtenteils auf Englisch stattfinden’, ja, welche Teile denn? Wann macht es Sinn für mich, zu kommen? Das ist eine Information, die mehr Fragen aufwirft als Planungssicherheit gibt. Das ist halt das Grundding, ihr müsst transparent sein, damit Menschen mit Behinderung oder auch andere Personen überhaupt im Vorfeld genug Informationen haben, um entscheiden zu können, ob sie mitmachen wollen und dann müsst ihr die Informationen in die Kanäle streuen, die auch genutzt werden.“

Es geht dabei um die Intransparenz wichtiger Informationen, die in Unklarheiten über die sprachliche und physische Zugänglichkeit der einzelnen Programmteile, der Verfügbarkeit von Gebärdensprachdolmetscher*innen und nicht zuletzt im (Nicht-)Wissen um die Veranstaltung selbst als Barriere für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und Sprachkenntnissen wirksam wird. So wurden relevante Communities nicht angesprochen, die möglicherweise bei ausreichender Informationslage in den Aktionstag mit eingebunden hätten werden können, erklärt Lahya. Dirk Sorge bestätigt, dass er als bereits in der Kunst- und Diversitätsszene aktive Person ohne seine eigene Initiative möglicherweise gar nicht von dem Aktionstag erfahren hätte und wirft damit Fragen zur Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule auf.

Sein konkreter Vorschlag: „Egal ob Menschen mit Behinderung kommen oder nicht – wir veröffentlichen einfach über jeden Veranstaltungsort die Barrierefreiheitsbedingungen. In welchem Stockwerk findet das Event statt, in welchen Räumen, Wegbeschreibungen. Die UdK gibt’s jetzt ja auch schon ein paar Jährchen, das hätte man bereits für die jeweiligen Standorte entwickeln können. Das sollte es einfach geben und immer, wenn man eine Veranstaltung plant, wird das eben mitgeschickt, ohne dass man weiß, welche Person welche Bedarfe hat. Genauso wie ich keine Veranstaltung veröffentlichen würde, ohne dass da ein Datum dabei steht.“ Lahya unterstreicht im Zuge der Kritik noch einmal die Relevanz von Multiperspektive durch „critical friends“ innerhalb der Planung und Organisation einer Veranstaltung, um Ausschlüsse zu verhindern.

In puncto Öffentlichkeitsarbeit fordern beide insgesamt weitaus mehr Offensive, um „die Blase der elitären Academia“ zum Platzen zu bringen, sodass zudem keine unnötigen Barrieren für Menschen entstehen, die nicht zum Dunstkreis der UdK Berlin gehören, sich aber potentiell für ein Studium an der Hochschule interessieren. „Dass es nicht einfach möglich ist zu sagen, bewerbt euch doch alle, ihr könnt euch doch alle bewerben, wir sind doch eine freie Uni, wir sind doch sichtbar für alle, sondern, ja, da sind so viele Barrieren, die erstmal abgebaut werden müssen und die müssen angeschaut werden“, ergänzt Lahya.

 

Leerstellen und Abwesenheiten

Auch das Vormittagspanel legte problematische Aspekte offen. „Das Panel und der Tag waren für mich wie eine Zeitmaschine. Ich fühle mich wie im Jahr 2012 und nicht 2022. Alle diese Themen hätten wir vor zehn Jahren genauso besprechen können und haben wir teilweise auch, aber offenbar hat die UdK die letzten 10 Jahre gepennt, ich kann mir das nicht anders erklären“, kritisiert Dirk Sorge die Trägheit des Wandels innerhalb der Hochschule. Lahya fehlte die Radikalität: „Wie können wir Dinge von der Wurzel her verändern? Wie können wir da noch kraftvoller werden?“

Insgesamt unterstreicht sie die Relevanz, auch die teils unsichtbaren Hindernisse sowie Abwesenheiten und Leerstellen in den Bemühungen um Diversität und Inklusion an Hochschulen zu identifizieren, wenn sie fragt: „Wer fehlte da eigentlich auf der Bühne heute, wer fehlte in der Diskussion? Natürlich können wir nicht bis ins Hundertstel alle Leute aufmachen, aber wir können sie zumindest erwähnen oder sichtbar machen, wie den Platz hier unserer Ahninnen [verweist auf den leeren Stuhl neben Mutlu Ergün-Hamaz].“ Es geht darum, ein erweitertes Verständnis von Barrieren zu entwickeln, sie zu benennen und transparent zu machen, um eine umfassende und inklusive Bildungslandschaft zu schaffen. Trans Personen oder Personen mit Fluchterfahrung in der Universität nicht ausreichend zu berücksichtigen, kann als eine Form der Barriereunfreiheit betrachtet werden. Hierbei wird erneut deutlich, dass Barrieren nicht nur physischer Natur sein können, sondern auch soziale, kulturelle und institutionelle Aspekte umfassen.

 

Von unten und von oben

„Wo sind eigentlich die ganzen Dekan*innen und Menschen, die doch eigentlich heute auch hier sein können, sollen, müssen?“ Die Frage nach Abwesenheiten wird auch beim Blick durch den Raum noch einmal auf andere Weise laut – der Konzertsaal an der Hardenbergstraße ist spärlich gefüllt, neben dem Präsidenten der UdK Berlin Norbert Palz und Vize-Präsidentin Ariane Jeßulat sind nicht viele Leitungspersonen gekommen. Dirk Sorge betont die Notwendigkeit einer klaren institutionellen Verpflichtung zur Barrierefreiheit und führt an, dass Weiterbildung und Sensibilisierung nicht optional sein sollten, sondern als Pflichtveranstaltungen etabliert werden müssen. Er hebt hervor, wie grundlegend es ist, in Stellenausschreibungen die Bedeutung von Barrierefreiheit und Diversität zu betonen. Darüber hinaus wirft er einen Blick auf Auswahlgremien sowie die Besetzung von Professuren und argumentiert für mehr Diversität in diesen Bereichen, fordert Schulungen, um Stereotype und Vorurteile in Auswahlverfahren zu erkennen und zu überwinden.

„Im Bereich Gestaltung wäre es wichtig zu sagen, okay, wir nehmen jetzt ins Curriculum Barrierefreiheit als Pflichtmodul auf, alle Gestalter*innen, Architekt*innen müssen das quasi einmal im Studium thematisiert haben“, schlägt er weiter vor. Dabei ist beiden jedoch bewusst, dass diese Transformationsbemühungen nicht lediglich „von unten“ kommen können: „Man kann an so vielen Stellen ansetzen, aber dabei ist immer die Frage, ist die Leitung an Bord? Sind die Personen an Bord, die das entscheiden können?“, verdeutlicht Dirk Sorge die Verzahnung einer Umsetzung von Maßnahmen und tiefgreifender, struktureller Transformation mit einem Bewusstseinswandel auch oder vor allem in den Reihen von Leitungspersonen.

Lahyas Überlegungen zeichnen ein ähnliches Bild: „Ich habe die Hoffnung, dass solche Institutionen verstehen, dass sie wirklich ihre Plätze frei machen müssen, dass sie wirklich neu denken müssen, dass sie ihren Lehrplan verändern müssen und dass Leute an die Plätze kommen, die vielleicht die letzten fünfhunderttausendmillionen Jahre nicht an den Plätzen waren. Dinge mal wirklich zu verändern und wirklich mal zu gucken: Warum sitze ich hier eigentlich? Was ist mein Privileg, dass ich hier sitzen darf? Und wessen Platz besetze ich hier gerade?“

 

Sara Ahmeds „brick wall“

Inmitten der Reflexion der Respondenzen zu den Herausforderungen und Fortschritten in den Transformationsbemühungen drängt sich eine philosophische Reflexion auf, die sich auf die Worte von Sara Ahmed stützt. Ahmed, eine bekannte Theoretikerin im Bereich der Queer Studies, beschreibt die Anstrengungen um mehr Diversität als ein Kopf-gegen-die-Wand-Erlebnis und veranschaulicht auf eindrückliche Weise, wie es sich anfühlen kann, Welten für jene zugänglich zu machen, die historisch von ihnen ausgeschlossen wurden. Die Wand, die Ahmed als „brick wall“ beschreibt, repräsentiert dabei die Hindernisse und Widerstände, die in der Diversitätsarbeit als eine physische und emotionale Erfahrung der Beharrlichkeit wirksam werden und zugleich Normen und Hierarchien aufrechterhalten, die sich in realen Strukturen und Praktiken manifestieren.

Wenn wir ihre Perspektive einbeziehen, wird deutlich, dass diejenigen, die in der Diversitätsarbeit engagiert sind, nicht nur gegen institutionelle Barrieren kämpfen, sondern auch gegen ein tief verwurzeltes System, das Veränderungen oft hartnäckig widersteht.

Der Weg zur Veränderung ist zweifellos mühsam, aber von entscheidender Bedeutung. Die UdK Berlin wie auch andere Hochschulen müssen ihre Strategien überdenken und aktiv daran arbeiten, Barrieren abzubauen und vielfältige Perspektiven zu repräsentieren.

 

¹ Dieses und folgende Zitate sind der internen Videoaufzeichnung des Panels entnommen.

Quellen:

Feministkilljoys (2014b): Hard, [online] https://feministkilljoys.com/ 2014/06/10/hard/.

Day of Action: Recognizing Barriers, 05.12.2022, Universität der Künste Berlin (o. D.): [online]
https:// www.udk-berlin.de/en/university/translate-to-english-diversitaet-und-antidiskriminierung/translate-to-english- aktionstag-recognizing-barriers/.

Videoaufzeichnung des Aktionstags Recognizing barriers

 

Common Ground 2016-2023

You can also find this text in Arabic (Translation: Michaela Daoud), Farsi (Translation: Forough Absalan) and Ukrainian language (Translation: Yevheniia Perutska).

The student initiative Common Ground originated in the Support Refugees (SURE) project founded by a few students from Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (Communication in Social and Economic Context) at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin) in 2015. The project was a direct response to the war in Syria and the significant number of people seeking refuge in Berlin. Two former UdK Berlin students, Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek, renamed and reshaped it that year into the current format, as part of their Bachelor’s thesis project, envisioning a long-term initiative that would open up institutional walls to offer more welcoming spaces. From its beginnings, the goal of the initiative was to support people who have experienced forced migration, offering advice and opportunities to engage with local creatives and organizations. Over the years, it has further developed to provide assistance and a sense of community to disadvantaged newcomers, before and during their study application process. It continues to be a place for creative encounters between UdK Berlin students and diverse communities in Berlin, as well as for raising awareness about issues relating to migration and exile.

Common Ground’s members act as mediators between prospective students and other university initiatives, such as AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss), the International Office, the Studium Generale, Berlin Career College and the Artist Training. Each year, the group organizes and funds social art projects by, with, and for people who have experienced migration. Over the past eight years, these included exhibitions, performances, film screenings, music jam sessions, workshops, and reading groups, among others. The support comes through establishing helpful contacts with students, artists, and other professionals, as well as financing the realization of artistic projects. The student initiative received funding from the DAAD and the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) through the efforts of International Office.

Since 2020, Common Ground has also been running the Common Ground Studio, a study preparation program providing access to UdK Berlin’s Institute of Fine Arts for disadvantaged individuals. For one academic year, from October to July, it invites selected participants to join one of the specialist artistic classes, granting them guest auditor status. This allows them to actively participate in class meetings, engage in studio projects, and receive guidance from professors. The program offers a valuable opportunity for prospective students to prepare their portfolios for formal study applications, gain insights into the Fine Arts program at UdK Berlin, and further develop their own artistic practice. As a result, the university gains a wealth of diverse perspectives from talented individuals who otherwise may not have had the opportunity to study at UdK Berlin due to structural inequalities.

In this publication, we take a retrospective look at the inception and trajectory of Common Ground: the work accomplished, the challenges faced, and the achievements celebrated. We delve into the low and high points, exploring which strategies have been fruitful and what potential lies ahead. To gain further insights, we had the privilege of speaking with six former and current Common Ground members: Benjamin Glatte, Elisabeth Hoschek, Lima Vafadar, Narges Derakhshan, Forough Absalan, and Vincent Hulme. Their perspectives highlight the continued critical importance of Common Ground at the university, emphasizing its value in supporting disadvantaged individuals and fostering a diverse and inclusive artistic community.


Interview Benjamin Glatte & Elisabeth Hoschek


Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek crossed paths during their studies in the Communication in Social and Economic Contexts (GWK) department at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin). It was in 2015 when they initially conceived the idea for Common Ground. Together, they worked on establishing and maintaining a platform that connected artists in exile and newcomers in Berlin with students and professionals in the art community. Over the course of eight years, what initially began as a communications project for their Bachelor’s thesis has evolved into an enduring initiative that has embraced various forms of community building.Currently, Elisabeth is pursuing her studies in film production at the Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. She also works as a freelance producer and takes on various roles on film sets for television, cinema, and series. Since graduating, Benjamin has established multiple ventures: an NGO that focuses on diasporic communities and artists in exile, a film set rental company, and a web development company. He is also a communications consultant and a communications coach for young adults.

Adela Lovrić:

How did Common Ground initially develop?

Elisabeth Hoschek:

During our final project at GWK, called the Kommunikationsprojekt, our group of five students aimed to develop a communication campaign for a company. Instead, we decided to work with the AStA of UdK Berlin and further develop their campaign that started out as SURE (Support Refugees). Our goal was to create safe spaces and raise awareness within the academy for artists who had recently fled their countries. We acted as an interface, connecting students, teachers, and artists in exile who wanted to contribute their expertise through workshops and seminars. Our main focus was to match demands and offers, and to build a dense network of communication. Natalia Ali, who was a Fine Arts student at the time, organized a discussion at UdK Berlin about the role of women in Syria and how their life changed through the war and thereby introduced us to the community we wanted to reach out to. This event led to further demands for integration into academic and artistic life in Berlin. We restructured and renamed the initiative, putting a lot of work into creating a lasting structure that could address similar situations in the future.

Adela Lovrić:

What kind of work did you engage in within Common Ground and what were some of its goals and guiding principles?

Benjamin Glatte:

We wanted to create a meaningful project that had an impact beyond our end-of-studies presentation. During this time, the conflict in Syria was happening and we wanted to address the issue at UdK Berlin. Things got quite complex because there were a lot of parties involved: UdK Berlin, AStA, professors, and friends. First, we got the confirmation from AStA that we could further promote the Support Refugees project under its umbrella, and then we also received support from various other parties, including Studium Generale, Berlin Career College, the International Office, and many others. Our next step was to connect all of this together and make the project accessible. We then focused on understanding the needs of the people we wanted to support—young artists who were refugees. We wanted to encourage and empower them. We thought it would be great to invite both students and future artists who are here in exile to come together at UdK Berlin and communicate, make projects, and offer or get support for studying at the university. Our aim was to be the interface and direct contact point bridging the gap between the two groups. We wanted to connect, support, inform, document, and mobilize, making it a collective effort rather than just a nice art project. We wanted artists in exile and newcomers in Berlin to engage in projects, to teach and contribute, while also benefiting from UdK students‘ expertise. We also started applying for funding, creating a website, using all the communication channels we had, and establishing new things, and then it all took off. I think 90 percent of the work we did was actually not what we intended to do for our studies, which was a communications project.

Elisabeth Hoschek:

We focused on creating a social network that organically grew to meet the needs of the project. We organized jam sessions, workshops, and portfolio consultations, and maintained a newsletter and blog. We looked for cracks within the university that we could break open and create a more welcoming environment. What we all had in common was having to overcome bureaucratic hurdles. We managed to find some space at the Rundgang to showcase our platforms and the artists we were working with and create a connection between artists and students, which is where the collaboration with UdK’s Berlin Career College became stronger. We saw ourselves as a student initiative, but we had a lot of artists coming to us who had studied before and already worked as professionals. Berlin Career College was working mostly with professionals, but students were always showing up at their door trying to figure out how to study. We tried to bring all those forces together and create spaces of encounter that would allow people to find their way through this network. We also went out and engaged with people directly at different events in Berlin. There was a lot going on but in small circles that sometimes overlapped. We tried to increase the overlap between different scenes and foster word-of-mouth communication. This helped us to create contacts and make the project known.

Adela Lovrić:

What kind of responses to Common Ground did you receive from your target audience?

Elisabeth Hoschek:

There was a lot of interest from all sides, including newcomers, students, the university, and others. Some requests involved urgent matters like finding housing for people, but we were aware that we couldn’t become a flat-searching entity. Instead, we focused on spreading the word and connecting students privately. Sometimes we did manage to engage more in side tasks, but we quickly figured out our limitations and the importance of following our platform’s purpose and communicating it clearly. Some people may have been upset by this, as they expected support in all aspects.

Adela Lovrić:

How did you approach this sensitive task of helping people in need?

Elisabeth Hoschek:

We were aware that as a very white group of people initiating this, it could be seen as the savior complex of rich German kids supporting the “poor refugees.” We invited UdK Berlin students who were related to this context already, to create initiatives and give their opinions on how we should go about things. We really wanted to have eye-level encounters and not something that came from above or was demeaning in any way.

Benjamin Glatte:

The idea was not to approach people as refugees in the first place but as human beings with talents. We wanted to come together at UdK Berlin and create something together, to see if there could be good outcomes for all sides, and to see who could contribute what. This was always the most essential belief when it came to what we wanted to do with Common Ground and what we did not want to do.

Adela Lovrić:

How would you say that Common Ground, being a multi-directional project where both newcomers and the university benefited, has the potential to transform and impact everyone involved, spreading knowledge and ethics beyond its initial scope?

Benjamin Glatte:

This question is pointing towards the core of what it means if people support each other and how you can actually do this, especially if someone is obviously in the more disadvantaged position. In psychology, there’s a concept called a systemic approach, where the specific problem becomes less relevant if you have a solution that works for you. If you put this ideology on our approach, then I’d say we were not focusing on people being in need and being refugees, but on something positive, which is that we are all human beings and we have something to contribute to and share with each other. This is beyond support; it’s how I imagine inclusion to work. It’s about valuing you as a human being, seeing you at eye level, and trying to enrich each other through activity or conversation. This ideology has, through the course of the Common Ground project, definitely stuck with me when it came to how I wanted to engage with people, no matter their background. And, of course, their background is still something to keep in mind.

Elisabeth Hoschek:

We don’t mean to diminish the act of helping others in times of crisis. I genuinely appreciate people who lend a hand when it’s needed. However, the perception of how to really make an impact that goes beyond just giving a hand has shifted, not only for me, but for a lot of people. That comes, for example, through political discussions and developing friendships. For me, the most valuable thing was to get to know so many different people and perspectives that were engaging with us in many different ways. In the end, I’m still very much anchored in the community that resulted from the work we did. I’m in touch with many people we met through the initiative. The nicest thing about the aftermath of Common Ground was the strengthening of a community of art students and artists.

Benjamin Glatte:

During the so-called “refugee crisis”, most problems arose from the lack of direct contact with those who had fled their home countries. There was no direct contact, so they remained a picture on TV. Through Common Ground and getting in contact with people from different nations and contexts, I often had the feeling that this bubble was broken, which had a lasting positive impact on the people that were involved. If I were to explain why Common Ground is so valuable, especially for students, it’s about getting out of their bubble, actually connecting with others, and ultimately becoming more tolerant through this.
I think that Common Ground is not necessarily just dependent on the next crisis, which is definitely going to come. It’s another connection point that opens up UdK Berlin, this environment, and this way of living, thinking, and being to the outside world. And it can be adapted to a lot of causes, not just crises.


Interview Lima Vafadar


Lima Vafadar came to Germany from Iran in early 2011 to continue her Master’s degree in Cultural Media at the University of Paderborn. Prior to moving, she graduated with joint degrees in Iranian Folklore Painting and Print Design from the University of Applied Science of Tehran. Wanting to further pursue her artistic and creative practice, Lima relocated to Berlin and enrolled at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin) to study Fine Art. During her studies, she also worked as a student assistant at Studium Generale, where she contributed to creative projects for newcomers. Among them was Common Ground, an initiative she joined in 2015 upon meeting its co-founders Benjamin Glatte and Elisabeth Hoschek and stayed with until the summer of 2018. As someone who could personally identify with the struggles of people escaping war and other difficult circumstances, Lima engaged wholeheartedly in creating welcoming spaces and a sense of community for newcomers in and outside of the university. Today, she works as a psychosomatic therapist and continues to develop her artistic practice.

Adela Lovrić:

How did you get involved in Common Ground and why did you feel compelled to join?

Lima Vafadar:

I went through a very long path to find my place in Germany as a creative and an artist. I moved to Berlin in 2011 with the wish to continue my creative and artistic career. To achieve this, I started learning German and applied to UdK Berlin. In early 2015, I began working as a student assistant at the Studium Generale department at UdK, where I developed creative projects for newcomers. They provided a platform for collaborating with fellow students and colleagues on making a safe space for newcomers to find their voice in the art scene of Berlin. While working there, I met the founders of Common Ground. I really appreciated their idea of establishing a bigger container that would connect various creative projects throughout Germany. They wanted to build a space for students and newcomers to meet at the university and share their ideas, as well as to make this digital. I found this wonderful and joined the Farsi translation group to contribute to the beautiful mission of Common Ground.

Adela Lovrić:

What were Common Ground’s main objectives at the time when you were active there?

Lima Vafadar:

We came together from different fields of creative study at UdK Berlin. Our meeting space was AStA, where we discussed how to present our platform to the university president and different institutes within UdK. We wanted to establish communication that would help us open spaces and allocate resources for newcomers in Germany who were eager to engage in creative projects. We sought to address the heartfelt aspirations of these newcomers by providing them a platform where they could be seen and heard, and by opening doors in different institutes of UdK as well as many other creative institutions in Germany. Our intention was to secure funding for individuals who had significant reasons to realize their creative ambitions; to help these talents shine by listening to them and building a supportive community.

We organized open calls for artists and extended our efforts to reach newcomers who had just arrived in Germany. We also talked about our project at conferences and established connections with larger institutions throughout Germany, with the aim of uniting similar initiatives in different cities. At UdK Berlin, we had meetings in the garden with students, professors, and newcomers, where we discussed who we were, what our vision was, who we needed to connect to, and which resources we needed. Through sharing our vision, we could also connect to smaller groups of people and realize the next steps.

Adela Lovrić:

How did you personally connect to Common Ground’s mission?

Lima Vafadar:

For me, Common Ground was the most important community for students and newcomers at UdK Berlin. It gave a sense of community where you could always find people with the same interests and the same kind of empathy, who wanted to do creative projects but not all alone. At that time, a very big collective trauma was happening. As an Iranian born during the war between Iran and Iraq, I couldn’t stay silent. When the Syrian war happened, all of my artistic and creative work was involved with what was happening socially and politically. I remember that the only thing that could keep us alive in Iran during the war was the sense of community. Knowing that many others were sharing the same experiences gave us a sense of safety. Being part of Common Ground was very valuable because it offered an opportunity to meet with individuals with the same passion, share our resources, and be present for each other in therapeutic, creative, and fun ways.

Why is it important for Common Ground to continue to exist at UdK Berlin?

Lima Vafadar:

The world needs people who listen and are brave enough to take action. People who are experiencing war trauma go through many brutal experiences. They often have to leave their loved ones behind. For people who have lost their voices and feel alone, having someone to connect with and express what they’re experiencing is very important. Even if they lack the words to articulate their emotions, they can do it through creativity.

I remember how hard it was to communicate when we started. In Common Ground, we had so many people who could translate, who were familiar with the system, and who knew how to be present for people and connect them to their vision and to therapeutic support. I think it’s so important to provide creative spaces for those who have a big heart and an ability to listen, allowing them to share their ideas and stay connected with those who went through a lot and help them express themselves in any way they can. By doing so, we can foster a stronger, more centered, and more supportive society for the next generation.

Adela Lovrić:

What have you learned through working at Common Ground?

Lima Vafadar:

Through my experiences with newcomers at UdK Berlin, I recognized the significance of our work and also how important it is to learn how to interact with big collective traumas. We gradually learned how to enhance our projects by adding resources to ensure that we could hold space for more people and age groups. For example, we needed an art therapist by our side. Many times we also needed a psychotherapist to be present, especially during expressive theater projects or when working with children. We always needed more people, especially those who were fluent in the participants‘ native languages, to hold the space for people partaking in creative projects.

Adela Lovrić:

Has your work at Common Ground in any way continued to inspire you outside of UdK Berlin?

Lima Vafadar:

These experiences inspired me to pursue further studies in psychosomatic therapy, in which I learned how to connect to the emotional and physical parts of people in a very creative way, and to heal trauma in one-on-one and group settings. I’m also still doing my political art these days.

I liked the sense of working in a group because, as an artist, sometimes you feel so alone with your ideas. Through Common Ground, I felt how important it is to share and to resort to other professionals who can help you to create. After finishing my art studies at UdK Berlin, I continued to dedicate myself to this work. I felt how important it was for my own artistic growth to be more connected to people this way. I really hope that we can keep this spirit and let it shine as a beacon for those who have experienced or are currently living through war. It is crucial to be able to come together and hold space for others, not through a rigid systemic way but through heart-to-heart and creative communication.


Interview Vincent Hulme & Forough Absalan


Vincent Hulme moved to Berlin from Canada in 2011. Before enrolling in the Fine Arts program at the Berlin University of the Arts (UdK) in 2017, he worked as an art teacher, gallery assistant, and printmaker in a silkscreen studio. He joined Common Ground in 2019 and, since 2020, he has been managing the Common Ground Studio (CGS), a year-long preparation program for disadvantaged artists aiming to study at UdK. Aside from working and studying at UdK, Vincent continues to develop his expanded media art practice that engages with the topic of normative repercussions.

Forough Absalan is an interdisciplinary textile artist from Iran. Prior to moving to Berlin in 2018, she studied textile and surface design at the Tehran Art University. In 2021, she joined UdK as a student in the MA program Art in Context. The following year, she became a member of Common Ground and currently co-manages the Common Ground Studio alongside Vicent. She is also active in the wider social and cultural field, especially in working with people in the queer BIPOC community. Her most recent educational and cultural art project was a series of collective workshops with FLINTA* migrant youth and children, in cooperation with various NGOs and accommodations in Berlin.

Adela Lovrić:

How did the Common Ground Studio (CGS) start?

Vincent Hulme:

I learned about the *foundationClass at Weissensee when one of its founders visited UdK to showcase their work in 2019, four years after the so-called “refugee crisis”. At the time, the *foundationClass had already been around for some years. I thought it was something really interesting that I would like to get involved with, but at the time they didn’t need more help. The concept resonated with me because, even though I didn’t have to flee my country to come to Germany, I still arrived as a foreigner and had to jump through all the hoops and confusion, mostly by myself. I thought, why wasn’t there something like this at UdK?

When I joined Common Ground, I had the idea to do the same. I met up with Nadira Husain, Marina Naprushkina, and Ulf Aminde from the *foundationClass and asked for their blessing to try something similar at UdK. Then the pandemic happened. I was on the fence about whether this was going to work. I had been looking for a room and it seemed that it was either never going to be a permanent space, or it would have been some weird office and it just wasn’t going to work. I thought of the guest student program, came up with a structure, and asked all the Fine Arts professors if they were willing to try it out. And then we did it and it worked quite well.

Adela Lovrić:

What was the first edition like?

Vincent Hulme:

In the first year we were figuring it all out. It was 2020, five years since a big number of people had arrived in Germany. We debated a lot about whom Common Ground was for, because there weren’t as many new people coming as in 2015 from Syria, and now from Ukraine. We targeted artists in exile who had arrived in Germany in recent years and now wished to study art. Our focus was on individuals who weren’t German or Western European.

To begin, I reached out to professors at UdK, including Mathilde ter Heijne, David Schutter, Hito Steyerl, and Jimmy Robert, who agreed to support the test run by allowing one or two students to join the class for a year. This ensured the students had a studio spot and a connection with professors and students. The idea was to create pathways of access and personal connections, which are so important in the art world. I remember one of the first participants in the CGS went into the studio at UdK for the first time and waited for the professor to tell her what to do, and then nothing happened. She was very surprised because in Syria, the situation was quite the opposite.

In the summer, we launched an open call and screened applicants based on their portfolios, motivation letters, and readiness to study fine arts at a university level. It all happened during the pandemic, so we had to do all of the meetings online, but some people got access to the studios despite it being nearly impossible. In the end, it worked out quite well. Some people didn’t get in, but most did or did something really valuable with their time.

Adela Lovrić:

How did the CGS develop later? Did you implement some changes in the following years?

Vincent Hulme:

The second year was more on autopilot in terms of structure. In the third year, I wanted to encourage a stronger sense of community through simple initiatives like showing work together at school and meeting for drinks. Next year, I hope to get a bit more effort on the participants’ side in terms of building a community and getting involved beyond just coming for info meetings. I also want to make sure that they commit to the program from start to finish. It’s a valuable opportunity, and we do have to turn down some applicants. It’s disheartening when someone disappears after three months, leaving the professors with an empty studio spot. I really want to push them to make the best use of this one-year free pass and the professors who are willing to help.

Forough Absalan:

This year, we also managed a two-week art residency at the university with people from the CGS and UdK students. Every day, we had various activities like performances, screenings, and an exhibition. We are planning to do the residency again with workshops and projects involving the BIPOC art community.

Right now, Vincent and I are also planning for the next semester of the CGS. I would like the participants to also have access to the Master’s program Art in Context. Most of the people I know from the BIPOC community are artists in exile who already have a career and a Master of Arts program is more suitable for them. With this kind of access, we can also accommodate more participants.

Adela Lovrić:

Are there also ways in which the university can help you improve this program?

Forough Absalan:

Every year we have this issue of being told that we can only continue this work until December. It’s disappointing to not know how it’s going to be next year because we cannot plan ahead. It would be great if the university could support this as an ongoing program. It would also be beneficial if the International Office at UdK would involve us more in their decision-making process, since we are more familiar with the students’ and the CGS’s needs and concerns.

Vincent Hulme:

I think it works well right now with putting people into different classes, but the issue with this is that it gets hard to maintain a group dynamic. It would also be good to be independent of the administration as we wouldn’t have to be beholden to its slow pace. It would allow us to be more flexible and attuned to the reality of studying. With more resources and staff, we could definitely have a bigger impact. We are dealing with topics of inequity and discrimination, but I personally don’t feel like the CGS has the capacity and the resources at the moment to address the entirety of these issues.

Adela Lovrić:

How do you see the CGS being beneficial for the communities it targets and the university?

Forough Absalan:

I find it interesting and useful, but there are some things that could be changed. What I and a lot of other people wanted to do when we were new in Germany was to apply to university. At first, I applied to participate in the CGS and then Common Ground advised me to apply for the Art in Context program due to my work and study background. At the time I didn’t know anything about it but I applied and got in. I actually find it much more relevant to my direction than other departments.

I was also involved in the ‚How to Study at UdK‘ and the Artist Training programs. This has helped me because, being new in this country and everything feeling overwhelming, I felt a bit lost. I was reassured that everything was manageable and that I didn’t need to worry. These experiences were very positive, and I hope we can expand the CGS to also include people who already have a career and don’t need to start from the first year.

Vincent Hulme:

Because of exclusionary practices at UdK, there are people who approach it with much more privilege and resources, and who then obviously have better chances of succeeding. CGS can work around those walls to assist people who are just as deserving and skilled artists, but may not have the understanding of the system required to get in. A lot of people who come here come from a completely different art background. There’s a critique of the school that asks what it really means to be an art student, whether it is to make Western European-centric art or to also challenge this way of thinking. I think that putting students and professors in contact with diverse perspectives and backgrounds increases awareness within the school. If the student body becomes more diverse, I believe the policies will have to change as well. We are very fortunate to be here and we should extend access to people who have faced incredibly difficult circumstances or continue to do so. Regardless of the crises, there will always be a need for Common Ground. Perhaps in two years, if it continues to exist, it will have a different focus.


Interview Narges Derakhshan

Narges Derakhshan relocated to Berlin in 2016 with the aim of pursuing her second Bachelor’s degree in Communication in Social and Economic Contexts at the Berlin University of the Arts (UdK Berlin). Prior to her arrival in Germany, she studied theater and gained experience as a copywriter for advertising agencies in Tehran. Presently, she is an MA student of screenwriting at Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf and works as a screenwriter and editor.
Narges became acquainted with Common Ground during her initial introduction day at UdK Berlin and was immediately captivated by its mission. Shortly thereafter, she made the decision to join the group and remained an active participant until the end of 2019.

Adela Lovrić:

What kind of projects did you realize with your colleagues at Common Ground?

Narges Derakhshan:

At first, we were figuring out how to work as a group of people from really different backgrounds. Personally, I had the challenge of figuring out my place and role and how I could be helpful. Our objective was to come up with new projects and explore ways to improve support for artists who were newcomers to Germany and had no networks here. The idea was to give them a stage to present their art at UdK Berlin. At some point, we started another project which was really dear to me, called “How to Study at UdK Berlin.” We decided to put our minds together and share our own experiences of applying to UdK Berlin, with people who were not German. I think that was also one of our most successful events. Besides that, we were also organizing music jam sessions in the beautiful backyard of the university.

Adela Lovrić:

Can you tell me more about the “How to Study at UdK Berlin” events? What was particularly valuable about this work?

Narges Derakhshan:

At the time, we used Facebook to push the event and that helped a lot to reach out beyond our friend networks. A lot of people that we didn’t know showed up to the event, which was great—people who were interested in studying at UdK Berlin but had no idea how to create a portfolio of their work or how to present themselves. At the event, we had a presentation and we invited UdK Berlin students to show their entry portfolios. Afterward, we had a Q&A session. To me, getting into UdK Berlin was very hard and so my biggest purpose at Common Ground was to help make it easier for someone else. I thought, if just one person can do it in an easier way, then I will be happy. I think one of the successes of these events was also to present study courses that people might not know about. We became friends with some of the people who came to our events and two of them are actually studying at UdK Berlin right now, in courses for which UdK Berlin is not typically known.

Adela Lovrić:

What else was especially important for people reaching out to Common Ground during the time you worked there and how were you able to meet their needs?

Narges Derakhshan:

I think every European has an idea of what a portfolio is. But non-Europeans who are good artists might not know how to present themselves or what to expect. Every now and then, we had people with great ideas reach out to us, but they didn’t know how to translate them into a form that was understandable to a broader audience. I think it was really helpful to share our own experiences and portfolios with newcomers, as it gave them a good example and an idea of how they could also achieve it.

From the outside, UdK Berlin can be scary. Talented artists who need this community and network were scared away because they didn’t know how to get in. For that reason, initiatives like Common Ground are really important. When I got in, I remember Common Ground had a flyer in Farsi and in Arabic. Seeing something I could understand immediately made me feel welcomed and drawn to Common Ground. I also remember a jam session we organized and how cool it was for me to hear an Iranian song inside the university. I think it’s crucial to make UdK Berlin more open to non-Europeans, to people who are a bit afraid of entering this kind of educational atmosphere.

Adela Lovrić:

Can you recall some challenges that you encountered through working in Common Ground?

Narges Derakhshan:

There were many, to be honest. Initially, the biggest challenge was to reach our target group. In the beginning, we also went to refugee camps to present ourselves and hand out flyers. Every time we had an event, there were lots of men showing up and, at some point, I would think: this is about diversity, so how can I reach women? So, at the time, one of our biggest challenges was reaching people who we wanted to actually reach. Another was organizing. I don’t want to repeat the clichés of artists who cannot organize themselves, but when it comes to this kind of work, you have a good will, but on the other side, you need accessibility, programming, and organization.

Adela Lovrić:

Do you still engage in this kind of work or apply some of the lessons learned through Common Ground in your current endeavors?

Narges Derakhshan:

In my work as a screenwriter, I use these experiences a lot. Being a newcomer myself, I was not just an observer but an active participant. I don’t only draw from the people I encountered but also reflect on my own experience. These memories greatly influence my writing and my characters—how they perceive the world and how they feel totally strange but have to pretend they know what’s up.

Adela Lovrić:

Why is it, in your opinion, important to have an initiative like Common Ground at UdK Berlin?

Narges Derakhshan:

Education shouldn’t be a luxury, especially in art. People should trust themselves and give it a shot. But, from the outside, UdK Berlin is seen as a fancy university. Because of that, people don’t have the confidence to apply. The existence of Common Ground is important as a reminder that there are people who share your experiences and to provide this perspective that it’s not only for fancy, rich, privileged people. Everyone is welcome here.


We thank all Common Ground members:

2016
Assali, Mouna
Glatte, Benjamin
Hoffmann, Leander
Hoschek, Elisabeth
Laufkötter, Astrid
Vafadar, Lima
Vent, Johannes

2017
Abo Assali, Mouna
Derakhshan, Nagres
Faulhaber, Leo
Glatte, Benjamin
Haddad, Dana
Hoffmann, Leander
Hoschek, Elisabeth
Khalifeh, Farah
Vafadar, Lima
Vent, Johannes
 
2018
Derakhshan, Narges
Guiness, Joshua
Haddad, Dana
Khalifeh, Farah
Stegmann, Sophia
Vafadar, Lima
White, Dylan

2019
Astrup-Chavaux, Jeanne
Derakhshan, Narges
Stegmann, Sophia
White, Dylan

2020
Hoffman, Lisa
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad
Lovric, Adela

2021
Al-Marai, Ali Adnan Yas
Hoffman, Lisa
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad
Lovric, Adela

2022
Absalan, Forough 
Alizadeh, Saeed
Al-Marai, Ali Adnan Yas 
Hulme, Vincent
Khajehnassiri, Farshad 
Seebeck, Charlotte
Zubytskyi, Dmytro

2023
Absalan, Forough 
Alizadeh, Saeed
Al-Khufash, Mudar
Hulme, Vincent
Perutska, Yevheniia

UdK, Common Ground in collaboration with International Office and Artist Training, UdK Berlin Career College
International Office: Regina Werner
Artist Training: Dr. Melanie Waldheim
Department Fine Arts: Prof. Dr. Jörg Heiser

Common Ground: Benjamin Glatte, Elisabeth
Hoschek, Lima Vafadar, Vincent Hulme,
Forough Absalan, Narges Derakshan

Interview: Adela Lovric
Editor: Mudar Al-Khufash
Proofreadig: Alison Hugill
Photos: Artist Training, İpek Çınar

Graphic Design: Caroline Lei & Quang Nguyen
Typefaces: Impact Nieuw by Jungmyung Lee,
Junicode by Peter S. Baker

Edition: 100

Universität der Künste Berlin
Körperschaft des öffentlichen Rechts
gesetzlich vertreten durch den Präsidenten
Prof. Dr. Norbert Palz
Einsteinufer 43
D-10587 Berlin

The project Common Ground is offered by the Berlin University of the Arts and is funded by the DAAD and Federal Ministry of Education and Research (BMBF) in collaboration with the International Office, Student Office and Artist Training, UdK Berlin Career College.


Berlin University of the Arts, 30.09.2023

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Artist Training presents: The workshop series How to Create a Safer Space I-III aims to discuss structural discrimination and inequalities within the UdK Berlin and to develop strategies for equality with experts from the fields of anti-discrimination and organizational development. Each workshop is accompanied by a podcast.

The third podcast episode How to Create a Safer Space III: Experiences from the Recognizing Barriers Day features anonymous guests from the Recognizing Barriers Day event held on December 5, 2022. For this workshop, we created an experimental space that encourages members of the University, including students, professors, and academic staff, to speak freely about their experiences with discrimination and observations within the University. During the podcast, we ensured complete anonymity for the individuals sharing their experiences by altering their voices through Artificial Intelligence. Our moderator, Johanna Madden, will reflect on these cases.

In collaboration with the Critical Diversity Blog 

Production: Johanna Madden & Sel 
Workshop development: İpek Çınar (Artist Training Team) 
Coordination: İpek Çınar & Melanie Waldheim (Artist Training Team)

Heiko-Thandeka Ncube, 1991–2023

CONTENT WARNING: Wenn Sie sich psychisch belastet fühlen bzw. destabilisiert sind, insbesondere im Zusammenhang mit Rassismus und Gewalterfahrungen, raten wir Ihnen, nicht weiterzulesen.

Wir trauern um Heiko-Thandeka Ncube. Sein Tod hat Schockwellen in seinem Umfeld ausgelöst, die immer noch nachwirken. Heiko war ein Künstler, Filmemacher, Autor und Aktivist, der sich in seinen Arbeiten und Texten mit dem Zusammenhang zwischen Rassismus, Gewalt und Geschichte auseinandersetzte – und dafür eine Bild- und Textsprache analytischer Genauigkeit und ästhetischer Prägnanz fand. Auf der Berlinale 2023 wurde sein Film The early rains which wash away the spaff before the spring rains gezeigt, über den Genozid unter Robert Mugabe an den Ndebele, dem zwischen 1982 und ’87 mindestens 10.000 Menschen zum Opfer fielen (der Titel des Films verweist auf den zynischen Euphemismus des Shona-Begriffs „Gukurahundi“ für den Völkermord, übersetzt: „der frühe Regen, der die Spreu vor dem Frühlingsregen abwäscht“). Der zwölfminütige Videoessay verschränkt rhythmische Abstraktion mit grausamer Konkretion; wie es in einem Begleittext heißt: „Das Werk besteht aus einer Vielzahl von Filmmaterial, das zu einem Mosaik zusammengeschnitten wurde, welches die Geister der Nationalität und der Abstammung heraufbeschwört. […] Der historische Kontext des Völkermordes wird mit affektiven Assoziationen verknüpft, die sich aus dem traumatischen Erbe ergeben. [Der Film] artikuliert ein Gefühl von Trauer, Angst und Gewalt, das über Generationen hinweg weitergegeben wurde.“ Heikos Arbeiten waren auch von einer gewissen Schonungslosigkeit geprägt, unter anderem in seiner letzten unvollendeten Arbeit; einer scharfen Kritik an den inneren Widersprüchen antikolonialer Befreiungsbewegungen in Zimbabwe. Er war nicht an der Erzeugung selbstgefälliger Heldengeschichten interessiert: Im Fokus seines Interesses standen oft problematische, zwiespältige Biografien, wie etwa die von IS-Mitglied Deso Dogg oder Milli-Vanilli-Sänger Rob Pilatus. Genauso scharf kritisierte er rassistische Muster in der deutschen Mythenwelt und Populärkultur ebenso wie die wohlfeile Auslagerung der Kritik rassistischer Zustände auf US-amerikanische Polizeigewalt. Sein brillanter Text Rest in Pieces (2020) befasst sich mit dieser spezifischen Form deutscher und europäischer Schuldabwehr – dies nach dem Anschlag von Hanau wenige Monate zuvor. Sein letzter Diskussionsbeitrag war eine heftige Kritik an einem von ihm als dekadent bezeichneten System des künstlerischen Tokenismus, das für Schwarze Künstler*innen vor allem stereotype, identitätsbasierte Positionen vorsieht und kontroverse und unangenehme Diskussionen vermeidet.

Heiko wurde in Harare geboren, simbabwischer und deutscher Abstammung, und er zog als Kind nach Deutschland. An der UdK Bildende Kunst studierend, war er im Sommer 2020 und danach treibende Kraft bei der studentischen Protestinitiative #exitracismUdK, welche den Blick auf Diskriminierungserfahrungen von BiPoC in der Institution lenkte und die Artikulierung dieser Beobachtungen zugleich mit konkreten Forderungen versah, um die diskriminierungskritischen Ansätze und Strukturen an der Hochschule zu unterstützen und aufzubauen. Er stand nun vor dem Abschluss seines Studiums. Sein kämpferisches Engagement, seine kritische Schärfe waren wie selbstverständlich verknüpft mit warmherziger, emphatischer Zugewandtheit, mit einer unverwechselbar humorvollen Ansprache, die ihr Gegenüber ernst nahm. Der Verlust ist immens. Heikos Vermächtnis, die Kritik des Bestehenden ohne Ausflüchte und gefällige Beschönigungen, ist eine Notwendigkeit, eine Aufgabe, die gerade erst anfängt.

Wenn Sie oder andere Menschen in ihrem Umfeld psychisch belastet und destabilisiert sind, können Sie sich jederzeit an folgende Beratungs- und Notfallstellen wenden:

– Berliner Krisendienst: Tel. (030) 390 63 00 (24h, kostenfrei)

Psychologisch-Psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks Tel. (030) 93939 8401, (030) 93939 8438, Sprechzeiten Mo bis Do 9–15 Uhr, Fr 9–13 Uhr 

– Telefonseelsorge (evangelisch/katholisch): Tel. 0800 111 0 111, 0800 111 0 222 oder 116 123,  online.telefonseelsorge.de

Telefonseelsorge (muslimisch):  Tel. (030) 44 35 09 821

Spezifische Hilfe für Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten:

Zentrum ÜBERLEBEN: Terminvergabe für die psychologische Sprechstunde Tel. (030) 30 39 06 722

XENION bietet psychosoziale Angebote für Geflüchtete mit Dolmetschen in 35 Sprachen

Das Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie & Psychotherapie (ZIPP) an der Charité in allen Herkunftssprachen durch Sprach- und Kulturmittelnden: Tel. (030) 450 517 095, Mo bis Fr 08:30–16:30 Uhr, zipp@charite.de

–  KuB, Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. bietet psychosoziale Beratung an: Anmeldung: psb@kub-berlin.org, Tel. (030) 614 94 00 

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Artist Training presents: The workshop series How to Create a Safer Space I-III aims to discuss structural discrimination and inequalities within the UdK Berlin and to develop strategies for equality with experts from the fields of anti-discrimination and organisational development. Each workshop will be accompanied by a podcast.


The second podcast episode, How to Create a Safer Space II: Anti-Discrimination Clause, features two guests: Sonja Baltruschat and Mutlu Ergün-Hamaz. Together with podcast series host Johanna Madden, they reflect on the second workshop and discuss the needs of the UdK Berlin and what kind of document might best to meet those needs. 

Speakers: Sonja Baltruschat & Mutlu Ergün-Hamaz
Production: Johanna Madden & Sel
Coordination: İpek Çınar & Melanie Waldheim (Artist Training team) 

A New School, A Summer School: (Re-)Imagining Learning Environments 

Stell dir vor, wir könnten eine neue (Kunst-)Hochschule gründen. Mit wem würden wir lernen und Wissen austauschen? Über welche Perspektiven und Themen würden wir in den Kursen sprechen und wer würde das Wissen vermitteln? Wie würden wir in diesen Lernräumen füreinander sorgen? Wie würden wir Entscheidungen treffen? Wäre die (Kunst-)Hochschule überhaupt eine Institution?

Wir laden euch herzlich zu A New School, A Summer School ein, die vom 07. bis 13. August 2023 in der Arthur Boskamp-Stiftung in Hohenlockstedt stattfindet! Während des einwöchigen Treffens möchten wir uns über alternative Lernräume austauschen und die entstehenden Ideen praktisch umsetzen. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir das Experimentieren und Fehler-Machen als Teil unseres Lernens verstehen und ernster nehmen als unsere Angst vor dem Scheitern (alle anderen Gründe für Zögerlichkeiten sind ebenfalls willkommen).
Wir wollen political dreams träumen und die Zukunft immer weiter in die Gegenwart locken, bis sie sich darin gut eingerichtet hat und bleiben möchte. Wir wollen Umwege nehmen und abwegige Ideen begrüßen, Textabschnitte dreimal lesen, Zitronen pflücken, auf-, ab- und umräumen, große und kleine Gedanken denken – und danach auf der Picknickdecke einnicken.

↘ Datum & Ort: 7.–13. August 2023, M.1 Arthur Boskamp-Stiftung (Hohenlockstedt)
↘ Teilnehmer:innen: 25 
↘ Anmeldung: bis 19. Juni 2023 über www.newschool-summerschool.org/, Bestätigung der Teilnahme bis 23. Juni 2023
↘ Sprache: Deutsche Lautsprache, Vorträge/Workshops in Englischer und Deutscher Lautsprache 
↘ Organisator:innen: Destina Atasayar, Katharina Brenner, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka, Lioba Wachtel

How to Create a Safer Space I: Code of Conduct 

Dieser Podcast erscheint auf Englisch.

Die Workshop-Reihe How to Create a Safer Space I-III des Artist Training Labs zielt darauf ab, strukturelle Diskriminierung und Ungleichheiten innerhalb der UdK Berlin zu diskutieren und mit Expert*innen aus den Bereichen Antidiskriminierung und Organisationsentwicklung Strategien zur Gleichstellung zu entwickeln. Jeder Workshop wird von einem Podcast flankiert. In der ersten Podcast-Folge How to Create a Safer Space I: Code of Conduct sprechen zwei Gästinnen: Armeghan Taheri (Schriftstellerin, Künstlerin und Gründerin des Kunst- und Literaturmagazins Afghan Punk Rock) und Elena Buscaino (Studierende an der UdK Berlin, Mitglied des Critical Diversity Blog und Aktivistin). Gemeinsam mit der Podcast-Moderatorin Johanna Madden reflektieren sie den ersten Workshop und diskutieren weiter über die Bedürfnisse der UdK Berlin sowie die mögliche Implementierung eines Code of Conduct.

Ein Gespräch mit Carmen Mörsch

Im Jahr 2022 wurde von Carmen Mörsch gemeinsam mit einem Autor*innenteam (Christiane Jaspers, Như Ý/Linda Nguyễn, Stefan Bast sowie Danja Erni und vielen mehr) ein umfangreiches Materialienset für die diskriminierungskritische Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und Kunst veröffentlicht. Die Bildungsmaterialien dienen dazu, diskriminierungskritische Haltungen und Praktiken in der Kunstpädagogik, der kulturellen Bildung oder der Kunstvermittlung (weiter) zu entwickeln. Ziel der Materialien ist es, bei der künstlerisch-edukativen Arbeit soziale Gerechtigkeit entfalten zu können. Die Materialien sind sowohl auf einer Website als auch in begrenztem Umfang in Schachteln mit handgedruckten Blättern und Heften verfügbar.

Im Video führen Claudia Hummel und Nanna Lüth mit Carmen Mörsch ein Gespräch über die Konzeption der Materialien und deren Gebrauch. So ist ein Unboxing-Video entstanden, das alle, die an der Schnittstelle von Kunst und Bildung in Schulen, in Kunstinstitutionen oder an Kunsthochschulen arbeiten, einlädt, dieses umfassende Lernpaket zu benutzen.

„Alles ist Dildo!“

Über die Verschiebung der Sexualität

Im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ fragen Paul B. Preciado und ich uns, ob Dildos, die einige Feministinnen als künstliche Nachbildungen des Penis und damit Symbole der patriarchalen Hegemonie bezeichnen, nicht eigentlich das exakte Gegenteil sind: inhärent queere Objekte, die sexuelle Machtstrukturen verschieben.

Schriftliche Ausarbeitung des Referats vom 20.05.2022 über „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“ in Paul B. Preciado: Kontrasexuelles Manifest. Berlin: b—books 2003. Entstanden im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ im Fachgebiet „Geschichte und Theorie der visuellen Kultur“ an der Fakultät Gestaltung der Universität der Künste Berlin, betreut durch Prof. Dr. Kathrin Peters.

(c) Laura Thiele, 2022


Queer-feministische Ästhetik

Strukturelle Diskriminierung und Benachteiligung beschränkt sich nicht auf öffentliche und private Räume, sondern ist auch im professionellen Umfeld für viele Menschen tägliche Realität. Die Design- und Kunstwelt wurde – wie viele andere Bereiche der Gegenwart – innerhalb der patriarchalen Hegemonie konstruiert. Historisch gewachsene Regeln und Normen der Kunst und Gestaltung, sowie ihrer Rezeption orientieren sich an männlich konnotierten Fähigkeiten und Vorstellungen. Gestaltende mussten sich in vergangenen Jahrhunderten – insofern sie auf wirtschaftlichen Erfolg und Anerkennung hofften – entweder mit vorherrschenden Ideen identifizieren und ihre Regeln anerkennen oder sind der Kunstwelt gänzlich fern geblieben.1 Sich im 21. Jahrhundert in der Branche als nicht-cis-männliche:r Gestalter:in zu behaupten, ist noch immer eine tägliche Aufgabe, die herausfordert und persönliche feministische Positionierungen ins Wanken bringen kann.

Da weibliche Künstlerinnen weder in Museen, noch in Auktionshäusern annähernd so stark repräsentiert sind wie ihre männlichen Kollegen, sah sich das britische Auktionshaus Sotheby’s im Frühsommer 2021 berufen, die Online-Auktion „(Women) Artists“ anzubieten, um weiblicher Kunst der vergangenen 400 Jahre eine dezidierte Platform zu geben und Künstlerinnen der Gegenwart zu fördern.2 Marina Abramović konstatiert eine in der Branche herrschende „sehr große Ungerechtigkeit, da die Arbeiten von weiblichen Künstlerinnen unter ihrem Wert angeboten“3 werden. Dennoch nutzen Kunstschaffende und Gestaltende das Potenzial visueller Kultur – nicht nur als individuelle Ausdrucksform, sondern auch als Instrument im Kampf gegen Diskriminierung und Ausbeutung. Sich dabei von bestehenden normativen Vorstellungen zu lösen, stellt eine besondere Herausforderung dar.

„Im Film und in der Kunst müssen wir auch eine Sprache finden, die uns angemessen ist, die nicht schwarz oder weiß ist.“4 – Chantal Akerman

Das Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ im Fachgebiet „Geschichte und Theorie der visuellen Kultur“ an der Fakultät Gestaltung der Universität der Künste Berlin beschäftigt sich mit der wechselseitigen Beziehung von Gestaltung und gesellschaftspolitischem Kontext. Wann ist Gestaltung feministisch, wann queer? Was macht queer-feministische Ästhetik formal aus und wer ist in der Lage, sie zu produzieren? Wer wird abgebildet und wer nicht? Kann sich Gestaltung, die in einer patriarchal dominierten Welt entsteht, überhaupt von ihr lösen?

„Die Möglichkeit einer anderen Erfahrung und Wahrnehmung der Weiblichkeit durch Frauen wurde als Infragestellung und indirekte Gefährdung männlichen Kunstschaffens häufig schon mit einbezogen.“5

Der binären Norm folgend, bezieht Feminismus traditionell eine oppositionelle Haltung zur patriarchalen Hegemonie, was diese – zum Leid aller feministischen Bewegungen – ständig wiederholt und erhält. Die Literaturwissenschaftlerin Teresa de Lauretis setzt in den späten 1980er und 1990er Jahren in der sog. „Queer Theory“ nicht nur unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander in Bezug und leistet damit einen maßgeblichen Beitrag zum intersektionalen Feminismus6, sondern beschreibt auch eine Kultur, die sich aus den Eigenschaften und Handlungen ihrer Mitglieder positiv konstituiert und nicht alleinige Gegenhaltung ist.7 Queerness funktioniert nur in der Selbstzuschreibung und definiert sich nicht durch klare Abgrenzungen, weshalb die inhaltliche Bedeutung des Begriffs immer wieder neu verhandelt werden kann und muss. Queer ist keine Opposition, ist nicht anti, sondern fluid und pluralistisch. Doch auch wenn in der nicht-binären Theorie keine gegenüberliegende Seite existiert, auf der ein Gegner verortet werden könnte, existiert er trotzdem auch in der Queer Theory: das Patriarchat.

Angst vor dem Dildo

Symbol des Patriarchats und der Männlichkeit im Allgemeinen ist unumstritten der Penis. Kein anderes menschliches oder nicht-menschliches Organ ist so stark aufgeladen mit Inhalten, wird stolz gezeigt, schamhaft versteckt, auf Schultische gekritzelt, als Foto verschickt, beneidet oder verschmäht. Der Penis ist das prunkvolle Siegelwappen der patriarchalen Vorherrschaft und zeitgleich das sensibelste Glied im organischen maskulinen Kettenhemd. Dass einige Lesben und andere Feministinnen daher Dildos, die in ihren Augen künstliche Nachbildungen des Penis sind, ablehnen, überrascht also kaum. Sie befürchten die (Wieder-)Einführung männlicher Vorherrschaft in ihre durch und durch feminine Sexualität. In den 1990er Jahren boykottierten einige feministische Buchläden in London den Verkauf von Del LaGrace Volcanos „Love Bites“, einer Sammlung von Fotografien, in denen u.a. eine Lesbe zu sehen ist, die einen Dildo leckt.8 Penetration? Ja bitte! Aber mit lesbischen Fingern, die fest mit dem lesbischen Körper verwachsen sind!

Del LaGrace Vocano: „Hermaphrodyké“ (1995) in „Sublime Mutations“, Tübingen, konkursbuch, 2000.

Nicht zu leugnen ist, dass Sextoys sich im Allgemeinen einer großen Beliebtheit erfreuen. Laut einer repräsentativen Studie der Technischen Universität Ilmenau, nutzen 52% der heterosexuellen Befragten zwischen 18 und 69 Jahren Sextoys mit Partner:innen. Bei der Masturbation sind es 72% der Frauen und 31% der Männer.9 Nicht repräsentative Studien legen nahe, dass die Zahlen unter queeren Personen nicht etwa geringer, sondern noch höher sind. Genaue Ergebnisse und wissenschaftliche Auseinandersetzungen bleiben jedoch aus. Der Zugang zum Dildo ist auch im wissenschaftlichen Kontext holprig und schambehaftet. Obwohl die Vorstellung von Paul Beatriz Preciados Text „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“, der Teil des „Kontrasexuellen Manifests“ ist, im Lektüreseminar „Queer-feministische Ästhetik“ durch mitgebrachte Objekte, Websites und humoristische Illustrationen niedrigschwellig und zwanglos gestaltet wurde, war die Beteiligung unter den Teilnehmenden eher gering und die Grundstimmung unsicher und angespannt.

Preciado denkt über die Bedeutung des Dildo nach und fragt: „Was ist ein Dildo?“10 Bildet der Dildo patriarchale Machtstrukturen im queeren Kontext ab? Ist er Projektion des maskulinen Begehrens auf die weibliche Sexualität? Welche Rolle spielt dabei seine Ästhetik und die Perspektive, aus der er betrachtet wird?

(c) Mattia Friso: Referat im Seminar „Queer-feministische Ästhetik“, 2022.

Preciado beschreibt im Text „Die Logik des Dildos oder die Scheren Derridas“ eine Szene aus Sheila MacLaughlins Film „She Must Be Seeing Things“ (1987), in der sich die Protagonistin Agatha in einen Sex-Shop begibt, um einen realistischen Dildo zu kaufen. Sie glaubt ihrer Geliebten damit zu gefallen. Beim Anblick des Dildo erkennt sie das zwischen Männern und Frauen herrschende Ungleichgewicht im Zugang zu Sexualität: aufblasbare Puppen – Nachbildungen des gesamten weiblichen Körpers – stehen Dildos – in ihren Augen plumpe Penis- Mimesen – gegenüber. Während männliche Sexualität durch den weiblichen Körper in seiner Ganzheit angesprochen wird, soll die weibliche Sexualität durch den Penis bzw. seine Nachbildung angeregt werden. Agatha entscheidet sich schließlich gegen den Kauf eines Dildos, dessen bloßer Anblick ihr zur Einsicht dieses Machtgefälles verholfen hat. Vielleicht befürchtet sie, dass das sexuelle Begehren ihrer Partnerin sich mit Verwendung des Dildos nur noch auf diesen beschränke und Agathas Körper fortan ausschließe. Preciado stellt fest, dass sich Agathas Sichtweise in diesem Moment der Konfrontation lesbischer Sexualität mit Heterosexualität durch den Dildo verändert und verweist auf Lauretis, die im Dildo einen kritischen, jedoch keinen praktischen Wert erkenne.11

Sowohl Agathas Erkenntnis, als auch Lauretis’ Analyse bauen auf der Annahme auf, dass „jeder Hetero-Sex […] phallisch und jeder phallische Sex […] hetero“12 sei: wenn zwischen Mann und Frau die Penetration durch den Penis ausbleibt, könne – egal wie intensiv die physische Auseinandersetzung ansonsten sein mag – nicht von Sex gesprochen werden. Sobald zwischen Personen ohne Penis penetrative sexuelle Handlungen stattfinden, sei die Referenz zum imaginierten Penis und damit dem Mann und damit dem Patriarchat hergestellt. Im angenommenen phallozentrischen Schema steht der Penis im Mittelpunkt jeglicher Sexualität und sexueller Handlungen. Neben zwischenmenschlichen Interaktionen, wird auch der singuläre weibliche Körper durch die Abwesenheit des Penis definiert. Die Misogynie dieses Denkmodells liegt auf der Hand. Lauretis bringt den Sachverhalt passend auf den Punkt: „Weibliche Sexualität wurde stets im Gegensatz und in Bezug auf männliche Sexualität definiert.“13

Durch die Kombination von Phallozentrik und Verwechslung des Penis mit der ihm zugeschriebenen patriarchalen Macht, ergeben sich sowohl für den Penis, als auch für den Dildo und letztlich die Sexualität selbst fatale Urteile. Diese Kette von Fehlannahmen zurückzuverfolgen, neu aufzuziehen und den eigentlichen Wert des Dildo zu erkennen, erscheint Preciado angebracht.

„Der Phallus ist nur eine Hypostasierung des Penis. Wie bei der Geschlechtsfeststellung intersexueller Babies deutlich wird, ist in der symbolischen heterosexuellen Ordnung der Signifikant par excellence nicht der Phallus sondern der Penis.“14

Schließlich enttarnt der Dildo den Penis und befreit ihn damit vom Gewicht des Phallus. Er offenbart, dass die assoziierte Macht eben kein angewachsenes Recht ist, sondern an jedem beliebigen Körper(-teil) umgeschnallt oder angesaugt werden kann. Sie ist ein Zepter, das beliebig von Hand zu Hand weitergereicht wird. „Der Dildo erscheint als exakte Nachahmung des Penis, bleibt aber vom männlichen Körper abgetrennt.“15 Es klingt wie das Horrorszenario eines jeden Mannes: das Glied ist abgetrennt und wird mal hier, mal dort benutzt, abgelegt oder im kochenden Wasser sterilisiert. Trotzdem ist es voll funktionsfähig – oder sogar noch praktikabler als der organische Referent. Kontrolle und Macht sind nicht angeboren, sondern werden egalitär weitergereicht und nach Lust und Laune eingesetzt. Preciado betont, dass jede:r einen Dildo benutzen und so genderbezogene phallische Machtstrukturen verschieben und in Frage stellen kann.

Vielleicht ist die Angst vor dem Dildo genau deshalb so groß. Die Anerkennung des Dildo als effektiver sexueller Technologie würde dem oder der Besitzer:in eines Penis vor Augen führen, dass ihr bestes Stück eben nur eines ist: ein sensibles Organ. Aber soll diese Erkenntnis nun als Degradierung verstanden werden oder könnte die Anerkennung seiner einzigartigen organischen Fähigkeiten und die gleichzeitige Akzeptanz der technischen Möglichkeiten des Dildo nicht eine Chance sein, die sowohl der Lesbe, als auch dem Hetero-Mann, als auch jeder anderen Person und ihrer Sexualität zugute käme?

(c) Laura Thiele, 2022.

Kontra-Sexualität

„The first twelve years or so I was very busy with trying to turn men on. […] and then after that it was like turn on other kinds of people, but not just in the genitals, but more the mind, the intellect, […] make them laugh, make them think, help them to learn something new“ – Annie Sprinkle16

Wahre Gleichberechtigung kann in jedem noch so kleinen Winkel des gesellschaftlichen Alltags nur bestehen, wenn sie auch dort Realität ist, wo Körper im vermeintlich Privaten und Intimen aufeinandertreffen: beim Sex. Tabus, Scham und Unsicherheit bieten den Nährboden für Gewalt und Missbrauch. Preciados Beitrag zu Gleichberechtigung, für die eine gesunde Sexualität unerlässlich erscheint, ist das Konzept der „Kontra-Sexualität“. Sie handelt „vom Ende der Natur, die als Ordnung verstanden wird und die Unterwerfung von Körpern durch andere Körper rechtfertigt“17. Preciado sieht Individuen nicht mehr als Mann oder Frau, sondern als Subjekte, die zu allen signifizierenden Praktiken gleichermaßen Zugang haben und untereinander gleichwertig sind.

Der Dildo sei das Werzeug der „systematischen Dekonstruktion sowohl der Naturalisierung der sexuellen Praktiken als auch der Geschlechterordnung“18. Dabei geht Preciado so weit, den Dildo als „Ursprung des Penis“19 zu bezeichnen. Diese Umkehrung der eingangs beschriebenen Annahme, der Dildo sei eine Nachahmung des Penis, begründet Preciado mit dem was Derrida als „gefährliches Supplement“ bezeichnet. Das Supplement, vereinfacht übersetzt als „Ergänzung“ oder „Zugabe“, fügt sich etwas hinzu oder setzt sich an die Stelle von etwas, zeigt aber auch die Lücke an, die es füllt. Der Dildo als Supplement vervollständige und produziere den Sex und damit auch den Penis.20

Derrida schreibt: „das Supplement, ob es hinzugefügt oder substituiert wird, [ist] äußerlich, d.h. äußerliche Ergänzung oder Ersatz […]; es liegt außerhalb der Positivität, der es sich noch hinzufügt, und ist fremd gegenüber dem, was anders sein muß als es selbst, um von ihm ersetzt zu werden.“21 Der Dildo bleibt außerhalb des organischen Körpers und ihm damit immer fremd. Er ist eine menschgemachte Maschine, die dem Penis nicht fremder sein könnte, obwohl er sich auf paradoxe Weise an ihm orientiert. Da er nie nur Substitut ist und im Substitut-Sein nicht aufgeht, sondern mehr ist, übersteigert er sich fortlaufend selbst. Er zieht die Autorität seines Referenten ins Lächerliche und widersetzt sich damit heteronormativem Sex.22

Preciado stellt fest: „Der Dildo ist kein Objekt, das sich an die Stelle eines Mangels setzt.“23 Bislang galten die Genitalien als Zentrum der Sexualität. Der Dildo verschiebt dieses Zentrum hin zu anderen Stellen des Körpers und hin zu Objekten außerhalb des Körpers, die durch den Dildo (re-)sexualisiert werden. Die Dezentrierung, die der Dildo auslöst birgt die Chance, den gesamten Raum, über den Körper hinaus, in mögliche Zentren umzuwandeln, bis der Begriff des Zentrums seinen Sinn verlöre.24

„Die Verdrängung der Penetration aus dem Mittelpunkt des sexuellen Geschehens bleibt eine Aufgabe, der wir uns auch heute noch zu stellen haben“25

Der Dildo destabilisert die sexuelle Identität der Person, die ihn trägt und restrukturiert damit auch das Verhältnis zwischen innen und außen, passiv und aktiv, zwischen dem natürlichen Organ und der Maschine.26 Der Dildo ist nicht-binär. Er konstituiert Sexualität positiv und ist somit im doppelten Sinne und inhärent queer.

(c) Laura Thiele, 2022

Laura Thiele (Sie/ihr) studiert visuelle kommunikation an der universität der Künste Berlin und bewegt sich in ihrer gestalterischen Arbeit im Spannungsfeld zwischen Raum, Körper und Gesellschaft. Sie ist stellv. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Gestaltung.

1 Vgl. Silvia Bovenschen: Über die Frage: gibt es eine „weibliche“ Ästhetik?, in: Ästhetik und Kommunikation, Beiträge zur politischen Erziehung, Heft 25, Jahrgang 7, Berlin, 1976, S. 61
2 Vgl. Sotheby’s: (Women) Artists, 2021, https://sothebys.com/en/buy/auction/2021/women-artists (abgerufen am 09.09.2022)
3 Amah-Rose Abrams: Marina Abramović: A Woman’s World, 2021, https://sothebys.com/en/articles/marina-abramovic-a-womans-world (abgerufen am 09.09.2022)
4 Chantal Akerman. Interview mit Claudia Aleman in: Frauen und Film, Nr. 7, Berlin, 1976, zitiert nach Silvia Bovenschen: Über die Frage: gibt es eine „weibliche“ Ästhetik?, in: Ästhetik und Kommunikation, Beiträge zur politischen Erziehung, Heft 25, Jahrgang 7, Berlin, 1976, S.63.
5 Bovenschen: 1976, S. 68.
6 Dieser Begriff gehört heutzutage zur Grundausstattung eines jeden queeren Tinder-Profils.
7 Vgl. Teresa de Lauretis: Queer Theory: Lesbian and Gay Sexualities, An Introduction, in: Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies, Heft 3.2, Providence, 1991, S. 11.
8 Vgl. Paul B. Preciado: Kontrasexuelles Manifest, Berlin, b_books, 2003, S. 54.
9 Vgl. Nicola Döring & Sandra Poeschl: Experiences with Diverse Sex Toys Among German Heterosexual Adults: Findings From a National Online Survey, The Journal of Sex Research, 2020
10 Preciado: 2003, S. 53.
11 Vgl. Preciado, 2003, S. 57.
12 Preciado, 2003, S. 58.
13 Teresa de Lauretis: Die Technologie des Geschlechts, in: Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie Hamburg (Hamburger Edition) 1996, S. 468.
14 Preciado, 2003, S. 59.
15 Ebd. S. 61.
16 Virginie Despentes: Mutantes – Annie Sprinkle Interview, 2018, https://youtu.be/Bdl5xscdC_0 (abgerufen am 01.09.2022), 05:02-05:26
17 Preciado, 2003, S. 10.
18 Ebd. S. 11.
19 Ebd. S. 12.
20 Vgl. ebd. S. 62.
21 Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1974, S. 251
22 Vgl. Preciado, 2003, S. 62.
23 Ebd. S. 61.
24 Vgl. ebd. S. 65.
25 Lucy Bland: The Domain of the Sexual. A Response. in: Screen Education, Heft 39, S.56, 1981, zitiert nach Teresa de Lauretis: Die Technologie des Geschlechts, in: Elvira Scheich (Hg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie
Hamburg (Hamburger Edition) 1996, S. 469.
26 Vgl. Preciado, 2003, S. 67.


TERF aesthetics

Triggerwarnung: In folgendem Text werden queer- und transfeindliche Aussagen und Haltungen wiedergegeben.

Vorbemerkung
Bevor ich den Versuch unternehme, mich der medialen Debatte um die transfeindlichen Äußerungen und der daraus folgenden Kündigung der britischen Professorin Kathleen Stock sowie den von verschiedenen Seiten hervorgebrachten Argumenten zu nähern, möchte ich zunächst meine eigene Situiertheit und Vorgehensweise im Diskurs um die Geschlechter beleuchten:
1. Ich habe das Privileg, ohne Gender- oder Körperdysphorie zu leben
. Und ich kann mich mit der sozialen Kategorie ‚Frau‘ insofern identifizieren, als dass diese Zuordnung zu meiner Lebensrealität gehört und meine Diskriminierungserfahrungen in ein strukturelles Machtgefüge einordnet. Frau-Sein ist für mich jedoch etwas Abstraktes und hat wenig mit meiner intrinsisch erlebten, geschlechtlichen Identität zu tun.
2. Ich verfasse diesen Text im Rahmen eines queerfeministischen Seminars. Dies macht es leichter, selbstbewusst gegen hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht zu schreiben. Ich möchte hierbei so radikal wie nötig und so sensibel wie möglich vorgehen. Da ich selbst in eben dieser Hegemonie sozialisiert wurde, muss ich meine Gedanken und Sprache dabei kontinuierlich auf cis-heterosexistische Narrative überprüfen.
3. Genauso wie ich den realen Konsequenzen der gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht nicht entkommen kann, dürfen auch bei der Betrachtung der Debatte um Kathleen Stock die gesellschaftlichen Verflechtungen nicht unterschlagen werden: Sie ist eingebettet in eine Medienlandschaft, die mehrheitlich von cis-geschlechtlichen,
weißen Menschen geformt wird und in der sich Sichtbarkeit und gesellschaftliche Macht gegenseitig bedingen. Da ich mich selbst nicht als trans* identifiziere, möchte ich es vermeiden, für trans* Personen zu sprechen und stattdessen beim Schreiben eine solidarische Position neben ihnen einnehmen (in Anlehnung an die dekoloniale Methodik „Speaking Near-by“ der Filmemacherin und Theoretikerin Trinh T. Minh-ha).


Im Herbst 2021 verlässt die Professorin Kathleen Stock nach 18 Jahren Lehrtätigkeit an der University of Sussex in England ihr Amt. Ihr Rücktritt ist das Ergebnis selbstorganisierter Proteste einer anonymen Gruppe von queeren, trans* und non-binären Student*innen eben jener Universität, die ein Mission Statement gegen sie veröffentlichen und in den darauffolgenden Tagen mit Plakat-Aktionen und Demonstrationen die Entlassung Stocks fordern. Auslöser des Protest sind die queer- und transfeindlichen Äußerungen, die Kathleen Stock vor allem in den letzten drei Jahren ihrer Amtszeit in Zeitungsinterviews, Blogbeiträgen und über ihren persönlichen Twitter-Account veröffentlichte. 

Der folgende Text wird zum einen die Mediendebatte um ihren Rücktritt nachverfolgen, sowie die Argumentation und Rhetorik der damit einhergehenden Cancel-Culture-Vorwürfe und der nachdrücklich geäußerten Befürchtung, die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit seien gefährdet worden. Zum anderen soll er versuchen, spezifische Ästhetiken des Trans-Exclusionary Radical Feminism zu identifizieren.

Es wird dabei vor allem auf verschiedene deutsche und britische Zeitungsartikel Bezug genommen, die über die Debatte berichteten. Zunächst folgt jedoch ein Exkurs in die Argumentations- und Denkstrukturen von TERFs.


Warum Kathleen Stock eine TERF ist

Am 19. August 2008 schreibt die Bloggerin Viv Smythe unter ihrem Pseudonym TigTog auf Finally, A Feminism 101 Blog, ihrem Blog zu Feminismus-FAQs, folgendes:

I am aware that this decision is likely to affront some trans-exclusionary radical feminists (TERFs), but it must be said: marginalising trans women at actual risk from regularly documented abuse /violence in favour of protecting hypothetical cis women from purely hypothetical abuse/violence from trans women in women-only safe-spaces strikes me as horribly unethical as well as repellently callous.1Smythe, Viv: An apology and a promise. in: Finally, A Feminism 101 Blog, 19.08.2008, https://finallyfeminism101.wordpress.com/2008/08/19/an-apology-and-a-promise (letzter Aufruf 30.10.2022)

Kurz darauf taucht die Abkürzung TERF auf weiteren feministischen Blogs auf2Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf … Mehr anzeigen und gewinnt so über die Jahre immer mehr an Popularität. In einem Interview mit The Trans Advocate von 2017 beschreibt Smythe den Begriff als neutrale Bezeichnung einer Strömung des radikalen Feminismus, die vor allem im Netz, auf Blogs und Social Media zu finden ist. Mit dem Begriff habe sie auf einen plötzlichen Anstieg von transmisogynen Kommentaren und Posts in radikalfeministischen Internet-Räumen reagiert, welcher dann von anderen trans*-positiven/-neutralen feministischen Aktivist*innen aufgegriffen und in Abgrenzung verwendet wurde.3Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

TERFs konstruieren trans* Frauen und trans*-feminine Personen in unterschiedlichen Szenarien als Bedrohung für cis-Frauen, weswegen sie deren Inklusion in (Safer) Spaces wie Frauentoiletten oder Frauenhäuser grundlegend ablehnen. 

Unter der höchst transmisogynen Annahme, trans* Frauen blieben ‚biologische Männer‘, werden sie als potentielle Sexualstraftäter imaginiert. Dementsprechend gibt es eine eher ablehnende und teilweise spöttische Haltung gegenüber Begrifflichkeiten wie ‚cis‘ oder selbstgewählten Pronomen. Zudem wird häufig eine neo-liberale trans* Agenda vermutet, die wiederum lesbischen Frauen einrede, sie seien trans* Männer – „transing the gay away“, wie Bev Jackson behauptet, Mitgründerin des transfeindlichen Interessensverbands LGB Alliance dem auch Kathleen Stock angehört.4Dixon, Hayley: Tavistock clinic ‘putting young gay people at risk by treating them as trans’. in: The Telegraph, 12.09.2022, … Mehr anzeigen 

Der Konflikt um Kathleen Stock, die sich in ihrem Lehrstuhl an der University of Sussex vor Beginn des Konflikts mit fiktionalem Erzählen und Imagination sowie Kunst- und Musiktheorie in der Philosophie beschäftigte, entzündet sich 2018 über mehrere Streitschriften und Essays, die Stock auf verschiedenen Blogs anlässlich der geplanten Reformierung des Gender Recognition Acts veröffentlichte – eine Gesetzesreform, die es trans* Personen in Großbritannien erleichtern sollte, ihre geschlechtliche Identität zu ändern, ohne demütigende medizinische oder psychologische Atteste vorlegen zu müssen.

In einem Essay auf der US-amerikanischen Publishing-Platform Medium umschifft sie Begriffe wie ‚cis‘ oder ‚afab‘ indem sie cis-Frauen umständlich „women-who-are-not-transwomen“ nennt und als „WNT“ abkürzt. Dies ist keine harmlose sprachliche Spielerei, sondern folgt einer rhetorischen Strategie, die Cis-Geschlechtlichkeit als gesellschaftliche Norm bewahren will, indem sie nie explizit benannt wird.

Sprache ist ein subtil agierendes, aber effektives Mittel, um bestehende Unterdrückungs- und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten: In einer heterosexistischen, weiß dominierten Gesellschaft wird eine Person so lange als cis-männlich, hetero, weiß, able-bodied usw. imaginiert, bis sie sprachlich als trans*, queer, of Colour oder be_hindert markiert und kategorisiert wird. Sprache kann Macht- und Unterdrückungsstrukturen jedoch auch sehr wirksam demaskieren und destabilisieren, indem sie vermeintliche Normen untersucht und ebenfalls mit Begriffen – wie beispielsweise ‚cis‘ – beschreibt. Dass Kathleen Stock in ihrem Essay das seit den 90er-Jahren in der westlichen Sexualwissenschaft etablierte Konzept der Cis-Geschlechtlichkeit aktiv vermeidet, unterstreicht eindrücklich das progressive Potenzial, was von diesem scheinbar kleinen Wort ausgeht.

Weiter schreibt sie:

Citing the history of male violence against WNT, some have pointed out what seems perfectly reasonable — that this change in the law will allow some duplicitous or badly motivated males to “change gender” fairly easily […] in order to do harm to WNT in women-only spaces, and possibly children too, since children are often with their mothers.5Stock, Kathleen: Academic philosophy and the UK Gender Recognition Act. in: Medium, 07.05.2022, https://medium.com/@kathleenstock/academic-philosophy-and-the-uk-gender-recognition-act-6179b315b9dd … Mehr anzeigen 

Im selben Jahr äußert sie sich gegenüber der britischen Lokalzeitung The Argus wie folgt: „many trans women are still males with male genitalia, many are sexually attracted to females, and they should not be in places where females undress or sleep in a completely unrestricted way“6Doherty-Cove, Jody: ‚Trans women are still males with male genitalia‘ – university lecturer airs controversial views. in: The Argus, 15.07.2018, … Mehr anzeigen. Und auch im international renommierten Magazin The Economist veröffentlicht Stock einen Text, der ein äußerst biologistisches und essentialisierendes Denken über die sozialen Geschlechterkategorien „Mann“ und „Frau“ offenbart und geschlechtliche Selbstbestimmung als Kriminalstatistiken verfälschendes Vergewaltigungs- und Drohszenario für cis-Frauen prognostiziert.7Stock, Kathleen: Changing the concept of “woman” will cause unintended harms. in The Economist, 06.07.2018, … Mehr anzeigen 

Auch wenn Stock regelmäßig alle Vorwürfe der Transfeindlichkeit von sich weist, so liegt dies letztendlich ausschließlich im Ermessen der Betroffenen. Im Fall der studentischen Proteste an der University of Sussex ist es jedenfalls eindeutig. In ihrem am 6. Oktober über den Instagram-Kanal antiterfsussex veröffentlichten Mission Statement schreibt die anonyme Gruppe von queeren, trans* und non-binären Aktivist*innen:

Transphobes like Stock are anti-feminist, anti-queer and anti-intellectual, they are harmful and dangerous to trans people. […] They camouflage their transphobia in academic language, in fake feminism, in „reasonable concerns“, and then we suffer the real material consequences of it.8antiterfsussex, 06.10.2021, https://www.instagram.com/p/CUrjq01MbQ1 (letzter Aufruf 31.10.2022)

© INSTAGRAM ACCOUNT @ANTITERFSUSSEX


Mediale Darstellung des Konflikts über Wissenschaftsfreiheit, Cancel Culture und Diskurshoheit

Sowohl in britischen als auch in den deutschen Medien ziehen die Proteste und die nachfolgende eigenständige Kündigung Stocks große Aufmerksamkeit auf sich. So titelt die britische Boulevardzeitung The Daily Mail:

Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women’s right. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly says she WON‘T be silenced in fight for freedom of thought9Bindel, Julie: Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women‘s rights. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly … Mehr anzeigen 

Minimal gemäßigter schreibt die deutsche Tageszeitung FAZ über „Cancel Culture“10Vukadinović, Vojin Saša: Chronik einer orchestrierten Verleumdung. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2021, … Mehr anzeigen und die „Schmutzkampagne gegen eine Philosophin“11Vukadinović, Vojin Saša: Schmutzkampagne gegen eine Philosophin. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2021, … Mehr anzeigen, während die taz in ihrer Berichterstattung die verspottende Wortneuschöpfung ‚Wokistan‘ nutzt12Feddersen, Jan: Antifreiheitliches Wokistan. in: taz, 01.11.2021, https://taz.de/Professorin-tritt-nach-trans-Eklat-ab/!5809038 (letzter Aufruf 30.10.2022). Die Tageszeitung Zeit spricht von „Transaktivisten [die] auf Feministinnen losgehen“13Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf … Mehr anzeigen und sieht damit die Wissenschaftsfreiheit gefährdet. Ein Autor tritt in dem Diskurs auffällig oft in Erscheinung: Vojin Saša Vukadinović, der selbst Anfang der 2000er Jahre Gender Studies studierte und diese dann 2017 als „akademische[n] Sargnagel der Frauenemanzipation“14Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. in: Emma, 28.06.2017, https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569 (letzter Aufruf 30.10.2022) bezeichnete, verteidigt in seinen Texten Stocks Position äußerst vehement und unnachgiebig.

So gut wie alle Artikel, die über den Fall berichten, werden illustriert mit einem Foto von der zurückgetretenen Professorin, einer weißen Frau mit grauem Kurzhaarschnitt, mal porträtiert in ihrem Büro mit erschöpftem Lächeln oder zermürbtem Blick, mal in heroischer Perspektive von schräg unten, dann wieder mit dem Rücken zur Kamera, die dunklen Schatten einer Menschenmenge darüber retouchiert. Die Bildpolitik macht deutlich: die Angeklagte und ihre Perspektive haben das Wort.

In den Debattenbeiträgen werden die von Stock durch Aktivist*innen erfahrenen Anfeindungen wortreich thematisiert. Die Mehrheit der studentischen Aktivist*innen hatte in Form von Flyer- und Plakataktionen, Social Media Posts und Demonstrationen zwar aufsehenerregend, aber dennoch friedlich protestiert. Dennoch wird der Protest als gezielte Diffamierung, Lügenkampagne, Hass und Hetze von übersensiblen Student*innen verunglimpft, und die Argumentation des von über 600 Philosoph*innen weltweit unterzeichneten Protestbriefs15Open Letter Concerning Transphobia in Philosophy, 06.2021, https://sites.google.com/view/trans-phil-letter (letzter Aufruf 30.10.2022) weitestgehend unterschlagen. Stocks beharrliches Festhalten an längst überholten Biologismen und Binärismen wird als mutiges Hinterfragen des „Gender-Paradigmas“ überhöht.16Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf … Mehr anzeigen Gleichzeitig bleiben ihr abwertendes und diffamierendes Verhalten gegenüber trans* Personen innerhalb und außerhalb der Universität vollständig unerwähnt, und auch dass sie „dessen Thematisierung in einer Studierendenzeitschrift zu verhindern versuchte“17Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen, wie die Philosoph*innen und Sozialwissenschaftler*innen Robin Celikates, Katharina Hoppe, Daniel Loick, Martin Nonhoff, Eva von Redecker und Frieder Vogelmann in einem weiteren Zeit-Beitrag betonen. Zurecht erheben sie als Verfasser*innen einer der wenigen Gegenpositionen Einspruch gegen die Behauptung, die Wissenschafts- und Redefreiheit sei bedroht und zeigen die Doppelstandards auf, die der Argumentation zugrunde liegen:

Die Einseitigkeit in der Darstellung solcher Fälle hat Methode und ist ein echter Grund zur Sorge. Immer wieder soll die Öffentlichkeit mit ähnlichen Strategien davon überzeugt werden, dass es ausgerechnet die Etablierten sind, die bedroht würden.18Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen

Wissenschaftsfreiheit sei ein reines Schlagwort, das Macht- und Gewaltverhältnisse der akademischen Welt unsichtbar machen und reaktionäre Positionen damit legitimieren soll. Ein emanzipatorisches Verständnis von Wissenschaftsfreiheit wäre demnach nötig, dass die Universität als einen Ort anerkennt, der von aus historischen Herrschaftsverhältnissen hervorgehenden Ausschlüssen und Hierarchien geprägt werde. Gute Wissenschaft könne daher nur durch Einbeziehung marginalisierter Positionen und den kontinuierlichen Abbau von Machtasymmetrien betrieben werden.19Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, … Mehr anzeigen

Grace Laverey, Professorin in Berkeley, trans* Aktivistin und ehemalige Studentin an der University of Sussex, stellt in einem zur selben Zeit auf ihrem Blog veröffentlichten Essay klar, dass nicht die Wissenschafts- und Redefreiheit Stocks beschnitten wurde, jedoch auf beschämende Art die der Aktivist*innen.20Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022) Als beispielsweise Amelia Jones, studentische Beauftragte für trans* und non-binäre Menschen an der University of Sussex, in einem Interview mit der BBC darlegt, weshalb Kathleen Stock als aktives Mitglied der transfeindlichen LGB Alliance and ihre Unterschrift unter der Women‘s Declaration of Sex-Based Rights – einem Manifest gegen trans* Rechte – eine unsichere Atmosphäre für trans* Student*innen schaffe21Thorburn, Jacob: BBC is forced to air ‚correction‘ from feminist professor Kathleen Stock after allowing students‘ union officer to ‚falsely‘ claim that she signed a ‚declaration to … Mehr anzeigen, beginnt Stock eine mediale Offensive gegen die Studentin, woraufhin diese nach Attacken durch Stocks Supporter*innen ihre Social Media Accounts schließen muss.22Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: http://www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

Und auch die Äußerungen des Vizekanzlers Adam Tickell auf dem Twitteraccount der University of Sussex stellen in der Tat eine Verletzung der Rechte der Studierenden auf akademische Freiheit dar, indem mit der Einleitung von Untersuchungen und Konsequenzen für diejenigen gedroht wird, die Argumente für die Suspendierung von Kathleen Stock veröffentlichen, d. h. Plakate aufhängen. Während Kathleen Stock also in zahlreichen Medien und von der Universitätsleitung, inbesondere vom Vizekanzler Adam Tickell, kontinuierlich Rückendeckung erhält und sich äußern darf, werden die Position und Argumente der Aktivist*innen in der medialen Darstellung mundtot gemacht.

Die Art der Berichterstattung veranschaulicht die herrschenden Machtverhältnisse in der Gender-Debatte eindeutig, und dass Kathleen Stock wenige Tage nach ihrem Rücktritt eine Lehrposition an der ‚free-speech‘ University of Austin in Texas angeboten bekommt (und annimmt)23Woolcock, Nicola: Kathleen Stock: Exiled academic joins free-speech college The University of Austin. in: The Times, 10.11.2021, … Mehr anzeigen ist nur ein weiterer Beleg für den Irrtum der Cancel-Culture-Erzählung, die behauptet, progressive Debatten würden fortlaufend zum systematischen und konsequenten Ausschluss zuvor etablierter Positionen führen. Im Gegenteil, dass die Aktivist*innen mit ihren Protesten den Rücktritt Kathleen Stocks erkämpfen konnten, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie mussten laut, multimedial und konsequent vorgehen, um in ihren Forderungen ernstgenommen zu werden und dennoch sind sowohl die britischen als auch die deutschen Medien unweigerlich der cis-heterosexistischen Perspektive gefolgt24Steinhoff, Uwe: Was man nicht kritisieren darf. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2021, … Mehr anzeigen und haben dabei einige der extremsten und beängstigendsten Positionen in der aktuellen Debatte über die Menschenrechte von trans* Personen vertreten.

In einem abschließenden Statement schreiben die Aktivist*innen über ihren Teilerfolg:

We have organized as a network of autonomous actors – and it is due to our anonymity, plurality of tactics and decentralized structure that we have succeeded. Fuck the national press media who happily collaborated with the university and Stock to turn this into a debate about ‘free speech’ and ‘academic freedoms’. […] For those reaching out to this account, we will not speak to the press because we will never debate, discuss or organize on the terms of the people who have enabled discrimination and transphobia. […] But the struggle isn’t over. Institutional transphobia lives on, it runs deeper than Stock or Tickell or Sussex or any university. Trans liberation is possible in our lifetimes but we must stand strong together in the face of structures that support eliminationists and bigots.25antiterfsussex: ANTI-STOCK ACTION 2021, 28.10.2021, https://www.instagram.com/p/CVlRyn3gcrs (letzter Aufruf 31.10.2022)


TERF Ästhetiken und deren Nähe zu neurechten Erzählweisen

Die zutiefst transmisogyne Behauptung, trans* Frauen sind und bleiben ‚biologische Männer‘ ist nicht neu. Sie wird unterfüttert von einem veralteten, aber weitverbreiteten biologistischen Binärismus, der die Menschheit in zwei Gruppen unterteilt: die XX-Gruppe und die XY-Gruppe, und alle diejenigen die diesen Binärismus stören pathologisiert. Jeder Debatte, die über die vorausgehenden Bedingungen dieser Einteilung sprechen möchte und somit ihre Objektivität infrage stellt, wird wiederum, in dem Versuch diese zu delegitimieren, subjektive (d. h. ‚unwissenschaftliche‘) Betroffenheit vorgeworfen. 

Die Filmtheoretikerin und Literaturwissenschaftlerin Teresa de Lauretis ist eine der etlichen Vertreter*innen der Gender und Queer Studies, die seit Jahrzehnten gegen diesen Vorwurf anschreiben. Sie versteht die kulturelle Hervorbringung von Geschlecht im Sinne von Michel Foucault als ‚Technologie des Sexes‘, das „ein Produkt verschiedener sozialer Technologien wie Kino und institutionalisierter Diskurse, Erkenntnistheorien, kritischer Praxisformen und auch von Alltagspraxis ist“26de Lauretis, Teresa: Die Technologie des Geschlechts. In: Kathrin Peters (Hg.), Andrea Seier (Hg.), Gender & Medien-Reader, S. 459. (letzter Aufruf 31.10.2022). Mit anderen Worten: Technologie setzt sich aus vielfältigen Praktiken/Diskursen (Popkultur, Gesetze, Polizei, Kunst, mediale Diskurse, Wissenschaft) zusammen, die kontinuierlich Konzepte wie ‚sex‘ und ‚gender‘ (re-)produzieren.

Tatsächlich ist die trans- und queerfeindliche Trope des Serienmörders oder Sexualstraftäters in Frauenkleidung in vielfacher Ausführung in der Popkultur zu finden, wie beispielsweise in den preisgekrönten und millionenfach rezipierten Kinofilmen Psycho von 1960, in dem der Serienmörder glaubt, seine eifersüchtige verstorbene Mutter hätte von ihm Besitz ergriffen, und daher die Frauen, die er begehrt in Frauenkleidern und Perücke ermordet, oder Das Schweigen der Lämmer von 1991, in dem ein Mann Frauen entführt, sie ermordet und ihnen die Haut abzieht, um sich daraus ein Kleid zu nähen, aus dem Wunsch heraus, eine Frau zu sein. Diese transmisogynen Erzählungen sind ein direktes Produkt der Misogynie des Patriarchats, das selbstbestimmt handelnde Frauen inherent dämonisiert und dementsprechend Männer, die ihre Weiblichkeit explorieren für wahnsinnig und monströs erklärt.

 

PSYCHO, 1960, © SUNSET BOULEVARD/CORBIS/GETTY IMAGES

Nicht nur TERFs greifen in ihren Argumentationen diese durch Popkultur verstärkten, gewaltvollen Erzählungen auf, sondern auch in rechten und neurechten Kreisen ist eine explizit transfeindliche und antifeministische Überzeugung mittlerweile zu einem Grundpfeiler neo-faschistischer Ideologie geworden. Sascha Krahnke, der bei der Amadeu Antonio Stiftung zu Rechtsextremismus forscht, beschreibt, wie sich rechtsextreme und transfeindliche Desinformationskampagnen annähern: „Seit ein paar Jahren oder verstärkt dieses Jahr [sehen wir] die starke Fokussierung auf das Thema Trans. Und vor allen Dingen als Transfrauen oder Transweibliche Personen als Feindbild, als Bedrohung.”27Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf … Mehr anzeigen 

Desinformation ist jedoch nur ein Beispiel für Taktiken und Rhetoriken von TERFs, die zu denen (neu-)rechter Bewegungen erschreckend ähnlich sind. Auch die Vereinnahmung von ursprünglich Linken Begriffen und Thesen gehört dazu: Bezeichnungen wie Cancel Culture und woke/wokeness/Wokistan, deren Wortursprünge aus queeren und/oder Schwarzen (Internet-)Communities stammt, sind ähnlich wie das Konzept der Political Correctness mittlerweile rechtskonservative Kampfbegriffe. Die Vereinnahmung, Verzerrung und Verkehrung von Linken Bildern, Begriffen und Narrativen ist bei der Identitären Bewegung unter dem Namen ‚Metapolitik‘ bekannt28https://www.identitaere-bewegung.de/faq/was-ist-unter-dem-begriff-metapolitik-zu-verstehen (letzter Aufruf 04.12.2022), eine politische Strategie die groteskerweise vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci geprägt wurde.

Das letzte Beispiel führt uns wieder zurück zu Kathleen Stock: ähnlich wie in neurechten Ideologien, lässt sich auch in diesem Fall die Erzählung des*der Held*in/Märtyrer*in wiederfinden, die sich traut, gegen die angeblich diskursdominierende Gender-Ideologie ihre Stimme zu erheben. So lautet der Slogan, der deutschen TERF-Zeitschrift Emma „Bleibt mutig!“, eine Zeitschrift, die Kathleen Stock in einem langen Artikel verteidigte29Louis, Chantal: Kathleen Stock: Realität & Ideologie. in: Emma, 23.02.2022, https://www.emma.de/artikel/realitaet-wiegt-schwerer-als-ideologie-339251 (letzter Aufruf 31.10.2022), wenige Wochen nachdem sie die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer nicht nur implizit als Mann in Frauenkleidern bezeichnete30Ganserer: Die Quotenfrau. in: Emma, 19.02.2022, https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185 (letzter Aufruf 31.10.2022). Und die mit pathetischer Musik unterlegte Erzählstimme im Werbevideo für die sogenannten ‚Forbidden Courses‘, einer Art Summer School der University of Austin, Texas, an der Stock nun unterrichtet, schwärmt vom Konzept der Hochschule: „willing to take intellectual risk will attract the intellectual risk takers and those of course are the intellectual innovators“31https://www.uaustin.org/forbidden-courses (letzter Aufruf 31.10.2022). Gleichzeitig fliehen seit dem erstarken der religiösen Rechten in den USA immer mehr trans* Menschen aus Texas, aus Angst, ihre Menschenrechte zu verlieren.32Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf … Mehr anzeigen

Der Kreis scheint sich zu schließen bei der Fülle an Hinweisen auf Personen aus neonazistischen Netzwerken unter den Unterstützer*innen der LGB Alliance, der Kathleen Stock angehört.33Parsons, Vic: Neo-Nazis and homophobes are among the supporters of the ‘anti-trans’ group LGB Alliance. in: PinkNews, … Mehr anzeigen Das Statement auf deren Website, „a religious person who is struggling with their sexuality [should] be allowed to seek guidance or counselling from their faith group or religious leaders“34https://lgballiance.org.uk/end-conversion-therapy (letzter Aufruf 31.10.2022) – Konversionstherapie light sozusagen –, und die engen Verbindungen vieler Mitglieder zu konservativen und religiösen Gruppen wie die Heritage Foundation, die Alliance Defending Freedom oder das Centre for Bioethics and Culture haben35Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022), überrascht schlussendlich auch nicht mehr.


TERFake News, TERFaschismus, TERFundamentalismus…?

Beim Nachverfolgen der Debatte wird klar: Transfeindlichkeit, und insbesondere Transmisogynie ist, genau wie Rassismus oder Antisemitismus, fester Bestandteil westlicher Gesellschaften, den sich seit einiger Zeit politische Gruppen von Rechts zu Nutze machen, um ihre faschistischen Ideologien zu stärken und gesellschaftsfähig zu machen. Dieses Vorgehen ist kalkuliert und äußerst effektiv und kann nur durch die Sichtbarmachung ebenjener strukturellen Diskriminierungen in westlichen Gesellschaften und die daran anschließende konsequente, machtkritische Aufarbeitung dieser Strukturen unterbrochen werden. Oder um es praxisbezogener mit Grace Laverys Worten zu sagen:

Sussex University needs to start acting like a University again. Adam Tickell, who misunderstands academic freedom and who issues vague threats against student protestors, needs to lose his job. […] And the British media needs to grow a spine, swallow its pride, and hire a bunch of trans editors, any of whom could have seen this coming a mile off.36Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)

Referenzen

Referenzen
1 Smythe, Viv: An apology and a promise. in: Finally, A Feminism 101 Blog, 19.08.2008, https://finallyfeminism101.wordpress.com/2008/08/19/an-apology-and-a-promise (letzter Aufruf 30.10.2022)
2, 3 Williams, Cristan: TERF: What It Means And Where It Came From. in: The Trans Advocate, 03.2014, https://www.transadvocate.com/terf-what-it-means-and-where-it-came-from_n_13066.htm (letzter Aufruf 30.10.2022)
4 Dixon, Hayley: Tavistock clinic ‘putting young gay people at risk by treating them as trans’. in: The Telegraph, 12.09.2022, https://www.telegraph.co.uk/news/2022/09/12/nhs-clinic-transing-gay-away (letzter Aufruf 30.10.2022)
5 Stock, Kathleen: Academic philosophy and the UK Gender Recognition Act. in: Medium, 07.05.2022, https://medium.com/@kathleenstock/academic-philosophy-and-the-uk-gender-recognition-act-6179b315b9dd (letzter Aufruf 30.10.2022)
6 Doherty-Cove, Jody: ‚Trans women are still males with male genitalia‘ – university lecturer airs controversial views. in: The Argus, 15.07.2018, https://www.theargus.co.uk/news/16334391.trans-women-still-males-male-genitalia—university-lecturer-airs-controversial-views (letzter Aufruf 30.10.2022)
7 Stock, Kathleen: Changing the concept of “woman” will cause unintended harms. in The Economist, 06.07.2018, https://www.economist.com/open-future/2018/07/06/changing-the-concept-of-woman-will-cause-unintended-harms (letzter Aufruf 30.10.2022)
8 antiterfsussex, 06.10.2021, https://www.instagram.com/p/CUrjq01MbQ1 (letzter Aufruf 31.10.2022)
9 Bindel, Julie: Terrorised off campus by the trans hate mob: Balaclava-clad fanatics targeted her for daring to speak up for women‘s rights. But here, ex-university lecturer Kathleen Stock defiantly says she WON‘T be silenced in fight for freedom of thought. in: The Daily Mail, 03.11.2021, https://www.dailymail.co.uk/news/article-10163007/Ex-university-lecturer-Kathleen-Stock-says-WONT-silenced-fight-freedom-thought.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
10 Vukadinović, Vojin Saša: Chronik einer orchestrierten Verleumdung. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2021, https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/cancel-culture-an-hochschulen-chronik-einer-verleumdung-17247116.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
11 Vukadinović, Vojin Saša: Schmutzkampagne gegen eine Philosophin. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2021, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/transaktivisten-bedrohen-die-philosophieprofessorin-kathleen-stock-17580157.html (letzter Aufruf 30.10.2022)
12 Feddersen, Jan: Antifreiheitliches Wokistan. in: taz, 01.11.2021, https://taz.de/Professorin-tritt-nach-trans-Eklat-ab/!5809038 (letzter Aufruf 30.10.2022)
13 Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf 04.12.2022)
14 Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. in: Emma, 28.06.2017, https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569 (letzter Aufruf 30.10.2022)
15 Open Letter Concerning Transphobia in Philosophy, 06.2021, https://sites.google.com/view/trans-phil-letter (letzter Aufruf 30.10.2022)
16 Vukadinović, Vojin Saša: Gezielte Kampagnen. in: Die Zeit, 26.11.2021, https://www.zeit.de/2021/48/kathleen-stock-wissenschaftsfreiheit-feministen-transaktivisten-philosophin (letzter Aufruf 30.10.2022)
17, 18, 19 Celikates, Robin; Hoppe, Katharina; Loick, Daniel; Nonhoff, Martin; von Redecker, Eva; Vogelmann, Frieder: Wissenschaftsfreiheit, die wir meinen. in: Die Zeit, 18.11.2021, https://www.zeit.de/2021/47/wissenschaftsfreiheit-universitaeten-cancel-culture-kathleen-stock (letzter Aufruf 30.10.2022)
20, 35, 36 Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)
21 Thorburn, Jacob: BBC is forced to air ‚correction‘ from feminist professor Kathleen Stock after allowing students‘ union officer to ‚falsely‘ claim that she signed a ‚declaration to eliminate trans people in law‘ during live broadcast. in: MailOnline, 15.10.2021, https://www.dailymail.co.uk/news/article-10095721/BBC-apologises-student-union-rep-says-professor-supports-elimination-trans-people-law.html#v-642147033211617435 (letzter Aufruf 30.10.2022)
22 Lavery, Grace: The UK Media Has Seriously Bungled the Kathleen Stock Story. in: http://www.gracelavery.org, 17.10.2021, http://www.gracelavery.org/uk-media-biased-stock-sussex (letzter Aufruf 30.10.2022)
23 Woolcock, Nicola: Kathleen Stock: Exiled academic joins free-speech college The University of Austin. in: The Times, 10.11.2021, https://www.thetimes.co.uk/article/kathleen-stock-exiled-academic-joins-free-speech-college-the-university-of-austin-kdrf883sj (letzter Aufruf 30.10.2022)
24 Steinhoff, Uwe: Was man nicht kritisieren darf. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2021, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gender-studies-konformismus-im-fall-kathleen-stock-gefordert-17645134.html (letzter Aufruf 04.12.2022)
25 antiterfsussex: ANTI-STOCK ACTION 2021, 28.10.2021, https://www.instagram.com/p/CVlRyn3gcrs (letzter Aufruf 31.10.2022)
26 de Lauretis, Teresa: Die Technologie des Geschlechts. In: Kathrin Peters (Hg.), Andrea Seier (Hg.), Gender & Medien-Reader, S. 459. (letzter Aufruf 31.10.2022)
27, 32 Kogel, Dennis: Genzmer, Jenny: Die Anfeindungen nehmen zu. in: Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2022, https://www.deutschlandfunkkultur.de/transpersonen-desinformationen-100.html (letzter Aufruf 31.10.2022)
28 https://www.identitaere-bewegung.de/faq/was-ist-unter-dem-begriff-metapolitik-zu-verstehen (letzter Aufruf 04.12.2022)
29 Louis, Chantal: Kathleen Stock: Realität & Ideologie. in: Emma, 23.02.2022, https://www.emma.de/artikel/realitaet-wiegt-schwerer-als-ideologie-339251 (letzter Aufruf 31.10.2022)
30 Ganserer: Die Quotenfrau. in: Emma, 19.02.2022, https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185 (letzter Aufruf 31.10.2022)
31 https://www.uaustin.org/forbidden-courses (letzter Aufruf 31.10.2022)
33 Parsons, Vic: Neo-Nazis and homophobes are among the supporters of the ‘anti-trans’ group LGB Alliance. in: PinkNews, 03.04.2022https://www.pinknews.co.uk/2020/04/03/lgb-alliance-neo-nazi-homophobia-spinster-death-head-charity-commission/ (letzter Aufruf 31.10.2022)
34 https://lgballiance.org.uk/end-conversion-therapy (letzter Aufruf 31.10.2022)

In dieser Folge spricht Katharina Lüdin anlässlich der bundesweiten Wissenschaftswoche #4GenderStudies 2022 mit Jayrôme C. Robinet, Autor, Übersetzer, Spoken Word Künstler und ehemaliger Kollegiat des DFG-Graduiertenkollegs „das Wissen der Künste“ der UdK Berlin über sein Promotionsprojekt Ästhetiken und Politiken von trans und nicht binärem Spoken Word, über transformatives Potenzial und das Spannungsfeld zwischen geschriebener und gesprochener Sprache.

In dieser Folge erwähnt:
Julia Serano: Spoken Word Performance „TransForming Community“, 2005 (abgerufen am 18.12.2022)
Gin Müller: Lachen, das körperliche Erschütterung erzeugt. In: Maske und Kothurn, für Monika Meister, Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft, hrsg. v. Klemens Gruber, Rainer M. Köppel, H. 3-4, Wien: Böhlau 2016, S. 108 – 113.
#4GenderStudies: (2) Schreiben der Körper – Ein Gespräch mit Annika Haas
Jacques Derrida: Grammatologie. Frankfurt / Main: Suhrkamp 1974
Jayrôme C. Robinet: Liebe cis Leute. In: Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht. Berlin: w_orten & meer 2015, S. 30-34.

Katharina Lüdin ist Mitglied der AG Critical Diversity, ehemalige Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Gestaltung und studiert Kunst und Medien an der UdK Berlin.

Anlässlich der bundesweiten Wissenschaftswoche #4GenderStudies vom 12. – 18. Dezember 2022 hat Katharina Lüdin in dieser Folge mit Annika Haas, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung an der Universität der Künste Berlin, über ihre Dissertation „Avant-Theorie – Hélène Cixous‘ écriture du corps“ und über Situiertheit des Schreibens gesprochen.

In dieser Folge erwähnt:
Gramlich, Naomie; Haas, Annika: Situiertes Schreiben mit Haraway, Cixous und Grauen Quellen. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 20: Was uns angeht, Jg. 11 (2019).
Annika Haas‘ Dissertation Avant-Theorie – Hélène Cixous‘ écriture du corps
Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa. Zusammen mit aktuellen Beiträgen, hrsg. v. Esther Hutfless, Gertrude Postl, Elisabeth Schäfer, übers. v. Claudia Simma, Dt. Erstausg., Wien 2013, S. 39-61


Katharina Lüdin ist Mitglied der AG Critical Diversity, ehemalige Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Gestaltung und studiert Kunst und Medien an der UdK Berlin.

In dieser Folge spricht Katharina Lüdin anlässlich der bundesweiten Wissenschaftswoche #4GenderStudies vom 12. – 18. Dezember 2022 mit Prof. Dr. Miriam Oesterreich, seit dem Sommersemester 2021 Juniorprofessorin für Theorie der Gestaltung und Gender Studies an der UdK Berlin.
Ein Gespräch über Blickregime, Gestaltbarkeit von Körpern und Miriam Oesterreichs Lehre und Forschung. Ein Mäandern entlang verschiedener Formen von Grenzziehungen.

In dieser Folge erwähnt:
Georgia O’Keeffe
YOYI! Care, Repair, Heal – Ausstellung Gropius Bau
Artemisia Gentileschi: Susanna und die Ältesten (Susanna im Bade)
Gloria Anzaldúa

Katharina Lüdin ist Mitglied der AG Critical Diversity, ehemalige Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät Gestaltung und studiert Kunst und Medien an der UdK Berlin.

فُرم های اجرایی اعتراضات زنان در ایران

For the English version change language selection.

اکثر کشورهای خاورمیانه دارای نوعی از رژیم های استبدادی هستند که در بهترین حالت با زنان به عنوان جنس دوم رفتار کرده و حقوق اولیه آنها را زیر پا می گذارند. روایت کلان آنها از قدرت بر پایه ارزش های مردسالارانه و مذهبی تعریف شده است. در چنین حکومت هایی، نادیده گرفتن حقوق زنان و دگرباشان جنسی و همچنین تحقیر آنها بدل به امری عادی شده است. عموماً رژیم هایی که „دیگری زنانه“ را تهدیدی علیه هژمونی مردانه می بینند، به شکل قبیله ای، غیر تکثرگرا و دیکتاتوری جوامع خود را اداره و کنترل می کنند. 

زنان، دگرباشان جنسی، طرفداران محیط زیست، حامیان خلع سلاح هسته ای و غیره، از سوی حکومت های توتالیتر و متحجر در خاورمیانه از جمله ایران، یک تهدید محسوب می شوند. بر اساس قوانین رژیم های خودکامه، این گروه ها اقلیت هایی هستند که مدام علیه ارزش های تعریف شده حکومت می جنگند. از سوی دیگر، ظهور احزاب افراطی و بنیادگرا در کشورهای دموکراتیک، باعث بیگانه هراسی، نژاد پرستی، ملی گرایی و مهاجر ستیزی شده که این مهم یک تهدید جدی برای حیات دموکراسی قلمداد می شود. در چنین شرایطی، فعالان حقوق زنان و دگرباشان جنسی می توانند با حمایت از خیزش زنان در کشورهایی دارای حکومت های دیکتاتوری مانند ایران، از مفهوم دموکراسی به معنای کلی آن دفاع کنند. 

© REX/SHUTTERSTOCK

در خاورمیانه، جمهوری اسلامی ایران، یکی از محافظه کارترین رژیم های تمامیت خواه محسوب می شود. این رژیم همواره در برخورد با جنبش های اجتماعی به شکل متخاصم، خشن و متجاوزانه عمل کرده است. حکومت ایران برای حفظ نظم سیاسی- اجتماعی خود همواره تقابل و طرد „دیگری“ را در دستور کار قرار داده است. در شرایط کنونی ایران، زنانگی، عاملی قدرتمند و تهدیده کننده علیه نظم جعلی جمهوری اسلامی است که اساساً با درک مفاهیمی همچون عدالت، برابری و آزادی غریبه است. حکومت اسلامی ایران در طول چهل و سه سال حاکمیت خود، همواره حقوق بشر را به طرق مختلف نقض کرده است. این رژیم، اقلیت های جنسی، مذهبی، سیاسی و سایر گروه های مخالف را تحقیر کرده و به شکل مداوم فعالان زن را بدون توجه به اصل کثرت گرایی اجتماعی- سیاسی، سرکوب و بازداشت کرده است. رژیم اسلامی در مقاطع مختلف، با امواجی گسترده از نارضایتی مردم روبرو شده است. اعتراضات ملی ایران در دهه اخیر بیشتر ناشی از افزایش شکاف طبقاتی، فساد سیستماتیک دولتی، نقض مکرر حقوق بشر و فشارهای کشورهای خارجی بوده است. بر اساس گزارش مجمع جهانی اقتصاد در سال 2009 میلادی، ایران از نظر تبعیض جنسیتی، از میان 134 کشور، در رتبه 128 قرار گرفت.1https://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_2009.pdf

زمزمه های اجباری شدن حجاب از اولین روزهای پس از پیروزی انقلاب اسلامی در سال 1357 خورشیدی شنیده می شد تا اینکه در سال 1362 توسط مجلس شورای اسلامی به شکل قانون تصویب شد. طبق قانون مجازات اسلامی، زنی که حدود شرعی حجاب را رعایت نکند، به 70 ضربه شلاق یا 60 روز حبس محکوم می شود. 

مرگ ژینا (مهسا) امینی در 25 شهریورماه 1401 خورشیدی، بار دیگر باعث توجه جهانیان به موضوع زنان در ایران شد. قتل مهسا به وسیله گشت ارشاد تهران (پلیس اخلاقی) به دلیل رعایت نکردن حجاب طبق قوانین معیار، باعث اعتراضات بسیار گسترده ای در ایران و سایر کشورهای جهان شد. نام مهسا امینی، میلیون ها بار در شبکه های اجتماعی تکرار شد و در دو ماه گذشته هشتگ MahsaAmini# رکورد بیشترین اشتراک گذاری در توئیتر را شکست.2 https://globalvoices.org/2022/10/13/the-world-must-hear-the-voice-of-iranian-women

© FRANCEPRESS

اعتراضات زنان در ایران در نتیجه ظهور مهسا به عنوان یک „دیگری“ نمادین علیه رژیم اسلامی، فُرم های نوین و خلاقانه ای به خود گرفت. بر اساس نظریه باتلر، اعتراضات زنان در ایران را می توان اجرایی دانست چرا که آنها مشروعیت رژیم را از طریق ظاهرسازی بدن های خود در فضاهای عمومی و تکرار ژست ها حتی به صورت دیجیتال زیر سئوال می برند. بدن هایی که در حال مبارزه در برابر خشونت و احیای حق خود برای (ادامه وجود) هستند.3نگاه کنید به کتاب جودیت باتلر: یادداشت هایی درباره نظریه اجرایی اجتماع. کمبریج، اِم اِی، انتشارات دانشگاه … Mehr anzeigen در اینجا و به اختصار، به بررسی چند نمونه از فُرم های اجرایی اعتراضات زنان در تظاهرات اخیر می پردازیم:

  • آتش زدن روسری و ایجاد کمپین روسری سوزان در اعتراض به حجاب اجباری. این فُرم اعتراض از تجمعی در شهر ساری4
    این اعتراض علیه حجاب اجباری در تاریخ 29 شهریورماه 1401 خورشیدی و با دعوت فعالان زن در شمال ایران
    ، واقع در شمال ایران سرچشمه گرفت و سپس در بسیاری از شهرهای دیگر تسری پیدا کرد. (https://www.youtube.com/watch?v=spSTw-zs-AA)
  • بر اساس یکی از رسوم کهن ایرانیان باستان و برخی ملل دیگر، کندن یا کوتاه کردن مو (گیسو بُران)، نشانه ای برای ابراز غم و ناراحتی است. پس از انقلاب اسلامی در ایران، این رسم به فراموشی سپرده شده بود اما پس از قتل مهسا، این کنش بدل به فُرمی اجرایی و نمایشی جهت اظهار انزجار، خشم و ناراحتی توسط زنان و مردان شد. (https://www.youtube.com/watch?v=_zNngyPYK2w)
  • پاره کردن تصویر بنیانگذار و رهبر جمهوری اسلامی از کتاب های درسی دانش آموزان.
    (https://tinyurl.com/yv9ammrd)
  • تکرار شعار زن، زندگی، آزادی(ژن، ژیان، ئازادی). این شعار ریشه در ژینولوژی5ژینولوژی (کُردی: (Jineolojî شکلی از فمنیسم و برابری جنسیتی است که توسط حزب کارگران کردستان (PKK) و چتر گسترده اتحادیه … Mehr anzeigen داشته و گفته می شود که توسط عبدالله اوجالان، رهبر حزب کارگران کردستان (پ.ک.ک) ابداع شده است. این شعار نشان دهنده فعالیت های سیاسی زنان کُرد در سال 2000 میلادی است. (https://tinyurl.com/ms7fy822)
  • انتشار ویدئوی دختری ناشناس که اقدام به بستن موهایش جهت رویارویی با مأموران امنیتی می کند، بدل به یکی دیگر از نمادهای اعتراضات شد. در فرهنگ ایرانی، بستن مو نشانه ای برای آماده شدن زنان جهت انجام اقدامی مهم تعبیر می شود. تعداد زیادی از جوانان با تکرار این کنش و اشتراک گذاری ویدئوی آن در شبکه های اجتماعی، آمادگی خود برای مقابله با نیروهای سرکوبگر را اعلام کردند. (https://tinyurl.com/2p9xupzm)
  • بوق زدن ممتد اتومبیل ها در خیابان ها و بزرگراه ها، یکی دیگر از نمادهای اعتراضات امسال است. اتومبیل ها با بوق زدن، با صدای معترضین در خیابان ها همراهی می کنند. (https://tinyurl.com/44a4nae6)
  • در اکثر دانشگاه های ایران، رد دست های خونی بر در و دیوار کلاس ها، نشانه ای از اعتراض علیه جنایت های رژیم در برخورد با دانشجویان و برخی اساتید است. (https://tinyurl.com/53uyhhu5)
  • بسیاری از بازیکنان در رویدادهای ملی و بین المللی ورزشی، از خواندن سرود جمهوری اسلامی سر باز زده و با بازوبند یا مچ بند مشکی در مسابقات حاضر می شوند. در جام جهانی فوتبال 2022، قطر که به دلیل نقض مکرر حقوق بشر و به رسمیت نشناختن اقلیت های جنسی مورد انتقاد گسترده قرار گرفته، در اقدامی هماهنگ با حکومت ایران، از ورود ایرانیان معترض به داخل ورزشگاه ها جلوگیری کرد. لازم به ذکر است که بازیکنان تیم ملی فوتبال ایران قبل از اولین مسابقه خود برابر انگلیس، سرود جمهوری اسلامی را نخواندند. (https://www.cbsnews.com/news/iran-national-anthem-world-cup-england)

روز به روز، فُرم های اعتراضات متنوع تر شده و افراد بیشتری از بخش های مختلف جامعه را تحت تأثیر قرار می دهد. شکی نیست که اعتراضات جاری در ایران، بزرگترین، یکپارچه ترین و گسترده ترین اعتراضات بعد از انقلاب اسلامی است. اعتراض زنان به حجاب اجباری می تواند باعث آزادی جامعه ایران، سقوط رژیم اسلامی و در نهایت آزادی تمام زنان، دگرباشان جنسی و سایر اقلیت ها شود. وظیفه ما به عنوان مدافعین حقوق زنان و اقلیت های جنسی به عنوان ارکانی از حقوق بشر، حمایت از تمام زنان، مردان و هر فردی از هر جنسیتی در خیابان های ایران است که فریاد می زنند: زن، زندگی، آزادی.

_ دکتر حامد سلیمان زاده، منتقد و فیلسوف فیلم است که هم اکنون به عنوان پژوهشگر تحت حمایت بنیاد انیشتین آلمان در دانشگاه هنرهای برلین (UdK) فعالیت می کند. 

Referenzen

Referenzen
1 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_2009.pdf
2 https://globalvoices.org/2022/10/13/the-world-must-hear-the-voice-of-iranian-women
3

نگاه کنید به کتاب جودیت باتلر: یادداشت هایی درباره نظریه اجرایی اجتماع. کمبریج، اِم اِی، انتشارات دانشگاه کمبریج ۱۳۹۳
4
این اعتراض علیه حجاب اجباری در تاریخ 29 شهریورماه 1401 خورشیدی و با دعوت فعالان زن در شمال ایران
5

ژینولوژی (کُردی: (Jineolojî شکلی از فمنیسم و برابری جنسیتی است که توسط حزب کارگران کردستان (PKK) و چتر گسترده اتحادیه جوامع کردستان (KCK) حمایت می شود.

allí a mi espalda llevo mi casa

Karla Yumari hat sich im Rahmen des Seminars Feministische und dekoloniale Gesten und Ästhetik von Pary El-Qalqili im Wintersemester 2021/2022 an der UdK Berlin mit verschiedenen Themen rund um intersektionalen Feminismus beschäftigt. Dabei ist dieser Brief entstanden, den wir hier auf Mexikanisch1 veröffentlichen. In Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Zugehörigkeit stellt Karla die Geschichte ihrer verstorbenen mexikanischen Urgroßmutter ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart gegenüber.
Als Grundlage dienten Texte von Alice Walker, bell hooks, Gloria Anzaldúa, Saidiya Hartman sowie Trinh Minh Hà.

Querida Abuelita,
esta carta me va llevar a lugares de cuales no sabía
lugares que siempre has cuidado
en mi alma,
en mi corazón
historias las cuales tú viviste
me las compartes
y yo, yo las vivo
contigo en mi presente

Quisiera que esto fuera una plática entre tu y yo. Aurora, la mujer a la que nunca conocí pero igual siempre has estado allí. En cada cuento que mi Padre me contaba, en cada una de las historias de las cuales Opa Luciano me hablaba, siempre estabas allí. Hablando con cariño los pensamientos de mi Opa Luciano se iban a recuerdos, a lugares lejanos. Igual estabas cerca cuando contaban historias, cuando pensaban en el pasado.

Estaríamos en la casa tuya Aurora, allí en Oaxaca en el patio con la luz más suave, los árboles con frutos de Lima y la mesita de plástico. Recuerdo esa mañana en mi niñez, contigo allí, la cual nunca conocí. Pero siempre estabas allí. En Silacayoapan, la tierra que compartimos. Naciste y creciste allí . Aurora, la mujer que veo en las fotos, tiene una fuerza que resalta de la imagen. Veo el cariño en tus ojos y el altruismo en tus manos.

Igual veo tu rostro y me veo, me reconozco. El momento en el cual naciste fue casi 100 años antes de que yo naciera. Eras una de muchos hijos en tu familia; en tiempos de revolución y peste. Mucha de tu realidad era muy lejana de la mía.

Me cuentan que desde chiquita cuidabas a niños, los cuales la revolución y la peste les quitó sus padres. Con cariño los criabas uno por uno. Abuelita, ¿sabes de cuántas historias eres parte? Una mujer que formó a tantas vidas, que tantas de esas vidas te siguen llevando en sus historias. Y yo soy una de esos niños, una de esas historias en las que sigues viviendo . Te cuento que pienso que en tu forma de pensar la familia, veo una forma de pensar la familia en un sentido feminista. Con tu hermana, Catalina criaste niños que a pesar de que nos les diste luz, crearon una comunidad. Un hogar, una forma de familia. Pensando en el significado de la familia,

la que me enseñaron que debo desear,
de la mía, que entre amor y muchas lágrimas, se construyó
e igual la que yo estoy aprendiendo de poder soñar

Pienso cómo quiero ver a la familia, cuáles comunidades quiero crear y puede ser que tenemos más en común que hacen parecer esos 100 años que nos separan. Con tu hermana criaron a muchos niños, vivieron juntas y hasta el final se cuidaron entre ustedes. Yo con mi hermana, mis amigas, mi pareja en conjunto así quiero criar a los niños de cada una. Como tu abuelita ¿Me podrías contar qué tan fácil puede ser amar a cada niño, sin que importe quién le dio luz? ¿Igual me podrías contar qué tanto quisiste dar luz a un hijo y cuánto tiempo pasó para que se volviera realidad tu deseo? “La bendición” le dicen a los hijos y para ti mi Opa Luciano seguro fue eso. Sé que creíste mucho en Dios. Viviste tu vida siguiendo las reglas de la Iglesia y tengo todo respeto a eso. Pero viendo la crueldad que viene hasta hoy con la religión católica, me cuesta entender el amor que mi familia mexicana le tiene a la fe. Más cuando todo en el presente recuerda al dolor del pasado. En un pueblo que fue maltratado por los conquistadores igual se comunicaban con el lenguaje de los conquistadores. Cuando llegué de méxico a alemania me enojaba porque nadie sabía ni que méxico no era españa, ni que mexicano no era el lenguaje que yo hablaba. Pero un querido amigo mexicano me dijo que él igual no hablaba español, que él hablaba la lengua de Mexico, el mexicano y abuelita creo que ahora yo igual hablo mexicano. Sea la religión o la lengua, la apropiamos y la hicimos nuestra pero hasta hoy siento el dolor que lleva cada palabra. Busco mi identidad en un lengua que duele y solo puedo apreciar de lejano la lengua que tú hubieras hablado, la que yo hablaría. Y siempre pienso en eso, con amor uso mis palabras en mexicano, las busco y
me cuestan pero las amo. Igual las amo porque son las tuyas, son tus palabras que me prestas. Las mismas, las que tú usabas e igual traían el dolor de un lenguaje que ninguna de nosotras dos pudo hablar. El lenguaje es lucha e igual por eso amo el mexicano, nuestro lenguaje, el lenguaje de amor y familia, de historias compartidas. Más y más he conectado con las palabras; no solo hablando sino escribiendo y pensando.

Busco y busco las palabras, la lengua, lo que quiero decir, las historias que quiero contar. Igual esa búsqueda es una lucha.

cada dia defino

cada dia extiendo

cada dia reinvento

cada dia defiendo

mi búsqueda, mis palabras, mi lenguaje, mis historias y mis espacios

Pero con amor coloco cada palabra.
Me muevo en las calles, dejo mis pensamientos flotar, siento mi alma que se alimenta de esos momentos. Los pequeños momentos en donde ando solo yo, yo en un espacio que creo para dejar flotar los pensamientos ¿Abuelita tú tuviste esos momentos de poder estar sola? En calma contigo, un momento pequeño. Un momento en el patio de tu casa entre los árboles de Lima, un momento en donde los niños dormían, los mosquitos se quedaban quietos, el aire suave tocaba tu piel y el olor a tierra húmeda alimentaba el aire ¿Qué hacías en esos momentos? ¿Igual te gustaba escribir o dibujar? ¿A dónde se iban tus pensamientos? ¿De cuáles cuentos soñabas? Por los años del 1993 escribiste una carta a mi Opa Luciano, que decía “Ya llegaron los tiempos”, siento que en esas únicas palabras de las que se que fueron escritas por ti hay tanta poesía y tanto amor. Los tiempos llegan, algo nuevo comienza, la forma con la que le quisiste avisar a tu único hijo que ya pronto morirías. Me gustaría pensar que igual tu buscabas tus palabras y las colocabas con amor. En tus pensamientos colocabas y buscabas esas palabras. Nadie nunca las vio ni las escuchó, pero allí estaban y allí continúan. Yo las llevo en cada letra que escribo, en cada palabra que digo. Las escribo en mi mi libro negro, 13cmx10cm. Cada dia lo lleno con mis palabras, con tu palabras, con las nuestras.

Escribo de lo que me alegra, escribo de lo que me hace llorar, escribo de lo que amo y de lo que odio, de mis miedos y mis sueños. Escribo del amor y de la belleza, de una mujer, la cual me hace feliz. Y abuelita ese amor es el mismo que tú llevas en tu corazón.

Compartimos el mismo amor sin saber si estaríamos en la misma lucha. Pero contigo coloco las palabras en mi libreta. 13cmx10cm que no tuviste. No te esperaban hojas para llenar cuando te daba tiempo de descansar. Tu soñabas de los colores más fuertes, que ahora, yo busco y dibujo. Me paso horas y horas buscando espacios en los cuales puedo pasar mi tiempo buscando mis colores y ordenando mis palabras, poniendo en orden nuestro mundo.

Esos 13cmx10cm siempre llevan mi nombre y con eso empiezo ponerle orden a nuestro mundo. Karla Yumari Martinez Royal. ¿Cuál sería tu libreta? Igual quieres esas hojas de 50mg, que se manchan con cada color que escoges usar?
pondrías tu nombre en la primera página:
Aurora Avila de Martinez
o pondrías Ramirez? Igual cada vez sería el nombre de tu marido muerto, el nombre que indica pertenencia. Me duele leer tu nombre así “DE” Martinez. Me cuenta que eres propiedad de alguien, de un hombre. Pero nunca pertenecemos a nadie. No somos propiedad. Porque eso no va a la utopía de la que yo sueño, la utopía que llevas en tus historias. Poseer es patriarcal, sea la tierra o las mujeres. El sistema patriarcal nos ve como propiedad y abuela estoy segura que tu alma era de las más libres,

nunca nadie la pudo pertenecer
como yo no soy de nadie
y tú eres la tuya.

Nuestras piernas las tuyas y las mías nos dejan partir los ideales de propiedad y de querer poseer a otro ser. Pero tu lo traías hasta en tu nombre y a mi me cuesta decirle a mi novia –que no le quiero decir que es “mía”–, porque es libre y nadie la puede poseer.

Nadie nos puede poseer ni nos puede encerrar, somos libres hasta las fronteras de nuestros privilegios. Igual tu hermana pequeña llegó a las fronteras de sus privilegios y sus privilegios la dejaron encerrada. Se la llevaron, se la robaron. Una más que pienso y pido por ni una más que se llevan, ni una más que se toman
como una mercancía.
Y cuando hablo de la posesión y de los hombres que se las llevan, y de los nombres que se las prometen, abuelita hablo de un mundo que no encuentro las palabras para poner orden. Busco y busco, las páginas se llenan y la voz igual es mía cuando todas piden que no somos de nadie y ni una más!

Abuelita, te veo en las fotografías y en las historias y sé que mujer tan fuerte y luchadora eres. Abuelita, por tu ser, yo soy la que soy.

Karla Yumari Martinez Royal. Igual, no la soy. Mi pasaporte alemán dice mitad de mi nombre. Karla Yumari Royal. Nunca dice Martinez, traigo el nombre de mi mamá y te digo que no pertenecemos a nadie pero, igual quiero pertenecer. Quiero ser parte.

Cuando Chavela Vargas cantaba en el coche de Opa Luciano que “no soy de aqui ni soy de allá” yo solo podía anhelar con mi mirada los paisajes que pasaban. Que ni yo era de allí. Pero sentía con todo mi corazón la pertenencia a esas tierras. Los paisajes que pasaban y me contaban de las historias, las cuales traían tu nombre.

Los viajes al pueblo. Abuelito, Opa Luciano siempre manejaba y durante todo el viaje acariciaba con su mirada el paisaje. Escuchábamos Chavela Vargas, Lola Beltran y Pedro Infante. Pasamos las sierras secas con los nopales infinitos, las montañas que cuidaban la selva y los acantilados que me hacían cerrar los ojos. Pero yo no era de allí, y si lo soy. Buscando mi casa recorrí muchas sierras, montañas y acantilados.

Pero por un tiempo no estaba en casa en ningún lugar.

Con cariño recuerdo cada viaje a Oaxaca, a nuestras tierras que nunca son nuestras. Las tierras en las cuales sembrabas. Tu huerto, Abuelita. Me contaron que sembrabas frijoles, maíz y cerca del río, caña. Y cuando llegué allí, igual recuerdo como los bueyes cultivaban la tierra para sembrar. La tierra era oscura y fértil. Recuerdo el olor cuando en la mañana apenas salía el sol y la tierra respiraba por primera vez. Recuerdo esa mañana en mi niñez: contigo allí, la cual nunca conocí. Comí mis tortillas azules con una taza de chocolate oaxaqueño. Me lo sirves con una cuchara en mi taza de barro, la cual sabe a la tierra de tu huerto . Y allí, allí en tu patio, entre los árboles de Lima. En la mesita de plástico, sabía que igual allí estoy en casa.

Porque allí a mi espalda llevo mi casa, la llevo contigo por dentro a donde yo vaya.

1 Im Text wird auf die Selbstbezeichnung der eigenen Sprache als Akt des Empowerments näher eingegangen.

Karla Yumari studiert Architektur an der UDK Berlin und setzt sich mit queer-feministischen Themen innerhalb der Architektur sowie in ihren kreativen Arbeiten auseinander. Sie nähert sich diesen Themen durch Fotografie und kreatives Schreiben an. 


Gender is performance. But how does it perform? On the occasion of the Medienhaus Lectures 2021 at Berlin University of the Arts, Paris based writer and researcher Claire Finch re-visited the queer-feminist notion of gender’s performativity. We publish the lecture together with an introduction by Annika Haas, who co-organised the two-day conference together with Henrike Uthe.

Claire Finch is a writer and researcher whose work samples queer and feminist theories as a way to intervene in narrative. Their recent projects include „I Lie on the Floor“ (After 8 Books, 2021), „Lettres aux jeunes poétesses“ (L’Arche 2021), „Kathy Acker 1971-1975“ (Editions Ismael, 2019) and their translation into French of Lisa Robertson’s „Debbie: An Epic“ (with sabrina soyer, Debbie: une épopée, Joca Seria, 2021).

Introduction by Annika Haas

Regarding the notion of performing gender, Claire Finch intervened into a common misunderstanding of the concept coined by Judith Butler right in the beginning of their lecture stating that “it’s not about acting, but more about interrupting the idea of what it means to be an actor, to be a self, to have a body […]”. In turn, even what has been called the “assigned sex” presented itself as “the residue, the result of citing re-citing gender gender gender as the body gets all solid in repetition”. Tackling this issue, Finch’s contribution to the conference motto “Performance? Performance. Performance!” was an exercise in stretching, bending, loosening and cross-cutting the identities that form and solidify in bodies and “the residue of sex and language” respectively. This exercise is physical, emotional, sensational and text-based, all at once. Finch proposes to utilize strategies like plagiarism, body functions like vomiting, technologies like sex toys, and last but not least language for what they broadly understand as “textual intervention” into the livid residue of our bodies and in order to cross-cut their identities.

In this way, seemingly separate spheres and practices in themselves – e. g. writing and using sex toys – creatively begin to inform each other. Considering for example, as Finch remarked, that “[y]ou can attach a sextoy to any part of the body and transform that part of the body into a sexual surface” not only decenters sex and the gendered body. It also inspires textual strategies: “What happens when we think of the sextoy as a textual graft, if we perform the same decentering and reorganizing operations on form, as we do on the body?”

Making these connections by translating and transposing concepts and practices from one medium and form into another and thus allowing for mutual interventions – e. g. of the body or the sex toy into the text and vice versa – is what drives their practice, as Finch underlined in the discussion that followed the lecture and that left the audience with an inspiring task: To develop further dissident strategies with their bodies and tools of their choice in order to practically do these things that we say we want to do in theory.

Annika Haas is a media theorist and works as a research associate at the Institute for History and Theory of Design of Berlin University of the Arts (UdK). She completed her PhD on Hélène Cixous’s philosophy and embodied writing practice. Annika’s practice at the intersection of art and theory includes art criticism and experimental publishing.

Zu den Medienhaus Lectures werden einmal im Jahr Gestalter*innen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten an die Universität der Künste Berlin eingeladen. 2021 fanden die Medienhaus Lectures als Kooperation zwischen Gestaltung und Theorie statt und wurden von Henrike Uthe und Annika Haas organisiert. Unter dem Motto „Performance? Performance. Performance!“ stellten sie den menschlichen Körper als Akteur sowie Adressat von Design in den Mittelpunkt und fragten: „Wie divers sind die Körper, die an Entwurfsprozessen beteiligt sind? Wie differenziert ist das Körperbild im Design? Welche Normen und Regeln werden daraus abgeleitet? Und wie wirken diese auf unsere Körper zurück?“ Wir veröffentlichen hier die Aufzeichnung der Lecture der Gestalterin Hannah Witte zu gendersensibler Typografie sowie eine Tagungsnotiz von Annika Haas.

Hannah Witte (sie*ihr) ist Grafikdesignerin und lebt in Leipzig. Ihre gestalterische Praxis dreht sich hauptsächlich um feministische Themen, Gender-Stereotype und non-binäre Typografie und wurde 2021 mit dem iphiGenia Gender Design Award ausgezeichnet. Ihr Buch Typohacks – Handbuch für gendersensible Sprache und Typografie erschien 2021 im form Verlag.

Tagungsnotiz von Annika Haas

Sprache befindet sich in einem permanenten Wandel. Das zeigt sich nicht nur in gendersensiblen Sprech- und Schreibweisen, sondern auch im Schriftbild. Mit Typohacks (form-Verlag 2021) hat Hannah Witte den ersten Leitfaden zur Gestaltung gendersensibler Typografie im deutschsprachigen Raum vorgelegt. Auf den oft kaum beachteten Zusammenhang von Sprache und Typografie machte sie bei den Medienhaus Lectures mit der Wortschöpfung „Ortho-Typografie” aufmerksam. Kathrin Peters hob als Moderatorin des Talks zudem hervor, dass Typografie und Sprache voller Normen seien und der Genderstern diese Normiertheit kenntlich mache. Denn da es sich dabei um ein Sonderzeichen handelt, das in den meisten Fonts anders als Buchstaben skaliert ist, sticht es im Schriftbild hervor bzw. fällt heraus. Während es zunehmend Fonts gibt, die den Genderstern gleichrangig mit Buchstaben setzen1, regt Typohacks dazu an, den Genderstern variabel und kontextuell einzusetzen: Mal bedarf es vielleicht eines Unruhe stiftenden „Gender-Trouble-Sterns“, mal ist eine barrierearme Einbettung wichtiger. Etwa, wenn es um Texte geht, die für Menschen mit Legasthenie gut lesbar sein sollen. Dabei spielen, wie die Designhistorikerin Anne Massey zeigt, ganz andere Kriterien als die normativ formulierten für ‚gute Lesbarkeit‘ eine Rolle.2

Dass sich die Frage nach ‚guter Lesbarkeit‘ nur spezifisch beantworten lässt, zeigte bei den Medienhaus Lectures 2021 auch das Werkstattgespräch zwischen dem Designstudio Liebermann Kiepe Reddemann und den Direktor*innen der Kunsthalle Osnabrück Anna Jehle und Juliane Schickedanz über die gemeinsame Arbeit an der Website für das Jahresthema „Barrierefreiheit“. Fazit: Was barrierearm ist, ist eine Frage des*der jeweiligen Betrachter*in bzw. Zuhörer*in. So unterbricht der Genderstern den Textfluss auch auf akustische Weise, wenn Screenreader Texte vorlesen. Sie interpretieren z. B. „Gestalter*in“ als: „Gestalter, Stern, in“. Unabhängig von der Typografie verhalten sich Buchstaben und das nichtlautliche Zeichen * damit auf der akustischen Ebene weiterhin disparat zueinander. Sofern keine genderneutralen Alternativen gefunden werden können, empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband den Genderstern dennoch, da er im Schriftbild besser als ein Doppelpunkt oder Unterstrich lesbar ist.

Rund um den Genderstern und die Fragen seiner typografischen wie technologischen Einbettung zeigt sich damit einmal mehr, dass die universalistische Rede von ‚guter Gestaltung‘ unhaltbar geworden ist. Wie auch zahlreiche queer-feministische und postkoloniale Design-Plattformen und -Publikationen zeigen, ist Design situiert und damit weder losgelöst von seinen Produzent*innen, noch von den Adressat*innen zu denken.3 Diversitätskritisches Design braucht also diverse Beteiligte und Perspektiven.

Annika Haas ist Medientheoretikerin und wurde 2022 mit einer Arbeit über Hélène Cixous an der Universität der Künste Berlin promoviert, wo sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung ist. Kooperationsprojekte wie die Medienhaus Lectures 2021 prägen ihre Theoriepraxis an den Schnittstellen von Theorie, Kunst und Gestaltung. 


1 Siehe dazu das Gespräch mit der Schriftgestalterin Charlotte Rohde auf diesem Blog: https://criticaldiversity.udk-berlin.de/en/charlotte-rohde/. Gendersensible „Ortho-Typografie“ ist zudem regionalspezifisch, wie die genderfluiden Fonts für französischsprachige Texte von Bye Bye Binary zeigen: https://typotheque.genderfluid.space

2 Massey, Anne. „Design History and Dyslexia.“ Design and Agency: Critical Perspectives on Identities, Histories, and Practices. Ed. John Potvin. Ed. Marie-Ève Marchand. London: Bloomsbury Visual Arts, 2020. 259–272. Bloomsbury Collections. Web. 31 May 2021.

3 Siehe z. B. https://futuress.org/, https://teaching-design.net, https://depatriarchisedesign.com, https://www.decolonisingdesign.com

The Lonesome Crowded West

In Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte fertigte die Künstlerin Ana Tomic eine Serie von zehn Pastellkreide-Zeichnungen an, die jeweils eine Zeile ihres Gedichts „The Lonesome Crowded West” illustrieren. Der Titel ist vom gleichnamigen Album der us-amerikanischen Band Modest Mouse aus dem Jahr 1997 übernommen. In das Gedicht und die Zeichnungen sind dabei ihre Erfahrungen als Teenager und erwachsene Frau, Zitate des Vaters, Darstellungen von Luxus und Erfolg in sozialen Medien, sowie Referenzen auf kanonische Maler wie Caravaggio und Kandinsky eingewoben. Dabei entsteht an manchen Punkten eine interessante Spannung zwischen den autobiografischen Anteilen der Arbeit und den Zitaten aus Kunstgeschichte und Popkultur, an anderer Stelle sind sie wiederum deckungsgleich.Ana Tomic thematisiert in dieser eindrucksvollen Arbeit internalisierte Vorurteile über die eigene Herkunft sowie idealisierte Vorstellungen über die westliche Welt.

Die Arbeit entstand im Rahmen des Seminars Feministische dekoloniale Gesten und Ästhetik, organisiert und durchgeführt von Pary El-Qalqili im Wintersemester 2021/2022 an der UdK Berlin.

Dr. Mutlu Ergün-Hamaz ist seit dem 1. Februar 2022 Diversitätsbeauftragter an der UdK Berlin. Er ist einer der ersten Diversitätsbeauftragten mit Schwerpunkt Antirassismus an einer Berliner Hochschule. Dies ist das Resultat von den teils jahrzehntelangen kollektiven Kämpfen verschiedener studentischer Initiativen an der UdK, die im Sommer 2020 einen ihrer Höhepunkte fanden. In dieser Podcast-Folge sprechen die zwei Studentinnen Sarah Herfurt, ehemalige AstA-Referentin für Antidiskriminierung und Mitglied in der AG Intersektionale Antidiskriminierung, und Elena Buscaino, studentische Mitarbeiterin in der AG Critical Diversity und Mitorganisatorin von #exitracismUDK, mit Mutlu Ergün-Hamaz in seinem neuen Büro am Einsteinufer über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von antirassistischer Arbeit an der UdK Berlin.

Kontaktmöglichkeiten Diversitätsbeauftragter
E-Mail: diversitaetsbeauftragter@udk-berlin.de
Sprechzeiten: donnerstags, 10:00 – 12:00 Uhr
Telefon: 030 3185 1317
Raum 105, Einsteinufer 43 in 10857 Berlin

Erwähnungen
Offener Brief #exitracismUDK und 19 Forderungen der AG Intersektionale Antidiskriminierung
Move on Up! E-Mail-Verteiler
Art.School.Differences Studie
Berliner Hochschulgesetz

Neue Poster und Sticker

Der Critical Diversity Blog hat neue modulare und interaktive Poster und Sticker, die auch als Flyer benutzt werden können.
Schreibt uns über diversity@udk-berlin.de, falls ihr welche haben wollt!

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Fatima El-Tayeb is an author and Professor of Ethnicity, Race & Migration, and Women’s, Gender, and Sexuality Studies at Yale University in Connecticut, USA. Her work deconstructs structural racism and centers strategies of resistance among racialized communities, especially those that politicize culture through an intersectional, queer practice. Her current research projects explore the intersecting legacies of colonialism, fascism, and socialism in Europe and the potential of alliances of (queer) people of color in decolonizing Europe. She is active in black feminist, migrant, and queer of color organizations in Europe and the US.

In this episode, El-Tayeb speaks about the construction of Otherness and discrimination of migrants, refugees, and racialized people in Europe, the (im)possibility of a post-migrant society and university, and other questions relating to migration within the academic context and beyond.

Charlotte Rohde ist eine Designerin, Schriftgestalterin und Künstlerin, deren Schrift „Serifbabe“ das visuelle Erscheinungsbild des Critical Diversity Blogs maßgeblich prägt. In dieser Folge spricht sie über ihre feministische Arbeitspraxis, über die Verschränkung von Feminismus und Design und über den Entstehungsprozess der Serifbabe.

Im Gespräch werden folgende Links genannt:
Black Type Designers & Foundry Owners
Typefaces designed by Asian womxn

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Last year, the student initiative Common Ground at the UdK Berlin launched the Common Ground Studio (CGS), a mentorship program aiming to support disadvantaged people with migration experience ahead of their Fine Art study application. It offered aspiring artists access to one of the classes, as well as assistance during their preparation and application process.

Samet Durgun was one of the seven participants in the inaugural CGS 2020/21 edition, attending the class of Mathilde ter Heijne, along with many online meetings with the group. During this time, Samet further developed his photographic project “Come Get Your Honey” into an eponymous book published in June this year by Kehrer Verlag. He also exhibited the photo series on several occasions, including the group show “Seen By #15. Nothing Ever Happened (Yet)” at the Museum für Fotografie in Berlin.

In this interview with the Common Ground member Adela Lovric, Samet speaks about his project that tells the story of a group of gender-nonconforming, trans*, queer refugees and asylum seekers in Berlin, and his own journey of weaving bonds and friendships with them through vulnerability and joy. Its title—taken from the pop song „Honey“ by Robyn—reflects their shared desire to live better lives while staying true to themselves.

ADELA LOVRIc

Samet, what does your photo series “Come Get Your Honey” aim to show?

SAMET DURGUN

With this photographic story, I aim to broaden what we understand about photographing people who have multiple, historically oppressed identities by challenging the power and relationship dynamics between me—“the artist“—and „the subject.“ I strive to depict everyone as complex human beings in their wholeness while being aware of the limitations of representation.

ADELA LOVRIC

Who are the subjects starring in these photographs?

SAMET DURGUN

They are the people I bonded with, who are queer, trans, gender-nonbinary refugees and asylum seekers from Berlin. As a side note, I prefer not to use the word ’subject‘ as I strive to close the gap between the artist, the viewer, and the people in front of the camera.

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Samet Durgun, Keil Li in Patricia’s Lap, 2020

ADELA LOVRIC

What other term would be more fitting than ’subject‘? Does ‚protagonist‘ work in this case?

SAMET DURGUN

It could be words such as ‚person,‘ ‚individual,‘ ‚people,‘ or anything that reminds us that they are human beings. The way I see it, ‚protagonist‘ is an alienating term that better fits fictional characters in movies, plays, or novels.

The artist Martha Rosler says: „[T]he ’non-artist‘ art world prefers art that doesn’t direct their attention to the now … They prefer to see it as something that helps them move away from concerns of the everyday … Art has an obligation to speak to people about the conditions of everyday life, not necessarily to make them feel insuperable, quite the opposite, to remind them that they are engaged citizens.“

Even if art, especially photographing people, might seem close to „the now“ and appreciated for it, the power dynamics in photography are still rigid, therefore serving the viewer’s old expectations. I want to create art that makes non-artists feel neither insuperable nor superior. 

ADELA LOVRIC

Can you tell me more about these people and your relationship with them?

SAMET DURGUN

The first person I’ve met was Prince Emrah, a gender-nonbinary (she/he) refugee from Turkmenistan and a figure known in the Berlin underground performance art scene as a belly dancer. Back then, she formed a collective called House of Royals, which provides space and champions BIPOC LGBTQIA+ artists, especially refugees and asylum seekers. Against all odds, Emrah was doing truly trailblazing work, and he was kind enough to accept my request to photograph him for a photo series I was doing at the time. From that portrait session, we grew a friendship. I was able to support the collective with photos while spending time with them and to develop my aesthetics and artistic process.

On one of the show days, Emrah introduced me to a close group of friends with whom she used to share a dorm. That day I met Reza who encouraged me to tell their story and opened the doors of the dorm for me. My visits became regular and relationships got closer; friends introduced me to their friends. I got to know an incredibly diverse group of queer individuals, in and outside the dorm, from countries like Russia, Syria, Serbia, Afghanistan, Nigeria, Iran, Malaysia, Yemen, Libya, and Turkey.

During those meetings, their stories felt extremely close to me. There it was, a group of people I was more comfortable with than most people I’ve met in my entire life. Every gender-nonconforming, trans*, and queer individual had a different story, a different origin, a different way of living in Berlin, and different plans for the future. Yet there was an understanding for each other, a sense of relief.

Samet Durgun, Prince Emrah at Silver Future, 2018
Samet Durgun, Cherry Petals, 2020

ADELA LOVRIC

The photos are very tender and intimate; they imply an atmosphere of trust. Can you tell me about the process of making them and your intentions behind this kind of up-close approach? 

SAMET DURGUN

During my visits, we talked a lot about how we like it in Berlin and how we are doing now. Those were the moments when I was impressed by the warmth, kindness, and resilience I witnessed.

The up-close approach allowed me to eliminate most of the visual clues of the physical space. The viewer is left with the person in front of them, and the rest is up to their imagination. There are fewer elements to be used to perpetuate what we assume about a person or a community. There are also multiple portraits of the same individuals.

As a person who sits in the middle of many historically oppressed identities, I have formed a ’superpower‘ to perceive who is looking down on me. Thus I asked myself a fundamental question while photographing the individuals: „Whose gaze am I going to serve?“

I try my best to disengage from artistic and journalistic storytelling made merely out of curiosity, saviorism, pity, or toxic masculinity; narratives that are pervasively melancholic, objectifying, mystifying, sensationalizing, or brutally simplifying, thus ultimately dehumanizing. 

ADELA LOVRIC

So, this is the gaze you’re actively not serving. To borrow your question—whose gaze are you serving with these works?

SAMET DURGUN

The people I photograph first. And then those who are aware of the pitfalls of today’s storytelling and willing to expand their perception.

Samet Durgun, Gabo Gazing, 2020
Samet Durgun, Shoes under a Bridge, 2020

ADELA LOVRIC

You yourself are not part of the depicted community. Why was it important for you to focus on its members?

SAMET DURGUN

Before becoming a permanent immigrant (recently, a German citizen) in Berlin, I came here in 2010 for a summer internship, and I fell in love with the city. The only choice I had back then was to live in Istanbul, and I knew that deep down, I would never feel comfortable living there just being myself.

I grew up watching legendary trans*, gender-nonconforming, and other queer artists on TV, but they seemed from another planet. Until my mid-twenties, no one ever told me their gender identity or sexual orientation—neither did I to anyone! While my friends didn’t owe me an „outing,“ it was very lonely. At the same time, I was always sure that we were plenty (according to a Gallup survey, 15% of the Gen Z in the US identify as queer). Over the years, I had openly gay friends, but the invisibility of the other letters of LGBTQIA+ carried on. 

I have so many identities that make me belong to several communities and none of them at the same time. My mom brought us up by comparing us to the mother and the father’s side. Men and women in the big family ate in different rooms when gathered together for holidays; guess which side I was on. I’ve learned about the forced displacement my forebears went through only by reading books. People often questioned if I was a minority in my hometown because of my pale skin, „too thin” bones, and off-accent. My manager in Berlin once asked me at a party if I was drinking water because I am Muslim. I didn’t tell him that I am agnostic.

To clarify: I am not counting all these to justify my connection with „the community.“ In contrast, when there are so many intersections in someone’s identity, I look for what connects us—a common ground—rather than what separates us, as there will never be a proper match. As far as the book’s context is concerned, I belong to a group of individuals in Berlin who deeply knew they had to find a new home because of their gender or sexual identity. With the power of the community, I am able to connect to a bigger consciousness than myself.

Samet Durgun, Suryani’s Body, 2020
Samet Durgun, View from the 18th floor, 2020

ADELA LOVRIC

How were your ideas, approach, and the final result received by the people you photographed?

SAMET DURGUN

Sometimes ideas came up while in a casual stillness, preparing for a show, or in the middle of cooking. There were also times when I would come up with a concept and visit a particular person. We would discuss the feasibility and drop the idea if necessary. There were times the idea was too personal to show it in a book. I wanted to make sure everybody was comfortable with what they present. Mirna, a hairdresser, asked me to take a picture while she was whipping her hair—she said she had gotten new fancy extensions. On the same day, she pulled out a huge pack of chips from under her bed. We also made pictures of her tying that with a belt, looking like a dress. One of those two ideas made it to the book.

One of the last steps in forming the book was to interview Prince Emrah, who would ask me anything. I showed all the pictures which will be in the book. During our talk, she said she remembers my self-portraits in full-blown makeup and a belly dance costume, which I didn’t include. He suggested including them since they deserve a spot. After cross-checking with a couple more people from the book, those pictures became a part of it.

ADELA LOVRIC

This reversal of roles you experienced with Prince Emrah and the interview that resulted seems like a very significant moment in the process. What did this shift of dynamic between you and this self-portrait, chosen by Emrah, mean to you in the context of this photo series?

SAMET DURGUN

The dynamic of the gaze has always been a mix from the first moment. When people are involved in photographic work, it is necessary to acknowledge their power. By acknowledging, I don’t mean to „provide space;“ I mean accepting that there is participation. People pose for me, and even if they don’t, they see the photos afterward. Communication and collaboration go hand in hand.

Two self-portraits were also a fruit of this collaboration, another way of expressing my subjectivity. Thus Emrah’s suggestion was a warm welcome; he understood my good intention and will to visualize my participation.

One picture came to life when I borrowed his dress during a show night. His dresses are puzzling even the belly dancers in Turkey, where he lived for a few years before arriving in Germany. She mixes traditionally gendered costumes or rather removes the gender from them. Her clothes are the representation of gender fluidity, thus a fashion statement.

I made the second self-portrait after a makeup workshop session in the dorm. I was there to witness the occasion, and I was asked if I also wanted to participate. One of the friends I knew from House of Royals saw my raw craft and decided to paint me. She certainly did not need that workshop; she just happened to be there and wanted me to look good. I was mesmerized by this interaction, so I had to record this moment. We came to her kitchen during sunset. Her shadow is now present in the picture—both metaphorically and literally.

Samet Durgun, Self-Portrait With Julie’s Makeup, 2019

ADELA LOVRIC

„Come Get Your Honey“ is not just a series of photographs but also a photobook containing quotes, interviews, voice and video recordings, and a link to the website where the audience can access and read the backstories of some pictures. Can you tell me more about this part of the work and explain why you chose this way of portraying this community instead of limiting it to purely pictorial content?

SAMET DURGUN

The idea sparked while showing an early selection of images to Marianne Ager, the curator who wrote the outro for the book. She asked me whether I had videos. My immediate response was “no,” but that question stayed with me. Why was I stuck to the images, although there was so much more to offer?

Perhaps because very few authorities define my taste and hold too much cultural, economic, and political—thus decisional—power. Or maybe I wish to make perfect sense of what I see because it is a photograph. If I think about music, a much more decentralized and mature art form, there are more than 5000 genres. How many photography genres can you count? When I listen to 800 different genres, why should my photography fit one?

Over time, I started seeing photography more as a means than a medium. I remind myself to let go of certain expectations of the medium and form relationships with different elements to enrich my stories, so that people discover, unfold, feel closer, and engage more.

ADELA LOVRIC

And lastly—has this project had any sort of direct impact on this community or on you personally? 

SAMET DURGUN

Two people featured in this photo series came to me and asked for a copy of the book to share with their lawyer because both of them, separately, heard that this could be useful as proof for their case of getting a refugee status. The biggest issue asylum seekers face in Berlin, or probably everywhere else, is that the authorities are not convinced by their story. That is why getting refugee status sometimes takes weeks or even years. For these people, in particular, it’s been taking a long time. I can’t say yet if this was of any help because they didn’t get their refugee status yet, but they’re in the process. I never thought this could be something helpful in this sense but I hope it will be. 

I have also been personally affected as this is my “coming out” to many of my relatives besides my core family and friend group. Whoever goes to my Instagram now can see me in a belly dance costume. So, on a personal level, it was not just about my self-expression but also about finding my confidence and being brave.

www.sametdurgun.com
@hi.sametdurgun 

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Sickness Affinity Group (SAG) is a group of art workers and activists who work on the topic of sickness and disability and/or are affected by sickness and disability. Rowan de Freitas, an artist studying at the Institute for Art in Context, had a conversation with Laura Lulika of SAG about art production, sickness, and disability as well as institutional barriers and support. The conversation took place in the seminar “Critical Diversity – Projects and Productions” at the Institut für Kunst im Kontext.

Production: Nina Berfelde, Rowan de Freitas, Jisu Jong and Svenja Schulte, Art in Context.

Rassismuserfahrungen stehen nicht zur Debatte

Oder: Nieder mit dem Advocatus Diaboli

Einer Person of Colour begegnen ein Leben lang weiße Menschen, die auf unterschiedliche Weise über das Thema Rassismus reden wollen. Eine Form, die mir besonders häufig begegnet und durch ihre tückische Beiläufigkeit auffällt, ist eine männlich kodierte Position des Bescheidwissens oder des Mansplainings: genauer die des weißen Mannes, der gerne Advocatus Diaboli, den Anwalt des Teufels, spielt. 

Die Erfahrungen und die Lebensrealität von Betroffenen werden von ihm als rein theoretisches Gedankenexperiment behandelt – denn diese Probleme sind für den Außenstehenden nur theoretisch, nicht realistisch erfassbar. Es macht ihm Spaß, über die Rechte und Existenzen von PoC zu diskutieren: „Lasst uns darüber sprechen, warum euer Existenzkampf diskutabel ist.“ Die tatsächlichen Probleme sind für ihn wie ein Spielball, denn sie betreffen ihn nicht. Er kann es sich leisten, sich munter über Definitionen von Rassismus zu äußern, denn er erfährt die Müdigkeit, die emotionale Arbeit, das Trauma und die Diskriminierung hinter dem Begriff nicht am eigenen Leib.

Rassismus-Debatten werden von ihm aufgegriffen, um die eigene vermeintlich kosmopolitische Fortschrittlichkeit und Belesenheit zur Schau zu stellen. Vielleicht auch, weil er einem „aktuellen Trend“ folgen will. Ohne Bedenken übergeht er die Lebensrealitäten von PoC sowie die gewählten Mittel, mit denen Betroffene ihre Erfahrungen kommunizieren. Aus purer (Schaden-)Freude an der Diskussion wird eine problematische Aussage in den Raum geworfen, nur um sich anschließend unter dem schützenden Mantel von „Zu einer Diskussion gehören auch Gegenmeinungen“, „Das darf man ja wohl noch sagen dürfen!“ und „Meinungsfreiheit“ zu verstecken. Unter diesem Deckmantel liegt die Tücke des Phänomens: Betroffene erkennen den Typus nicht immer sofort, doch lesen die Situation als äußerst unangenehm. Womöglich realisiert man nicht richtig, wieso man sich so herabgewürdigt fühlt. Es ist doch nur eine wissenschaftliche Debatte, alles komplett objektiv – oder?

Dass der Außenstehende am Ende ausweicht, in passiv-aggressive Defensivhaltung verfällt und seine problematischen Aussagen als rein hypothetische oder gar wissenschaftliches Gedankenexperiment bezeichnet, gehört dabei zur gängigen Technik. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass es ihm nie darum geht, zu lernen oder das eigene Wissen zu erweitern. Ganz im Gegenteil: Er will Dinge beim Alten belassen, denn er profitiert vom aktuellen Status Quo. Das Ziel des weißen Mannes in dieser Situation ist es, seine eigene Überlegenheit und Deutungshoheit zur Schau zu stellen. Das Wichtigste ist, dass ihm weiterhin Aufmerksamkeit geschenkt wird. Insbesondere dann, wenn er ausnahmsweise einmal nicht im Zentrum steht. 

Was passiert also, wenn Betroffenen wieder und wieder darauf hinweisen, dass sie von diesen Gedankenexperimenten verletzt werden? Was passiert, wenn sich zahlreiche Stimmen von PoC gegen diese demütigenden Diskussionen erheben?

Leider nur wenig. Uns wird Emotionalität, Empörung und fehlende Empirie vorgeworfen, welche im krassen Gegensatz zur Wissenschaftlichkeit und Rationalität des reinen Beobachters ständen. Wenn wir uns nicht auf eine Fortführung der Gespräche einlassen und keine kostenlose Bildungsarbeit leisten möchten – sei es aus Erschöpfung, Angst, Zeitmangel, fehlenden Ressourcen oder sonstigem Grund –, wird uns vorgeworfen, nicht offen zu sein und keine ertragreichen Diskussionen zu wollen. Die Schuld liegt nie bei demjenigen, der Erfahrungen in Frage stellt, sondern immer bei denjenigen, die sich nicht für die Evidenz ihrer traumatischen Erfahrungen rechtfertigen wollen. Das bringt mich zur Frage: Wie reden wir über und mit Betroffenen?

Ich habe diese Spielchen satt. Wer tatsächlich im Fokus stehen sollte, sind Menschen, die Rassismus erleben. Ihre Erfahrungen und Perspektiven sind viel wertvoller für unsere gesellschaftliche Entwicklung, als es eine polemische Debatte, ob diese Erfahrungen überhaupt real sind, jemals sein könnte.

Christina S. Zhu arbeitet als Illustratorin und studiert im Master an der UdK Berlin. Sie engagiert sich für intersektionale Antidiskriminierung und ist Referentin für Antidiskriminierung des Inneren im AStA, Mitglied der studentischen Initiative I.D.A. und der AG Critical Diversity.

#MeToo Machtmissbrauch im Theater – und dann?

Verschriftlichte Momentaufnahme vom 11. Juni 2021
Wir danken Anna Bergel für die Einladung zu diesem Beitrag und die Erstredaktion des Textes.

Feministische Held*innen an der Volksbühne Berlin, Emanzipationshilfe von außen und der institutionelle Wandel in den deutschen Stadttheatern

Seit 2014 ist ein rasanter Anstieg der Verwendungshäufigkeit des Begriffs „Machtmissbrauch“ in der deutschen Presse zu beobachten – abzulesen in einer sogenannten Wortverlaufskurve für den Zeitraum von 1946 bis 2021 im deutschen Zeitungskorpus. Und auch 2021 zeichnet sich kein Ende der neuen Popularität des Begriffs ab. Forscher*innen wie Naika Foroutan, Aladin El-Mafaalani und andere legen nahe, dass es heute nicht unbedingt mehr Machtmissbrauch als früher gäbe, sondern dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein dafür geschärft hat. Bestimmte Verhaltensweisen von Autoritäts- oder Führungspersonen werden heute kritischer bewertet bzw. vor allem auch öffentlich kritisiert. Wir sehen zudem, dass es ein relativ klares Bewusstsein dafür gibt, dass diejenigen, denen Machtmissbrauch vorgeworfen wird, ihr Amt an dieser Stelle nicht mehr weiter ausführen sollten. Aber – und hier sieht es bisher noch wenig erfreulich aus – was passiert mit denen, die es gewagt haben, den Missbrauch öffentlich zu machen? 

„Machtmissbrauch“ ist definitiv kein Phänomen, das allein in staatlich finanzierten Theatern anzutreffen wäre; viele gesellschaftliche Institutionen, aber auch Wirtschaftsunternehmen sind betroffen, oder die Institution Familie. Allerdings scheint es fast, als sei „Machtmissbrauch“ in jüngeren Theaterdiskursen der am häufigsten verwendete Begriff seit Veröffentlichung von Thomas Schmidts heftig debattierter Studie Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht im Herbst 2019 – tatsächlich aber nicht erst seitdem. 

In seiner nachtkritik.de-Kolumne „Das Ende der Ausreden“ riet Dirk Pilz bereits im Februar 2018 dem Bühnenverein, sich endlich der lange bekannten und öffentlich diskutierten (Machtmissbrauchs-)Probleme in den Theatern anzunehmen:

„Diesmal zu #MeToo, zum Theater und den Folgen, noch einmal. Es muss sein. Es wird ja eifrig diskutiert in Theaterkreisen derzeit. Dieter Wedel, Matthias Hartmann, die vielen verstreuten Aussagen, Interviews, Statements über Machtmissbrauch an den Theatern: Jeder Fall will eigens betrachtet werden, Vorverurteilungen sind so verwerflich wie Vergröberungen, sicher. Aber es ist keine Frage der Debatte, dass es erstens ein immenses Problem mit Machtmissbrauch an den Theatern gibt und dieses zweitens durch nichts zu rechtfertigen ist.“

Das nur als ein Beispiel von so vielen Texten und Berichten, die wieder und wieder und wieder auf die vielfältigen und miteinander verflochtenen Probleme innerhalb der staatlich finanzierten Produktionsbetriebe aufmerksam gemacht haben. Und auch immer wieder darauf, dass nicht allein Sexismus und die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Theater oder aber Rassismus und die Exklusion von nichtweißen Menschen (und vieler anderer) und auch nicht einzelne „Macht missbrauchende“ Theaterleitungen als Problem zu identifizieren sind, sondern ein ganzes System. Ein System der staatlich finanzierten Produktion dessen, was wir ‚Theater‘ nennen oder ‚Kunst‘ oder ‚Abendunterhaltung‘ oder ‚kulturelle Bildung‘ oder einen ‚Möglichkeitsraum der Demokratie‘. 

Wo also ansetzen mit der Kritik zur Veränderung der Theaterbetriebe, in denen in den meisten Fällen dieselben Machtverhältnisse und Prinzipien herrschen, wie in anderen Bereichen unserer deutschen bzw. europäischen Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts? Auch hier wird – sehr grob gesagt – weißen Männern aus der Mittelschicht – besonders in der Rolle als Führungskraft oder Regiekünstler – schon per se eine andere Kompetenz unterstellt als Frauen*1. Auch hier wird vor allem Leistungsbereitschaft geschätzt, herrscht Konkurrenz zwischen den Theaterschaffenden und wird der Erfolg der Arbeit in Zahlen (Produktionen pro Spielzeit, Anzahl der verkauften Tickets, Höhe der Eigeneinnahmen des Theaters und Fähigkeiten zum Umgang mit Etateinsparungen etc.) gemessen. Anders als im Fall eines privatwirtschaftlichen Unternehmens geht es allerdings tatsächlich nicht um privaten Kapitalgewinn: Wenn eine Stadt bzw. Kommune vielleicht Dank ihres Theaters die eigene kulturelle Anziehungskraft erhöht und für Tourist*innen und Unternehmen mit gut qualifizierten Arbeitskräften besonders attraktiv wird, kommen diese zusätzlichen Steuereinnahmen auch wieder der Stadt oder Kommune zugute. Soweit jedenfalls die Theorie. 

In der Theorie ist schließlich auch vorgesehen, dass es sich bei den öffentlichen Theatern um Orte der Demokratie handelt und verschiedene Menschen hier gemeinsam miteinander Kunst produzieren und andere Menschen einladen, diese Kunst in Form von Aufführungen anzusehen, mitzugestalten und dabei über sich selbst, das gesellschaftliche Leben, politische und philosophische Fragen zu reflektieren. Dabei haben Theatermacher*innen und Publikum (mindestens) einen persönlichen Gewinn, so die Idee, auch wenn Anstrengung und Überforderung durchaus dabei sein dürfen. – Wie kommt es nun zur guten Praxis dieser Ideen?

Zuallererst müssen Probleme überhaupt von Betroffenen – d. h. hier: Theatermitarbeiter*innen – selbst bemerkt und benannt werden – dabei hilft die öffentliche Thematisierung bislang tabuisierter Missstände, die eine kritische Spiegelung der eigenen Situation erleichtert, ein Wiedererkennen und Bemerken von Mustern.2018 veröffentlichten Mitarbeiter*innen des Burgtheaters Wien einen offenen Brief gegen Ex-Intendanten Matthias Hartmann (der war bereits 2014 entlassen worden); es gab im selben Jahr auch einen offenen Brief an Ex-Intendanten Castorf wegen dessen sexistischer Äußerungen (der Brief stammte allerdings nicht von früheren Mitarbeiter*innen); 2019 kamen die Vorfälle rassistischer Beleidigungen am Theater an der Parkaue in die Presse (in Folge Intendanzabgang „aus persönlichen Gründen“); 2020 wurden die Vorwürfe zum als „toxisch“ bezeichneten Führungsstil des Generalintendanten Peter Spuhler in Karlsruhe publik (und nach vielen Monaten die Abberufung des Intendanten beschlossen). 2021 folgten Sexismus-Vorwürfe an den Interimsintendanten der Volksbühne (er trat zurück – sowieso nur wenige Monate vor Ablauf seines Vertrags); Rassismus-Vorwürfe am Schauspielhaus Düsseldorf wurden laut (das Haus versucht sich jetzt intern zu erneuern) und zuletzt wurde Gorki-Intendantin Shermin Langhoff Machtmissbrauch vorgeworfen (es ist noch unklar, was passieren wird – oder vielmehr: nicht). Hier handelt es sich nur um eine Auswahl der bekanntesten Fälle der Kritik an Intendant*innen (und Regisseur*innen) allein im Bereich des Schauspiels in letzter Zeit.

Aber dürfen diese Beispiele und die sie begleitenden öffentlichen Debatten und von Theaterschaffenden miteinander geführten Diskussionen jetzt zu der Annahme führen, es würde tatsächlich nach und nach aufgeräumt mit den übergriffigen Führungskräften im deutschen Stadttheater? Mit Sexismus und Rassismus und der Angst, sich als abhängig beschäftigte*r Angestellte*r oder beauftragte*r Gastkünstler*in gegen schlechte bis unerträgliche Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen?

Im Hinblick auf das Ausmaß der unter Theaterschaffenden bekannten Fälle von Machtmissbrauch und Übergriffigkeit kam es nur zu sehr wenigen Intendanzwechseln. Und es kam in diesem Zusammenhang bisher vor allem auch noch zu keinem Versuch, mit einer neu gedachten Leitungs- und Organisationsform innerhalb eines deutschen Stadttheaters andere Machtverhältnisse nachhaltig zu institutionalisieren oder andere Machtverhältnisse sich durch andere strukturelle Voraussetzungen entwickeln zu lassen. 

Es wurden zwar durchaus Forderungen nach neuen demokratischeren Organisationsmodellen und kollektiveren Leitungsstrukturen für die öffentlich finanzierten Theater laut, es wurde – pandemiebedingt vor allem online – miteinander gelernt und diskutiert. In vielen Theatern, aber auch organisiert durch solidarische, alle Theaterschaffenden ansprechende Netzwerke wie etwa das bundesweite ensemble-netzwerk e.V. mit seinen vielen Schwestern-Netzwerken oder durch andere ehrenamtlich Engagierte – auch Nichttheaterschaffende, wie sie im Berliner Kollektiv Staub zu Glitzer versammelt sind – haben Veränderungsprozesse begonnen, die vor allem für bessere oder überhaupt erträgliche Arbeitsbedingungen eintreten. 

Ist also alles auf einem guten Weg, eine kritische Masse veränderungswilliger Theatermacher*innen erreicht? Anlass zur Hoffnung besteht sicherlich, zur Entspannung allerdings nicht. Vor allem wurden die konkret betroffenen Mitarbeiter*innen bislang in aller Regel vergessen, sie bleiben mit den gesundheitlichen, sozialen und – infolge von Kündigung – auch den finanziellen Folgen toxischer und Angst machender Arbeitsbedingungen auf sich gestellt.


Wie kam es zum Bekanntwerden des #MeToo-Moments an der Volksbühne Berlin? Ein Protokoll von Sarah Waterfeld – mit Anmerkungen von Anna Volkland

Wir fragen im folgenden Beitrag nach einem konkreten Fall der Öffentlichmachung von Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen – nämlich an der Volksbühne Berlin während der Interimsleitung von Klaus Dörr. Es handelte sich um einen Zeitraum zwischen der Kündigung des in Berlin kaum akzeptierten neuen Theaterchefs Chris Dercon ab Frühjahr 2018 und dem Start der nächsten neuen Leitung von René Pollesch ab Sommer 2021. Dörr, der nur noch wenige Monate im Amt gewesen wäre, ist am 15. März 2021 überraschend schnell zurückgetreten nach dem Bekanntwerden verschiedenener, vor allem weibliche Mitarbeiterinnen betreffende Vorwürfe ihm gegenüber. 

„Mal, so erzählen es die Frauen, die mit der taz gesprochen haben, sei da ein Streicheln über den Arm gewesen, mal bleibe die Hand auffällig lang auf der Schulter oder an der Taille liegen. Vor allem aber funktioniere Dörrs Übergriffigkeit über stierende Blicke auf Brust und Beine, durch sexistische Witze und Kommentare. Und dann sind da noch die SMS, von denen ein großer Teil der Frauen zu berichten weiß. Sie kämen spät abends, Berufliches und Privates seien darin vermischt.“
(Viktoria Morasch im ausführlichen Bericht in der tageszeitung die taz vom 13.03.2021, hier vollständig nachzulesen)

Seitdem ist die Stille aus dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz sehr laut. Was genau passierte nach den öffentlichen Debatten in verschiedenen überregionalen Zeitungen, Radio- und Fernsehprogrammen im Frühjahr 2021?

Die Berliner Autorin SARAH WATERFELD, seit 2017 Sprecherin des Kollektivs Staub zu Glitzer, schildert aus ihrer Perspektive als begleitende Aktivistin und Künstlerin, wie es überhaupt dazu kam, dass Mitarbeiterinnen der Volksbühne sich zusammenfanden und sich Hilfe holten, welche Rolle die Unterstützung von außen spielte, welche Schwierigkeiten und Mängel im Opferschutz sich aber auch zeigten – Probleme, über die bisher noch nicht öffentlich gesprochen wurde.
Sarah Waterfelds Bericht wird durch in das Protokoll hineinmontierte reflektierende Rahmungen und Einschübe der Dramaturgin ANNA VOLKLAND ergänzt, die von 2014 bis 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin gewesen ist und seitdem zur Geschichte der Institutionskritik im deutschen Stadttheater und ihren Formen in der Gegenwart forscht, das heißt, auch zu den selbst- und machtkritischen Demokratisierungsbestrebungen, die von den Theaterschaffenden selbst ausgingen und -gehen.

Sarah Waterfeld

Es befremdet mich sehr, wie in der Öffentlichkeit mit dem #Metoo-Skandal an der Volksbühne umgegangen wird. Interessiert es denn niemanden, wie der Aufarbeitungsprozess im Haus abläuft? Wie die Mediator*innen vorgehen? Werden die Opfer des Machtmissbrauchs gut betreut? Wie geht es ihnen heute? Haben sie alle noch einen Job? Was hat es zu bedeuten, wenn die aktuelle Interimsintendantin Sabine Zielke in ihrem ersten größeren Interview, nach einem Sexismus-Skandal an ihrem Haus sagt, sie sei keine Feministin? Wie haben wir uns das vorzustellen? Sie wünscht sich keine Gleichberechtigung aller Geschlechter, sondern verteidigt das Patriarchat? What the hell!? 

In meinen Augen sind die Frauen, die sich zu der Beschwerde gegen Dörr durchgerungen haben, feministische Held*innen.

Aber um sich zur Wehr zu setzen, brauchten sie auch den Impuls von außen. Vielleicht erzähle ich von vorne, denn insgesamt hatte ich fast ein Jahr mit der ‚Causa Klaus Dörr‘ zu tun. Im April 2020 organisierte unser Kollektiv – Staub zu Glitzer – im Bündnis mit 25 anderen Gruppen die Gegenproteste zu den neurechten Hygienedemos auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. In diesem Zusammenhang hörte ich zum ersten Mal von den Anschuldigungen gegen den Interimsintendanten. Ende Juni fand ein erstes Treffen statt mit mehreren Frauen, die Vorkommnisse beschrieben oder bezeugten. 

Mitte Juli dann trafen Betroffene – auf mein Insistieren hin – mit mir zusammen eine Vertrauensperson aus dem Kultursenat. Das ist ein wichtiger Punkt, den Die Welt später versuchte zu skandalisieren. Das ist natürlich albern, denn unentwegt finden informelle Gespräche statt, die folgenlos bleiben können. Inwiefern solche Gespräche dann in eine formelle Ebene überführt werden, entscheiden die Beteiligten und da spielen Emotionen eine große Rolle. Gleichzeitig kann ein Kultursenator nicht jedem Fall oder Gerücht nachgehen, das in privatem Rahmen mit Mitarbeiter*innen besprochen wurde. Das ginge theoretisch schon – dann bräuchte es aber wesentlich mehr Personal.  

Bei einem Beschwerdeverfahren gegen den Leiter einer staatlichen Institution braucht es mehr als nur einen anekdotenhaften Plausch, bei dem sich alle Diskretion versprechen. Der Plausch allerdings ist gut für die Psyche. Dieses erste Treffen war sehr wichtig für uns, da wir ermutigt wurden, weiterzugehen. Wir bekamen das klare Signal: Ihr seid nicht allein und es ist völlig richtig, dass niemand weiter ertragen sollte, was am Haus vor sich geht. Selbstverständlich kann jede*r Bürger*in im Kultursenat anrufen oder eine Mail schreiben und von Missständen berichten. Das reicht nur eben nicht aus. Betroffene müssen sich organisieren. Sich dafür mit Menschen zu beraten, die eine gewisse Erfahrung haben mit aktivistischer Arbeit, ist sicherlich hilfreich. 

Seit Dörrs Rücktritt habe ich schon mit mehreren Betroffenen anderer Institutionen gesprochen, die sich wegen der Zeitungsinterviews oder unserer Pressemitteilung in sozialen Medien meldeten (etwa hier, hier und hier); ich habe ihnen Tipps geben können und Kontakte zur Presse vermittelt. Die Emanzipation im Kunst- und Theaterbereich fängt ja gerade erst an. 

ANNA VOLKLAND – „EMANZIPATION“

Emanzipation ist ein wichtiges Stichwort linker Bewegungen, auch schon unter jungen, institutionskritischen Theaterschaffenden der späten 1960er Jahre in der BRD, das heißt, neu ist es nicht. Heute ist das Stichwort „Emanzipation“ oder „Selbstbewusstsein“ von Theaterschaffenden vor allem mit dem ensemble-netzwerk e.V. verknüpft und die Verwendung ist durchaus eine etwas andere als vor über 50 Jahren: Theaterschaffende, vor allem Schauspieler*innen und andere abhängig am Theater Beschäftigte (künstlerisch Mitarbeitende) wenden sich damit gegen schlechte Arbeitsbedingungen und eine oftmals fehlende demokratische Kultur im Theater, die Gespräche auf Augenhöhe verunmöglicht und die nur sehr wenigen künstlerische Selbstverwirklichung verspricht (etwa bestimmten „Star“-Regisseur*innen).

Sehr vielen Theaterschaffenden wird dagegen das engagierte Mitmachen und Schweigen nahelegt, wenn sie nicht mit „künstlerischem Liebesentzug“ durch die Regie oder Theaterleitung oder mit einer Nichtvertragsverlängerung bzw. der Nichteinladung durch die Intendanz bestraft werden wollen.

Das war zuerst durchaus auch die Perspektive der Schauspieler*innen, die beispielsweise 1969 anlässlich der Inszenierung des scheinbar wohlbekannten Goethe-Dramas „Torquato Tasso“ – und der Identifikation mit dem von seinem adeligen Mäzen in jeder Hinsicht abhängigen Dichters Tasso – erstmals anfingen, die eigene Unfreiheit zu erkennen. Die Schauspielerin Edith Clever bemerkte damals dazu im Programmheft:

„Die meisten Schauspieler […] haben ständig Existenzangst. Sie müssen ankommen. Beim Publikum, beim Regisseur, beim Intendanten, bei Kollegen etc. – Will er [sic] eine Rolle nicht spielen, wird er bestenfalls mit dem Argument gezwungen, er solle fürs Haus denken wie ein Intendant. Zur Spielplanbesprechung wird er nicht hinzugezogen. Und selbst Kostüme werden aufgezwungen, wenn der Regisseur es für richtig hält. So träumt jeder Schauspieler davon, einmal Star zu werden, um mehr Rechte zu bekommen. Das heißt, er will Macht.“1Clever zitiert nach Erich Emigholz, „30 Fragen zum Bremer ‚Tasso‘“, in: Canaris Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 150 f.

Durch die „Tasso“-Arbeit habe Clever begriffen, „daß diese Zustände veränderbar sind, daß es nicht zwangsläufig so sein muß“.2Ebd., S. 151. (Mehr dazu hier.)

Im wenige Monate später 1969/70 in Zürich von Bruno Ganz, Günther Lampe, Jutta Lampe, Rita Lesha, Rüdiger Kirschstein und Tilo Prücker „auf Anregung von Peter Stein“ (d.h. des Regisseurs auch der „Tasso“-Inszenierung) verfassten Gründungsmanifest der als ‚Mitbestimmungstheater‘ gedachten Schaubühne am Halleschen Ufer in Westberlin wird der Emanzipationswille dann bereits als Sehnsucht nach der Überwindung des eigenen „bürgerlichen Individualismus“ gefasst:

„Die Arbeit im herkömmlichen Theaterapparat bietet uns außer ‚Jobbertum‘ keine Perspektiven. Möglichkeiten, zu anderen Formen der Organisation und Arbeit zu gelangen, bietet uns die Schaubühne Berlin. Unsere Erfahrungen in Zürich […] zeigen, daß kollektive Arbeit nur möglich ist, wenn die Interessen der Produzierenden grundsätzlich übereinstimmen. Um diesen ‚Konsens’ im Ensemble zu fördern, dieses Papier: Wir betrachten Theater als ein Mittel zu unserer Emanzipation. Wir wollen versuchen, als bürgerliche Schauspieler unseren bürgerlichen Individualismus durch kollektive Arbeit am Theater zu überwinden, um sozial wirksam zu werden […].“3Zitiert nach Roswitha Schieber: Peter Stein. Ein Protrait, Berlin 2005, S. 93f.

Das ist hier nicht zitiert, um zu sagen, dass die damaligen politischen Ideen in dieser Form heute fehlen würden – tatsächlich ist vieles an der damaligen Theorie und Praxis zu kritisieren, allerdings lohnt die Auseinandersetzung damit. Es bestehen heute sicher für die nachhaltige emanzipatorische Arbeit ganz andere Herausforderungen als damals – vor allem, wenn wir sehen, dass heute der Anlass zur Emanzipation erst (oder schon) der erlittene Übergriff im Sinne eines juristischen Tatbestandes ist – zum Beispiel erkennbar als Sexismus – und dass jenseits solcher Übergriffe und Belästigungen keine grundsätzlichen Probleme für das Arbeiten innerhalb eines oft hierarchisch strukturierten Betriebs gesehen werden. Wenn in jedem Fall akzeptiert wird, dass Regie und Intendanz immer das letzte Entscheidungsrecht haben und hierbei über andere Körper und Ideen urteilen können, dann ist es schwerer, Diskriminierungen und Abwertungen etwa in Probenprozessen als soziales und künstlerisches Problem zu markieren.   

Emanzipation von Theaterschaffenden bedeutet, sich Wissen über die eigenen Rechte als Arbeitnehmer*in anzueignen und für diese Rechte solidarisch mit anderen Kolleg*innen und anderen Berufsgruppen einzutreten. Es gilt auch, Arbeit als solche zu benennen und nicht lediglich von Kunst und Liebe zu sprechen, da tatsächlich alle Körper – sogar die kunstliebendsten – auch materielle sowie Ruhe- und Schutzbedürfnisse haben. (Wer es als Akt der künstlerischen Freiheit ansieht, sich selbst zu schädigen, darf das tun, aber niemand sollte von Anderen – wie indirekt auch immer – dazu aufgefordert werden.) Außerdem brauchen alle eine Anerkennung für ihre Arbeit und Mitarbeit, auch diejenigen, denen nicht öffentlich applaudiert wird (das betrifft einen Großteil der Theatermitarbeiter*innen), und alle – von den Ausstattungsassistent*innen über die Techniker*innen bis zum Kassenpersonal – brauchen die Möglichkeit, ihre Ideen, Erfahrungen und Kritikpunkte einbringen zu können. Kritik zu äußern, sollte als konstruktive Mitarbeit begrüßt werden – und niemand, auch nicht die Vorgesetzten, sollten sich davor fürchten. Emanzipierte Theaterschaffende sind die, die nicht mehr „unter“ einer Intendanz arbeiten, sondern mit Kolleg*innen. Es sind die, die auf viele verschiedene Ideen von Kunst und Theater und Wirklichkeit neugierig sein können – auch hier ohne Angst, nicht ‚auf der richtigen Seite‘ zu stehen. (Das heißt, rechte Gesinnungen sind von dieser Vielfalt ausgeschlossen, denn hier dominieren starre Vorstellungen von ‚richtig‘ und ‚falsch‘.)

SARAH WATERFELD

Wir haben schon sehr früh Kontakt zu Journalist*innen aufgenommen. Allen Betroffenen kann ich nur raten, möglichst früh die Presse als vierte Gewalt im Staat einzuschalten, Menschen mit Erfahrungen und kurzem Draht zu Jurist*innen. Auch das ist nicht nur eine praktische, sondern auch eine emotionale Stütze, da es den Kreis an erfahrenen, gleichzeitig aber diskreten Gesprächspartner*innen erweitert. Strategien können abgewogenen werden, Argumente überprüft. Dafür braucht es auch nicht das Einverständnis von Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Gewalt und Belästigung e.V., mit der die betroffenen Frauen später zusammenarbeiteten. Ich erwähne das, da auf der Themis-Homepage seit dem ‚Fall Dörr‘ eine Erklärung zu finden ist, in der betont wird, dass sie keine Unterlagen an Journalist*innen weitergeben. Soweit ich weiß, hat dies auch niemand behauptet. Später hat auch der Arbeits- und Medienrechtler, der unser Kollektiv seit Jahren betreut, Teile der Frauen beraten. 

Trotzdem vergingen wieder Monate, bis sich die Betroffenen soweit organisiert hatten, dass sich alle gemeinsam in einem Online-Meeting mit der Beschwerdestelle Themis versammelten und auch gemeinsam eine junge Filmemacherin online trafen, die uns inzwischen vermittelt worden war. Zuvor hatte es schon ein Präsenz-Treffen in kleinem Kreis gegeben mit dieser Journalistin, die einen wichtigen Teil der Recherchearbeit im ‚Fall Dörr‘ geleistet hat und für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender arbeitet. Das war Anfang November. Doch mit den Wochen zeichnete sich ab, dass die meisten betroffenen Frauen nicht den Mut aufbrachten, ihre Geschichte in einem Beitrag im Fernsehen zu erzählen oder erzählt zu sehen. Ihnen wurde vollständige Anonymisierung angeboten, die Möglichkeit, Begebenheiten mit Comics nachzustellen oder ein Interview vor der Kulisse einer anderen Stadt und verfremdet. Allerdings hätte es auch mehrere Frauen geben müssen, die mit Klarnamen auftreten. Das wollten die Allermeisten nicht. 

Ich muss hier noch einmal klarstellen: Auch wenn Geschichten anonymisiert veröffentlicht werden, müssen selbstverständlich die Journalist*innen und Justiziar*innen des jeweiligen Mediums die Namen kennen und auch eidesstattliche Erklärungen einholen, wenn es keine anderen Beweise gibt, wie zum Beispiel Screenshots von SMS, Zeug*innen usw.

Auch muss der Beschuldigte oder die Beschuldigte rechtzeitig über den anstehenden Bericht informiert werden. Klaus Dörr hat also vor Veröffentlichung der Artikel in der tageszeitung (taz), zuerst am 12. und dann noch einmal ausführlich in der Wochenendausgabe am 13./14. März 2021, einen Fragenkatalog erhalten und hatte die Möglichkeit, per einstweiliger Verfügung gegen die Artikel vorzugehen. Für diesen Fall hätte die Zeitung dann dem Gericht die Beweislage präsentieren müssen. Es entscheiden also bei jeder einzelnen Formulierung die Justiziar*innen der Zeitung, ob sie so in Ordnung bzw. juristisch wasserdicht ist. 

Es wurden dann von allen Betroffenen der Volksbühne schriftliche Berichte bei Themis eingereicht. Berichte von Opfern anderer Theater, an denen Dörr arbeitete, wollte Themis nicht, da sie nur für aktuelle Arbeitsverhältnisse zuständig sind. Die Verschriftlichung der Erlebnisse ist eine große Hürde, finde ich, sich festlegen müssen auf eine bestimmte Formulierung. Es macht einen Unterschied, ob ich schreibe, jemand sei einen Schritt auf mich zugegangen, oder jemand habe mich bedrängt. Mit dieser Aufgabe waren die Betroffenen allein. 

Themis hat dann auf Grundlage der eingereichten schriftlichen Berichte einen Beschwerdebrief verfasst. Die Frauen hatten die Gelegenheit zur Korrektur und nahmen diese auch wahr. Nur drei Tage nach Übermittlung des Briefs an den Kultursenat gab es ein Online-Meeting mit den betroffenen Frauen, Themis und vier Vertreter*innen des Senats, inklusive dem Kultursenator. Für manche war das sehr nervenaufreibend und beängstigend. Immerhin hatte der Kultursenator den Intendanten ja eingestellt und nachgerade als Retter der Volksbühne ausgewiesen nach Dercons Kündigung. 

In dem Online-Meeting sollten die Frauen dann in der Gruppe ihre Erlebnisse schildern. Ich muss leider sagen – mit Safer Space und Opferschutz hatte das nichts zu tun.

Aber Themis hat an diesem Verfahren keinen Anstoß genommen, das hat mich befremdet. Überhaupt niemand in diesem Gespräch hat das Format und das Setting explizit in Frage gestellt. Die Frauen, die mir davon berichteten, hatten unterschiedliche Meinungen dazu. Es wurde teilweise als beruhigend empfunden, in so einer großen Gruppe nur eine von vielen zu sein. Andere sahen es so wie ich, wollten aber nicht anecken mit einer Beschwerde darüber. 

Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Frauen einzeln und – gegebenenfalls in Begleitung einer psychologischen Betreuung – mit einer Anwältin oder einem Anwalt vertraulich sprechen können. 

Die schriftlichen Berichte der Frauen gingen dann im Anschluss an dieses Meeting auch an den Kultursenat. Es tut mir leid, dass ich das hier kritisieren muss, aber mir ist die Leistung von Themis nicht ganz klar. Sie haben einen Beschwerdebrief formuliert anhand der schriftlichen Berichte, die dann aber auch direkt an den Senat gingen. Formaljuristisch hat dieser Brief, formuliert von der Mitarbeiterin eines privaten Vereins, nicht mehr Gewicht als ein Brief, den die Frauen selbst verfasst und verschickt hätten. Das Verfahren hat vor allem Zeit in Anspruch genommen, Zeit, in der immer wieder auf die Ängste und Zweifel der Frauen, die mit jeder Woche zunahmen, eingegangen werden musste. 

Es ist laut Themis wohl so, dass nur 3 % aller Betroffenen, die sich an die Vertrauensstelle wenden, auch wollen, dass ihr*e Arbeitgeber*in davon erfährt. Dieses Verhältnis sollte uns alarmieren und verweist doch auch darauf, dass noch einmal grundsätzlich über die Verfahrensweise bei Beschwerden wegen sexueller Belästigung und Gewalt in der Theaterbranche (und sicher auch bei Film und Fernsehen und anderswo) nachgedacht werden muss. Der beschuldigte Intendant Dörr war ja noch am Haus, es fanden Meetings mit ihm statt usw. 

Die Frauen organisierten sich im Grunde konspirativ – und das musst du nervlich als Betroffene erst einmal durchstehen. Die Aussage – „ich habe solche Angst, der hat solche Macht“ – habe ich in dem halben Jahr vor dem Rücktritt etwa 2000 Mal gehört. Ich will damit sagen, dass es ein noch sehr viel besseres Verfahren für solche Machtmissbrauchsfälle geben muss. Da muss sehr viel mehr Geld in die Hand genommen werden, damit nicht nur Opferschutz gewährleistet ist, sondern auch eine adäquate Betreuung der Betroffenen und Traumatisierten stattfindet. 

Dann ist natürlich das Konkurrenzsystem an Theatern und insgesamt in unserer Gesellschaft ein Problem für kollektives emanzipatorisches Handeln. Im taz-Artikel stand der Satz: „Die Frauen sind keine Freundinnen.“ Nun, das ist eine Beschönigung. Es gab Betroffene, die wollten, dass Themis in einer Mail an den Kultursenat formuliert, dass keine Kündigung des Beschuldigten gewollt ist. Am Ende haben sich glücklicherweise diejenigen durchgesetzt, die so einer Aussage nicht zustimmten. Der Satz wurde gestrichen. Für mich persönlich war das schon seltsam. Frauen beschweren sich wegen sexueller Belästigung und wollen aber schriftlich festgehalten wissen, dass sie sich ein Fortwirken des Belästigers wünschen. Ich denke, es geschah aus Angst. Falls er nicht gehen muss und weiterhin im Theaterbetrieb relevant bleibt. 

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Anna Volkland – „BEZIEHUNGEN“

Worin wurzelt diese „Macht“ von Theaterchefs, die solche Angst macht? Macht ist keine Eigenschaft einer Person, sondern wird soziologisch als Beziehung zwischen sozialen Akteur*innen beschrieben. Es wurde schon häufiger erklärt, dass ein entscheidendes Problem der Angestelltenverhältnisse in Theaterbetrieben darin liegt, dass es sich hier um ein Berufsfeld handelt, in dem Menschen einander permanent in Bezug auf ihre Qualifiziertheit bzw. eher „Geeignetheit“, ihre „Begabung“ und vor allem persönlichen Passung („die Chemie muss stimmen“) einschätzen bzw. beurteilen. Das heißt, die Kriterien, die über Einstellungen, Einladungen und Wertschätzung (auch ausgedrückt durch Auszeichnungen oder Stipendien etc.) entscheiden, sind in hohem Maße subjektiv und von persönlichen Erfahrungen und Wertmaßstäben geprägt. Anders als in bürokratischen Organisationen sind Zeugnisse oder formale Abschlüsse dagegen weitgehend irrelevant, wenn es darum geht, sich auf dem Arbeitsmarkt Theater positionieren zu wollen, wobei es nicht vollkommen unwichtig ist, an welchen Institutionen (und mit wem) gelernt oder gearbeitet wurde. Es handelt sich um ein Berufsfeld, in dem eine große Mobilität herrscht und Arbeitspartnerschaften wechseln, alle aber permanent im Austausch miteinanderstehen und vor allem: im Austausch über einander. Relevant sind hier die Meinungen und Urteile vor allem derjenigen, die andere engagieren und einladen können: Kurator*innen, Chefdramaturg*innen, bekannte Regisseur*innen etc. – und natürlich Theaterleiter*innen. Die Arbeitssoziolog*innen Axel Haunschildt und Doris Eikhof haben das etwa in ihrem 2004 unter anderem in Theater heute veröffentlichten und immer noch sehr lesenswerten „Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“ („Haupttitel: „Die Arbeitskraft-Unternehmer“, gemeint waren vor allem Schauspieler*innen) beschrieben. Auch, welcher Stress und welche permanente Notwendigkeit strategischer Kommunikation und strategischer sozialer Interaktion daraus resultiert, während gleichzeitig genau ein Agieren im Sinne von Karriere- oder auch nur Berufsplanung verschleiert wird: Es dominiert immer die Behauptung des „reinen“ gegenseitigen Interesses aneinander – aus Gründen der Freundschaft oder aus Begeisterung für die jeweilige künstlerische Arbeit. Tatsächlich geht es um Arbeitsmöglichkeiten, aber nicht um irgendwelche, sondern um „gute“, die Sinn und Befriedigung eigener künstlerischer Bedürfnisse versprechen – und sei es erst auf lange Sicht, weil jedes Projekt, jeder Kontakt eine Chance bieten, zu einem weiteren Arbeitszusammenhang zu führen.

„Die Überzeugung ‚Gute Leute bekommen auf lange Sicht auch gute Rollen’ leisten sich dabei eher erfolgreichere Schauspieler, die Mehrheit dagegen sieht Engagement- und Besetzungsentscheidungen eindeutig als Resultat sozialer Kontakte und Freundschaften zu Regisseuren, Intendanten, Dramaturgen und anderen Schauspielern.“4Doris Eikhof/Axel Haunschild: „Die Arbeitskraft-Unternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“, in: Theater heute, Heft 3, 2004, S. 4-17, hier S. 8.

Natürlich, auch darauf ist schon häufiger aufmerksam gemacht worden, handelt es sich hier um Phänomene einer neoliberalen Arbeitswelt, die überall dort auftauchen, wo Menschen Selbstverwirklichung (zu der laut Intendant Ulrich Khuon Schmerz dazugehört, wie er im Interview 2004 erklärte)5Franz Wille: „’Auch Schmerz gehört zur Selbstverwirklichung.’ Ein Gespräch […] mit Ulrich Khuon und den Sozialwissenschaftlern Doris Eikhof und Axel Haunschild“, in: Theater heute, März … Mehr anzeigen und Projektarbeit bzw. befristete Verträge miteinander in Einklang zu bringen versuchen. 

Obwohl besonders im Theaterfeld, wie die Soziolog*innen Eikhof und Haunschild beschreiben, alle einander gegenseitig bewerten und auch Theaterleiter*innen ihrerseits unter dem Druck des Beobachtet- und Beurteiltwerdens stehen (durch Presse und Kulturpolitik), haben besonders die Theaterleitungen (aber auch bekannte Regisseur*innen) die Macht, wirksame Drohungen auszusprechen: Wer sich „falsch benimmt“, darf erwarten, eine negative Bewertung (z.B.: „schlechte Künstlerin“, „schwierig“, „inkompetent“ etc.) durch den oder die Vorgesetzte*n zu erfahren – und infolgedessen bald jegliche Reputation innerhalb „der gesamten Theaterwelt“ zu verlieren, so die durchaus glaubhafte Behauptung. Es wird gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, „das Spiel mitzuspielen“. Ein Intendant formulierte es kürzlich im Interview mit einer Zeitung achselzuckend wie folgt: „Das ist die Brutalität unseres Jobs. Der ist im wahrsten Sinne des Wortes asozial. Aber alle, die sich darauf einlassen, wissen davon.‘“6Jens Neundorff von Enzberg im Gespräch mit Michael Helbing: „Intendant für Eisenach & Meinungen: ‚Ich bin der falsche Feind’“, in: Thüringer Allgemeine, 28.11.2020, online: … Mehr anzeigen (Es ging um die Gepflogenheit von neu antretenden Theaterleitungen, zuvor große Teile des künstlerischen Personals auszuwechseln, sprich: die Mitarbeiter*innen und das Ensemble aus der Amtsperiode der früheren Leitung aus Gründen der „künstlerischen Erneuerung“ – und weil jede Leitung „eigene“ loyale Angestellte braucht – zu entlassen.) Dieser Merksatz aus der Theaterfolklore bedeutet: Man weiß, dass es in der Theaterwelt hart zugeht – und wer damit nicht zurechtkommt, kann sich einen anderen Beruf suchen. 

Sarah waterfeld

Wir als Kollektiv Staub zu Glitzer jedenfalls und Teile der Betroffenen hatten ursprünglich fest mit einer außerordentlichen Kündigung des Intendanten gerechnet. Die hätte nach BGB §626 innerhalb von zwei Wochen erfolgen müssen. Unsere kleine Gruppe hat es sehr erschüttert, dass Anwält*innen entschieden, dass die vorgebrachten Anschuldigungen nicht für eine fristlose Kündigung reichten. 

Für uns hieß das: So etwas, diese Art der Übergriffigkeit, Diskriminierung und Herabwürdigung darf passieren. Für mich persönlich war das ein Schock. Ich würde gerne das Gutachten der Kanzlei sehen. Es kann natürlich auch sein, dass zuvor anekdotisch vorgetragene Vorwürfe im Zuge der Verschriftlichung dermaßen verwässert wurden, dass die Kanzlei zu gar keinem anderen Schluss gelangen konnte. Auch das interessiert mich, denn ich kenne die schriftlichen Berichte nicht.  

Du sagst also einem Opfer, einer gegebenenfalls traumatisierten, verängstigten Person: Schreib mal alles auf. Aber bedenke, falls der Beschuldigte nachher wegen Rufmord klagt, dann ist dein Bericht schon auch Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Und das Gerichtsverfahren ist natürlich öffentlich. Das hören dann alle, vielleicht steht‘s in der Zeitung.  

Ich würde mal sagen, nach so einer Ansage, sind die meisten schon raus. Jede*r Rechtskundige muss das so deutlich formulieren, da es der Realität entspricht. Wir haben das intensiv diskutiert, auch mit unserem Anwalt. Der Opferschutz in unserem Rechtssystem insgesamt ist beschämend. Doch auch eine ordentliche Kündigung Dörrs erfolgte nicht. Wieder vergingen Wochen und wir befürchteten, dass es darauf hinauslaufen könnte, dass die ganze Geschichte vom Kultursenat ausgesessen wird. Danach sah es leider aus, auch, weil wir keinen Einblick in die senatsinternen Vorgänge hatten, sich einfach niemand mehr meldete. 

Auch mit dem Dreh der Reportage konnte nicht begonnen werden, da noch immer nicht genug Frauen bereit waren, daran mitzuwirken. Die Filmemacherin hatte schon monatelang recherchiert und diverse Betroffene aus anderen Städten, von anderen Theatern gesprochen. Am Ende entschieden wir, in kleinem Kreis mit der taz zu sprechen. 

Ich habe dann das erste Gespräch mit der taz-Autorin Viktoria Morasch geführt und noch am selben Tag gab es ein erstens Online-Meeting mit Morasch, in dessen Verlauf ich erst Betroffene davon überzeugen musste, ihre Kamera einzuschalten und ihren Namen zu nennen. Ich möchte hier nochmal ganz klar sagen: Dass meine monatelange Arbeit in dem Artikel mit keiner Silbe erwähnt wird, hat mich schwer enttäuscht. Das ist nicht feministisch. Ich habe im Anschluss noch einmal mit Morasch dazu gesprochen und sie gebeten, das wieder gutzumachen, vielleicht in einem späteren Hintergrundartikel, einem Interview, whatever. Sie hat sich seither nicht gemeldet. 


Anna Volkland – „helfen?“

An dieser Stelle habe ich eine Nachfrage und interveniere ausnahmsweise direkt in Deinen Bericht und spreche Dich direkt an, Sarah: Wie hättest Du Dir gewünscht, dass die Rolle von Staub zu Glitzer oder aber Deine persönliche Rolle im taz-Artikel vom 13. März (oder später) geschildert wird? Es gibt diesen – ich glaube, sehr christlichen – Satz: „Tue Gutes und schweige darüber.“ Der ist vielleicht bei einigen von uns als Moral noch tief verankert. Gleichzeitig ist dieses Schweigensollen natürlich auch ein wenig eigenartig … Ich unterstelle der Journalistin erst einmal gar keine Bösartigkeit, sondern denke, dass es vielleicht auch ein Stück Hilflosigkeit ist, diese Deine/Eure Rolle zu benennen. Es gibt, scheint mir, noch kein Narrativ für diejenigen, die – nicht selbst betroffen und ganz freiwillig – Anderen helfen, sich zu beschweren und sie aktivistisch begleiten. 

Würdest Du Dein/Euer Engagement als zivilgesellschaftliche Courage bezeichnen oder solidarischen Aktivismus oder sogar eher ein – ja journalistisch schon etabliertes – Held*innen-Narrativ verwenden? Letzteres kennen wir eher in Bezug auf Männer, etwa: „Er rannte ins Feuer, die Feuerwehr war noch nicht vor Ort, und rettete – unter eigener Lebensgefahr – das bereits halb ohnmächtige Kleinkind …“ – Wie Du den Fall der Volksbühne beschrieben hast, gab es diese geforderte, sehr schnelle Reaktion, die ein Nachdenken über die eigenen Gefahren tatsächlich unmöglich macht, aber gar nicht – es handelte sich im Gegenteil um einen langwierigen Prozess – und zum anderen war Dein/Euer Leben auch nicht in Gefahr, was aber scheinbar immer wichtig ist für das Narrativ der „selbstlosen Held*innen“ … 

Ich denke, ‚solidarischer Aktivismus’ passt als Begriff am besten, aber gleichzeitig erzeugt das bei Menschen die meisten Fragen nach der Motivation einer solchen Mühe für Andere, von der die Helfer*innen selbst gar nichts zu haben scheinen … Wie würdest Du also die eigene Motivation dieses Engagements beschreiben? 

Sarah Waterfeld

Unser Kollektiv hat sich im Jahr 2017 allein aus dem Grund gegründet, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu reformieren und dafür haben wir viele hunderte Partner*innen gewinnen können, denen wir bis heute eng verbunden sind. Auch seit der Räumung [der durch Dercon angeordneten polizeilichen Beendung der sogenannten Besetzung der Volksbühne im September 2017, A.V.] haben wir nichtmonetär und ehrenamtlich an theater- und stadtpolitischen Themen gearbeitet, haben vier Monate lang ein Containerschiff in der Rummelsburger Bucht besetzt, einen alternativen Volksbühnen-Gipfel veranstaltet und die KeinHausWeniger-Gala im Festsaal Kreuzberg, haben Unterstützer*innenlisten für linke Kulturprojekte erarbeitet und Menschen gewinnen können wie Donna Haraway, Elfriede Jelinek, Frigga Haug usw. 

Für uns ist der Zustand unserer Gesellschaft so alarmierend, dass wir es für unsere Pflicht halten, uns zu engagieren. 

Ich bin damals dem Kollektiv beigetreten, um über den ganzen Prozess schreiben zu können, über „B6112“, unsere transmediale Inszenierung, die häufig als Besetzung bezeichnet wird. Vorher habe ich „transmediale Strategien politischer Intervention“ an der Uni Potsdam gelehrt und hatte schon eine transmediale Romanreihe verfasst. Ich sage das, um klar zu machen: Ich hatte nicht nur als Mitglied von Staub zu Glitzer ein Interesse daran, das Femwashing Dörrs an der Volksbühne zu entlarven – wir haben uns ja von Beginn an öffentlich sehr kritisch zu seinem Programm geäußert. Ich hatte auch als Autorin Interesse an dem Kampf der Frauen in all seinen Details, mit all den Abgründen. Ich beende gerade den Roman zur Sache. Selbstverständlich wissen und wussten das die Frauen, die ich begleitete. Es ist der zweite Teil meiner Volksbühnen-Trilogie. Männer denken übrigens immer, ich mache einen Scherz, wenn ich sage, woran ich arbeite. Sie halten eine Volksbühnen-Trilogie wohl für überambitioniert. Meine Romane komponiere ich nach einer speziellen Poetik der Mimesis 2.0. Es ist demnach transmediale, engagierte und emanzipatorische Literatur. Damit will ich nur sagen, den Frauen zu helfen war nicht nur die reine Selbstlosigkeit, sondern ich war auch als Literatin von Kampfeswillen und Neugierde getrieben. 
Es gab tatsächlich ein, zwei Mal den Punkt, an dem ein Aufgeben im Raum stand und ich habe ganz egoistisch gedacht: Ich will, dass dieser verdammte Roman ein Happy End bekommt, wo doch schon der erste mit einer dramatischen Räumung endet. Es war nicht mein erster Kampf und wird auch nicht mein letzter sein. 

Sarah waterfeld

Als der taz-Artikel dann endlich erschien, nachdem die Filmemacherin, mit der wir monatelang arbeiteten, ihre Rechercheergebnisse mit Morasch geteilt hatte, ließ Dörr verlautbaren, die Vorwürfe seien haltlos. Wir hatten für diesen Fall schon etwa zehn Tage vorher begonnen, Erstunterzeichner*innen für eine Petition, in der der Rücktritt verlangt wurde, in Einzelgesprächen zusammenzusuchen. 

Das hat viel Unruhe verursacht. Es gab dann Personen, die juristisch gegen diese Petition vorgehen wollten. Das ist dann schon nicht mehr nur antifeministisch, das ist schon antidemokratisch. Es steht selbstverständlich jeder Bürger*in frei, gemeinsam mit Erstunterzeichner*innen eine Petition aufzusetzen zu egal welchem Sachverhalt, und anderen steht es frei, diese Petition zu kritisieren oder zu ignorieren oder eine Petition mit gegenteiligem Inhalt zu verfassen, oder sich anders öffentlich zu äußern. 

Die betroffenen Frauen jedenfalls, die auf einem Rücktritt oder einer Kündigung Dörrs bestanden, waren extremem Druck ausgesetzt. Ich habe den allergrößten Respekt vor ihnen. Und ich hoffe, dass sie sich eines Tages so sicher fühlen, wissen, dass sie aufgefangen werden in der Theatercommunity, dass sie öffentlich über das Erlebte sprechen können, um andere zu ermutigen, denselben Weg zu gehen und gegen Machtmissbrauch vorzugehen. Dass sie es heute noch nicht können, ist nicht ihre Schuld. Das liegt an unserer Gesellschaft. 

Die Frage ist doch nicht nur, wie verunmöglichen wir Machtmissbrauch, sondern auch: wie können wir Arbeits-, Wohn- und Lebensräume schaffen, in denen Macht und Verantwortung möglichst gleich verteilt sind, in denen alle als gleichwertige und gleichberechtigte Partizipierende wirken. Theater müssen sich verändern und ich halte „B6112“ aktuell noch immer für den spannendsten Vorschlag in der Debatte. Aber wir werden sehen, was noch kommt.

ANNA VOLKLAND – „WELCHE FREIHEIT?“

Die Auseinandersetzungen um Recht und Unrecht gehen in den verschiedensten gesellschaftlichen Feldern weiter. Im Feld des professionellen Theaterschaffens werden immer wieder Stimmen laut, die meinen, angesichts aktueller Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen und vor allem innerhalb der Stadttheaterlandschaft, an die alten „Weisheiten“ der Theaterfolklore erinnern zu müssen: Theater sei Kunst und Kunst sei kompromisslos und nicht „sozial“, sie dürfe nicht „reguliert“ werden, sie müsse „frei“ sein, rücksichtslos sogar usw.. Bürokratisierung und gar Zensur werden gefürchtet, die letzten unangepassten Großgenies argumentativ in Schutz genommen gegen eine vermeintliche Kleingeistigkeit gutmenschenhafter Theateraktivist*innen. Wie oben schon erwähnt:

‚Wer zu empfindlich ist, ist am Theater falsch‘ – so die Idee. 

Dramaturg Carl Hegemann steht als früherer Mitarbeiter von Frank Castorf und Christoph Schlingensief nicht unbedingt unter Verdacht, zu den vermeintlich empfindlichen Theateraktivist*innen zu gehören. In seinem zuerst 2018 erschienenen und jetzt in seinem neuen Buch Dramaturgie des Daseins, Everday live wieder abgedruckten Aufsatz „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“ erklärt er allerdings, dass die Grenze zwischen Kunst und Leben zwar nicht immer ganz trennscharf zu ziehen sei, gleichzeitig aber ein wichtiger Unterschied zwischen Tyrannei und Freiheit, zwischen Grenzüberschreitungen auf und hinter der Bühne bestehe und letztere auch künstlerisch fraglos kontraproduktiv seien:

„Die ästhetischen Freiheiten des schönen Scheins [nach Schiller] zum politischen Programm zu erklären, um die Welt nach ästhetischen Kategorien zu perfektionieren, ist kein Weg zur Befreiung, sondern der Einbruch totalitärer Gewalt. Gerade im Theater herrscht deshalb ein verschärftes Gewaltverbot. Weil man sich im Spiel auf menschliche Abgründe, auf ungebändigte Natur, auf unwahrscheinliche Sensationen einlässt und das, was einem sonst einfach passiert, autonom produziert, bedarf es großer Sachlichkeit und Nüchternheit bei der Herstellung dieser Kunstwerke. Gewaltexzesse und Psychoterror, Intimität und Verrat auf die Bühne zu bringen, ist leichter, wenn außerhalb der Bühne und bei der Herstellung des Kunstwerks (bei den Proben) Vorsicht und Rücksicht herrschen, auch wenn sich Parallelen zwischen Kunst und Leben nicht immer fein säuberlich trennen lassen. Die Exzesse der Kunst und speziell des Theaters lassen sich nur diszipliniert und möglichst unabhängig von der eigenen Triebstruktur realisieren, das unterscheidet sie strukturell von den Exzessen der Könige, die [Eli] Sagan [in „Tyrannei und Herrschaft“] beschreibt.“7Carl Hegemann: „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“, in ders.: Dramaturgie des Daseins, Everday live, Berlin 2021, S. 54f.

Was hat nun das allem Anschein nach besonders Frauen gegenüber übergriffige und respektlose Verhalten eines Theatermannes wie Klaus Dörr mit irgendwelchen Ideen von Kunstfreiheit zu tun? Richtig, nichts. Dörr ist auch kein Künstler, sondern studierter Wirtschaftswissenschaftler. Das hat ihn sicherlich angreifbarer gemacht als manch anderen, der sich als (meist regieführender) Künstlerintendant versteht und für seine besondere künstlerische Arbeit Anerkennung genießt. Wenn Dörr auf einer Premierenfeier – vor ein paar Jahren schon, noch als Stellvertreter des Intendanten Armin Petras am Schauspiel Stuttgart – etwa einer engen Mitarbeiterin gegenüber feststellt: „Du bist eine scheiß Assistentin, aber jeder will dich ficken.“ (zitiert nach: taz, 13.03.2021), bewegt er sich so eindeutig fern jeder Kunst und innerhalb einer „öden Alltagsrealität“ des männlichen Chauvinismus, dass selbst Bernd Stegemann (der sonst fordert, die Probe dürfe nicht zum korrekten Verwaltungsvorgang werden) kaum widersprechen könnte. Tatsächlich sagen aber auch andere Theatermänner solche Sätze und auch Theaterfrauen in Machtpositionen sind nicht qua Geschlecht „netter“. 

Die (noch) öffentlich finanzierten Theater stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen – die klassischen Themen seit Jahrzehnten bestehen immer noch in der strukturellen Unterfinanzierung und im niemals leicht zu gewinnenden Publikum. Die gute Nachricht ist: Kein Verhalten, das dazu gedacht ist, Mitarbeiter*innen einzuschüchtern, zum Schweigen, zum Funktionieren und zum Gehorsam zu bringen, muss von irgendwem akzeptiert werden. Das Verschweigen und Akzeptieren von Übergriffen dient weder der Rettung der Häuser noch der Kunst. 


1 Anm. d. Redaktion: Sprache befindet sich im ständigen Wandel. Die Schreibweisen Frauen* und weiblich* galten zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes als inklusiv für Menschen, die durch Sexismus strukturell benachteiligt werden. Mittlerweile werden diese Bezeichnungen aufgrund ihrer Ungenauigkeit und Reproduktion sexistischer Stereotypen im Antidiskriminierungskontext nicht mehr verwendet. Stattdessen werden Begriffe benutzt, die genauer beschreiben, wer jeweils gemeint ist – z. B. „FLINTA*“. In jüngeren Blog-Texten und Interviews wurde auf die Schreibweise Frauen* und weiblich* deshalb verzichtet.

Referenzen

Referenzen
1 Clever zitiert nach Erich Emigholz, „30 Fragen zum Bremer ‚Tasso‘“, in: Canaris Goethe u. a.: Torquato Tasso, S. 150 f.
2 Ebd., S. 151.
3 Zitiert nach Roswitha Schieber: Peter Stein. Ein Protrait, Berlin 2005, S. 93f.
4 Doris Eikhof/Axel Haunschild: „Die Arbeitskraft-Unternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“, in: Theater heute, Heft 3, 2004, S. 4-17, hier S. 8.
5 Franz Wille: „’Auch Schmerz gehört zur Selbstverwirklichung.’ Ein Gespräch […] mit Ulrich Khuon und den Sozialwissenschaftlern Doris Eikhof und Axel Haunschild“, in: Theater heute, März 2004, S. 12.
6 Jens Neundorff von Enzberg im Gespräch mit Michael Helbing: „Intendant für Eisenach & Meinungen: ‚Ich bin der falsche Feind’“, in: Thüringer Allgemeine, 28.11.2020, online: https://www.thueringer-allgemeine.de/kultur/intendant-fuer-eisenach-meiningen-ich-bin-der-falsche-feind-id231022298.html [Inzwischen ist der Artikel online nicht mehr frei verfügbar.]
7 Carl Hegemann: „Zurück zur Allmacht. Die schönste Zeit im Leben“, in ders.: Dramaturgie des Daseins, Everday live, Berlin 2021, S. 54f.

„Das ist so kitschig, das würde sogar Erdoğan gefallen“, sagte mir ein alter weißer Mann, der an der HfG Offenbach1Die Hochschule für Gestaltung Offenbach bietet die Studiengänge Kunst und Design an und genießt mit einem aufwendigen Aufnahmeverfahren und etwa 750 Studierenden einen hervorragenden Ruf. als Professor für Markenstrategie unterrichtete. Als ich mich 2017 an deutschen Kunstuniversitäten bewarb, wurde ich mit autoritären Machtdemonstrationen, Rassismus, Sexismus und toxischer Männlichkeit konfrontiert – und stelle mir nun die Frage, inwiefern die Strukturen von Kunstuniversitäten pädagogisch verändert werden müssen, um solchen Dynamiken entgegenzuwirken. 

Bevor es überhaupt losging 

Um sich für den Studiengang Kunst an der HfG Offenbach zu bewerben, braucht es Zeit: Für die Bewerbungsunterlagen, ein Portfolio mit mindestens 30 Facharbeiten, die künstlerische Eignungsprüfung und mehrere Mappensichtungen im Voraus, die dringend empfohlen werden. Dort schauen sich Professor*innen der Hochschule vor anderen potentiellen Bewerber*innen die Mappen an und sollen eigentlich konstruktives Feedback geben. Bei solch einer Mappensichtung befand ich mich 2017 und wartete, bis ich dran war. Vor mir bewarben sich Menschen mit Abschlüssen von verschiedenen Kunstakademien und zeigten ihre Werke und Lebensläufe. Der zuständige Professor jedoch machte sich genüsslich über die Deutschkenntnisse von Bewerber*innen lustig, anstatt eine Einschätzung oder Kritik der Arbeiten anzubieten: Er fragte eine Südkoreanerin, wieso die Illustrationen denn nicht im Manga-Stil gestaltet wurden. „Manga passt doch so gut zu dir“, bemerkte er. Ihre Fotografiearbeit zu Rotweinsorten wurde kommentiert mit „Gibt’s bei euch in Korea überhaupt Wein?“ Einer anderen Person sagte er „Das ist ja so bedrückend wie euer China“, woraufhin diese konterte: „Ich bin aus Japan.“ Während die Arbeiten von männlich gelesenen Personen mit unkommentiertem Kopfnicken bestätigt wurden, mussten sich viele Bewerberinnen solche Sticheleien anhören. 

Und nun war ich dran – meine Gefühlslage war eine unangenehme Mischung aus Nervosität und unterdrückter Wut. Bevor es überhaupt losging, fragte er mich penetrant nach meiner ‚Herkunft‘ – meine Antwort „Ich bin aus Frankfurt, gleich hier um die Ecke“ reichte natürlich nicht. Nach einer Weile gab ich nach. „Aha“ antwortete er, und während des Sichtens meiner Mappe wiederholte er dann viermal: „Das ist so langweilig, so kitschig, dass es sogar Erdoğan gefallen würde“ und schaute mich provokant an. Es war der Teil meiner Mappe, welcher nicht der ,westlichen‘ Ästhetik entsprach. „Das hat doch gar nichts mit Kunst zu tun“ sagte ich perplex. „Ja, genau deswegen“ antwortete er willkürlich. 

© Sarah Böttcher

Eine falsche Assoziation, die im Übrigen (unabhängig von der diskriminierenden Aussage) nicht einmal auf meine Familiengeschichte und Antwort zutrifft. Ich erinnere mich, dass ich trotzdem den gesamten Rückweg „nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen“ in meinem Kopf wiederholte. Und darauf folgend: „Wieso habe ich nicht besser gekontert oder wenigstens den Anderen geholfen?“ Peinlich berührt realisierte ich, dass ich nach diesen Machtdemonstrationen keine Zivilcourage geleistet habe, weil ich einen guten Eindruck hinterlassen wollte, um an der Universität angenommen zu werden. Mein zukünftiger Studienort als auch die Bewertung meiner Arbeiten hingen davon ab, wie er mich wahrnimmt: Ich rebellierte nicht, um nicht als wütende Migrantin abgestempelt zu werden. 

Diese Dynamik funktionierte, da sich der Professor als einzige Person im Raum zu den Arbeiten äußern durfte – nach anderen Meinungen wurde weder gefragt, noch waren sie erwünscht. Von seinem privilegierten Standpunkt aus spielte er mit der Unsicherheit der Bewerber*innen: Die hierarchische Situation wurde für vermeintliche Witze und unprofessionelle Bemerkungen genutzt. Welcher Ästhetikbegriff hierbei eine Rolle spielte, wurde durch das Betonen der assoziierten ‚kulturellen‘ Zugehörigkeit ebenso klar: Deine ‚Herkunft‘ bestimmt über deine Mappe, und nicht andersherum. Entweder passt du zur HfG, oder deine Arbeit ist zu ‚fremd‘ und ‚kitschig‘. 

Von Zuschreibungen und Betroffenheit 

Die Vorstellung, als etwas abgestempelt zu werden, oder auch Sich-Denken-Was-Der-Andere-Von-Einem-Denkt, öffnet die Büchse des internalisierten Wahnsinns. Hierbei werden nicht nur die eigenen politische Haltungen, sondern auch Emotionen unterdrückt oder hinterfragt. Das Dilemma, sich von zugeschriebenen Rollen (hier: die wütende Migrantin, die keine Abweisung verkraften kann) zu distanzieren und zugleich antidiskriminatorische Arbeit leisten zu wollen, beschreibt Sara Ahmed mit der Figur des Feminist Killjoys: Eine Spielverderberin*, die, egal wie sie spricht, als Feministin* wahrgenommen wird, die ständig Probleme verursacht. Und dadurch selbst das Problem verkörpert.2Ahmed, Sara: Living a Feminist Life, Duke Univ. Press (2017)

Am Beispiel der Mappensichtung in Offenbach – wie auch in vielen anderen Fällen – ist aber der zu beachtende Punkt, dass von Diskriminierung Betroffene nicht die Pflicht tragen, den*die Täter*in zu konfrontieren. Denn letztere haben in den Strukturen der Kunstuniversitäten die Möglichkeiten, ihre Macht und Überlegenheit zu demonstrieren – und das nutzen sie oftmals auch. So entsteht eine Wissenshierarchie, in der überwiegend westeuropäische Künste wertgeschätzt und legitimiert werden. Wenn Lehrende eine ästhetische Sprache auferlegen, reproduziert das weiterhin die bestehenden Strukturen, was bei Lernenden negative Folgen im Studienalltag auslöst. Laut Ira Shor zählen dazu Selbstzweifel, Empörung, Frustration und Langeweile: „These […] are commonly generated when an official culture and language are imposed from the top down, ignoring the students’ themes, languages, conditions, and diverse cultures.“3Shor, Ira: Empowering Education: Critical Teaching for Social Change (1992) 23

© Sarah Böttcher

Das unbenannte Vorwissen und Verständnis einer ästhetischen Sprache formulieren sich unter anderem wie folgt: „Diesen Künstler müssten Sie aber kennen!“ Es wird angenommen und vorausgesetzt, dass Studierende ähnlich sozialisiert sind wie Lehrende, sei es eine vergleichbare Bildungssituation oder ein bestimmtes Kunstverständnis und ‚Allgemeinwissen‘. Dies äußert sich oft durch Abfragen von Referenzen bis hin zur ästhetischen Wertung, deren Begründung oftmals nicht genau benannt werden kann. Der Standpunkt, der hier als lehrende Person eingenommen wird, ist geprägt durch die eigene Bewertung und Wahrnehmung von Künsten.

Diese unausgesprochenen Normen können nur jene verstehen, die auch in einem spezifischen kulturellen und akademischen Kontext aufgewachsen sind, wodurch sich die Bildungsungleichheit verstärkt. Gerade Kunsthochschulen, die sich als zukunftsorientiert, vielseitig und offen verstehen, bestärken diese Dynamik durch fehlende transkulturelle Kompetenzen.

Dass Studierende of Color besonders betroffen sind in von Diskriminierung geprägten Situationen, zeigen die vielen anonymen Rassismuserfahrungsberichte, die an der Universität der Künste Berlin im Rahmen der Protestaktion #exitracismUDK gesammelt und an den Universitätsfassaden4exitracismUdK ist ein offener Brief mit formulierten Forderungen an die Universität der Künste Berlin, und eine Antwort auf die „mangelnde Solidarität von Seiten der Lehrenden.“ https:// … Mehr anzeigen gezeigt wurden. So schrieb ein*e Queer Student of Color: „Den Lehrenden fehlte es an emotionaler, pädagogischer, sowie (trans)kultureller Sensibilität.“5Ausschnitt eines Erfahrungsberichtes, welcher durch exitracismUdK in der UdK-Ausstellung KUNST RAUM STADT am 16-17.7.2020 gezeigt wurde. „2018 wurde ich für den Master an der  UdK angenommen. … Mehr anzeigen

Die Vorstellung, dass lediglich Betroffene die Aufgabe tragen, Diskriminierungen zu behandeln oder aufzuarbeiten, funktioniert nicht: Es ist ignorant und verwerflich, sich der Verantwortung zu entziehen, bestehende Strukturen weiterzuführen – und von ihnen zu profitieren. Denn nach bell hooks6bell hooks ist Literaturwissenschaftlerin, Professorin, Aktivistin und Autorin intersektionaler, anti-rassistischer und feministischer Bücher.  ist Bildung politisch und findet in einem spezifischen politischen Kontext statt, verbunden mit einem politischen Ziel, auch wenn dieses nicht explizit hervorgehoben wird.7Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016). Lehrende treffen politische Entscheidungen, wenn sie lehren, was im Kontrast zu dem verbreiteten Bild einer objektiven und universellen Bildung steht.

© Sarah Böttcher

Ein Beispiel nehmen an bell hooks

bell hooks formuliert hierbei pädagogische Praktiken, die auf8ebd. Lehrende sowie Lernende zutreffen: Das Bewusstsein davon, dass Bildung politisch ist und dass politische Entscheidungen getroffen werden, was und wie gelehrt wird; die Anerkennung davon, dass der gesellschaftliche Kontext diskriminierende Strukturen aufweist; und das kritische Hinterfragen der eigenen Position.9Eine Positionierung in bestehenden Machtverhältnissen können Angaben zu unter anderem Geschlechtsidentitäten, sexuelle Identitäten, Behinderungen, Rassismuserfahrungen oder ökonomische … Mehr anzeigen Denn Bildung kann und sollte auch ein Werkzeug sein, um Rassismus, (Hetero)sexismus, Ableismus, Antisemitismus und viele weitere Diskriminierungsformen zu überwinden: Indem es zu einer Auseinandersetzung kommt und internalisierte Vorstellungen aufgebrochen werden, geht der Raum des Lernens über die Wissensaneignung hinaus. Im ‚participatory space‘, also einem Raum, in dem die Teilhabe jeder*jedes  Einzelnen möglich ist, wird kritisches Denken trainiert. Das bedeutet auch, dass im Gegensatz zur häufigen Forderung, objektive Fakten zu nutzen, auch individuelle Erfahrungen anerkannt, wertgeschätzt und nicht von der Theoriearbeit getrennt werden. Erst daraus können wertvolle Diskurse und eine feministische, antirassistische, dekoloniale und antiklassistische Lehre entstehen. Kurz: eine kollektive, kritische Praxis.10Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016)

Design, aber dekolonial. 

Im Kontext der Kunstuniversität bedeutet eine kollektive, kritische Praxis auch das Überdenken der Lehrinhalte. Diskurse um Künste, Ästhetik und Design müssen unter anderem antirassistisch, feministisch und dekolonial neu gedacht werden. Das kann nur geschehen, indem sich zuerst mit der (vor allem kolonialen) Geschichte auseinandergesetzt wird, um sie zu reflektieren und in der Lehre widerspiegeln zu lassen. Danah Abdulla erklärt, dass der Designbegriff als kontextbasierte, sich ständig entwickelnde Praxis verstanden werden muss11Abdulla, Danah: Design Otherwise: Towards a locally-centric design education curricula in Jordan (2017) – und nicht als Ergänzung für eurozentristische Kategorisierungen. Das bedeutet also nicht nur eine Erweiterung und das Hinterfragen des Lehrmaterials oder der Referenzen, sondern auch das geschichtliche Aufarbeiten und Benennen des eigenen Standpunkts: Alle sind ein Teil der Praxis der Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse – und deswegen geht es auch alle etwas an. Inwiefern das im Designkontext aufgearbeitet werden kann, zeigt die Forschungsgruppe Decolonising Design12Decolonising Design ist eine Forschungsgruppe, die analysiert, in welchen kolonialen Strukturen Gestaltung und Design agieren. (https://www.decolonisingdesign.com/) sowie Open Source13Teaching Design ist eine Open Source Bibliografie mit dem Fokus auf Designvermittlung in der Bildung aus intersektional-feministischen, dekolonialen Perspektiven. (https://teaching design.net/) Bibliografien wie Teaching Design oder Decentering Whitenes14Decentering Whiteness in Design History Resources ist eine Open Source Bibliografie, die von Designgeschichtsdozent*innen erstellt wurde als Reaktion auf die Forderungen der Studierenden,  … Mehr anzeigen in Design History Resources.

Diese (oftmals von BIPoC aufgearbeiteten) Informationen sind ausreichend vorhanden – die Frage ist nur, wann und wie sich Kunstuniversitäten aufrichtig selbstkritisch reflektieren und pädagogisch neu positionieren, jenseits des oberflächlichen Diversity-Images. 

© Sarah Böttcher

Was wäre wenn?

Wenn ich an die Situation an der HfG Offenbach denke, formuliere  ich viele Was-Wäre-Wenn-Überlegungen, denn in diesem Raum haben allein in einer Stunde etwa sechs Menschen Rassismus und Sexismuserfahrungen gemacht, ausgehend von einem einzigen Professor. Weder seine studentische Hilfskraft neben ihm, noch der andere Professor im selben Raum haben interveniert oder widersprochen, trotz ihrer privilegierteren Position als weiße cis Männer. Wenn der Raum partizipativer gewesen wäre, hätten mehr Menschen auf die Werke reagieren können, wodurch sich die Wissens- und Machthierarchien verschoben oder sogar aufgelöst hätten. Im Falle von diskriminierenden Äußerungen hätten sich nicht nur mehr Menschen wohlgefühlt, zu reagieren – idealerweise hätte sich der Täter nicht wohl gefühlt, diese überhaupt zu äußern. Der Professor wäre vielleicht auch nie berufen worden. Kein „Wo kommst du her“ und „Ihr macht das dort drüben doch so“ oder „Mach das mal, das passt doch so gut zu dir“, keine unterdrückte Wut, Unwohlsein und sich Hinterfragen auf dem Rückweg nach Hause. Und vor allem auch keine kreativen Hemmungen, die sich durch das gesamte Studium ziehen15Als mittlerweile zugelassene UdK-Studentin musste ich erleben, dass der Studienalltag von patriarchaler Hierarchie geprägt ist und von eurozentristischen Bewertungen abhängt, die umso  … Mehr anzeigen, weil die eigene Praxis ständig mit Ästhetikdefinitionen verglichen wird, die man sich zähneknirschend aneignet, um mitreden zu können.

Was wäre also, wenn die Lehrenden an deutschen Kunstuniversitäten all diese Bauhaus-Referenzen16Die Kunst- und Designschule Bauhaus war 1919-1933 aktiv, der Einfluss auf deutsche Kunsthochschulen bleibt weiterhin stark: In meinem Studium der Visuellen Kommunikationwurde ich in vielen Seminaren … Mehr anzeigen in ihrer Lehre mit Werken von BIPoC Künstler*innen, Gestalter*innen und Wissenschaftler*innen ersetzen würden? Oder anders: Was wäre, wenn die Präsenz der sogenannten ‚Bauhaus-Frauen‘ nicht als Frauengleichstellung verstanden, sondern ihre Realität gezeigt wird – nämlich in der Weberei, und kaum in Führungspositionen? Angemessen wäre es, wenn sich der Blick auf die Künste von Grund auf verändert. Denn die Biennale ist nicht nur in Venedig.17sondern auch in: Chengdu, Kairo, Singapur, Breslau, Ulaanbaatar, Porto Alegre, Ouagadougou, Prag, Casablanca, Bukarest, Shanghai, Moskau, Gwangju, Idanha-a-Nova, Havanna, Busan, Istanbul, Athen … Mehr anzeigen

Dieser Beitrag wurde zuerst in der Publikation „Eine Krise bekommen“ veröffentlicht. Studierende der Fakultät Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin schreiben mit kritischem Blick über die Auswirkungen der Pandemie, ambivalente Identitäten und die politische Verantwortung der Kunsthochschule. Die vierzehn Beiträge entstanden im Jahr 2020 – einer Zeit, in der die Gefährdung verwundbarer Gruppen verdeutlicht wurde – aus dem Drang, unterrepräsentierte Auseinandersetzungen und studentische Perspektiven sichtbar zu machen. Sie fordern einen differenzierteren Austausch und Anerkennung marginalisierter Perspektiven in den Räumen der Kunsthochschule – anstelle von leeren Worten zu Vielfalt und Solidarität.

„Eine krise bekommen“ ist im Buchhandel und über den UdK Verlag erhältlich. Zum Preis von 5 Euro + ggf. Versandkosten kann die Publikation hier direkt bestellt werden:
einekrisebekommen@systemli.org

Link zur Online-Publikation:
https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/1469

Anmeldungen zur Releaseparty/Lesung am 19.7.2021:
https://tripetto.app/run/2BJWQFMCZU

Referenzen

Referenzen
1 Die Hochschule für Gestaltung Offenbach bietet die Studiengänge Kunst und Design an und genießt mit einem aufwendigen Aufnahmeverfahren und etwa 750 Studierenden einen hervorragenden Ruf.
2 Ahmed, Sara: Living a Feminist Life, Duke Univ. Press (2017)
3 Shor, Ira: Empowering Education: Critical Teaching for Social Change (1992) 23
4 exitracismUdK ist ein offener Brief mit formulierten Forderungen an die Universität der Künste Berlin, und eine Antwort auf die „mangelnde Solidarität von Seiten der Lehrenden.“ https:// exitracismudk.wordpress.com/ (abgerufen am 11.03.21) 
5 Ausschnitt eines Erfahrungsberichtes, welcher durch exitracismUdK in der UdK-Ausstellung KUNST RAUM STADT am 16-17.7.2020 gezeigt wurde. „2018 wurde ich für den Master an der  UdK angenommen. Was die eigentliche Erfüllung eines lange erkämpften Traumes sein sollte,  entpuppte sich als richtiger Horrortrip. […] Ich hatte das Gefühl, dass man von mir verlangte,  meinen multiethnischen Background so zu präsentieren wie es für sie (die Lehrenden) am  verdaulichsten ist: wenig kritisch und am liebsten exotisierend. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten,  mich in diesem Umfeld einzufügen. Den Lehrenden fehlte es an emotionaler, pädagogischer,  sowie (trans)kultureller Sensibilität – Queer student of color“ 
6 bell hooks ist Literaturwissenschaftlerin, Professorin, Aktivistin und Autorin intersektionaler, anti-rassistischer und feministischer Bücher. 
7 Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016).
8 ebd.
9 Eine Positionierung in bestehenden Machtverhältnissen können Angaben zu unter anderem Geschlechtsidentitäten, sexuelle Identitäten, Behinderungen, Rassismuserfahrungen oder ökonomische Situationen sein.
10 Kazeem-Kamiński, Belinda: Engaged Pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks (2016)
11 Abdulla, Danah: Design Otherwise: Towards a locally-centric design education curricula in Jordan (2017)
12 Decolonising Design ist eine Forschungsgruppe, die analysiert, in welchen kolonialen Strukturen Gestaltung und Design agieren. (https://www.decolonisingdesign.com/)
13 Teaching Design ist eine Open Source Bibliografie mit dem Fokus auf Designvermittlung in der Bildung aus intersektional-feministischen, dekolonialen Perspektiven. (https://teaching design.net/)
14 Decentering Whiteness in Design History Resources ist eine Open Source Bibliografie, die von Designgeschichtsdozent*innen erstellt wurde als Reaktion auf die Forderungen der Studierenden,  Perspektiven und Werke von Black, Indigenous, Latinx, Asian und anderen Designer*innen und  Wissenschaftler*innen of Color in den Designkursen richtig zu repräsentieren. (https:// www.designhistorysociety.org/news/view/decentering-whiteness-in-design-history-resources)
15 Als mittlerweile zugelassene UdK-Studentin musste ich erleben, dass der Studienalltag von patriarchaler Hierarchie geprägt ist und von eurozentristischen Bewertungen abhängt, die umso  persönlicher werden, da es an professioneller Distanz zu den Lehrenden fehlt (das verbreitete ‚per Du‘ dient oftmals lediglich dem Image der Universität). Meine Kursauswahl ist dementsprechend  primär von den wenigen kritischen Lehrenden und kaum von den Inhalten abhängig.
16 Die Kunst- und Designschule Bauhaus war 1919-1933 aktiv, der Einfluss auf deutsche Kunsthochschulen bleibt weiterhin stark: In meinem Studium der Visuellen Kommunikationwurde ich in vielen Seminaren penetrant auf dessen Relevanz hingewiesen.
17 sondern auch in: Chengdu, Kairo, Singapur, Breslau, Ulaanbaatar, Porto Alegre, Ouagadougou, Prag, Casablanca, Bukarest, Shanghai, Moskau, Gwangju, Idanha-a-Nova, Havanna, Busan, Istanbul, Athen und vielen weiteren Orten.

A Letter to Gloria Anzaldúa

4rd of January 21

Dear Gloria Anzaldúa,

Ich setze mich an meinen Tisch, in einer kleinen Wohnung in kaltes dunkles Berlin. Als ich spreche, oder ich schreibe, ich sehe dich, im Licht, unter die Sonne, dein Gesicht, deine Haut.

Dein Brief – “Speaking In Tongues: A Letter To 3rd World Women Writers” – war mir 29 Jahre nicht bekannt und ich bin langsam beim Schreiben. Außerdem, du hattest Recht als du es gesagt hast, dass wir Hindernisse nicht überwinden werden, wir müssen durch das Gefahr gehen, hier sagt man “durchbeißen”, wenn ich die Sprache korrekt verstanden habe.

I’m not sure if I should be answering this letter as if you were directing it to me. But right now I don’t know to whom I should direct this. Should I write it to my mom and tell her about you? No, I prefer to do this in person, during a long talk. To my fellow creators I think is pointless since I much rather send them your beautiful letter instead. So I will write this one to you and I will call you by your first name and I will be very respectful.

This is gonna be written in my way of writing German, Portuguese, and English as my mind seems to be trapped in a confusion between this three. I also wanted to appropriate myself with your poetic way of intertwining both línguas maternas.

11th Jan 2021

Today was a grey snowy day. I walk over the bridge on my way to University and think about the words you wrote. Today I made the house very quiet, so I could only hear the old fridge screaming at me to write back to you. I thought it would make me more productive to sit in my yellow lighted desk, surrounded by my crayons, some candle light, shadowed by the plants, and just face the subject that is about to reveal from my writing.

The nakedness I see in your words makes me want to do the same, but I don’t know if I’m gonna like to see my demon of writing. Is not laziness you see, is resentimento. Writing might be one of those things that were denied to me as a brown girl growing up in São Paulo. In such a big place with people who have such big words, where is the space or even necessity to voice my thoughts? At least I used to think like that until I heard about you through Pêdra Costa, the first person to tell me I was an academic.

An academic in German University, a big combination of words that have very little to do with how I would see myself, but I am nobody to disagree with Pêdra Costa, so let me try and get along with it. Here I am, writing to you.

The first time I get in the room is a seminar, the discussion is about Foucault … Auf Deutsch! I am the only person from outside Europe in the class, the only third-world woman, can you imagine my face? As they discuss objectively all the violence I got to know by close and even experienced myself in Brasil and kalte Deutschland.

I think about the access to the education they had growing up. I split, that brown part is acknowledged, as I hadn’t yet reconciled with it. I get transported to my high school, where we were forbidden to get in the library due to the dangerous situation the room was left at, falling apart, piles of moldy books donated by the community. My spine starts to hurt, I can feel my bones shaking, my chest feels like is gonna jump on top of the table, I want to scream and run. I don’t understand myself, I can’t talk this language objectively, I can’t stand their privilege, the absence of others “like me” is violent. Or is it my privilege I can’t stand? Being part settler-colonizer as I am.

Either way, I have visions.

My mother overworking herself, her knees getting swallowed, 8 hours in front of the furniture store, in the loud and rainy city center, trying to catch the next client with her wide smile, her singing accent from Bahia.

Now she stays under the unforgiving sun, breathing warm wet air, selling apartments. She has her business now, dona do próprio nariz, still working a lot but on her own terms. At least I think so, for 6 years our relationship was reduced to a flat-screen, 15 cm x 6 cm wide.

She has nothing to do with simple, my mother is deep, she has the wisdom nobody in the academic world knows how to give prizes to. She knows how to survive a racist patriarchal society, gets her money, does business that would make any wall street gringo’s jaw drop, while singing Caetano, dancing in the kitchen, cooking her beans, and giving the most soul-warming look anybody can ever receive.

To be far from my family because of the system that had made them humans and us something in between beasts and invisible ghosts. I can say it was challenging to face them and to face “them” in me, both the white and the brown. But there is something important about being in the room.

Working as a cleaner for all those years had also made me a stranger to sitting at tables. I miss having all that body movement, I can feel my mind frying from sitting. I remember how it used to be in houses before I started to study, some wouldn’t even imagine to ask themselves, who I was, besides the exotic and servant imaginary I was not worthy of not even a look, or to have my name be remembered. Wake up, put on clothes, breath, put on some Racionais MC’s, jump on that train, go, clean clean clean, time management, discipline, get paid, go back. Next morning all over again. The romanticization of being working class sometimes was toxic, but I confess I still get the chills when I listen to “Deeper Love” from Aretha Franklin. It is almost dangerous how hustling after a while starts to make you proud of yourself. Some people were so evil with me I even started to trip and think I was paying for my ancestors’ sins.

A man even spat on me in front of my job once. But there were also the goody goods, the ones that would ask me my story, I would say I came to study, that I was at UdK, their eyes would go big, the treatment was different from that moment on. I used to feel sometimes like a savior, they would almost “like” me so much, I would get the creeps like they wanted to domesticate me. I was the perfect cleaner, the “educated”, “the-one-that-would-get-them” kind of person. There was a woman in Grünau that would try to get any way she could to book me, she would comment on how I dress, how I look, how I speak, how I study, ask “what made you come to do in Germany?”, she even had the nerve once to tell me I was too skinny, I laugh so hard at this kind of clients, in contrast, they made my life feel so absurdly beautiful in its simplicity.

They could have my time, they could have my physical effort, they could have my talk, my smile, but they would never get my mind, which was jumping around, thinking about 2pac, “It’s just me against the world”, thinking about boys, thinking about drawing, crazy ideas for animations, I created complete long movies in my head, performances, I would think about politics, I loved to look at the shelves, pick their brains, some had some really good books I would take pictures. At every swipe I was rewriting myself, myself for myself, it would happen in my mind, nobody could use it, nobody could judge it, I would imagine myself outside my body. But they would try. The Kalk in the bathrooms, a lap for every specific function, the product smells, I love the one that was Lavanda, the lemon one where disgusting though, the pink for the toilet, the blue for the living room, the yellow for the kitchen.

I also found humanity, the honest and kind hearted people, the ones that helped me analyze my portfolio to get to University, the old lady who invited me to lunch, the one who spoke Portuguese, would give me books, I have an actual feeling of love for them.

The thick skin as you advised is starting to build up. New acknowledgments are appearing from the discussions little by little. To not see everything through the “good or bad” lenses. Violent processes have no other way but violent ways to be dismantled. But affection is a valid way too, afinal “O sorriso é a única língua que todos entendem”. The subject must be geographically positioned and self-criticism is a very important tool.

There is still a lot of work to do, there is so much to grow, to appropriate, to learn. That’s why this letter is still so confused. I want to complement this with drawings inspired by your words.

But there is more. About writing.

Between you and me. Writing might be that one thing that fell down the whole on me, the whole of frustration. That thing that has not been seeing the light of the day, so it is kind of … moldy. Assombrosa. I start to ask myself why when I write I talk so much about myself, I feel selfish. Lacking objectivity. Until I read “Stop the chatter inside their heads”. This gave me the understanding to see that, there is a force in this world trying to tell us who we are and that I have let the image of myself eat me up from inside out way too long. That pain on my spine I talked about, has a lot to do with this chatter, my silence.

So as much as it makes me uncomfortable I have to talk for myself, I can’t talk for all of us, mix raced, traped in between, third world women, migrants, working class. But I can rewrite what being all of that means to me, instead of letting them do the talk.

To me, it is to walk on the gray streets of dreckige Berlin listening to Milton Nascimento and still feel the warm breeze of the ocean on my skin. To get in communion with other “third world” people, complain laughing, while we make up dreams of a comfortable life working with whatever we want. Is to love to work, por a mão na massa, to make my money, to surprise myself with how far I can get without stepping on others, which, knowledge has led me to believe that this is actually an everyday failure.

Is to look back at my ancestors, to be connected to the spirit of my creole grandpa and my indigenous grandma putting me back on track, to keep trying to find ways. There is nothing romantic about that but somehow I still manage to write as if it was. Inferno!

25 de Janeiro 2021

I see your words as a kind of magic. There are symbols and metaphors you use to describe the feeling. Like that Tiger on the shoulder. Your hand coming from miles away and grabbing the hands of other writers as you clench the pen in togetherness. To write cooking a dinner. To empty oneself.

This is the way I feel when I draw. This is the way I relate to reality and it has its language. Sometimes it gets stuck in places where only the water that passes over bridges can reach to make it flow. The water with your words. I keep digging it up. The wind you blew yesterday is feeding the fire in our tongues today.

With love,

Thaís

This letter is an answer to the text “Speaking In Tongues: A Letter To 3rd World Women Writers” written by Gloria Anzaldúa, and published in the book “This Bridge Called My Back” (1981) edited by Cherrie Moraga and Gloria Anzaldúa. The letter was written during the Seminar “Seeing ourselves clearly” with Pary Beata El-Qalqili during the Winter Semester 2020/21 at the Berlin University of the Arts.

Empirie und Struktur

Brief der studentischen Initiative I.D.A an Philipp Hübl (1.4.21)

Brief von Henrike Lehnguth und Kathrin Peters an Philipp Hübl (26.3.21)

Lieber Philipp Hübl,

das Deutschlandfunk Kultur, das zum Internationalen Tag gegen Rassismus Ihren Kommentar „Ein irreführender Begriff“ gesendet hat, stellt Sie als Gastprofessor für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin vor. Wir kennen uns noch nicht, aber als Kolleginnen an der UdK Berlin, die der Kulturwissenschaft ebenfalls sehr verbunden sind, möchten wir in guter wissenschaftlicher Absicht unsererseits ein paar Kommentare zu Ihrem Beitrag abgeben. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die UdK Berlin derzeit an einer Diversitätsstrategie arbeitet, um strukturellen Rassismus – das ist der von Ihnen beanstandete Begriff – abzubauen. Eine Gruppe von Studierenden hat im letzten Jahr mit beklemmender Evidenz auf institutionellen/strukturellen und Alltagsrassismus an der UdK verwiesen. Wir werden das Phänomen nicht los, in dem wir die Begriffe, es zu beschreiben, infrage stellen. Um welche Begriffe geht es also?

Sie fassen Rassismus als eine Benachteiligung aufgrund von Hautfarbe. Das sei so etwas wie die Kerndefinition von Rassismus, die in den letzten Jahren bis zur Unbrauchbarkeit ausgeweitet worden sei. Die Kulturwissenschaft, die wir kennen, hat allerdings gezeigt, dass das Konzept „Rasse“ in der Anthropologie des 19. Jahrhunderts als ein umfassendes Klassifikationssystem entstanden ist, das körperliche Merkmale vermaß, Charakter-und Wesenseigenschaften zuordnete und die so voneinander unterschiedenen „Rassen“ hierarchisierte. Bestehende koloniale Machtverhältnisse wurden mit Hilfe biologischer Eigenschaften objektiviert und legitimiert; man könnte auch sagen, die Wahrnehmung hat sich allmählich rassifiziert (Foucault, Gilman, Hall, Said). Es ist das Erbe, mit dem wir zu tun haben. In der Forschung zu Rassismus und Kolonialismus ist es daher üblich geworden, die Begriffe „Schwarz“ und „weiß“, in dieser Schreibweise, zur Bezeichnung soziokultureller Positionen zu verwenden, um einen Positivismus der Hautfarbe nicht zu wiederholen. Gerade die Geschichte des Antisemitismus und die Migrationsgeschichte der Nachkriegszeit beider deutscher Staaten fordert uns auf, Rassismus so kompliziert zu denken, wie er eben ist, sonst können die Ausgrenzungen gar nicht begriffen werden, die migrantische Deutsche und/oder Menschen of Color in Deutschland erfahren (Terkessidis). 

Auch wenn wir Ihnen darin zustimmen, dass die Problematisierung rassistischen Redens und Handelns in vollem Gange ist – wozu immer auch Gegenreden, Verleugnungen und Beschwichtigungen gehören –, heißt das nicht, dass deswegen das Problem schon (fast) gelöst wäre. Zum einen muss denjenigen zugehört werden, die die Emanzipation bei hoher persönlicher Gefährdung vorantreiben – die weiße Mehrheitsgesellschaft, zu der auch wir uns zählen, tut das nämlich nicht. Zum anderen ist es gerade die Logik eines Diskurses, dass Zusammenhänge sichtbar und sagbar werden, die zuvor, vielleicht in den 1970er Jahren noch, gar nicht wahrgenommen oder schlicht hingenommen wurden. Sie schreiben: „Und so entdeckt man mehr, obwohl eigentlich weniger da ist“, aber das ist falsch. Man entdeckt mehr, weil schon immer mehr da war. Man entdeckt Strukturen, die wie Platzanweisungen wirken, ohne dass die Beteiligten einem Hautfarbenrassismus vertreten würden, den sie auch wirklich nicht teilen (dass 54% der in erwähnten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2019, Befragten asylsuchende Menschen ablehnen, Tendenz steigend, gehört allerdings auch ins Bild).

Und nein, die Rede von strukturellem Rassismus beschuldigt nicht jede weiße Person, manifest rassistische Auffassungen zu haben oder bewusst rassistisch zu handeln, womöglich bis hin zur Gewalttätigkeit. Vielmehr macht das Denken von Strukturen, das ja in den Sozial- und Geisteswissenschaften seit Langem etabliert ist, darauf aufmerksam, dass die Rede und das Handeln von Personen auch entgegen der eigenen Intention benachteiligend und diskriminierend wirken kann. Strukturen sind schlichtweg größer und mächtiger als jede Einzelne, sie werden von der Sprache getragen, von Narrativen, Mythen und kulturellen Traditionen, von Institutionen (Bildungsinstitutionen, aber auch Familie) und schlagen sich im Alltagshandeln nieder. Wie die Handlungsspielräume jeder Einzelnen bemessen sind und wie viel Gehör ihr geschenkt wird, ist eine Frage der sozialen Situiertheit. Weiße haben in postkolonialen und postmigrantischen Gesellschaften, also in so gut wie allen, eine Position inne, die vorteilhafter ist als die anderer Personengruppen und eben auch zu deren Lasten geht. Das kann sich zum Beispiel darin zeigen, dass sie von familiären Verbindungen profitieren, die für das berufliche Fortkommen nützlich sind. Daraus resultiert ein höherer sozialer Status, der, um ein UdK-relevantes Beispiel zu nennen, den Zugang zu Kunst und Musik ebnet. Es passiert, dass Weißen im Studium Kompetenzen zugesprochen werden, die andere erst unter Beweis stellen müssen. Sie verfügen über Namen, die Deutschsprachige leicht aussprechen können, was ihnen Vorteile bei vielen Bewerbungsverfahren verschafft. Woher sie kommen, können sie mit den Namen von Bundesländern beantworten, ohne dass die ganz große Zugehörigkeitsfrage mitschwingt – wie arglos sie auch immer gestellt sein mag. Selbstverständlich können auch Weiße Benachteiligungen erfahren und diskriminiert werden – zum Beispiel weil sie eine Behinderung haben, arm sind und/oder sich als trans Person identifizieren –, aber sie werden nicht strukturell aufgrund ihres Weißseins diskriminiert. 

Wenn Sie schreiben, dass behauptet würde, „alle Menschen [seien] per Definition rassistisch“ (definiert von wem, der kritischen Rassismustheorie, antirassistischer Politik, Betroffenen?), wird nicht nur implizit Menschsein mit Weißsein gleichgesetzt. Wenn man die Differenz zwischen manifest rassistischem Verhalten und rassistischen und rassifizierenden Strukturen nicht anerkennt, führt das zu genau jenen Verallgemeinerungen, die anderen unterstellt werden.

Das wirft die Frage auf, was eigentlich die Zielrichtung Ihres Beitrags ist. Geht es darum zu zeigen, dass die internationale Rassismusforschung ungeeignete Begriffe verwendet? Warum ist das hier und jetzt wichtig? Oder ist die Kritik an Critical Race Theory ein Aufhänger, um dem Strukturalismus und Poststrukturalismus, der für diese Theorien zentral ist, einmal mehr Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen? Oder soll mit dem Verweis auf nicht näher erläuterte empirische Studien gesagt werden, dass es mit dem Rassismus doch gar nicht so schlimm ist in Deutschland? Und wer genau kann einen solchen Standpunkt überhaupt diskutieren? Wie man es auch dreht und wendet, zum Internationalen Tag gegen Rassismus ist das ein irreführender Beitrag.

Wir würden uns freuen, Sie bei einer der kommenden Veranstaltung zur Diversitätsentwicklung der UdK Berlin kennenzulernen und die Diskussion fortzusetzen.

Henrike Lehnguth
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und designierte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der UdK Berlin

Kathrin Peters
Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur, UdK Berlin


Brief von Philipp Hübl an Henrike Lehnguth und Kathrin Peters (12.4.21)

Liebe Frau Lehnguth, liebe Frau Peters,

Sie haben mit einem offenen Brief meine Kolumne auf Deutschlandfunk Kultur „Struktureller Rassismus: Ein irreführender Begriff“ kommentiert. Daher antworte ich Ihnen ebenfalls öffentlich. Wie der Titel ja sagt, geht es in dem Artikel primär um Begriffe und erst sekundär um die empirischen Fakten. Nirgendwo bezweifle ich, dass es Rassismus gibt. Es geht darum, mit welchen wie weit gefassten Begriffen wir welche Phänomene gut erklären und so dann auch gut bekämpfen können.

In dem Wochenkommentar habe ich drei recht klar definierte, für die empirische Forschung hilfreiche Begriffe verteidigt: Erstens Rassismus als bewusste Abwertung aufgrund der Ethnie oder Hautfarbe. Da sind sich sicherlich alle einig. Zweitens Rassismus als unbewusste oder indirekt abwertende Einstellung. Als Beispiele habe ich Diskriminierung am Wohnungs- und Arbeitsmarkt genannt und für letzteres beispielhaft eine europaweite Studie verlinkt, die das nachweist. Für den Bildungssektor lassen sich vergleichbare Untersuchungen nennen. Drittens institutioneller Rassismus wie das Racial Profiling der Polizei. Man hätte auch das Redlining in den USA, also Diskriminierung bei der Kreditvergabe, nennen können, wie es etwa Daniel James auf Deutschlandfunk tut, der mit seinem Kommentar „Struktureller Rassismus: Verteidigung eines Begriffs“ auf meinen kritisch geantwortet hat.

Fast alle Beispiele, die Sie in ihrem Text anführen, scheinen unter diese drei Begriffe zu fallen, daher könnte es bei unserer Diskussion bloß um einen terminologischen Disput gehen. Aber vielleicht geht es auch um mehr. Sie schreiben, dass „die UdK Berlin derzeit an einer Diversitätsstrategie arbeitet, um strukturellen Rassismus – das ist der von Ihnen beanstandete Begriff – abzubauen.“ Wenn Sie hier mit „strukturell“ sagen wollen, dass es eine Häufung von bewusstem, unbewussten und institutionellen Rassismus gibt, dann fügt das Wort „strukturell“ den klar definierten Begriffen nichts hinzu, außer eben „es gibt zu viel davon“. Da Rassismus immer moralisch falsch ist, gibt es normativ gesehen immer zu viel davon. Daher habe ich im Text geschrieben: Jeder Fall ist einer zu viel.

Sie schreiben „wir werden das Phänomen nicht los, in dem wir die Begriffe, es zu beschreiben, infrage stellen.“ Das sehe ich anders. Wir verstehen das Phänomen erst, wenn wir genaue Begriffe haben.

Ihren Exkurs zu kolonialen Machtverhältnissen fand ich interessant, stimme auch den meisten Punkten zu, sehe aber nicht so recht, was das mit meiner Kolumne zu tun hat. Ich würde Antisemitismus und Rassismus wie in der Sozialpsychologie üblich als zwei Varianten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auffassen. Man kann Antisemitismus auch terminologisch unter „Rassismus“ subsumieren und ihn „kompliziert denken“, wie Sie schreiben (wenn ich Sie richtig verstehe), damit würde man sich aber die Möglichkeit nehmen, die Gemeinsamkeiten zwischen dem klassischen Antisemitismus (der eine stark rassistische Komponente hat), dem israelbezogenen Antisemitismus (den man gerade im linken Lager findet) und dem muslimischen Antisemitismus verwischen.1Deutsche und europäische Studien dazu finden sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf (S. 79 f.); … Mehr anzeigen

Sie schreiben, ich würde suggerieren, dass „das Problem schon (fast) gelöst wäre“. Das habe ich weder gesagt noch angedeutet. Allein wenn 7,2 Prozent der Menschen in Deutschland rassistische Einstellungen haben, wie ich referiere, heißt das, dass mindestens 5,5 Millionen Menschen Rassisten sind. Von einem gelösten Problem kann also überhaupt nicht die Rede sein. Rassismus nimmt ab, und Rassismus ist ein Problem. Beide Teilsätze können gleichzeitig wahr sein. Genau wie Gewalt (sogar seit Jahrhunderten) weltweit abnimmt, aber immer noch nicht verschwunden ist.2Pinker, Steven (2011) The Better Angels of our Nature. The Decline of Violence in History and Its Causes. New York: Allen Lane

Sie schreiben, meine Behauptung sei „falsch“, dass es weniger Rassismus gebe, fügen aber keine Quellen dazu an. Problematisch ist sicher, dass wir die expliziten Einstellungen erst seit 20 Jahren messen, und daher keine perfekten Datensätze vorliegen. Das zeigt, nebenbei bemerkt, übrigens indirekt, dass wir uns als Gesellschaft mehr für Rassismus und Diskriminierung sensibilisiert haben, denn vor 30 oder mehr Jahren gab es weder regelmäßige Erhebungen noch eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes – mit anderen Worten: Der Staat hat Diskriminierung damals offenbar nicht als ernsthaftes Problem angesehen. Neben anderen hat das Aladin El-Mafaalani in seinem Buch „Das Integrationsparadox“ sehr anschaulich beschrieben.3El-Mafaalani, Aladin (2018) Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. Köln: Kiepenheuer & Witsch

Dennoch deuten sehr viele Studien daraufhin, dass Gewalt und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit weltweit in den letzten Jahrzehnten abgenommen haben, wenn auch sicherlich nicht linear. Ronald Inglehart beispielsweise ermittelt mit Kolleginnen und Kollegen in seinem World Value Survey seit etwa 40 Jahren die Werte und Einstellungen der Menschen aller Weltregionen. Über 30.000 Publikationen gehen auf diese Daten zurück. Eine wichtige Erkenntnis ist: so gut wie alle Länder haben zwei progressive Bewegungen vollzogen, die bis heute andauern – von einer streng religiösen zu einer säkularen Gesellschaft und von einer kollektivistischen zu einer individualistischen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (erkennbar an Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus, Abwertung von bis hin zur Todesstrafe für Homosexualität etc.) ist in religiösen und kollektivistischen Ländern im Mittel besonders stark ausgeprägt, in säkular-individualistischen Ländern wie Schweden, Japan, Griechenland und Deutschland hingegen deutlich schwächer, vor allem aber schwächer im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor.4Inglehart, Ronald und Welzel, Christian (2005) Modernization, Cultural Change and Democracy. New York und Cambridge: Cambridge University Press, S. 141 f.; eine detaillierte Diskussion findet sich in … Mehr anzeigen

Die Mitte-Studie ist ein weiterer beispielhafter Datenpunkt: Alle Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind in den letzten 15–20 Jahren zurückgegangen, die meisten haben sich fast halbiert: Rassismus, Sexismus, Abwertung homosexueller Menschen, Antisemitismus (klassisch und israelbezogen), Fremdenfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, und das geschlossene rechte Weltbild. Dass kein Wert über Null liegen sollte, versteht sich von selbst. Sie erwähnen die „Abwertung asylsuchender Menschen“, die bei etwa 50 Prozent liegt. Keine Frage: Auch dieser Wert fällt 50 Prozentpunkte zu hoch aus. Allerdings wird er erst seit neun Jahren erhoben, man hat also keinen Vergleich zum Jahrzehnt davor. Übrigens ist nicht ganz unumstritten, ob man von den Fragen in der Studie tatsächlich auf diese Einstellungen schließen kann. Viele Kritiker, inklusive Claus Kleber in einem ARD-Interview, haben das Problem angesprochen, dass die Ablehnung der Aussage „der Staat sollte bei der Prüfung von Asylanträgen großzügig sein“ in der Studie ein Kriterium für „negative Einstellungen gegenüber Asylsuchenden“ sein soll. Das schreibt Menschen, die meinen, der Staat solle sich exakt nach den Gesetzen richten, und daher die Frage verneinen, negative Einstellungen gegenüber Asylsuchenden zu.

Selbst wenn sich dieses methodische Problem aus der Welt räumen lässt, deuten unabhängig davon andere langfristige Erhebungen auf einen positiven Trend hin. Im Sozialbericht der Bundesregierung werden die Einstellungen der Deutschen zum „Zuzug Schutzsuchender“ seit 30 Jahren ermittelt.5Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland 2018, S. 407 Der Anteil derjenigen, die fordern, dass der Zuzug von Schutzsuchenden ganz unterbunden werden solle (einfach gesagt „der rechte Rand“), nahm in den letzten 25 Jahren von deutlich über 20 Prozent auf deutlich unter 10 Prozent ab. Umgekehrt stieg der Anteil der Leute, die für uneingeschränkt offene Grenzen sind (einfach gesagt „der linke Rand“), von etwa 12 Prozent auf über 25 Prozent. Der Anteil derer, die die Mittelposition eines begrenzten Zuzugs vertraten, verharrte relativ konstant bei etwa 65 Prozent.

Ein zweiter Grund, warum viele die positive Entwicklung falsch einschätzen, ist neben unserer erhöhten Sensibilisierung für Menschenfeindlichkeit der sogenannte „Concept Creep“, also die Begriffserweiterung, um die es mir im Artikel ging.6Levari, David E. et al. (2018) “Prevalence-induced Concept Change in Human Judgment” Science 360(6396): 1465–1467 Besonders deutlich zeigt sich die Begriffserweiterung beim Sprachwandel von Wörtern, die Phänomene bezeichnen, durch die jemand zu Schaden („harm“) kommt, etwa „Missbrauch“, „Mobbing“, „psychische Störung“, „Trauma“, „Sucht“, „Vorurteil“ und eben „Rassismus“, wie Nick Haslam beispielhaft fürs Englische gezeigt hat.7Haslam, Nick (2016) “Concept Creep: Psychology’s Expanding Concepts of Harm and Pathology” Psychological Inquiry 27(1): 1–17

Der dritte Grund für die Fehleinschätzung der Entwicklung ist die Verfügbarkeitsheuristik: Weil wir mehr in den Medien und der Öffentlichkeit über drastische Fälle sprechen, haben wir den Eindruck, es seien auch statistisch mehr geworden. Das ist aber oft ein Irrtum. Der schwedische Statistiker Hans Rosling hat in seiner Forschung gezeigt, dass Menschen glauben, die Welt werde immer schlechter, obwohl sie faktisch fast überall besser geworden ist.8Rosling, Hans (2018) Factfulness. The Reasons We’re Wrong about the World – and why Things are Better than you Think. London: Sceptre, S. 3 f. Besonders Intellektuelle haben einen starken „Negativity Bias“, wie er sagt. Das könnte der tiefere Grund für die oft zu beobachtende Abwehrhaltung gegenüber den Daten sein. Stellt man Probanden Fragen wie „Wie viele Menschen in der Welt haben Zugang zu Elektrizität?“ oder „Wie viele einjährige Kinder weltweit sind gegen eine Krankheit geimpft?“ mit den Optionen „20“, „40“ und „80“ Prozent, so kreuzen die wenigsten „80 Prozent“ an. Das ist aber in beiden Fällen die korrekte Antwort.9mehr hier: https://ourworldindata.org/ Rosling hat in einer Studie 12.000 Teilnehmern aus 14 Ländern insgesamt 12 dieser Fragen gestellt. Nur eine einzige Person hat alle Fragen richtig beantwortet. Im Mittel lagen die Probanden nur in zwei von 12 Fällen richtig, weit unterhalb der Marke, die man durch bloßes Raten hätte erreichen können. Bevor man die Statistiken nicht gesehen hat, ist man in der Tat erst skeptisch, jedenfalls ging es mir so. Interessant dabei ist: Je gebildeter die Versuchspersonen waren, desto schlechter schnitten sie in den Fragen ab. Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgerpreisträger waren in ihrer Einschätzung noch schlechter als Laien.

Sie unterstellen, ich hätte gesagt „die Rede von strukturellem Rassismus beschuldigt … jede weiße Person, manifest rassistische Auffassungen zu haben“. Das ist nicht meine Auffassung. Erstens gibt es einige klar definierte Ansätze, die die Wörter „strukturelle Ungerechtigkeit“ oder „strukturelle Diskriminierung“ verwenden, etwa Elizabeth Anderson in Ihrem Buch The Imperative of Integration oder Sally Haslanger in ihrem Aufsatz „Racism, Ideology, and Social Movements“.10Anderson, Elizabeth (2010) The Imperative of Integration. Princeton: Princeton University Press; Sally Haslanger (2017) „Racism, Ideology, and Social Movements“ Res Philosophica 94, 1 Meiner Ansicht nach kann man diese Redeweisen aber auf die drei obengenannten Begriffe von Rassismus zurückführen.11ähnlich argumentiert Iris Young in Young, Iris (1990) Justice and the Politics of Difference. Princeton: Princeton University Press.

Vor allem aber bezog sich meine Kritik an der Redeweise „struktureller Rassismus“ auf diffuse, weitgefasste Definitionen, die eben nicht analytisch genau oder empirisch überprüfbar von „Macht“, „Hierarchien“, „Stereotypen“, „Normen“ und dergleichen sprechen. Beispielhaft habe ich eine „Extremposition“ angesprochen, von der die öffentliche Debatte „inspiriert“ ist und die unter anderem Robin DiAngelo in ihrem Buch White Fragility vertritt, das sich fast eine Million Mal in den USA verkauft hat. DiAngelo schreibt, jeder und jede Weiße sei ein Rassist/in, um gleich hinzuzufügen, das sei nicht wertend, sondern deskriptiv gemeint.12DiAngelo, Robin (2018) White Fragility. Why is it so Hard for White People to Talk about Racism. Boston: Beacon Press Gleichzeitig behauptet sie, offenbar wertend, Weiße seien „Komplizen“ in einem System von „Autorität“ und „Kontrolle“.

Weitere Beispiele für extrem weitgefasste Definitionen: Ibram X. Kendi schreibt in seinem Buch How to be an Antiracist, ebenfalls auf dem Weg zum Millionenbestseller, Rassismus läge immer dann vor, wenn Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen bestehe, ganz gleich, wie diese zustande gekommen sei.13Kendi, Ibram X. (2017) How to be an Antiracist. New York: One World Ein Rassist sei jeder, der nicht aktiv gegen Ungleichheit vorgehe. Ferner: „Racism itself is institutional, structural, and systemic“. Faktoren, die dazu beitragen, seien „written and unwritten laws, rules, procedures, processes, regulations, and guidelines“. Keith Lawrence und Terry Keleher schreiben in einem im Antirassismus-Training oft zitierten Aufsatz „Structural Racism is … a system of hierarchy and inequity, primarily characterized by white supremacy“. Und Omowale Akintunde hält fest „Racism is a systemic, societal, institutional, omnipresent, and epistemologically embedded phenomenon that pervades every vestige of our reality.“14Akintunde, Omowale (1999) “White Racism, White Supremacy, White Privilege, and the Social Construction of Race: Moving from Modernist to Postmodernist Multiculturalism” Multicultural Education 7, … Mehr anzeigen

Diese beispielhaften Thesen sind nicht auf die US-amerikanischen Diskussion beschränkt, sondern verbreiten sich – wie fast alle Themen – auch in der deutschen. „Struktur“ und „System“ sind darin oft Plastikwörter, die gelehrt klingen, aber so gut wie nie klar definiert sind und daher ominös bleiben.15Pörksen, Uwe (1988) Plastikwörter: Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart: Klett Cotta Der ontologische Status von so unterschiedlichen Entitäten wie Regeln, Gesetzen, Hierarchien, Kontrolle, Ungleichheit und Prozeduren bleibt ebenfalls völlig unklar.16Ein schöner Überblick über weitere verschiedene Extrempositionen oder weite Verwendungen des Begriffs in der US-Debatte findet sich hier: … Mehr anzeigen Man kann selbstverständlich so sprechen, wie ich in der Kolumne ja anmerke, weil niemand ein Patentrecht auf theoretische Begriffe hat. Aber ob diese Redeweise irgendetwas erhellt, halte ich für fraglich.

Sie selbst schreiben in Ihrem offenen Brief: „Strukturen sind schlichtweg größer und mächtiger als jede Einzelne, sie werden von der Sprache getragen, von Narrativen, Mythen und kulturellen Traditionen, von Institutionen (Bildungsinstitutionen, aber auch Familie) und schlagen sich im Alltagshandeln nieder.“

Genau das halte ich für eine diffuse Definition. Erstens müssen es Menschen, also Individuen sein, die Narrative (Geschichten?) erzählen, in Bildungseinrichtungen arbeiten und in Familien leben. Also geht es am Ende um die bewussten und unbewussten Einstellungen von Individuen. Wieder stellt sich die Frage, was an „Strukturellem“ zusätzlich übrigbliebe, würde man die drei obengenannten Formen von bewusstem, unbewusstem und institutionellem Rassismus eliminieren.

Zweitens hat die Rede von „Strukturen“ auch allerlei praktische Konsequenzen sowohl für die wissenschaftliche als auch für die öffentliche Diskussion. Wenn der Rassismus-Begriff weit gefasst ist, verwischt man die mühsam erarbeiteten analytischen Unterschiede, die die quantitativen Sozialwissenschaften für die Forschung benötigen. Davon hängen nämlich unmittelbar die sinnvollen Policy-Maßnahmen der Politik ab. Wenn beispielsweise sowohl unzureichende Sprachkenntnisse als auch Diskriminierung Faktoren sind, die den Bildungserfolg mindern, dann muss der Staat beides tun: Diskriminierung bekämpfen, etwa mit Aufklärung, und Sprachkurse anbieten und ausbauen, anstatt alles unter „strukturelle Diskriminierung“ zu verbuchen. Zudem kann man Strukturen moralisch nicht verantwortlich machen, sondern nur Menschen für ihre Handlungen in diesen „Strukturen“. Mein Eindruck ist sogar: Die Rede von „Strukturen“ entlastet eher von der Verantwortung, denn Menschen können sich jetzt für ihr Handeln herausreden. Ferner entwertet die weite Verwendung von Rassismus den moralischen Vorwurf, der mit der Bezeichnung „Rassist“ einhergeht. Und: Menschen außerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften denken äußerst selten in Kategorien des „Systems“ und der „Struktur“. Viele der etwa 83 Prozent der Menschen in Deutschland, die keinen akademischen Abschluss haben und die akademischen Sprachspiele gar nicht kennen, werden den Vorwurf „Rassismus“ als einen Vorwurf gegenüber dem Charakter verstehen, der verständlicherweise moralisch und emotional extrem aufgeladen ist. Wie Elisabeth Anderson feststellt, führt der begrifflich weit gefasste Vorwurf, der aber eng interpretiert wird, eher zu Trotz, Unverständnis oder schlicht dazu, dass die Menschen das Thema nicht ernst nehmen.17Anderson, Elizabeth (2010) The Imperative of Integration. Princeton: Princeton University Press, S. 48 f.

Sie schreiben von den Vorteilen, die Menschen aus der Mittel- und Oberschicht (oder Mittel- und Oberklasse) haben. Das halte ich wie Sie für ein Gerechtigkeitsproblem. In Deutschland sind Menschen mit Migrationsgeschichte überproportional in den einkommensschwächeren Schichten (oder Klassen) zu finden. Das führt zu etlichen Nachteilen und „Folgekosten“ in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit und in anderen. In Deutschland sind die Bildungs- und die ökonomischen Aufstiegschancen beispielsweise deutlich schlechter als in den meisten OECD-Ländern.18Ein ernüchternder Überblick über die Lage findet sich hier: https://www.bundestag.de/resource/blob/634368/071d34cdd0f392f049f3cc4894f2b61e/WD-9-095-18-pdf-data.pdf Das trifft allerdings alle Menschen unterhalb der Mittelklasse und dabei handelt es sich, wenn man es als Diskriminierung konzeptualisieren will, um eine Diskriminierung aufgrund der Klasse oder sozialen Schicht (was im Grundgesetz übrigens erstaunlicherweise gar nicht als Diskriminierungsgrund genannt ist) und nicht um eine rassistische Diskriminierung, also eine aufgrund der Herkunft oder Ethnie. Ungleichheit ist oft eine Form von Ungerechtigkeit, die immer moralisch falsch ist. Aber nicht jede Ungleichheit, die statistisch überproportional eine Gruppe betrifft, ist eine Ungerechtigkeit und schon gar nicht eine des „strukturellen Rassismus“. Dass für einen Teil der Menschen mit Migrationsgeschichte zusätzlich zu Nachteilen durch Klassenzugehörigkeit außerdem noch rassistische Diskriminierung hinzukommt, macht ihre Situation besonders schwierig. Um das zu ändern, muss man (und vor allem die Politik) aber differenzieren.

Meine Vermutung: Weil „Rassismus“ ein „morally thick concept“ ist, ein Begriff also, der ein deskriptives Element („das und das ist Rassismus“) und ein normatives Element („Rassismus ist moralisch schlecht“) enthält, wollen einige alle Formen der Ungleichheit, die sie für moralisch falsch halten, dem deskriptiven Teil zuordnen, um sie dann moralisch verurteilen zu können. Mit dem Verfahren geht man in gewisser Weise auf Nummer sicher, weil man keine „falschen Negative“ hat, wie die Statistiker sagen, also Fälle von rassistischer Diskriminierung, die man übersieht. Man produziert aber „falsche Positive“, indem man Ungleichheiten, die gar nicht auf Rassismus in den drei genannten Lesarten zurückgehen, als Indikator für Rassismus ansieht. Tatsächlich kann man ungerechte Ungleichheit, die überproportional Menschen mit Migrationsgeschichte trifft, auch unabhängig davon moralisch kritisieren. Dafür muss man in jedem Fall beim Output (Ungleichheit) ansetzen, um dann den Input genauer zu untersuchen. Und da hilft ein diffuser Begriff, wie gesagt, nicht weiter.

Sie behaupten, ich würde „implizit Menschsein mit Weißsein“ gleichsetzen. Das ist eine starke Unterstellung, die an eine Verleumdung grenzt. Sie gibt in keiner Weise meine Auffassung wieder. Ich bezog mich auf Ansätze, die behaupten, alle Menschen (jeder Hautfarbe und Herkunft) seien Rassisten, weil sie Stereotype über andere Gruppen kennen würden (oder nach ihnen urteilten), beziehungsweise noch weiter gefasst: weil sie im höchst umstrittenen Implicit Association Test (IAT) nicht neutral abschnitten. Aber in der Tat fehlte da im Text ein Halbsatz, der den Anschluss zu den Stereotypen eindeutig herstellt, sodass man auch denken konnte, ich bezöge mich auf die weiter oben referierte Extremposition.

In den USA wird dieselbe Debatte natürlich viel ausführlicher geführt. Wie es der Zufall so will, hat John McWhorter vor wenigen Tagen einen Essay zu exakt demselben Thema mit exakt denselben Beispielen, Problemen und Argumenten wie in meiner Kolumne veröffentlicht. Das führt mich zu Ihrer Frage „Wer genau kann einen solchen Standpunkt überhaupt diskutieren?“. Meine Antwort lautet: Jede oder jeder, am besten mit empirischen Studien und klaren Begriffen.

Ihre Fragen und der erkenntnistheoretische Relativismus, der dabei vielleicht mitschwingt, bringen mich zum letzten Punkt. So gerne ich, wie man sieht, über Begriffsfragen ausführlich diskutiere, ist es doch befremdlich, dass Sie mit einem offenen Brief auf eine Kolumne reagiert haben, anstatt mich direkt anzuschreiben. Niemand wird nach kritischen Texten zur Willensfreiheit, Molekularbiologie oder zum Dreißigjährigen Krieg aufgefordert, auf einen offenen Brief zu antworten. Ich habe es getan, weil die Vorwürfe im Raum standen.

Ihr Vorgehen sendet aber das falsche Signal, vor allem an die Studentinnen und Studenten der UdK, die jetzt den Eindruck bekommen müssen, die Universität sei nicht der Ort des freien Austauschs von Argumenten und Ideen, sondern vielmehr ein Ort, an dem eine (scheinbar?) abweichende Positionen dazu führt, dass man sich coram publico verteidigen muss.

So wichtig Diversität der Biographien ist, für die wir uns alle einsetzen, die Diversität der Theorien und Argumente darf man dafür nicht opfern, auch wenn man glaubt, für eine gute Sache zu streiten. Aber vielleicht trägt unsere kleine Unterhaltung dazu bei, das Feld der Standpunkte zu erweitern oder gar neu zu bestellen.

Mit besten Grüßen

Philipp Hübl

Referenzen

Referenzen
1 Deutsche und europäische Studien dazu finden sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf (S. 79 f.); https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/269248/antisemitismus-bei-muslimen; https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2017-antisemitism-update-2006-2016_en.pdf
2 Pinker, Steven (2011) The Better Angels of our Nature. The Decline of Violence in History and Its Causes. New York: Allen Lane
3 El-Mafaalani, Aladin (2018) Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. Köln: Kiepenheuer & Witsch
4 Inglehart, Ronald und Welzel, Christian (2005) Modernization, Cultural Change and Democracy. New York und Cambridge: Cambridge University Press, S. 141 f.; eine detaillierte Diskussion findet sich in Hübl, Philipp (2019) Die aufgeregte Gesellschaft. Wie Emotionen unsere Werte prägen und die Polarisierung verstärken. München: C. Bertelsmann, S. 133 f.
5 Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland 2018, S. 407
6 Levari, David E. et al. (2018) “Prevalence-induced Concept Change in Human Judgment” Science 360(6396): 1465–1467
7 Haslam, Nick (2016) “Concept Creep: Psychology’s Expanding Concepts of Harm and Pathology” Psychological Inquiry 27(1): 1–17
8 Rosling, Hans (2018) Factfulness. The Reasons We’re Wrong about the World – and why Things are Better than you Think. London: Sceptre, S. 3 f.
9 mehr hier: https://ourworldindata.org/
10 Anderson, Elizabeth (2010) The Imperative of Integration. Princeton: Princeton University Press; Sally Haslanger (2017) „Racism, Ideology, and Social Movements“ Res Philosophica 94, 1
11 ähnlich argumentiert Iris Young in Young, Iris (1990) Justice and the Politics of Difference. Princeton: Princeton University Press.
12 DiAngelo, Robin (2018) White Fragility. Why is it so Hard for White People to Talk about Racism. Boston: Beacon Press
13 Kendi, Ibram X. (2017) How to be an Antiracist. New York: One World
14 Akintunde, Omowale (1999) “White Racism, White Supremacy, White Privilege, and the Social Construction of Race: Moving from Modernist to Postmodernist Multiculturalism” Multicultural Education 7, 2: 1
15 Pörksen, Uwe (1988) Plastikwörter: Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart: Klett Cotta
16 Ein schöner Überblick über weitere verschiedene Extrempositionen oder weite Verwendungen des Begriffs in der US-Debatte findet sich hier: https://edition.cnn.com/2020/06/20/us/racist-google-question-blake/index.html
17 Anderson, Elizabeth (2010) The Imperative of Integration. Princeton: Princeton University Press, S. 48 f.
18 Ein ernüchternder Überblick über die Lage findet sich hier: https://www.bundestag.de/resource/blob/634368/071d34cdd0f392f049f3cc4894f2b61e/WD-9-095-18-pdf-data.pdf


Brief von Henrike Lehnguth und Kathrin Peters an Philipp Hübl (14.4.21)

„That life is complicated may seem a banal expression of the obvious, but it is nonetheless a profound theoretical statement – perhaps the most important theoretical statement of our time.” (Avery Gordon)

Lieber Herr Hübl,

Ihre Antwort, die ja nicht nur die Länge unseres Kommentars, sondern auch die Ihrer ursprünglichen Kolumne übertrifft, hat einige Missverständlichkeiten der Kolumne ausgeräumt. Für die unvorbereitete Hörerin konnte es zunächst so klingen, als ob nicht nur „struktureller“ Rassismus für Sie ein Unding sei, sondern das Vorkommen von Rassismus überhaupt überbewertet würde. Das dem nicht so ist, haben Sie klargestellt, insbesondere auch im Gespräch mit Daniel James.

Über die Studien, die Sie nennen, lässt sich endlos debattieren, und Sie führen ja auch die Schwierigkeiten von Fragestellungen, Kategorien und Datenauswertungen, das Problem der Repräsentativität befragter Gruppen und der sozialen Erwünschtheit von Antworten an. Quantitative Erhebungen sind wichtig, aber ihre Ergebnisse eben auch alles andere als evident, weil sie auf historischen Begriffen und auf Vorannahmen beruhen, die immer wieder befragt werden müssen. Weil die grundsätzliche Faktizität von Rassismus außer Frage steht, geht es uns vor allem um die matters of concern, um die Dinge, die uns betreffen.1Bruno Latour: Das Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang, Berlin/Zürich 2007 Es liegt wohl auf der Hand, dass Rassismus für uns alle von größerem Belang ist als der Dreißigjährige Krieg, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben. Auch an der UdK Berlin kommen rassistische Rede und Handlungen vor, an denen im Lehrzusammenhang zum Beispiel kein Anstoß genommen wird, weil sie gar nicht wahrgenommen oder als normal, im Sinne von üblich, abgewehrt werden.2Adela Lovric: Amplifying the Unheard Voices: A Statement & Conversation With Sarah Herfurth & Dalís Pacheco, 2021 https://criticaldiversity.udk-berlin.de/amplifying-the-unheard-voices/; … Mehr anzeigen Wodurch ist denn ein unconscious bias, der sich hier zeigt, begründet? Was macht überhaupt aus, was wahrnehmbar ist? Auch die Frage nach dem wissenschaftlichen und künstlerischen Kanon, der häufig ausschließlich weiße Perspektiven umfasst (damit ist nicht die Hautfarbe der Autor*innen / Künstler*innen gemeint) und der zugleich perpetuiert, was als relevant betrachtet wird und was nicht, muss gestellt werden.3Siehe die Schweizerische Studie: Philippe Saner, Sophie Vögele und Pauline Vessely: Art.School.Differences. Researching Inequalities and Normativities in the Field of Higher Art Education, … Mehr anzeigen Wir wüssten nicht, wie das besser zu nennen wäre als „strukturell“.4Bezeichnet werden damit, grob gesagt, unausgesprochene Normen und Regeln. Wir halten uns unter anderem an Michel Foucault, Gayatri Spivak und Judith Butler, mit denen das Verhältnis von Strukturen … Mehr anzeigen Dass Sie Struktur, System und Norm zu „Plastikwörter“ erklären – eine Formulierung, die man leicht selbst für das halten könnte, was sie zu beschreiben sucht –, ist natürlich eine Provokation für ganze Bereiche der Kultur- und Geisteswissenschaft, im Übrigen auch der Soziologie und Ethnologie. Welche Kulturtheorie stützt sich nicht in der ein andere Weise auf ein Konzept von Struktur?5Für einen Überblick: Stephan Moebius, Dirk Quadflieg (H.): Kultur.Theorien der Gegenwart, Wiesbaden (2. Auf.) 2011; Philipp Sarasin: Fast Forward. Kulturtheorien und Kulturkonzepte im Überblick, … Mehr anzeigen Für uns wiederum ist eine positivistische und anthropozentrische Position analytisch nicht viel versprechend. Wie sollten wir Produktion in den Künsten auch verstehen, ohne die Eigenlogik von Medien und Materialität, ohne die Bedeutung kultureller Repräsentationen und ohne verkörpertes Wissen anzuerkennen? Aber egal mit welcher Definitionshoheit man welche Begriffe klassifizieren möchte, wäre es auch möglich, einer Wendung, selbst wenn man sie falsch oder auch nur jargonhaft findet, nicht zu widersprechen, weil man um deren enorme Bedeutung für Betroffene und Aktivist*innen weiß, deren Anliegen man ja prinzipiell unterstützt.

Verbleiben wir doch so: Let’s agree to disagree. Und so teilen wir auch Ihre Einschätzung, wir hätten Sie direkt anschreiben sollen, anstatt einen offenen Brief zu formulieren, nicht. Sie haben mit ihrer Kolumne im DLF ihre Meinung sehr öffentlich dargelegt – und zwar als Gastprofessor der UdK Berlin. Vor diesem Hintergrund und weil es uns ein Anliegen ist, Menschen innerhalb und außerhalb der UdK Berlin wissen zu lassen, dass Ihre Meinung zu strukturellem Rassismus nicht stillschweigend geteilt wird, haben wir die Form des offenen Briefs gewählt. Warum sollte eine Pluralität von Argumenten, für die die Universität ohne Zweifel einsteht, eher gesichert sein, wenn wir unsere Position nicht dargelegt hätten? Mit Widerspruch muss schließlich immer gerechnet werden.

Abschließend möchten wir Sie einladen, sich mit der Jerusalem Declaration On Antisemitism, zu befassen, die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde. Ihre Einteilung in klassischen, israelbezogenen und muslimischen Antisemitismus – in der Muslim*innen als einzige Personengruppe herausgegriffen werden –, kommt dort nicht vor. Die Jerusalem Declaration geht einen anderen Weg, unter anderem indem sie Antisemitismus in den größeren Kontext von Rassismus stellt und verdeutlicht, dass faktenbasierte Kritik an Israel als Staat nicht per se antisemitisch ist.

Beste Grüße

Henrike Lehnguth
Kathrin Peters

Referenzen

Referenzen
1 Bruno Latour: Das Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang, Berlin/Zürich 2007
2 Adela Lovric: Amplifying the Unheard Voices: A Statement & Conversation With Sarah Herfurth & Dalís Pacheco, 2021 https://criticaldiversity.udk-berlin.de/amplifying-the-unheard-voices/; https://exitracismudk.wordpress.com/
3 Siehe die Schweizerische Studie: Philippe Saner, Sophie Vögele und Pauline Vessely: Art.School.Differences. Researching Inequalities and Normativities in the Field of Higher Art Education, Schlussbericht (2016) https://blog.zhdk.ch/artschooldifferences/schlussbericht;
4 Bezeichnet werden damit, grob gesagt, unausgesprochene Normen und Regeln. Wir halten uns unter anderem an Michel Foucault, Gayatri Spivak und Judith Butler, mit denen das Verhältnis von Strukturen bzw. Diskursordnungen und Handlungsfähigkeit gedacht werden kann.
5 Für einen Überblick: Stephan Moebius, Dirk Quadflieg (H.): Kultur.Theorien der Gegenwart, Wiesbaden (2. Auf.) 2011; Philipp Sarasin: Fast Forward. Kulturtheorien und Kulturkonzepte im Überblick, in: Thomas Forrer, Angelika Linke (Hg.): Wo ist Kultur? Perspektiven der Kulturanalyse, Zürich 2011 https://www.ciando.com/img/books/extract/3728135984_lp.pdf

Dass es um Diversität im Film schlecht bestellt ist, ist keine Neuigkeit. Bereits seit den 1970er Jahren wird für mehr Frauen hinter der Kamera gekämpft, nicht zuletzt, damit auch andere Bilder von Frauen vor der Kamera entstehen. Diese Forderung steht nach wie vor und immer wieder auf der Agenda, aber mittlerweile geht es um noch viel mehr: Um die Repräsentation einer (post)migrantischen Gesellschaft im deutschen Film. Darüber haben sich Katharina Lüdin und Kathrin Peters mit Pary El-Qalqili und Biene Pilavci, Filmemacherinnen und Gründerinnen der Initiative NichtmeinTatort, und Tatjana Turanskyj, Filmemacherin und Mitbegründerin von Pro Quote Regie, unterhalten.

Katharina Lüdin studiert Narrativer Film an der UdK Berlin und ist Vorsitzende des StuPa-Ausschusses für Gleichstellung und Soziales. Kathrin Peters ist Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur und Vorsitzende der Kommission für Chancengleichheit an der UdK Berlin. Das Gespräch fand am 29.01.21 virtuell statt.

Nachtrag: Am 18.9.2021 ist Tatjana Turanskyj nach schwerer Krankheit gestorben. Kathrin Peters hat für die Zeitschrift Cargo einen Nachruf auf die hochgeschätzte Freundin und Kollegin verfasst: https://www.cargo-film.de/film/nachruf/tatjana-turanskyj/

KATHRIN PETERS

Tatjana, du bist Autorin, Regisseurin, Aktivistin, Produzentin und seit Oktober auch Professorin an der HfG Offenbach für Film … 

TATJANA TURANSKYJ

… aber ich würde gerne „digitale Autor*innenschaft“ dazu sagen, um den digitalen Raum zu erobern und on- und offline durch die Räume zu schweben …

KATHRIN PETERS

… außerdem hast du eine lange Geschichte im Bereich Performance und Theater. Nach dem Studium der Soziologie, Theater- und Literaturwissenschaft hast du mit Einar Schleef gearbeitet, Hangover LTD und die OK-GIRL$ Gallery mitbegründet. Deine Filmarbeit begann mit Eine flexible Frau von 2010. Eine flexible Frau ist der Beginn einer Trilogie zu Frauen und Arbeit. Der zweite Teil ist Topgirl oder la déformation professionnelle von 2014.

Filmstill „Eine flexible Frau“
Filmstill „Top Girl“

Tatjana Turanskyj

Bevor ich Filmemacherin wurde, ist meine Arbeit in kollektiver Zusammenarbeit entstanden. Das wollte ich irgendwann nicht mehr, weil wir uns einfach künstlerisch nicht mehr vertraut haben. Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen mit Marita Neher (2017) war dann wieder eine tolle Erfahrung, ein Trip, würde ich sagen. Dazu beigetragen haben auch die Schauspielerinnen Nina Kronjäger und Anna Schmidt, die Kamerafrau Kathrin Krottentahler, der Tonmann Matthias Gauerke, der Choreograf Sven Seeger und die Tänzer und die Köchin in Griechenland, die unerkannt sein will. Das war ein echter gelungener kollektiver Prozess, der diesen Namen auch verdient.

KATHRIN PETERS

Neben deiner feministischen Filmarbeit hast du feministische Filmpolitikarbeit betrieben. Du hat Pro Quote Regie mitbegründet.

TATJANA TURANSKYJ

2013 haben wir angefangen zu recherchieren, wie Filmförderung vergeben wird, wer Regieaufträge vom Fernsehen bekommt. Studien gab es ja nicht. 2014 haben wir Pro Quote Regie auf der Berlinale 2014 initiiert. Dann sind wir mit unseren Zahlen an die Öffentlichkeit gegangen.

KATHRIN PETERS

Woran arbeitest du jetzt?

TATJANA TURANSKYJ

Ich bin jetzt damit beschäftigt meine Professur künstlerisch auszugestalten. Außerdem möchte ich den dritten Teil der Trilogie fertig stellen. Das Projekt heißt Corporate und dabei verlasse ich mich wieder auf mich selber und meine erprobte Arbeitsweise.

KATHRIN PETERS

„Auf sich selbst verlassen“ ist ein wichtiges Stichwort. Biene, du hast an der DFFB Regie studiert, vorher hast du zwei Ausbildungen abgeschlossen: Malerin und Lackiererin und Kauffrau.

BIENE PILAVCI

Genau.

KATHRIN PETERS

Dein Film, Alleine Tanzen, ein Dokumentarfilm von 2012, mit dem du unter anderem den wichtigsten Filmpreis in der Türkei, den des Filmfestivals von Antalya gewonnen hast, handelt von Familie. 2013 hast du in Chronik einer Revolte – Ein Jahr Istanbul ein Film über die Sehnsucht nach einer Demokratie gemacht. Jetzt arbeitest du an einer Sex and Crime-Serie, Macht der Lakaien,und bist Stipendiatin des Berliner Senats für Kunst und Europa.

Filmstill „Chronik einer Revolte“
Filmstill „Macht der Lakaien“

Zusammen mit Pary El-Qalqili hast du NichtmeinTatort gegründet. Als es zum fünfzigsten Jubiläum von Tatort hieß, der Fernsehkrimi sie immer „nah dran an der Lebenswirklichkeit“ gewesen, habt Ihr das zum Anlass genommen zu fragen: Wie nah an der Lebenswirklichkeit einer (post)migrantischen Gesellschaft ist der Tatort wirklich? Ihr fordert mehr Gendergleichstellung und Diversitätsbewusstsein. Als NichtmeinTatort habt ihr kürzlich zwei Offene Brief geschrieben, auf die wir gleich zu sprechen kommen.

Pary, auch du bist Autorin und Regisseurin. Zunächst hast du Kulturwissenschaft in Frankfurt/Oder studiert, dann Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Dein Film Schildkrötenwut von 2012 erzählt von der Rückkehr deines Vaters nach Palästina. Die Beziehung zu deinem Vater wird eine politische Geschichte von Exil- und Zugehörigkeitsfragen. Der Film hat mehrere Preise bekommen und es gab politische Schwierigkeiten bei der Förderung …

PARY EL-QALQILI

… die deutschen Sender haben nicht zugelassen, dass eine Förderung aus Doha mit an Bord ist, mit dem Argument, ein Film über Israel/Palästina dürfe nicht von arabischer Seite gefördert sein.

KATHRIN PETERs

 Derzeit arbeitest du, Pary, an einem politischen Coming of Age-Film, Still I Rise.

Filmstill „Schildkrötenwut“
Filmstill „Schildkrötenwut“

KATHARINA LÜDIN

Biene und Pary, ihr habt Offene Briefe an Arte und ans ZDF geschrieben, in denen ihr auf die strukturelle Benachteiligung von weiblichen Filmschaffenden aufmerksam macht. Ihr habt bestimmte Maßnahme verbindlich gefordert, wie die 50/50 Gender-Quote, ein jährliches Gender-Monitoring und gleichberechtigte Teilhabe von weiblichen Filmemacherinnen, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind. Viele Einzelpersonen haben diese Briefe mitgezeichnet, aber auch Verbände und Kollektive. Was war der auslösende Moment? Gab es eine Initialzündung? Das alles ist ja schon lange Thema, aber gab es den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Sodass klar war: Jetzt müssen wir das machen?

BIENE PILAVCI

Der Offene Brief an Arte entstand, weil der Arte-Wettbewerb „Regisseurin gesucht“, der im letzten Oktober ausgeschrieben wurde, förmlich schrie: „widersprich mir!“ Er war so unterirdisch, dass ich mich einfach dagegen verhalten musste. Arte verlangte, dass Filmemacherinnen fertige Filme einreichen, die Gewinnerin sollte einen Entwicklungsvertrag erhalten, nicht einmal die garantierte Produktion und Ausstrahlung! Als dann Pary um die Ecke kam mit dem Vorschlag einen Offenen Brief zu schreiben, war die Umsetzung nur noch eine Formsache. Anders als Pary hatte ich noch nie einen Offenen Brief geschrieben und konnte gar nicht einschätzen, was da auf mich zukam. Zunächst haben wir zwei Wochen lang, gefühlt 24/7 und mit Kleinkind in Quarantäne Unterschriften gesammelt. Da sind fast 600 Unterschriften zusammengekommen, darunter 30 von Filmverbänden. Die Unterzeichnenden waren ja alle aus der Filmbranche, das heißt, alle brachten eine gewisse Expertise mit. Im persönlichen Austausch war die Empörung sehr deutlich.

PARY EL-QALQILI

Wir sind beide Regisseurinnen, und kämpfen darum, unsere nächsten Filme zu machen. Wenn wir dann eine solche Ausschreibung lesen, „Regisseurin gesucht“, ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Wir versuchen permanent, Gespräche mit Redakteur*innen zu führen. Wir schicken unsere Stoffe zu den Sendern und bekommen kurze oder monatelang gar keine Antworten. Oder wir haben unangenehme Gespräche auf Co-Production-Markets, wo unsere Stoffe abgelehnt und nicht als wichtig wahrgenommen werden. Wenn dann ein Sender versucht, mit so einem lächerlichen Wettbewerb nach außen hin für Gendergerechtigkeit einzutreten, ist das schon empörend. Zumal noch unter solchen Produktionsbedingungen: Da hätten ja die Regisseurinnen auf eigene Kosten neue Kurzfilme herstellen und nur die Gewinnerin hätte dann einen Vertrag bekommen sollen. Selbst wenn die Sender versuchen, mehr Frauen Regie führen zu lassen, sind solche Wettbewerbe das falsche Instrument. Biene und ich waren auch über Tatjana schon Monate zuvor mit Pro Quote beschäftigt gewesen und uns war klar, dass die Quote ein wichtiges filmpolitisches Instrument ist. Aber dieser Wettbewerb hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass die Quote wahrscheinlich das einzige Instrument ist, um tatsächlich Gendergleichstellung umzusetzen.      

KATHARINA LÜDIN

Die Reaktionen der Sender auf diese Briefe waren ja doch unterschiedlich. Ihr habt verbindliche Maßnahmen gefordert. Zuerst kam die Reaktion von Arte, im Dezember hat auch ein Gespräch stattgefunden. Danach kam eine Antwort vom ZDF. Arte hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt. Wie zufrieden seid ihr mit diesen Reaktionen? Wird ein Fortschritt erkennbar oder ist das eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

BIENE PILAVCI

Arte hat unter den gegebenen Umständen, also in einem sehr kurzen Zeitraum, sein Bestmöglichstes getan. Die Wettbewerbsausschreibung war ja bereits medial aufgegriffen worden. Um Schaden zu begrenzen, blieb Arte nichts anderes übrig, als sofort zu reagieren. Eigentlich gehört der Sender zu den „Guten“ in der Branche, ein europäischer Kulturkanal mit Vorbildfunktion, der das qualitativ hochwertigste Fernsehprogramm bietet und der sich nach außen hin gerne mit Offenheit und Progressivität schmückt. Hätte sich ein Privatsender so einen Wettbewerb ausgedacht, wäre die Empörung wahrscheinlich weniger drastisch ausgefallen. Dass aus Artes Sicht etwas falsch oder missverstanden worden sei, zeigt, wie unreflektiert die Verantwortlichen bei Arte sind. Es gab bald ein Gespräch mit einer Art Delegation, bestehend aus der Regisseurin Esther Gronenborn, der Filmemacherin und Schauspielerin Sheri Hagen, der Produzentin Alexandra Krampe sowie mit Pary und mir. Generell war die Gesprächsatmosphäre recht offen und freundlich, wir konnten unsere Forderungen unmissverständlich vorbringen. Was wir am Ende der eineinhalbstündigen Besprechung erreicht haben, ist: ein jährliches und transparentes Gender-Monitoring und Gender-Budgeting, beides. Es werden verpflichtende Anti-Bias-Fortbildungen für Arte-Redakteur*innen stattfinden. Des Weiteren wurde der Wettbewerb modifiziert, der sogenannte weibliche Themenbezug ist komplett weggefallen, und es dürfen auch Filme eingereicht werden, die bereits produziert worden sind, deren Auswertung aber noch aussteht. Die Worte Quote haben die Arte-Teilnehmenden nicht in den Mund genommen. Sie nennen es Parität. Arte legt beim nächsten Produzent*innen-Treffen einen Schwerpunkt auf Geschlechtergerechtigkeit. Ein Viertel der Produktionsfirmen, die Arte für den Produzent*innentag einladen wird, sollen Firmen sein, mit denen der Sender noch nicht gearbeitet hat und die zudem hauptsächlich von Frauen geführt werden. Ich finde, an dieser Stelle hat sich Arte ein wenig verraten – denn sonst werden wohl zu solchen Veranstaltungen nur Leute geladen, die sich bereits kennen, womit derartige Treffen eigentlich schon wieder obsolet wären.

Beim ZDF war alles ganz anders. Weil das ZDF und die ARD Arte mit Inhalten beliefern, mussten wir auch an das ZDF einen kritischen Brief mit unseren Forderungen formulieren. ZDFs Reaktion war jedoch ein Schlag in die Magengrube. Der Intendant persönlich, Dr. Thomas Bellut, hat uns geantwortet. Ich kann nur vermuten, dass Bellut sich der Problematik nicht bewusst war, denn der Brief ist durchtränkt von einem realitätsfernen Hochmut. Bellut hat sogar die Chuzpe, voller Stolz drei Regisseurinnen beim Namen zu nennen, die vom ZDF vermeintlich gefördert werden, weil sie Rosamunde Pilcher inszenieren dürfen. Wenn in einen Brief läppische drei Namen passen, dann heißt das, dass eben nur die Drei gefördert werden – nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Und das nennt Bellut dann Frauenförderung oder Genderförderung. Gemessen an den Fakten (zum Beispiel die Studie Genderlupe der Filmförderanstalt), sollte sich jedoch das ZDF schämen, dass es nur diese drei Regisseurinnen vorbringen kann. Denn Regisseur*innen, Kamerafrauen*, Autor*innen, Produzent*innen werden hier systematisch benachteiligt. Die Sache ist, dass wir Frauen und FLINTA* keine Förderung, sondern Gleichberechtigung wollen.

PARY EL-QALQILI

Ob die sich in den Sendern ihres Gender Bias’ bewusst sind oder nicht – nach außen treten sie natürlich so auf, als ob sie sich für Gendergerechtigkeit einsetzen würden. Die würden ja niemals sagen „nein, wir fördern bewusst keine Frauen“. Aber das bedeutet nicht, dass sie wirklich für strukturelle Gleichberechtigung sind.    

KATHARINA LÜDIN

Dazu noch ein Gedanke: Pro Quote Film verweist auf einen Vortrag von Skadi Loist zu Diversitätsstandards des Britischen Filminstituts von 2018. Das Britische Filminstitut hat targets formuliert. Von „Quote“ sprechen sie nicht, sie verwenden laut Loist „target“ als positiven Begriff für Inklusion. Das sind Förderkriterien, vergleichbar mit der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, aber noch strenger: 50/50 Gender, 20% Black, Asian and Minority Ethnic, 9% LGBT und 7% Menschen mit Behinderung. Nur wenn zwei Punkte eingehalten oder erfüllt sind, werden Produktionen überhaupt gefördert. Das ist also die Mindestanforderung. Bei vier oder mehr erfüllten Kriterien gibt es noch extra Punkte für „good practice“. Wieso funktioniert das in UK? Warum kämpfen wir in Deutschland erfolglos? „Erfolglos“ ist falsch, aber ich habe schon das Gefühl, dass es hier viel zäher ist. Allein das Bewusstsein, dass Programmkonferenzen oder auch Fördergremien paritätisch besetzt werden sollten – und zwar nicht nur auf Gender, sondern auch auf Intersektionalität bezogen –, fehlt. Solange das so ist, wird sich in den einzelnen Sendern und auch am Programm nichts nachhaltig verändern. Ich frage mich, woran es liegt, dass das in UK offensichtlich schneller geht.

TATJANA TURANSKYJ

Wir kämpfen ja nicht seit gestern, sondern eigentlich seit über 50 Jahren. Angefangen hat das mit Helke Sander und der Zeitschrift Frauen und Film beziehungsweise der zweiten Frauenbewegung. Helke Sander, die die Zeitschrift mitbegründet hat, war Filmfrau und Feministin. Sie hat auch Kinderläden gegründet und wundert sich heute mit 80, dass sich nichts geändert hat. Angela McRobbie, die Kulturwissenschaftleirn, hat einiges dazu geschrieben, warum es so ist, wie es ist. Ich muss sagen, dass alles, was in dem Brief an Arte steht, wir auch schon geschrieben haben. Wir, also Pro Quote Regie, wir mussten Studien erkämpfen, um überhaupt Zahlen zu Geschlechtergerechtigkeit vorliegen zu haben. Die Studien sind ja auf Druck von Pro Quote Regie entstanden und nicht vom Himmel gefallen. Eigentlich haben wir nur erreicht, dass ein Bewusstsein entsteht, und jetzt wurden Veränderungen erreicht. NichtmeinTatort musste kommen, eine neue Sprecherinnenposition entstehen, die Pary und Biene einnehmen.

PARY EL-QALQILI

Es ist wichtig, was Tatjana sagt. Biene und ich haben im Endeffekt nur die Pro-Quote-Forderung aufgenommen. Wir standen im ganz engen Austausch mit Barbara Teufel und Tatjana Turanskyj, weil wir uns auch absichern wollten: Ist das der richtige Schritt, jetzt mit den Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen? Beide haben sofort gesagt: „Genau so, macht das“. Sie haben uns total empowered, das so rauszuschicken.

Katharina, du hattest ja gefragt, weswegen in Großbritannien der BFI-Standards eingeführt werden konnte. In Deutschland gibt es einen institutionellen und strukturellen Rassismus im Kunst- und Kulturbetrieb und damit auch in der Filmbranche. Die wichtigen Positionen sind mehrheitlich weiß besetzt: Entscheidungsträger*innen in Fördergremien und Sendern sind mehrheitlich weiße cis Männer, oder, leider, Frauen, die in einem patriarchalen System verortet sind und oft abwertend über die Quote denken. In Deutschland gibt es immer noch kein Verständnis dafür, dass eine diverse Gesellschaft etwas positives ist. Es gibt verhärtete Strukturen, und die Abwehr gegen das vermeintlich Andere ist stark. Biene und ich haben ein Gespräch mit Helge Albers von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein geführt. Er hat erläutert, dass sie die BFI-Standards angeschaut und überlegt haben, wie sie diese auf den deutschen Kontext übertragen könnten. Was in Deutschland aber ein Tabu ist, ist die Zählung. Es gibt Kritik daran, Menschen mit Migrationshintergrund zahlenmäßig zu erfassen, weil der Begriff „Migrationshintergrund“ nicht alle diejenigen einschließt, die von Rassismus betroffen sind, aber schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben. Welche Kategorien sind für den deutschen Kontext adäquat? Das ist einfach noch nicht geklärt.

KATHRIN PETERS

Auch in Großbritannien gibt es Sexismus und Rassismus, aber im Vergleich zu Deutschland haben die Stimmen der Betroffenen ein anderes Gewicht und finden mehr Gehör. Großbritannien versteht sich als postmigrantische Gesellschaft und hat sich mit seiner Kolonialgeschichte befasst. Das ist hier anders.

Ich würde gerne noch einmal darauf zurückkommen, dass die Verantwortlichen in den Sendern offenbar gar nicht merken, dass sie ständig Einreichungen und Anfragen von Frauen erhalten. Sie denken, sie müssten die Arbeit von Frauen erst entdecken. Das ist eine bemerkenswerte Fehlwahrnehmung. Tatjana hat das als Wiederholungsschleife beschreiben: Man muss immer wieder von vorne anfangen mit der Forderung nach Repräsentation. Vor 50 Jahren Frauen und Film, vor 10 Jahren Pro Quote Film und jetzt werden wieder dieselben Forderungen erhoben.

TATJANA TURANSKYJ

Ja, warum tut sich die Film- und Förderlandschaft so schwer mit Gender- und Diversity-Standards? Da sind konservative, nicht transparente Kräfte am Werk, die sich und ihre Privilegien bedroht fühlen. Vielleicht schafft es die nächste Generation, die postmigrantische Generation, wenn Deutschland nicht mehr so weiß ist, Veränderungen durchzusetzen.

PARY EL-QALQILI

Es gibt von der Filmförderanstalt die Studie „Gender und Film“. Die analysiert, dass Regisseurinnen weniger Kompetenz und an Leistungsfähigkeit zugetraut wird. Damit hängt zusammen, dass Regisseurinnen immer noch weniger Budget für ihre Filme bekommen als männliche Kollegen. Jüngeren männlichen Regie-Kollegen wird schon relativ schnell nach der Filmhochschule ein hochbudgetierter Film zugetraut, während sich Regisseurinnen über mehrere unbedeutende Formate erst einmal hocharbeiten und beweisen müssen, damit sie irgendwann ein höheres Budget bekommen. Pro Quote Film hat zu den Stereotypisierung von Frauen hinter der Kamera gearbeitet. Die Gründerinnen von Pro Quote waren diejenigen, die überhaupt erst eingefordert haben, dass es Erhebungen gibt zur Teilhabe von Regisseurinnen. Die jährlichen Diversitätsberichte, aber auch die FFA-Studie haben wir der Initiative von Pro Quote Film zu verdanken.

BIENE PILAVCI

Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind sehr hierarchisch aufgestellt. Ich habe den Eindruck, dass sie in ihrer eigenen Wohlstands-Bubble stecken. Die Redaktionsebene ist das gut bezahlte Fußvolk und da sind tatsächlich zahlreiche Redakteurinnen vertreten. Meiner Beobachtung nach sind sie, wie alle anderen, in patriarchalen Strukturen sozialisiert worden und tragen bewusst oder unbewusst auch starke Vorbehalte gegenüber anderen Personengruppen in sich. Sie meinen, eine solidarische Haltung gegenüber anderen Frauen zu haben. Ja, sie solidarisieren sich teilweise mit Frauen, aber aus welchen Gruppen? Gleich und gleich gesellt sich gern. Ich sehe nicht, dass (post)migrantische oder diasporische Frauen eine Chance bekommen. Bei diesem Auftaktgespräch mit Arte nahmen auch Abteilungsleiterinnen teil. Eine berichtete ausgiebig von ihren tollen Taten, ihren Projekten, ihren Zahlen. Aber wir hatten Dank crew united, dem deutschsprachigen Filmnetzwerk, die aktuellen Zahlen und die stehen für sich. Wir mussten wirklich intervenieren, weil die geschönten Zahlen von Arte nicht haltbar waren. Solange bei Arte und den anderen Sendern keine selbstreflexiven Frauen auf der Entscheidungsebene mitwirken, kann sich auch nichts Grundlegendes ändern. Die Geschichte würde sich nur wiederholen: Weiße alte Cis-Frauen würden weiße Cis-Frauen fördern …
Auf der anderen Seite hat sich in den letzten 50 Jahren einiges getan – vor und hinter der Kamera. Fassbinder hat noch Filme über uns gemacht. Mittlerweile machen wir, wenn wir gelassen werden, selbstbestimmte Filme über uns. Es werden auch Redakteur*innen kommen, die Postmigrant*innen sind oder in der Diaspora leben. Aber es dauert. Einen sicheren Job gibt man ja auch nicht gerne ab. Die Verantwortlichen müssten erst in Pension gehen, bevor Leute nachrücken können. Beziehungsweise, es braucht einfach eine andere Personalpolitik.

KATHRIN PETERS

Du hast Recht, Biene. Ich beobachte an mir selbst durchaus die Dynamik, die ich bei anderen ankreide, dass ich dazu tendieren, mich für Leute aus dem eigenen Milieu einzusetzen. Daher ist die Selbstbeobachtung des eigenen Bias so wichtig.

Ich würden gerne auf die historische Ebene zurückkommen. Tatjana hat es schon erwähnt, 1974 ist die Frauen und Film gegründet worden, die ja bis heute besteht. Dann entstanden die ersten Frauenfilm-Festivals in den 1980er Jahren. Feministische Künstlerinnen organisierten Ausstellungen wie Kunst mit Eigen-Sinnin Wien. Was ich an diesen Bezügen so wichtig finde, ist, dass es nicht nur um zahlenmäßige Repräsentation ging, sondern darum, den Kunst- und Filmbegriff zu verschieben. Perspektiven, die im Film- oder Kunstbetrieb nur an den Rändern vorkamen, sollten in den Mittelpunkt gerückt werden. In der bildenden Kunst wurden von feministischen Künstlerinnen ganze Gattungen hinterfragt. Denn in der Malerei oder der Bildhauerei als Frau in den 1970er Jahren reüssieren zu wollen, das wäre ein geradezu absurdes Unterfangen gewesen. Video, Performance und Fotografie waren und sind gerade für Künstlerinnen hingegen wichtige Medien. Man muss in diesem Sinne die ganze ästhetische Produktionsweise in Frage stellen, um eine Veränderung hervorzubringen. Wie wichtig ist für euch die Frage nach anderen Filmen?

BIENE PILAVCI

Ich denke, man muss sich anschauen, wer entscheidet. Wer sind die Geldgeber, und wie denken Geldgeber. Sie denken in Gewinnmargen. Man muss sie dort packen und das Potential eines diversen Casts und diverser Crews in den Vordergrund stellen. Ganz im Sinne von Netflix und Co.: „Die Klickzahlen bestätigen dies.“ Oder anders gesagt: Die aktuellen FFA-Zahlen belegen, dass in den letzten Jahren immer mehr und mehr Geld in deutsche Filme, „deutsche Geschichten“, deutsche Produktionen gesteckt wurden. Aber die Zuschauenden zahlen an der Kinokasse für andere Filme, für nichtdeutsche Produktionen. Warum ist das so? Weil eben im deutschen Kino das läuft, was die weiße Mehrheitsgesellschaft schon in- und auswendig kennt. Marginalisierte Personengruppen kennen den deutschen Film auch schon ziemlich gut. Das heißt, es müssen neue Perspektiven und Formen her. Es gibt ja Geld, es muss nur anders verteilt werden. Es nützt nichts, noch und noch mehr Geld in das immer Selbe zu pumpen. Das ist Wahnsinn! Also: (Post)migrantische und black Filmemacher*innen of color könnten den deutschen Filmkanon interessant machen und nachhaltig prägen. Pary sagt immer, Gerechtigkeit ist das eigentliche Argument.

PARY EL-QALQILI

Ja, Biene und ich hatten da natürlich Diskussionen, weil Biene über den Markt argumentiert und sagt, es sei im Interesse des Markts, diverser zu werden. Also ganz pragmatisch. Und ich argumentiere auf der Rechte-Ebene, dass es unser Grundrecht ist mitzugestalten. Aber du, Kathrin, hast gefragt, wie man die Produktionsverhältnisse ändern kann.

KATHRIN PETERS

Ich argumentiere auf der ästhetischen Ebene.

PARY EL-QALQILI

Die Frage ist, inwiefern klassische Erzählstrukturen überhaupt Brüche zulassen, oder ob die nicht immer nur wiederholen, was uns weder intellektuell noch emotional-affektiv weiterbringt. Daran arbeitet ja Tatjana: die Form aufzubrechen und andere Formen zu finden. Das ist in den jetzigen Förderstrukturen fast nicht möglich. Es gibt eine Experimentalfilm-Förderung beim Medienboard und es gibt ein schätzenswertes, aber auch kleines Künstlerinnenprogramm des Berliner Senats. Aber in den anderen Förderungen ist nicht verankert, dass erwünscht ist, jenseits des Dreiakters zu erzählen, dass auch Risiken eingegangen werden sollen. Ich glaube, dass einerseits eine Grundsicherung für Künstlerinnen und Filmemacherinnen wichtig ist, also ähnlich wie in Frankreich, damit man nicht in ein Prekariat abgeschoben wird. Da wären wir auch schon beim nächsten Thema, class: Wer kann es sich überhaupt leisten, Filme zu machen und insbesondere in Kinofilme Zeit zu investieren und Stoffe fürs Kino zu entwickeln. Das können nur Menschen, die aus privilegierten Familien kommen und darüber eine Absicherung haben.

KATHRIN PETERS

Das stimmt. Ich insistiere noch einmal mit der Frage nach Form und Ästhetik. Wenn wir für zahlenmäßige Repräsentation bestimmter Gruppen eintreten, dann kommt die Antwort vom ZDF, sie hätten ja gerade eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung an eine Regisseurin vergeben. Die Antwort ist ja gar nicht unpassend. Sie erscheint uns nur deswegen falsch, weil wir etwas anderes meinen: Es geht um mehr als um Zahlen, nämlich um Stoffe und Perspektiven. Wenn ein weißer Hetero-Kitsch nun von Frauen gedreht wird, ist nichts gewonnen. Tatjana, deine Filme sind ja nun wirklich Filme, die sich ganz klar auf weibliche Erfahrungen, auf weibliche Lebens- und Arbeitsformen beziehen – sowohl inhaltlich als auch in der narrativen Struktur. Weibliche Körper bekommen unheimlich viel Raum in deinen Filmen, als agierende Körper. Es geht ins Obszöne, ins Theatrale, ins Alberne … oder alles zugleich, wenn Julia Hummer zum Beispiel in Top Girl vor Casterinnen performt und die Rolle, um die es geht, schon gar nicht mehr haben will.

TATJANA TURANSKYJ

Aus dem Grund habe ich eine eigene Produktionsfirma gegründet – um unabhängig zu sein. Ich kann nur allen Leuten empfehlen, dies zu tun, weil das zum Beispiel bedeutet, bei der Filmförderung einreichen zu können, unabhängig zu produzieren. Die Filmförderung, die wir jetzt haben, vor allem übrigens die kulturelle BKM-Förderung [Filmförderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Medien], ist eine Kontrollförderung und außerdem völlig intransparent. Papas Kino ist schon tot, und Mamas Kino muss auch sterben. Da ist alles in Bewegung und deshalb spreche ich von digitaler Autor*innenschaft. Biene, du hast in deinem Vortrag an der HfG Offenbach neulich davon gesprochen, dass Kino etwas anderes als Film ist.  

BIENE PILAVCI

Kino ist ja nicht nur ein Film, den man auf der Leinwand sieht, sondern Kino ist ja etwas, das passiert, etwas Lebendiges. Der Film wird auf die Leinwand projiziert und die Töne umgeben uns durch die Soundanlage. Das ist sozusagen die Fläche, ich nenne sie A. Mit meinen Augen und Ohren nehme ich die audiovisuellen Reize wahr, die im Hirn ankommen, das ist dann B. Schließlich gibt es eine chemische Reaktion in diesem geschlossenen Raum, das ist dann C …

TATJANA TURANSKYJ

… das ist der Film.

BIENE PILAVCI

Die Sehhörung in einem geschützten Raum, gemeinsam mit anderen – in meiner Vorstellung mit einem Idealpublikum aus einander unbekannten, jedoch gleichgesinnten Menschen – das ist der Film. Das Kinoerlebnis, eine Erfahrung.

TATJANA TURANSKYJ

Man könnte das Kino retten, wenn man wollte. Aber das widerspricht dem Markt, wie du argumentierst, Biene, den Marktverhältnissen. Dass Film nur mit zwei Millionen, ach Quatsch, was sag ich da – das ist ja Low Budget! –, mit fünf Millionen Euro gemacht werden kann, wie soll das amortisiert werden? Wie soll das gehen? Ich würde vorschlagen, das Kino zu schützen, indem man es auf die Weltkulturerbeliste setzt. Dadurch wäre es geschützt und niemand muss noch durch diese Administrationshölle gehen, um einen Film zu machen.     

KATHRIN PETERS

Aber ich kenne eure Filme doch. Irgendwoher gibt es also Geld.

TATJANA TURANSKYJ

Meine Filme sind deshalb gefördert worden, weil man nicht mehr drum herumkommen konnte, sie zu fördern. Es macht sich gut, einen – aber eben nur einen – feministischen Film zu fördern. Aber natürlich mit wenig Geld! Ich war froh, dass ich meine Filme überhaupt machen konnte oder durfte …

BIENE PILAVCI

Zunächst kann ich Tatjana nur beipflichten. Kino als Weltkulturerbe zu deklarieren, wäre für alle hilfreich und könnte das Kino langfristig vor seinem Untergang wahren. In Anbetracht der Tatsache, dass wir in einem neoliberalen System leben, klingt in meinen Ohren Tatjanas Idee mit der Weltkulturerbe viel realistischer als die, das System reformieren zu können.

Parallel zu Macht der Lakaien arbeite ich gerade auch an Nackt – ein Film über Selbstbestimmung anhand eines Castings. Das ist, wofür ich das Senats-Stipendium erhalten habe. Dieses Stipendium ist eine Anschubfinanzierung, um ein gutes Finanzierungspackage zu schnüren. Aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Film durch das Raster der Finanzierungsoptionen fliegen könnte, weil Nackt ein hybrider Essayfilm ist, das heißt, er ist dokumentarisch und fiktional, aber nicht experimentell. Für solche Stoffe gibt es keine Schublade in Deutschland. Ein weiser und weißer, alter Mann hat mal gesagt, „Kunst in Kategorien einzuteilen, ist ein Widerspruch in sich und zutiefst deutsch.“ Naja, oder so ähnlich. Wie wollen wir denn neue Formen finden, wenn es dafür keine Bereitschaft zur Finanzierung gibt? Ein Deutschland ohne Schubladen – das wünsche ich mir.

TATJANA TURANSKYJ

Ganz genau.

BIENE PILAVCI

Der Deal ist: „Wir Gönner geben euch Künstlern ein bisschen was in die Hand und ihr geht uns dann nicht mehr auf den Sack.“ Wir bekommen alle gerade mal so viel, dass wir unsere Filme auf kleiner Flamme umsetzen können und dabei wird auch noch Dankbarkeit von uns erwartet. Aber davon leben können die wenigsten Autorenfilmer*innen. Und ob sich jemand auf diese Weise künstlerisch weiterentwickeln kann, ist auch zu bezweifeln. Der große Batzen wird unter den üblichen Verdächtigen aufgeteilt. Und argumentiert wird das Ganze mit, dass Arbeitsplätze geschaffen würden. Ernsthaft! Es geht also nicht um Inhalte und Filmkunst, sondern um Arbeitsplätze! Als ob Autorenfilmer*innen mit mehr Budget nicht nur auch Arbeitsplätze schaffen würden, sondern imstande wären, die Wirtschaftsdarlehen zurück zu bezahlen.

KATHRIN PETERS

Ihr tretet ein für verschiedene Arten des Verhältnisses von Frauen und Film, so habe ich das jetzt verstanden. Biene dafür, dass auch Frauen an der Filmindustrie teilhaben. Wenn es aber um ein feministisches Argument geht, finde ich, steht auch zur Debatte, wer wie gezeigt wird, welche Perspektiven Raum finden, wem Gehör verschafft wird. Es geht auch um Formfragen.

BIENE PILAVCI

Ich selbst bin meine erste Zuschauerin. Ich gehe daher von mir aus, bei dem, was ich gerne auf der Leinwand oder vor dem heimischen Bildschirm sehen möchte. Ich interessiere mich für viele Themen und Sachverhalte, aber eben aus meiner, einer intersektionalen Perspektive. Im Übrigen denke ich, dass auch weiße Cis-Menschen sich für meine Perspektive interessieren könnten, da jene weißen Cis-Menschen, Verteter*innen der Dominanzgesellschaft, auch ihrer Perspektive überdrüssig sind und das vermeintlich Andere sehen wollen. Auch wenn ich mir nicht anmaßen will, mich in eine*n Zuschauer*in hineinversetzen zu können, merke ich im persönlichen Austausch mit weißen Cis-Kolleg*innen und weißen Cis-Freund*innen, dass da ein großer Wissensdurst herrscht.

Mir persönlich geht es nicht darum, meine Arbeit in einen (film)politischen und ästhetischen Kontext zu setzen. Dass dies trotzdem geschieht, liegt in der Natur der Sache. Da unser aller politische Haltung – auch deren Negierung – Teil unserer Sozialisierung und Lebensrealität ist, tragen wir diese Haltung selbstverständlich in einen Schaffensprozess hinein. Bei der Rezeption nehmen wir dies auch entsprechend wahr.

Mir geht es zwar darum, grundlegendste Konditionen des Filmemachens und Filmesehens in Frage zu stellen. Aber nicht aufgrund eines selbstauferlegten Prinzips, sondern weil ich durch die Filmbranche damit unmittelbar konfrontiert bin und darunter sogar leide. Dieses Gefühl der großen Ungerechtigkeiten und ein konstruktiver Umgang damit fließen mittlerweile ganz natürlich in meine Arbeiten hinein.

PARY EL-QALQILI

Wir wollen nicht nur Teilhabe am System, eigentlich wollen wir, dass sich das System ändert. Aber, wie?

KATHRIN PETERS

Tatjana, wir waren vor ein paar Jahren bei einer Pro-Quote-Veranstaltung und haben festgestellt, dass dort ein bestimmter Mainstream-Feminismus verteidigt wurde. Es schien das Ziel zu sein, überall mitzumachen, aber nicht, Fragen nach Form oder Format zu stellen. Ich finde das durchaus legitim, aber es ist nicht mein Einsatz. Ich denke, uns allen geht es doch im Sinne des queer-feministischen, des antirassistischen Films um mehr als darum, beim Bestehenden mitzumischen. Sowohl die Frauenförderung als auch die Diversity-Politik arbeiten mit der Hoffnung, dass, wenn Leute mit verschiedenen Biografien und Erfahrungswelten mitmachen, sich schon von selbst etwas ändert, künstlerisch, also in Erzählungen, Darstellungen, Bildern oder Dramaturgien. Aber da bin ich skeptisch.

TATJANA TURANSKYJ

Ja, das bezweifle ich auch.

KATHARINA LÜDIN

Ich glaube nach wie vor, dass, wenn in Head of Department-Positionen in Regie, Produktion oder Kamerafunktion etc. FLINT-Personen oder BIPoC verantwortlich sind, dass diese Filme diversere Perspektiven bekommen. Doch, das glaube ich schon. Dass das nicht mit jeder weißen cis Frau automatisch passiert, ist klar.

TATJANA TURANSKYJ

Katharina, entschuldige, dass ich dich unterbreche, alleine vom Head of Department zu sprechen, das ist schon Institution, das ist schon falsch.

KATHARINA LÜDIN

Wieso falsch?

KATHRIN PETERS

Vielleicht, weil man die Strukturen damit reproduziert, wenn man in diesen Kategorien denkt. Tatjana, du hast betont, dass es dir um Kooperation geht, Film als kooperative Praxis …

TATJANA TURANSKYJ

… genau.

KATHARINA LÜDIN

Ich möchte diesen Punkt zu Ende führen, weil es immer oder noch eine Weile Filme geben wird, die in diesem System arbeiten. Egal, ob wir jetzt persönlich als Autor*innenfilmende oder in Kollektiven arbeiten, oder wie auch immer wir unsere Arbeit gestalten, es wird trotzdem noch eine Weile diese Filme geben, weil Filmschulen stark auf Department-Trennung hin schulen. Bei uns an der UdK gibt’s diese Trennung nicht, an der HFBK Hamburg, wo ich vorher studiert habe, auch nicht. Darüber bin ich froh. Aber an Filmhochschulen gibt es sie. Ich sag’s deshalb nochmal: Wenn ein*e Regisseur*in, Kameraperson, Produzent*in eine Person ist, die auf der intersektionalen Ebene eine Mehrfachdiskriminierung mitbringt – beispielsweise eine Schwarze Frau oder nichtbinäre Person oder eine Person mit Behinderung –, dann wird sich die Erzählperspektive ändern und damit auch ein Blick auf Gesellschaft. Das wäre meine These oder meine Hoffnung, dass sich der Film zwar nicht unbedingt sofort in der Form, aber zumindest in der Repräsentation von Figuren ändert. Wenn ich fernsehe, halte ich die stereotype Darstellung von Personen, die nicht cis, weiß, hetero sind, kaum aus. Das hat definitiv damit zu tun, dass die Person, die den Film gedreht hat, eine weiße cis Person ist, beispielsweise. Menschen, die einer Ethnisierung unterliegen, werden ganz bestimmt klischeehaft dargestellt. Das Gleiche passiert mit einer homosexuellen oder trans Person, einfach weil die Personen, die für Regie, Buch oder Kostüm etc. verantwortlich waren, kein ausreichendes Bewusstsein haben. Es könnte ja auch mal eine nichtweiße oder trans Protagonist*in geben, die sich in einer Erzählung mit etwas anderem beschäftigen darf als ausschließlich mit ihrer Diskriminierungserfahrung. Das kann auch eine Realität verändern, wenn diese Person ganz unabhängig von ihren Merkmalen in der Geschichte auftritt. Darum geht es mir.

PARY EL-QALQILI

Genau, bei dieser Repräsentationsfrage haben wir auch angesetzt mit NichtmeinTatort zum Beispiel. In der ganzen Auseinandersetzung haben wir aber gemerkt, dass es nicht nur um Repräsentation gehen kann, solange sich am Gerüst dieses wirkungsmächtigen Formats Tatort nichts ändert. Da kannst du nochmal versuchen, eine Figur unkonventionell zu erzählen, es wird trotzdem kein Film werden, der dir irgendwie einen größeren intellektuellen oder emotionalen, affektiven Gewinn verschafft. Ich glaube, die Repräsentationsebene alleine ist nicht die Lösung des Problems. Da setzen wir natürlich filmpolitisch an, in der Hoffnung, dass sich durch die Veränderung des Zugangs zum Filmmarkt etwas ändert. Aber alleine das kann es nicht sein. Wie Tatjana gesagt hat: Wenn der Prozess des Films anders gestaltet ist, wenn es Raum dafür gibt, dass dort andere Formen der Hierarchie oder keine Hierarchien stattfinden, kann das Auswirkung für den Film haben. Solche Prozesse sind ja noch nicht damit gelöst einzufordern, dass es eine andere Form der Beteiligung vor und hinter der Kamera gibt. Machtverhältnisse können sich auch dann widerspiegeln. Das wäre eine Selbstkritik an uns, an NichtmeinTatort. Wir haben einen Faden aufgenommen, aber die Kritik müsste eigentlich über diese ganze Repräsentationsebene hinausgehen. Unsere Forderungen mit NichtmeinTatort ist auch nicht gelöst, wenn auf einmal 50 Prozent der Drehbücher von Autorinnen geschrieben oder Regisseurinnen gedreht werden. Eigentlich wollen wir keinen Tatort machen und uns nicht mit Ermittlerinnen identifizieren.

KATHRIN PETERS

Ich bin durchaus dafür, dass viele Frauen Tatort machen. Ich denke auch beim Tatort gelingt manchmal etwas. Aber man muss natürlich mit diesem Genre umgehen wollen.

KATHARINA LÜDIN

Ja, diese Hierarchien sind sowieso das eigentliche Problem, oder eines der Probleme: die Aufrechterhaltung eines Systems. Wer bestimmt die Stimmung am Set, wer traut sich, die Stimme zu erheben? Wir müssen auf diverse und sensibilisierte Besetzung achten, wenn noch nicht mal das Bewusstsein da ist, dass Frauen weniger privilegiert sind als Männer, dass Schwarze Menschen weniger privilegiert sind als weiße und dass Menschen ohne Behinderung privilegierter sind als Menschen mit Behinderung. Ich glaube schon, dass deswegen eine breite Repräsentation ohne Stereotype im Fernsehen und diverse Positionen hinter der Kamera wichtig sind.

PARY EL-QALQILI

Gegen Stereotype ankämpfen ist ein Problem in sich, weil man es auf der Folie der Stereotypen, gegen die man ankämpfen möchte, tut. Die Frage ist, inwiefern man sich auch durch alternative Darstellung davon befreien kann …

KATHARINA LÜDIN

… weil das nur in dem Rahmen gelesen wird, in dem wir denken …

PARY EL-QALQILI

… genau. Du hast es nicht gelöst, wenn du einen Schwarzen Arzt als Figur in einem Tatort einsetzt.

KATHRIN PETERS

Der Punkt wäre doch, dass das Schwarzsein des Arztes nicht thematisiert wüirde, sondern dass er einfach ein Arzt ist.

BIENE PILAVCI

Es geht auch darum, dass das deutsche Fernsehen eine Affinität für Krimis und Polizeiserien hat. Bei diesen Krimis sollen sich die Zuschauende mit den Polizist*innen identifizieren. Ich kam und komme bei verschiedenen Gelegenheiten auch mit der Exekutive und Judikative in Berührung. Ihr könnt mir glauben, ich habe absolut kein Bedürfnis, mich mit Kriminalist*innen zu identifizieren. Warum hat die weiße Dominanzgesellschaft ein Bedürfnis nach, ich nenne es mal, Beschützerserien? Solange die TV-Beamt*innen munter Fälle lösen, kann die Welt nicht ganz so upgefuckt sein? In dieser Logik würde dann niemand, solange sich alle in ihrem Bettchen beschützt wähnen, auf die Barrikaden gehen? Oder, weil die Welt da draußen böse und kalt ist, will ich mir vor dem Fernsehen eine Auszeit gönnen und keine Weltprobleme lösen, sondern das lieber die Ermittler*innen machen lassen? Da wären wir bei der Frage, was wir vom Film erwarten können? In einem Zeit-Interview hat ein Tatort-Drehbuchautor ganz unverhohlen gesagt, dass das Fernsehen ein Nebenbei-Medium sei, er schreibe die Bücher so, dass nebenher noch gearbeitet oder Bier geholt werden könne. Dafür ist der Tatort also gut genug? Dafür verballern die Tatort-Redaktionen das höchste Budget im deutschen Fernsehen? Um nebenher angeguckt zu werden? Als GEZ-Gebührenzahlerin finde ich das inakzeptabel. Als Filmemacherin erwarte ich definitiv mehr von einem Film, auch im deutschen Fernsehen, als nebenher konsumierbar zu sein.                    

KATHRIN PETERS

Ja, das sind eigentlich gar keine Detektivfilme, sagen wir, in der Tradition der Film Noir. Das ist einfach deutsche Polizei. Wobei die Dynamik von Tatort sicherlich auch aus der Serialität entsteht. Aber ich möchte eine historische Perspektive auf das Fernsehen richten: Das war ja nicht immer so. Das Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre in der BRD hat seinen Bildungsauftrag ernst genommen. Der WDR zum Beispiel hat viel ermöglicht. Unter dem Druck der Einschaltquoten und der Privatsender hat sich das verändert. Fernsehen ist durchaus ein interessantes Medium, nur, in der Form, in die es geraten ist, ist es das nicht mehr. Aber gerade weil es zu einem Nebenbei-Medium wird, könnte das Fernsehen etwas auszuprobieren …

BIENE PILAVCI

… unbedingt.

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

Three months into the global pandemic, during the already heavy and politically tense month of June 2020, groups of UdK students started gathering to speak up about the racial injustices within the university. At the time, the Black Lives Matter movement that set off in the US after the brutal murder of George Floyd on May 25 had already sent a powerful ripple effect across Europe. The so-called “silent protests” happened in all major cities, including Berlin, where two peaceful anti-racism “demos” on May 30 and June 7 filled the streets.

Shortly after, on June 11, the students hung protest banners from the windows of the UdK building in Hardenbergstraße in support of the movement. The banners were removed and stolen overnight, which left students “shocked by the disinterest and lack of solidarity on the part of the teachers” (as stated in the open letter by the #exitracismudk organizers) concerning the incident and their ongoing anti-racist work. The growing dissatisfaction culminated in a protest in July during the UdK Rundgand which revealed disturbing levels of racist discrimination in the university through a displayed collection of student reports.

The BLM movement’s breakthrough impact was – and still is – felt worldwide. At UdK, mainly thanks to the organized work of students, racism and the needed structural changes are now being talked about more than before, but not yet meaningfully acted upon. However, in a 300-year-old institution counting about 4 000 members, changes won’t happen overnight, or over a few months, or even years. For them to be happening at all in the long run, the July 2020 protest and the students‘ work before and after laid out some necessary blueprints.

In the open letter #exitracismUDK which was part of the protest, the students demanded “to study at a university that recognizes their structural barriers and discrimination, resolutely and sustainably tackles them, and unitedly supports diversity-oriented and anti-racist organizational development.” They called for “the university management to support and expand existing structures, groups, and actors critical of discrimination, financially and structurally.” 

To understand how the situation developed since then and how it might influence further progress, I asked four of the involved students to reflect on the events and their own thoughts and feelings. The interviews were conducted in December 2020. The answers are anonymized to protect the individuals, as well as to emphasize that the protest was a collective endeavor aiming to raise awareness of racism and incite transformation in the direction of social justice, anti-discrimination, and decolonization.

How were your demands received by the university so far? Has anybody from the UdK officials reached out yet? Were there any promises made? If yes – are any of these promises fulfilled or in progress?

→ The most positive responses came from outside of the university.  At UdK, many didn’t even know about the protest. Some professors signed the petition and very few reached out to us. Maybe the others didn’t know whom to reach.

→ I heard from others from the protest’s organizational group that we were mentioned in an Instagram post, which said that the Rundgang went well and there were some interesting protests about climate change and racism. I heard of two anti-racism workshops, but they were just for a small group of people.

What has been achieved with this protest? Not just in terms of how the demands were met or not, but in a broader sense. Do you think it triggered anything? If yes – what? Was it all worth it?

→ I think two things were happening. First, there were really productive specific demands by AG Intersectional Antidiscrimination that could be implemented very soon. On this front, from what I know, the school’s administration hasn’t done much or only implemented small changes. But the second aspect, something probably all protests carry in them, was that it pushed issues that need sustained attention to the front. This is about influencing a discourse. And I think it’s difficult to identify how much weight one action has on this, but it’s certain to me that it had some. Structures that have been building up for centuries can’t be changed over one summer. So everybody, and especially the “unmarked” people in the respective power structures, has to stay alert, has to keep pushing for change. Critique is not a one-off thing, it has to be part of an everyday life practice. I think the protest has made that very clear and has shown that this school is in dire need of such practice. In this sense, I believe it has been very successful. Whether it was worth it is something I can’t answer. I am very grateful it happened, and I’m sure it had a positive impact on the discourse within the school, but it’s up to the mostly female and/or queer BIPoCs who were in the front line, who carried this protest, to tell whether it was worth it.

→ In terms of the perpetrators of toxic structures, I don’t think the protest changed anything. I don’t think it even generated enough pressure to do that. They just get away easily. But on the optimistic side, and this is the only hope I see, a lot of students and others approached me to say – this is really cool what you’re doing.  Among our generation, there were a lot of positive reactions. Interflugs wanted to do panel discussions. It was somewhat inspiring for some people and I think that can have a long-term effect. Maybe someone will come again and do it better than we did sometime in the future, but I don’t think anything will change at all. Nothing was really done until this point. Things like anti-racist workshops are just another cosmetic change. A workshop is the smallest change you can make and it’s the easiest thing you can do. You have this one time and then it’s out of the way, and you can always refer in the next five years to this workshop that happened even though it’s impossible to prove whether the workshop actually had results. So, the workshop is a rhetorical defense strategy of proving that something has been done although nothing has been done. It’s kind of an alibi.

Rundgang usually ends with the closing and certainly involves emotions, but it is incomparable to the emotional and affective labor that was invested by the students before, during, and after the Rundgang 2020 protest. Some people have had a difficult few months afterward and are still recovering emotionally, so the work hasn’t stopped yet. Can you relate to this and talk about invisible labor? How much work this protest was actually, and still is, up until today? 

→ How the situation unfolded and the emotional labor it required was the worst. It’s a painful process. In any form of activism, you must get used to people telling you that what you’re doing is no good and you should stop doing it and be ashamed for doing it in the first place. They’re going to find ways of convincing you of this and really getting under your skin. It will be like that anyway. And you can get very stressed about it, it’s not a nine-to-five job. You’re not going to get away from this emotional payment, it’s going to be there for sure. But there should be some moments in which you reach out to each other. Ultimately, many people were doing that. However, there should also be moments when you have these conversations collectively; meetings where you talk about how you feel as a group and discuss any doubts that might have occurred. That just never happened and I think that’s what is needed. But when I got into this, I didn’t even think it would get that far. I didn’t come with expectations that we will change anything. I think this is a very big misconception that many people have when they go into activist work, they think they will be alive and there to see the fruits of their labor, but it’s really not like that. Don’t expect that much if you want to be an activist. You’re not doing this for a sense of success.

→ The problem is that, for people who don’t suffer from structural violence as an everyday experience, the more they want to look away, they can. Sometimes they will misunderstand their attention to a problem as a charitable act of fixing somebody else’s problem and not as fighting a system one is always already a part of. As a white person who was somewhat involved in the antiracist protest, I’m in danger of misunderstanding a situation like that. I was exhausted, but I was not a fraction as exhausted as my BIPoC-friends. On a personal level, I tried to give the assistance I could, but it’s clear that it hasn’t taken the same toll on me and that the aftermath hasn’t been as long for me as it was for some of my friends. I can also only assume how the invisible labor for my BIPoC-friends often means staying nice and accommodating while watching their white friends processing racist realities they were never forced to deal with. Here I think it’s every white person’s task to keep learning, even after the hype is over, but to do so on terms that don’t put further work on the shoulders of people who have to live with racist violence directed towards them every day. Do your own research, talk to fellow white people about ways to deal with your own racist socialization, things like that.

Looking back on the protest with today’s perspective – what were the issues, and what do you wish had been done better or differently? What is important to pay attention to when working collectively for a social change? 

→ The protest was a process as democratic as it could have been. I don’t think we could have done it differently, but we definitely should have. I think the first steps to do something like this are to acknowledge that we are a heterogeneous group of people with different traumas and discrimination experiences, talk about how we want to work together, and how we want to speak to each other. The group needs to split responsibilities and not put a lot of mental pressure on a few individuals. If we want to work together, we have to raise our sensitivities.

→ One of the main issues is fear. People on the payroll of the university are scared of losing their jobs and won’t say anything. I have spoken to some professors about it, and they have been very supportive, much more than they were publicly. I don’t think it’s disingenuous; I just think that some lecturers without permanent employment are scared of losing their jobs or getting bullied. They’re not in the position to help. The only people that can really do something are students. It’s the students who have the best chances of saying their truth, being heard, and creating this kind of movement. But amongst students, there is a lot of fear as well. Some fear that there will be consequences because their professors disagree. Ultimately some risks must be taken, and many have taken them. You need to stand strong in solidarity and have a sense of collective energy, not of your singular position inside it. You have to have trust and rely on each other. What I would definitely do better is the final part of the process when the action takes place. This must be discussed more thoroughly so that everyone is on the same page and we all understand that we are going to take a huge risk together. The strategy for that moment and some kind of emotional support of each other should be planned before. I also had the feeling that, in the end, everyone was tired and kind of annoyed. You always see this kind of mentality when you work voluntarily for a cause when, all of a sudden, people realize that they have more important things to do and everybody should be happy that they helped at all because they’re not even getting paid for this. That’s the moment when things go wrong because somebody else who is also not getting paid for it, who already has enough on their plate, has to finish it.

→ I wasn’t really in the center of the organizational part, so I can only report as a bystander. I think for me, it has become clear on what precarious grounds self-organization is materializing. The meetings in the weeks before the protest were a real practice in basic democracy; everybody was invited to participate. And that’s hard work. I think this society does not necessarily prepare one for more democracy, so every time we find ourselves in positions where we are able to make more self-determined decisions, it’s also always a process of reflecting on one’s own limitations and learned behavior. Personally, this experience has inspired me to read up on theories and histories of past and present revolutionary movements. I think it’s important to understand oneself as participating in a history of people who have voiced dissent on how things are. People who have tried to find ways to establish relationships built on solidarity and equality and not on competition and artificial scarcity of resources. The more we study our revolutionary predecessors, the better we are prepared to find contemporary solutions on how to organize resistance in a fucked up world.

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During the last tumultuous year, the echoes of the Black Lives Matter movement found intense resonance within the UdK. Primarily it was the students who collectivized to speak up about the injustices in their study environment and beyond. Sarah Naira Herfurth and Dalís Pacheco, two of the students who have been working laboriously on the demands and strategies for a proper engagement with intersectional anti-discrimination work at the university, talked to us about their work and the progress so far.

The interview was conducted in December 2020. It is a follow-up to our latest podcast episode, in which Dalís Pacheco presents the statement she wrote and recorded in July 2020 based on the students‘ demands, and as a reflection on the responses to the related conversations in the university.

Sarah Naira Herfurth studies Architecture at the UdK as well as African Art History at the FU Berlin. She is active in various student groups, always pursuing approaches pertaining to intersectionality, diversity, and anti-discrimination. At present, she is an active member of I.D.AStuPa, the Committee for Intercultural Diversity, Anti-Discrimination and Empowerment, and the AG Critical Diversity. Until recently, she functioned as the student representative at AStA’s Anti-Discrimination and Intercultural Affairs Department. Furthermore, she was involved in policy matters within the Klasse Klima and the AG Klima. In the department of architecture, she is a member of the student council. She initiated the AG Intersectional Anti-Discrimination with the aim to gather all UdK student-led initiatives working on the same matter in order to draw up a cohesive strategy, including a list of demands addressed to the UdK administration.

Dalís Pacheco is an interdisciplinary artist and student from Peru, based in Berlin, pursuing her degree at the UdK Medienhaus. She is an active member of Interflugs, StuPa, the Committee for Intercultural Diversity, Anti-Discrimination and Empowerment, as well as the AG Intersectional Anti-Discrimination.

ADELA LOVRIĆ

Can you tell us about the context in which your statement was created? 

DALÍS PACHECO

We have been part of the StuPa since 2019 and progressively working around anti-discrimination topics. When the Black Lives Matter movement started this year, we felt the need to say something openly, to show solidarity, and call for awareness, also of the local issues. We presented another previous statement in the StuPa meeting in July 2020 that the UdK president attended. We asked some questions to understand how the university was positioning itself around this topic.

After that first approach, we realized how we needed to structure our work to see some progress. That first statement brought many student initiatives together, but we recognized that it was difficult to work due to the lack of bridges between us, there are different group initiatives as well as personal efforts from different faculties and generations. That is how the AG Intersectional Anti-Discrimination started – as an emergency group for initiatives such as Interflugs, I.D.A, AStA, and the student councils to communicate better. It is becoming a meeting ground, a network, and a community to channel our ideas, concerns, feelings, and to support each other. But, on the other hand, we realized that the StuPa is a space that is not very accessible to everyone due to its language barriers and the need for some political and bureaucratic knowledge to understand the dynamics, and that also requires time and dedication. This keeps many students apart from being more active in student politics or from being truly represented. This was one of the main reasons to create the AG – to work as an accessible space open to all students whenever they need it, and for them to feel supported to start regular dialogues, share concerns and proposals, and learn collectively. Therefore the StuPa members could better represent the actual student body in their diversity.

When this was happening, we came together and wrote the demands for intersectional anti-discrimination in the UdK, and for its presentation, this statement was created. 

SARAH NAIRA HERFURTH

From experience, when talking about everyday and systemic discrimination, oftentimes the entire issue gets downplayed. To prevent that, we began our meetings with the head of the university by reading out statements. Through the statement, we wanted to, firstly, establish a common basis and, secondly, make clear that there are some things that are simply non-negotiable.

ADELA LOVRIĆ

How was the statement received so far? Were there any developments in terms of what you demanded back in summer?

DALÍS PACHECO

These expressions were created to generate some awareness and empathy before we started the discussion. There is a lot of emotional weight behind this work which needs to be acknowledged in the conversation about solutions. For us, it was also important to summarize our thoughts and feelings and express our position. To start with a clear path. 

Around that time the student protest #exitracismUdK at the Rundgang 2020 happened and 50 reports collected from students who experienced racist discrimination at the university were released. Our demands were presented there as well. I had the feeling that a lot of people were not really understanding what we were talking about and why with such urgency. We end up needing to explain systemic racism over and over again.

I guess the official reaction was meant to be careful but avoided some in-depth subjects. There is some small progress but we are still waiting for a concrete response. The reception among the students has been positive, many identified with it and were glad that we could finally speak about it out loud. Others would like to learn more about it.

SARAH NAIRA HERFURTH

During the summer, the topics of anti-discrimination in the university started getting more and more attention. The demands and the statements, the #exitracismUdK action, articles in the magazine Eigenart, the hanging of banners on the UdK facade, discussions inside and outside of classes, the growing networks of students and teachers, and last but not least, the media presence of BLM have all led to it. Now, we need to be careful about these topics not being brought up just because they were momentarily fashionable but that they are dealt with in a serious and sustainable manner.

Our list of demands has had an impact. Thanks to great efforts by the International Office,  three anti-racism workshops for the academic staff were offered. All of these workshops were fully booked. Perhaps it is worthwhile noting that the majority of the teaching staff that registered for these workshops were predominantly from the “Mittelbau” and women*. Another positive outlook is that German courses will become less expensive. We have been told that the steep price of around 700 EUR will be decreased to a smaller triple-digit range. To us, that still is too expensive. German courses should be free and part of the core course catalog. Only then can UdK students actively and diligently pursue their academic pathway without having to fear the loss of their visa and residence permit. in comparison, an equivalent course at the Humboldt University in Berlin costs 40 EUR. It is vital that the UdK adapts its German language course structures to the conditions upon enrollment in order to prevent discrimination based on origin and class. It needs to focus on creating more equal opportunities for its students. 

ADELA LOVRIĆ

How do you feel about all of this now, having a few months’ distance and more mental and emotional space to process everything? Have you felt the need to expand this list of demands? 

SARAH NAIRA HERFURTH

There are definitely things missing on the list of demands. We are currently discussing whether we should put them in a new structure and make priorities. To give an example, we are thinking of expanding the topic of accessibility for people with visual and acoustic impairments. In addition, we are considering requesting the realization of a prayer room. 

To come to your first part of the question, in the past year a lot has happened. Worldwide, in Germany, in Berlin, on an institutional level at the UdK, as well as on an individual. I’m thinking of February 19, the Hanau shootings, the murders of George Floyd, Breonna Taylor, and many more victims of racist police brutality around the world, the atrocities committed against the Armenians during the Azeri-Armenian war, the attack on LGBTQIA+ rights in Brazil, the heatwave in Siberia, the fires in the Amazon and Australia, the explosion in Beirut, the US exit from the WHO, the abortion ban in Poland, the “Querdenker” demonstrations in Berlin, the house clearance of Liebigstraße 34 in Berlin, and unfortunately the list could go on. All these occurrences have in common that they amplify the suppression of the already marginalized. It might feel far-fetched but there is a direct connection between these developments and the work we do in the AG Intersectional Anti-Discrimination. We think it’s important to draw attention to these social conflicts and injustices that are undeniably rooted in discrimination. So during our meetings, as in our statements, we address these incidents. It is not rare that our members are personally affected by these developments. I, therefore, believe that the arts and thus also the UdK should act as a catalyst and seismograph, drawing attention to these injustices.

But with all worries I also see hope. I’m thinking of the many great, important, and progressive movements and achievements connected to all this. These include the Black Lives Matter movement, the protests in Belarus, Peru, and Poland, the #endsars movement in Nigeria, the newly introduced first German state Anti-Discrimination Law (Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz), the mobile anti-discrimination app for Berlin (AnDi), the #exitracismUdK demonstration, the UdK declaration of the climate emergency, the UdK signing the declaration of Die Vielen, the gradual implementation of toilets for all genders at the UdK, and the options “diverse” and “not specified” in all forms, certificates, and statistics of the UdK Berlin, to name a few. Here we shouldn’t forget that most of these accomplishments were initiated from the bottom up. 

Anti-discrimination work at the UdK is mostly done by students affected by different and intersecting forms of discrimination. This is the unfortunate situation we are in. After the turmoil of 2020, all of us working on anti-discrimination badly needed a break. We are studying during a pandemic. At the same time, we are affected by social and environmental injustices on different levels. We are trying to bring these issues forward in the university context. Simultaneously, we have to prove that these issues concern us all. All of this is draining. This is why one of our most pressing demands is the establishment of a professional anti-discrimination body with external experts following an intersectional approach. Anti-discriminatory matters should no longer depend on the students’ capacity.  We are hopeful that, following the January 2021 meeting with the head of the university, we will generate common goals and solutions.  

DALÍS PACHECO

I am trying to trace the feelings that arose at that moment. I think I have learned a lot since then and feel more confident to talk further. But I am also very exhausted. For example, I have been doing this work and being present in many actions from afar and thanks to the internet. Around that time I was under strict lockdown and facing other complications for survival for around seven months in South America where the current pandemic hit tragically.

I also ask myself why we needed to wait until now. These issues in general have been happening for so long and were so normalized. This year it was just clear that we cannot avoid them anymore. We talk about things this way not to exaggerate, but because it has been ignored for so long and we don’t have any more patience. It is currently all connected to a lot of issues that are happening globally. And still, there are people being able to ignore these things or treating them as if they were not important when it really concerns us all. For some, this is just an interesting topic, talking about racism or discrimination is like picking up a book from the library and leaving it aside when they get bored. But for others, that is not possible, it’s a matter of existence.

It is work that, as art students, we’re not prepared for and we do not receive support to be able to continue doing it sustainably. It goes over hours, non-stop, and it is not paid. Something also to acknowledge is that there are a lot of people currently behind the anti-discrimination work, in student politics but also each one from their disciplines and initiatives and that there were people before us doing this work and paving the path for us, and hopefully there will be others in the future.

And of course, the list of demands will need adjustments while we move forward. After I read the testimonies in the student’s protest during the Rundgang and talked to some of the people involved, I was shocked. And yet, until now there have been no reparations. No one asked how they or we were dealing with this. It is a lot of emotional work, mostly for those who are also affected by it. This problem is rooted in the society here and everywhere and the struggle doesn’t aim to victimize anyone. It is about respect and requires holding accountable those who are in power to change things.

SARAH NAIRA HERFURTH

Here we are also thinking of the Berlin Senate. In our demands we refer to the Berlin Landesantidiskriminierungsgesetz and the Gleichbehandlungsgesetz, which state that 1. discrimination has to be recognized, 2.  active action against it needs to happen, 3. the awareness of these problems needs to be strengthened, 4. measures and strategies need to be developed, and 5. programs for those affected need to be established. We want what is defined in these legislative papers to get carried out in practice. Unfortunately, we are not there yet. This is the situation in and outside the UdK. 

ADELA LOVRIĆ

How should the university and generally society respond to the fact that the anti-discrimination efforts involve much more than what people can see and that there is a lot of invisible labor going on?

SARAH NAIRA HERFURTH

In an academic setting, people typically want numbers to prove something. With discrimination, there are no numbers. Hence, we need policy-oriented research. If you look at the performance reports from the UdK, it’s apparent how things have been looked at. In the last UdK “Leistungsbericht 2018” it becomes clear that there is only a distinction between “women” and “foreigners”. Thus, there is close to no evidence of an intersectional approach. In addition, the category “foreigner” raises questions. And just having the category “women” is evidently insufficient. Our data needs to be looked at much more profoundly. We need this data to prove the persisting lack of representation of marginalized groups at the UdK. 

One of the main questions driving us is: how accessible and inclusive is our university, and to whom? To whom is access denied, willingly or unwillingly? If you ask me, the UdK is a place where predominantly people with a privileged background study. Most of the UdK students come from academic and higher-than-average income families. This is interesting because the UdK does not implement a grade point average. Unlike in many other universities, one doesn’t need a certain grade for most courses. Even a high school diploma isn’t an essential requirement for most of the programs at the UdK. This theoretically means that the UdK is open to people without a specific educational background, and is open to people from the so-called working class. However, it comes to show that the socio-cultural backgrounds of the UdK students are less diverse than those of the TU Berlin, for example.

To make our university more equitable, we are proposing several measures. These include awareness training for members of big decision-making committees, such as admission or appointment committees. Another measure we are suggesting is a permanent seat for a qualified anti-discrimination expert in each committee, similar to the equal opportunities officer, the “Frauenbeauftrage”.

DALÍS PACHECO

There are many things left out of sight. I think what happens is that there is a feeling of being democratic and treating everyone the same when we are in fact not all the same. Everyone comes from different backgrounds and realities, which is very positive but needs to be treated accordingly. I think this is because the university avoids the emotional level which is impossible to go around. That’s why it is so uncomfortable and difficult – it hurts to acknowledge that they have been part of this dynamic that negatively affects some people or leaves some behind. When talking about anti-racism/discrimination, some people can even take it very personally and react defensively or aggressively. Constantly dealing with indifference or denial makes the work heavier. Instead, the university should be more receptive, engaging, and open to solutions. We need to change the way we perceive everything. We need to leave behind the colonial structure that we drag to this very day. The healing process will never start if we are not going to the roots of it.

ADELA LOVRIĆ

Exactly. Students will mirror these social dynamics further in life and it’s important that people and institutions learn how they are part of the problem. Based on your experiences and observations, what is the role of an art university in the shaping of society in the anti-racist, anti-discriminatory direction? Why is it important that the university prioritizes this kind of work?

SARAH NAIRA HERFURTH

There is a beautiful clip where Nina Simone talks about the artist’s duty. I think it is transferable to the role of the university, especially the art university, and more precisely to the UdK as one of the largest art schools in Europe. Simone says that the artist’s duty is to reflect on the times in which we live. We all should know what’s happening right now and has been going on for so many years. We shouldn’t look away any longer. We need to not only reflect on the times we live in, but think of measures, strategies, and solutions on how to make education, its access, its methods, and its contents more equitable and inclusive. 

DALÍS PACHECO

I agree that social dynamics in learning environments reflect later in society. This was the reason we were so interested in doing this work inside the university. If we are not able to make at least some progress here, how can we expect the progress to happen outside? It was nice to see that many joined this initiative, but there are many who don’t care. When we criticize the university it sounds like we hate it, when in fact this comes from a place of care for it. We know how important those spaces are. We just want to protect people from experiencing harm and make sure that the unfair things we personally experienced or heard of don’t happen anymore. 

Having more sincere diversity in the university, meaning content (curriculum) and who represents it, is crucial. If you are only learning one side of history, it is difficult to understand your position in it. We are all connected and the things that happen here have an impact somewhere else. This is something we’re also seeing during this pandemic more clearly. Having a wider and inclusive approach is how empathy could grow and organically these topics would make more sense. It is often mistaken that discrimination is an issue of people who experience it. Instead, we need to see what causes it and, when it’s the whole system, what can we do about it.

I don’t think we will be able to change the university or society that fast. It’s a long way,  but just knowing how things work, what our position is, what we could do about it, and how we could support our communities really makes a change. The consciousness is empowering. To know each other, to work together towards a collective dream and share among us, gives us the knowledge we didn’t have before, and this alone is for me super valuable. To be able to recognize it and name it also helps to release some weight that has been historically put on some of us and which doesn’t really belong to us. How many times have we felt isolated, powerless, and insecure because it is how the system works. We will eventually leave the university and stop doing this work in this way, but the awareness and openness to keep learning will remain with us and reflect later on how we function professionally.

Experiencing discrimination or being discriminated against systematically distracts us from the reason we are here in the first place – to learn, to create, and to exchange our feelings and ideas. And that would not be possible without setting some ground rules first.

Am 24. Oktober 2020 fand das Forum Regenbogenstadt Berlin zum Thema Intersektionalität im Zeichen lesbischer* Sichtbarkeit statt. Feierliches Highlight war die Verleihung des Berliner Preises für Lesbische* Sichtbarkeit 2020 an Katharina Oguntoye. Prof. Mathilde ter Heijne nahm dies zum Anlass, erneut mit Katharina Oguntoye zu reden, diesmal online, über die Folgen der Covid-19-Pandemie und über das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG), das am 04. Juni 2020 von dem Berliner Senat beschlossen wurde.

Katharina Oguntoye ist eine afrodeutsche Schriftstellerin, Historikerin, Aktivistin und Dichterin. Sie gründete den gemeinnützigen interkulturellen Verein Joliba und spielte eine wichtige Rolle in den Anfängen der afrodeutschen Bewegung. Im früheren Gespräch mit Mathilde ter Heijne spricht Oguntoye über Joliba und das Buch Farbe bekennen, welches 1986 von ihr mit May Ayim und Dagmar Schultz im Orlanda Verlag herausgegeben wurde.

Katharina Oguntoye ist eine afrodeutsche Schriftstellerin, Historikerin, Aktivistin und Dichterin. Sie gründete den gemeinnützigen interkulturellen Verein Joliba in Deutschland und spielte eine wichtige Rolle in den Anfängen der afrodeutschen Bewegung. Prof. Mathilde ter Heijne hat sich mit ihr getroffen um über das Buch Farbe bekennen zu sprechen, welches 1986 von Katharina Oguntoye mit May Ayim und Dagmar Schultz im Orlanda Verlag herausgegeben wurde. Die Sammlung ist eine Zusammenstellung von Texten, Zeugnissen und anderen Sekundärquellen und lässt die Geschichten Schwarzer deutscher Frauen, die in Deutschland inmitten von Rassismus, Sexismus und anderen institutionellen Zwängen leben, lebendig werden. Das Buch greift Themen und Motive auf, die in Deutschland von den frühesten kolonialen Interaktionen zwischen Deutschland und der Schwarzen „Andersartigkeit“ bis hin zu den gelebten Erfahrungen Schwarzer deutscher Frauen in den 1980er Jahren vorherrschen. 

Der Ausgangspunkt des Gesprächs war Looking Back 1930 I 2020: Building on Fragmented Legacies, ein Performance- und Diskussionsabend mit Karina Griffith, Sandrine Micossé-Aikins, Katharina Oguntoye, Abenaa Adomako und Saraya Gomis am 24.09.2020 im HAU Berlin. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Programms Radical Mutation – On the Ruins of Rising Suns statt, kuratiert von Nathalie Anguezomo Mba Bikoro, Saskia Köbschall und Tmnit Zere. Das Programm verband historische Kämpfe für Gleichberechtigung, Antirassismus und Repräsentation in der Kultur und aktuelle Bemühungen um radikale Veränderungen mit Berlin als Startpunkt. Der Titel bezog sich auf eines der ersten überlieferten schwarzen Theaterstücke (Sonnenaufgang im Morgenland, 1930), welches die Repräsentation von Schwarzen Menschen in kulturellen Produktionen der Weimarer Republik in Frage stellte.

Brandon Keith Brown ist ein international gefeierter Dirigent, der den amerikanischen Geist mit deutscher Musiktradition verbindet. Nachdem er sein Studium am Peabody Institute of Music in Baltimore mit Auszeichnung abschloß, zog er nach Europa, um seine musikalischen Erfahrungen zu erweitern. Brandon hat mit renommierten Orchestern wie dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, der Staatskapelle Weimar, dem Detroit Symphony Orchestra und dem Civic Orchestra of Chicago zusammengearbeitet. Neben seiner Karriere als Dirigent ist er auch ein leidenschaftlicher Pädagoge kommender Musikergenerationen und engagiert sich für soziale Gerechtigkeit. In diesem Interview spricht Brandon über Rassismus und Diskriminierung in der Musikszene und an Musikuniversitäten.

Anlass dieses Podcasts mit Julia Grosse und Yvette Mutumba, Gastdozentinnen im Institut für Kunst im Kontext, sowie Gründerinnen und Chefredakteurinnen der Magazine Contemporary And und C& América Latina war das zweite Martin Roth Symposium Museum Futures, veranstaltet vom ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) digital und im Museum für Naturkunde, September 2020. Das Symposium stellte kritische Fragen zur Zukunft des Museums, u.a. „Wie lassen sich die Museen der Zukunft als Orte für globale, vielstimmige und kritische Dialoge konzipieren, wenn wir davon ausgehen, dass Kulturgüter allen gehören, und sowohl die Teilhabe als auch die Inklusion integrale Bestandteile lebendiger Gemeinschaften sind?“ Am Tag 2 mit dem Fokus Museen und Macht waren Julia Grosse und Yvette Mutumba als Sprecherinnen eingeladen.

Critical Diversity AG Mitglied Prof. Mathilde ter Heijne hat sich im Anschluss mit den beiden getroffen, um über die Dekolonisierung von Kulturinstitutionen und die Verteilung von Macht im Kontext der UdK, sowie den Anti-Diskriminierung-Protesten von UdK Studierenden während des letzten Rundgangs zu sprechen. Das Gespräch fand am 14. September in Berlin statt.

Antidiskriminierungsproteste am Gebäude in der Hardenbergstraße, Foto vom Steinplatz während des Rundgangs 2020: Mathilde ter Heijne

WEITERE INFORMATIONEN ZU DEN PROTESTEN U.A. HIER: 
HTTPS://WWW.TEXTEZURKUNST.DE/ARTICLES/GODARZANI-BAKHTIARI-NAGEL-EISBEIN-UND-HUNDESCHEISSE
HTTPS://WWW.MONOPOL-MAGAZIN.DE/EXITRACISMUDK-PROTEST-UNIVERSITAET-DER-KUENSTE

Für eine (gender)gerechte UdK

Das allgemein etablierte, binäre Geschlechtersystem geht von der Alleinexistenz zweier klar bestimmbarer Geschlechter – nämlich Männer und Frauen – aus und entspricht damit nicht ansatzweise der eigentlichen menschlichen Vielfalt. Auch die deutsche Sprache spiegelt diese konstruierte Zweigeschlechtlichkeit wider, wenn z. B. von „Studentinnen und Studenten“ oder von „Professorinnen und Professoren“ die Rede ist und macht Frauen und Männer damit gleichermaßen sichtbar. 

Hier muss ich kurz ausholen, denn selbst das ist leider noch längst nicht überall gang und gäbe, war und ist ein andauernder Kampf, um die Sichtbarkeit von Frauen im deutschen Sprachgebrauch und damit auch in den Bildern, die wir mit Gelesenem und Gehörtem zwangsläufig assoziieren. Auch an unserer Hochschule gibt es noch immer Professor*innen, die konsequent das generische Maskulinum verwenden und damit mehr als die Hälfte ihrer Studierenden nicht ansprechen (von anderen Kämpfen um die Rechte Frauen mal ganz zu schweigen; Stichworte Gender Pay Gap oder Frauenanteil in Führungspositionen. Und wie kann es sein, dass Fahrzeuge oft nur mit „männlichen“ Crash-Test-Dummies, Medikamente überwiegend an cis männlichen Probanden getestet werden und dementsprechend für Frauen ungleich unsicherer sind?). 

„Immerhin“, möchten wir jetzt vielleicht sagen, „bewegt sich was, zumindest sprachlich.“ Was wir aber nicht vergessen dürfen: Selbst mit diesen Formen und trotz all dieser Diskurse bleiben weiterhin Menschen ausgeschlossen; nämlich all jene, die sich nicht als Frau oder als Mann identifizieren. Das kann trans, inter und nichtbinäre Personen betreffen. Die Genderforschung argumentiert schon seit Jahren, dass dieses binäre System nicht mehr haltbar ist und von einer Vielzahl geschlechtlicher Identitäten ausgegangen werden muss. Die Lebensrealitäten aller Geschlechter sollen ausgewogen berücksichtigt, Rollenklischees nicht weiter verfestigt werden. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom September 2017 schließt das auch explizit Geschlechtsidentitäten von inter und trans Personen mit ein. Gendersensible Sprache und Inhalte haben die Vision, die gesamte Vielfalt unterschiedlicher Lebensrealitäten selbstverständlich sichtbar zu machen: nicht nur von Menschen unterschiedlichen Geschlechts, sondern auch unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Religion, Herkunft und Hautfarbe. Gendersensible Sprache ist ein weiterer Schritt in Richtung diversitätssensible Welt. 

Die UdK Berlin hat im vergangenen Monat auf gemeinsamen Antrag des StuPa, des AStA, der Kommission für Chancengleichheit und der Frauenbeauftragten beschlossen, sich dieser Problematik verstärkt zu widmen und diskriminierende Strukturen sukzessive abzubauen. So werden in den kommenden Wochen folgende Umstellungen in Angriff genommen: 

  1. Integration und Anerkennung aller nichtbinären Geschlechteridentitäten und Personen mit allen Varianten der Geschlechtsentwicklung durch eine Ergänzung der Optionen „divers“ und „keine Angabe“ sowie die Verwendung neutraler Anreden, Formulierungen und des Gendersternchens in allen universitären Korrespondenzen, Dokumenten, Formularen, Zeugnissen, Statistiken, Datenbanken und auf allen Plattformen der UdK Berlin
  2. Einführung von bis zu 50% genderneutraler Toiletten an allen Standorten der UdK Berlin Immer wieder machen inter, trans und nichtbinäre Mitstudierende diskriminierende und sogar gewaltvolle Erfahrungen bei der Wahl ihrer Toilette. Ein menschliches Grundbedürfnis zu stillen, darf nicht zu einer immer wieder diskriminierenden Erfahrung werden; in unserer Gesellschaft müssen alle Menschen ein diskriminierungsfreies Leben führen dürfen. Eine „Toilette für alle“ bietet den Betroffenen den nötigen Schutzraum, trägt der geschlechtlichen Vielfalt Rechnung und zu einer Kultur des Respekts und der Antidiskriminierung bei. (Wegen unterschiedlicher Bedürfnisse nach Schutzräumen sollen weiterhin Frauen- und Männer-Toiletten bestehen bleiben. So wird gewährleistet, dass alle Menschen ihren persönlichen Bedürfnissen entsprechend eine Toilette als sicheren Raum betreten können.) 
  3. Anerkennung und Integration des selbst gewählten Vornamens unter Anwendung des vom BMI anerkannten dgti-Ergänzungsausweises auf Studierendenausweisen, bei der Zulassung, im Studienverlauf, auf Zeugnissen und Diplomen. Ein Zwangs-Outing gegenüber Professor*innen und Mitstudierenden wird so aufgehoben und der psychische und emotionale Druck verringert. (Von einem Zwangs-Outing ist z.B. dann die Rede, wenn der dead name (der bei der Geburt zugewiesene, nicht mehr verwendete Name) beim Verlesen von Teilnahmelisten oder beim Vorzeigen des Studierendenausweises genannt wird, Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes) Eine Studie der Universitäten Texas, British Columbia und NYU zeigt: Bei jungen trans Menschen tritt ein deutlicher Rückgang depressiver Symptomatik sowie eine Reduktion ihres suizidalen Verhaltens um 56% ein, wenn sie in einem ihrer Lebensumfelder mit ihrem gewählten Vornamen angesprochen werden. 

Die UdK ist berlinweit die erste Universität, die diesen wichtigen Schritt geht und damit dem Vorbild zahlreicher anderer deutscher Universitäten folgt. Bleibt zu hoffen, dass dieses Vorbild Schule macht. 

Denn: Universitäten sind Orte des Lernens, Räume der Entwicklung, in ihnen sollen sich Gedanken und Persönlichkeiten frei entfalten können; sie tragen deshalb eine massive Verantwortung für den Schutz ihrer Angehörigen. Dass diese Schutzräume, gerade an Kunsthochschulen, wichtig sind, damit sich alle unsere Kommiliton*innen mit Vertrauen und (angst)frei bewegen und ausprobieren können, muss hier vermutlich nicht weiter erläutert werden. 

Ich stoße mich grade selber an dem Begriff „Schutzraum“ in diesem Zusammenhang, denn eigentlich bräuchten wir natürlich mehr als das; eine uns bedingungslos schützende Gesellschaft – sodass dezidierte Schutzräume hinfällig werden können. 

Aber da sind wir noch nicht. Und dahin kommen wir auch nur, wenn wir beginnen, jahrhundertealte Denkmuster und Machtstrukturen unserer konstruierten „Mehrheitsgesellschaft“ zu erkennen, sie aufzubrechen und uns ihrer zu entledigen. 

Am Ende betrifft es uns alle. Nicht umsonst leitet sich das Wort Kommiliton*in vom lat. commilito ab: „Mitstreiter*in“ also. Miteinander für etwas streiten. Oder füreinander mitstreiten – gelegentlich vielleicht sogar über etwas streiten, im Sinne eines konstruktiven Streits in Kunst und Wissenschaft – all das geht nur in einem Klima des Vertrauens und gegenseitigen Respekts. 

Diskriminierungsherde sind aber weiterhin da – vielen Nichtbetroffenen bleiben sie auf den ersten Blick verborgen; viele Betroffene sind direkt mehrfach betroffen. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Ableismus, Klassismus, Ageismus – die Liste ist lang und nicht mit dreieinhalb Forderungen zur Gendergerechtigkeit abzuhaken. Denn solange auch nur eine einzige Person innerhalb jeweiliger Strukturen Diskriminierung(en) erfährt, ist schützender Raum nicht in ausreichendem Maße gegeben. 

In diesem Sinne: Wir danken dir, UdK Berlin, für diesen Schritt in die richtige Richtung. Das hier ist ein Anfang. Aber, UdK, es geht weiter – versprochen? Wir hören uns ganz bald wieder! 

Was Antidiskriminierungsarbeit angeht, gibt es kurzfristige und langfristige Ziele.
Es gibt bestimmte Meilensteine, die uns langfristigeren Zielen näherbringen können, wie eine Frauenquote oder das Bevorzugen von BIPoC in Stellenausschreibungen. Wobei man hier als BIPoC mit hoher Wahrscheinlichkeit der Token vom Dienst ist – wenn man überhaupt für eine Stelle ausgewählt wird. Kurzfristige Ziele und die Veränderungen, die damit bewirkt werden, haben dann oft einen symbolischen Charakter und können so schnell wieder verschwinden, wie sie implementiert wurden. Als Beispiel kann die Rolling Stone-Zeitschrift gelten, die sich last-minute entschieden hat, doch lieber nicht zwei erfolgreiche, zeitgemäße und empowerte Musikerinnen of Color auf ihrem Cover für August 2020 zu zeigen, sondern die hundertste Version des weißen cis-männlich-heterosexuellen Musikers Bruce Springsteen aus den 70ern. Das Coverfoto mit Joy Denalane und Ilgen-Nur wäre nicht kraftvoll genug gewesen, war die Begründung. (1)

Symbole sind nicht verwerflich oder unwichtig, aber wirkliche Veränderungen veranlassen sie nur selten. Langfristige Ziele sind sehr viel komplexer, es geht hier eigentlich darum, das rassistische, sexistische, ableistische, homophobe und trans*feindliche System in dem wir leben erst einmal zu benennen, dessen Hintergründe wie Kolonialisierung, Kapitalismus und Neoliberalismus zu erkennen, um dann zu versuchen, es zu dekonstruieren. Das klingt zunächst so abstrakt, dass es schwierig ist einzuordnen, ob dieses Ziel eine Utopie oder doch eher eine Dystopie sein soll. Die dystopische Vorstellung, dass der Prozess zu komplex ist, um die Ziele jemals erreichen zu können, und die vorherrschenden Strukturen so fest in uns selbst verankert sind, dass es unmöglich scheint sie zu benennen, ist, milde ausgedrückt, demotivierend.

Wenn man aber versucht, den Radius klein zu halten und sich im eigenen Umfeld umzuschauen, zum Beispiel, in der Institution, dem Studio, der Agentur, der Galerie, dem Magazin, in dem man arbeitet, dann wird deutlich, wie homogen diese Räume sind. Sie sind vor allem eins: weiß. Und weiß ist nicht nur eine Hautfarbe, sondern bringt Vorurteile, Entitlement und Überlegenheitsgefühle mit sich. Weißsein ist ein Privileg. Sich in solchen Räumen ­­­– wenn man denn überhaupt als BIPoC Zutritt findet ­­­– für Antidiskriminierung einzusetzen, bedeutet, gegen Strukturen zu kämpfen, von denen man selbst Teil ist.

Als betroffene Person wird man oft dazu angehalten, ganz objektiv die Existenz von beispielweise Rassismus zu beweisen. Allerdings gibt es keine objektive Sicht auf Diskriminierung. Natürlich gibt es harte Fakten, Daten und die Geschichte, die Diskriminierung festschreiben, aber das sind nicht die Inhalte, für die sich nicht-betroffene Personen interessieren. Viel mehr interessieren sie sich für die extrem persönlichen Erfahrungen der betroffenen Personen, die man exotisieren und deren Faktizität man gleichzeitig in Frage stellen kann.

Der Debatte um Rassismus wird oft Emotionalität vorgeworfen, meistens von weißen cis-hetero Männern, die absolut liberal sind, ABER…
Rassismus ist nicht unemotional und wird es auch nie sein können. Und das nicht, weil betroffene Personen ihren Schmerz nicht kontrollieren und sich nicht in ruhigem Ton ausdrücken können, sondern weil Rassismus auf Hass, Angst und Wut basiert. Jemanden auf Grund von persönlichen Merkmalen zu diskriminieren, ist nicht objektiv oder unemotional. Demnach kann es auch keine unemotionale Reaktion hervorrufen. Der Versuch, betroffenen Personen ihre Emotionalität abzusprechen, und der Vorwurf von Unsachlichkeit ist eine Dominanzgeste und ein weiterer Beweis für das Machtgefälle unseres Systems. Rassismuserfahrungen können nicht objektiv wahrgenommen werden, und dennoch schmälert das ihre Existenz nicht.

Rassismus ist emotionsgeladen, systematisch, strukturell und berechnend zugleich.

Gerade weil Rassismus nicht objektiv, sondern emotional ist, ist Antirassismus das ebenfalls. Nicht nur die Rassismuserfahrungen von BIPoC sind emotional und traumatisierend, sondern auch der Kampf gegen den Rassismus ist emotional und kann (re-)traumatisierend für die betroffenen Personen werden. Die Auseinandersetzung mit sich selbst ist die Voraussetzung für das Verstehen und Durchblicken von rassistischen Strukturen, und die Rolle, die man selbst in diesen Strukturen einnimmt, ist subjektiv. Und meistens unangenehm. Auch wenn seit spätestens diesem Jahr auch für nicht-betroffene Personen klar sein sollte, dass Rassismus ein weißes Problem ist, bleibt die Verantwortung, Diskriminierung zu bekämpfen, an denjenigen hängen, die davon betroffen sind. Frauen*1 müssen Männer über Sexismus aufklären, BIPOC müssen weißen Personen erklären, warum und wie Rassismus bekämpft werden muss, und trans* und nicht-binäre Personen werden dazu genötigt, anhand ihrer eigenen Identität das binäre Geschlechtersystem in Frage zu stellen.

Betritt man also als betroffene, marginalisierte Person einen Raum, in dem sich gegen Diskriminierung eingesetzt wird, trifft man vor allem auf ebenfalls betroffene Personen. Diese Personen sind meistens unterschiedlich situiert und von verschiedenen Diskriminierungsformen betroffen, sodass sie keine homogene Gruppe bilden.

In so einem diversen Raum zu arbeiten, bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich, denen ja oft in homogenen Arbeitskontexten aus dem Weg gegangen wird. In einem diversen Raum zu arbeiten, ist anstrengend und zäh, weil unterschiedliche Meinungen, Haltungen, Überzeugungen und Einstellungen aufeinandertreffen. Das kann in Räumen der Antidiskriminierungsarbeit besonders frustrierend sein, da man oft unter betroffenen Personen die gleichen Ziele verfolgt, allerdings nicht immer die gleiche Herangehensweise teilt und deshalb viel mehr und vorsichtiger kommunizieren muss, als es in homogenen Räumen nötig wäre. Erst durch das Verlangsamen des Prozesses und offene, gewaltfreie Kommunikation, kann verhindert werden, dass Personen (re-)traumatisiert werden.
Aus genau diesem Grund müssen wir unseren Fokus von hauptsächlich zielorientierter Antidiskriminierungsarbeit auf vor allem prozessorientierte Arbeit ausweiten.

Erreichte Ziele der Antidiskriminierung bekommen schnell einen bitteren Beigeschmack, wenn auf dem Weg dorthin diskriminierende Strukturen reproduziert wurden. Das kann dadurch passieren, dass beispielsweise Personen in ihren Meinungen und Erfahrungen übergangen werden, Barrierefreiheit nicht mitgedacht wird, Redeanteile ungleichmäßig verteilt werden und manipulativer Kommunikation, wie zum Beispiel Gaslighting und Silencing, Raum gegeben wird. Es stellt sich die Frage, ob so wirklich langfristige Fortschritte gemacht werden können.
Es liegt natürlich nahe, dass innerhalb eines diskriminierenden Systems auch von marginalisierten Personen, oft unbewusst, diese Strukturen reproduziert werden. Durch eine intersektionale Perspektive kann erklärt werden, wie und warum auch betroffene Personen Teil dieser Reproduktion sein können. Unterschiedliche Formen der Diskriminierung werden auch unterschiedlich erfahren, gleichzeitig gibt es von Mehrfachdiskriminierung betroffene Personen, bei denen die Kombination von Diskriminierungen ganz eigene Erfahrungswerte erzeugt. Allerdings schließt die Tatsache, selbst von Diskriminierung betroffen zu sein, nicht aus, dass man selbst diskriminierend agieren kann. Zum Beispiel kann eine weiße Frau über Sexismus aufgeklärt sein und sich als Feministin bezeichnen und trotzdem rassistische Strukturen reproduzieren, indem die Erfahrungen Schwarzer Frauen nicht berücksichtigt oder unsichtbar gemacht werden. Ein Schwarzer Mann wird aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert und durch den Rassismus unserer Gesellschaft marginalisiert und kann gleichzeitig selbst sexistisches Verhalten reproduzieren. Es ist jedoch nicht nur so, dass marginalisierte Personen nur Diskriminierungen, von denen sie nicht betroffen sind, reproduzieren können, sondern auch Diskriminierungen, von denen sie selbst betroffen sind, internalisieren können. Dadurch entsteht zum Beispiel so etwas wie internalisierter Rassismus, der eine Form der systematischen Unterdrückung darstellt.

„Da Race ein soziales und politisches Konstrukt ist, das aus bestimmten Geschichten der Herrschaft und Ausbeutung zwischen Völkern hervorgeht, führt der internalisierte Rassismus der Schwarzen oft zu großen Konflikten zwischen und unter ihnen, da andere Machtkonzepte – wie Ethnizität, Kultur, Nationalität und Klasse – in Missverständnissen zusammenbrechen. Besonders wenn Race mit Nationalität und Ethnizität verwechselt wird, manifestiert sich internalisierter Rassismus oft darin, dass verschiedene kulturelle und ethnische Gruppen, wegen der knappen Ressourcen, gegeneinander ausgespielt werden und dass der Rassismus für Menschen übrig gelassen wird, die keine weißen Privilegien haben. Dadurch kann eine Hierarchie entstehen, die auf der Nähe zur weißen Norm beruht. Gleichzeitig lähmt es uns alle in unserem Versuch, eine Gesellschaft zu schaffen, die für uns alle funktioniert.“ (2)

Wenn wir also Antidiskriminierungsarbeit innerhalb von Institutionen leisten wollen, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, mit wem wir in einem Raum sitzen. Wie wir miteinander kommunizieren. Wer wie viel Redeanteil hat. Wer in diesen Räumen Platz findet. Wer sich wohlfühlt. Wie die Aufgaben untereinander verteilt werden.
Die Ziele, die wir als betroffene Personen mit Antidiskriminierungsarbeit erreichen wollen, sind hinfällig, wenn auf dem Weg Personen gesilenced, übergangen werden oder auch Arbeit unsichtbar gemacht wird. Bei Antidiskriminierungsarbeit sollte es darum gehen, vor allem neue Prozesse der Zusammenarbeit zu entwickeln, die den Prozessen, in weißen cis-männlich-heterosexuellen Räumen etabliert sind, entgegenstehen.

Es ist hierbei wichtig anzuerkennen, dass gute Intentionen nicht ausreichen. Auch wenn antidiskriminatorische Ziele verfolgt werden, zählt doch der Weg, der gegangen wird, um diese Ziele zu erreichen, am meisten. Gute Absichten reichen nicht aus, um Strukturen zu dekonstruieren. Die Art und Weise der Kommunikation ist ausschlaggebend, um neue Arten von Räumen zu etablieren.
Langfristig geht es bei Antidiskriminierungsarbeit um die Dekonstruktion von Systemen und den Aufbau von neuen Strukturen. Wir müssen also unser eigenes Verhalten mit jeder Entscheidung innerhalb dieser diversen Räume reflektieren und können uns nicht auf unsere Intentionen oder unseren Grad der Betroffenheit verlassen.

Es geht nicht nur um das Was, sondern vor allem um das Wie.

1. NIGGEMEIER, STEFAN: WIE ES EINMAL FAST ZWEI FRAUEN AUFS COVER DES „ROLLING STONE“ SCHAFFTEN (02.08.2020). HTTPS://UEBERMEDIEN.DE/51820/WIE-ES-EINMAL-FAST-ZWEI-FRAUEN-AUFS-COVER-DES-ROLLING-STONE-SCHAFFTEN/ . [03.09.2020]

2. HOEDER, CIANI SOPHIA: WAS BEDEUTED INTERNALISIERTER RASSISMUS? HTTPS://ROSA-MAG.DE/ROSAPEDIA-WAS-BEDEUTET-INTERNALISIERTER-RASSISMUS/ . [03.09.2020]

1 Anm. d. Redaktion: Sprache befindet sich im ständigen Wandel. Die Schreibweisen Frauen* und weiblich* galten zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes als inklusiv für Menschen, die durch Sexismus strukturell benachteiligt werden. Mittlerweile werden diese Bezeichnungen aufgrund ihrer Ungenauigkeit und Reproduktion sexistischer Stereotypen im Antidiskriminierungskontext nicht mehr verwendet. Stattdessen werden Begriffe benutzt, die genauer beschreiben, wer jeweils gemeint ist – z. B. „FLINTA*“. In jüngeren Blog-Texten und Interviews wurde auf die Schreibweise Frauen* und weiblich* deshalb verzichtet.

Art.School.Differences ist ein Forschungs- und Hochschulentwicklungsprojekt in Kooperation der drei Schweizer Kunsthochschulen Haute école d’art et de design – Genève (HEAD – Genève), Haute école de musique de Genève (HEM Genève – Neuchâtel) und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

Ein Ziel des Projektes war es, Handlungsfelder für eine Demokratisierung und Pluralisierung der beteiligten Kunsthochschulen zu identifizieren. Das Projekt baute auf der 2011 durchgeführten Vorstudie Making Differences: Schweizer Kunsthochschulen (PDF) auf. Eine dezidierte Verbindung von Forschung und Praxis zeichnet Art.School.Differences aus: Das Projekt verknüpfte wissenschaftliche und partizipative Forschung und involvierte verschiedene Akteur*innen der Institutionen als Ko-Forschende. Ein Bildungsformat zum Themenfeld von sozialer Ungleichheit im Feld der Kunsthochschule begleitete die Ko-Forschung. Es bestand aus fünf Kolloquien, zu denen alle Interessierten aus der Hochschule eingeladen waren. Auf Grundlage der Diskussionen zu ausgewählten Texten im Bereich der fünf identifizierten Themenfelder entsteht derzeit eine kommentierte und mit Glossar versehene Textsammlung – der Reader Art.School.Differences.

Sophie Vögele forscht und lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Art Education an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie hat Gender Studies und Ethnologie in Basel, Genf und Heidelberg studiert. Anschließend war sie mehrere Jahre Mitglied im Doktoratsprogramm für Soziologie an der York University Toronto und hat dort auch unterrichtet. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte der Zürcher Hochschule der Künste im Bereich Art Education. In ihrer Forschung interessiert sie sich für die Vielschichtigkeit von Prozessen der Veranderung (Othering) an Bildungsinstitutionen und im Bereich der Kunst sowie deren Kritik und für institutionalisierte Mechanismen von Inklusion und Exklusion aus feministisch-post_kolonialer Perspektive.

ZUR WEBSITE VON ART.SCHOOL.DIFFERENCES

Triggerwarnung: In der Soundarbeit (und dem Podcast) werden Zitate und Inhalte aufgezeigt, die explizite Situationen von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt beschreiben! 

„Seit Sommer 2019 arbeiten wir an einer Soundarbeit zu sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK. Insbesondere Studierende sind hiervon betroffen, die Thematik wird unserer Ansicht nach jedoch nicht ausreichend offen verhandelt, grenzüberschreitendes Verhalten hierdurch verstärkt produziert und betroffene Personen nicht ausreichend geschützt. Indem wir diese Thematik sichtbar machen, sehen wir die Arbeit als ein Beitrag, sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK entgegen zu wirken. So richten wir uns in erster Linie an Betroffene, weiterhin insbesondere an jede*/n*, die*/der* an der UdK studiert, dort arbeitet oder sie besucht. 

In der Arbeit sprechen (ehemalige) Studierende in neun Interviews über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit und von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt insbesondere ausgeübt durch Dozierende, aber auch durch Studierende oder weiteren Personen, die an der UdK tätig sind oder diese besuchen. Im Fokus der Interviews stehen die subjektiven Erfahrungen und nicht theoretisches Wissen. Die interviewten Personen haben uns großes Vertrauen geschenkt und sehr persönliche Inhalte geteilt. Aufgrund der Sensibilität der Interviewinhalte haben wir uns daher dagegen entschieden, die Arbeit online zu veröffentlichen. 

Die Interviews sind inhaltlich sehr unterschiedlich, zeigen jedoch in der Auswertung Gemeinsamkeiten, die eine Struktur bezüglich sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK aufzeigen:
1 Der Uni-Raum wird dominiert durch den (cis-)männlichen (weißen) Körper. Das bedeutet, dass insbesondere (cis-)männliche Dozierende und Studierende den Raum für sich beanspruchen.
2 Die meisten der Interviewten geben an, dass (cis-)männliche Profs und Dozierende eine sexistische und homophobe Sprache benutzen. Sexistische Äußerungen “verpacken“ sie gern in “Witze“ oder in Lehrinhalte.
3 Viele der Interviewten werden/wurden durch sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt vom künstlerischen Arbeiten und Lernen im Studium einen längeren Zeitraum abgehalten.
4 Einige der Interviewten berichten, dass ihnen der Zugang zu Preisen, Ausstellungsmöglichkeiten oder Stipendien verwehrt wurden, wenn sie nicht auf das diskriminierende Verhalten eingegangen sind oder sich diesem aktiv widersetzt haben.
5 Viele der Interviewten meiden bewusst (Lehr-)Räume innerhalb der UdK, um bestimmten Personen nicht zu begegnen.
6 Viele der Interviewten haben sich bei der Wahl der Klasse bewusst für eine* Prof*1 entschieden oder sind nach diskriminierenden Erfahrungen in Klassen mit weiblichen Profs* gewechselt.
7 Viele der Interviewten geben an, dass zwischen den Studierenden innerhalb und außerhalb der Klassen wenig Unterstützung vorhanden ist/war. Entweder weil Studierende sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt nicht einordnen oder weil sie nicht wussten, wie sie helfen konnten oder auch, weil einige Studierende diskriminierendes Verhalten von Dozierenden gutgeheißen wurde (z.B. durch Zustimmung, Gelächter in diskriminierenden Situationen).
8 Viele der Interviewten geben an, dass sie nicht ausreichend unterstützt gefühlt haben durch die UdK.

“(…) Ich hatte bisher kein Gespräch, wo nichts bei herumgekommen ist. Es war immer ein interessanter Aspekt, der noch nicht erzählt wurde. Es ist ja auch interessant, wenn sich die Inhalte wiederholen, weil das zeigt ja auch ein strukturelles Muster auf. Es kommt (…) oft vor, dass Leute sehr ähnliche Sachen erzählen. Das ist ja das Ding: Dass es keine Einzelfälle sind.” (aus einem Interview)

Weiteres:
9 Personen, die ich, Camilla Goecke, gefragt habe, wollten kein Interview führen aufgrund von starken Schamgefühlen und/oder aus Angst vor Konsequenzen. Daher werden auch oftmals keine uniinternen Beschwerden eingereicht oder polizeiliche Anzeige erstattet.
10 Erst durch die Schilderung und Zusammenfassung der Arbeit haben sich Studierende an uns gewendet, da ihnen bewusst geworden ist, dass ihnen ähnliches widerfahren ist.
11 Studierende oder andere Personen, an die sich Betroffene gewendet haben, um Hilfe zu bekommen, können diese nicht immer ausreichend unterstützen, da sie ebenfalls sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt nicht einordnen konnten und/oder überfordert sind.
Die Interviews und weitere Gespräche, die wir mit Studierenden geführt haben, zeigen bis auf die Tat der Vergewaltigung, dass alle Formen von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK vorkommen!

Wir halten Sound als geeignetes Medium für unsere künstlerische Arbeit. Zum einen ist es ein von Cis-Männern dominiertes Medium, zum anderen empfinden wir das aktive Zuhören als eine wichtige Strategie, um diese Thematik aufmerksam zu machen. Durch das aktives Zuhören werden marginalisierte Stimmen in Hinblick auf sexualisierte Diskriminierung, Belästigungen und Gewalt an der UdK hörbar gemacht. Es beinhaltet außerdem die eigene Position zu reflektieren: Wie höre ich zu? Welchen Stimmen schenke ich Beachtung? Welche Stimmen werden übertönt, eventuell auch durch meine eigene? Durch welchen „Filter“ höre ich zu? Findet meine Stimme Raum und Resonanz? 

Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass unsere Arbeit nur einen kleinen Ausschnitt von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK aufzeigt. Da die Inhalte, wie aufgezeigt, jedoch eine klare strukturelle Diskriminierung beinhalten, sprechen wir uns für eine hochschulübergreifende Studie und jährliche Befragung der Studierenden aus. Zudem bedarf es unserer Ansicht nach einer verstärkte Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit aller an der UdK wirkenden Personen sowie der Einrichtung von “sicheren“ Räumen und niedrigschwelliger Beratung für und von Betroffenen innerhalb der Uni. 

Zudem möchten wir insbesondere Studierende ermutigen, sich mit sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt (an der UdK) zu beschäftigen. Auch wenn dies eine starke Belastung und Emotionalität mit sich bringen kann, hat uns die Auseinandersetzung mit dieser Thematik “ermächtigt“; wir habe eine deutlichere Sprache für diese Thematik gefunden, wir können Formen von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt klar benennen und einordnen und konnten hierdurch einige Betroffene unterstützen.“ 

Camilla Goecke & Marieke Helmke (Juli 2020)

Marieke Helmke (links) and Camilla Goecke (rechts) während ihrer Lesung im Rahmen der Ausstellung „Animation Of Dead Material“ im Kunstraum Kreuzberg, 30.08.2020.

1 Anm. d. Redaktion: Sprache befindet sich im ständigen Wandel. Die Schreibweisen Frauen* und weiblich* galten zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes als inklusiv für Menschen, die durch Sexismus strukturell benachteiligt werden. Mittlerweile werden diese Bezeichnungen aufgrund ihrer Ungenauigkeit und Reproduktion sexistischer Stereotypen im Antidiskriminierungskontext nicht mehr verwendet. Stattdessen werden Begriffe benutzt, die genauer beschreiben, wer jeweils gemeint ist – z. B. „FLINTA*“. In jüngeren Blog-Texten und Interviews wurde auf die Schreibweise Frauen* und weiblich* deshalb verzichtet.

Leider ist der Eintrag nur auf English verfügbar.

The ARTIST TRAINING is one of many initiatives that have evolved in the wake of the summer of migration 2016 to, simply put, welcome Refugees.In its 5th year and 3rd funding period at UdK now, it still does so, but with a slightly different scope and wealth of experiences. In an effort to reflect on this past period, the Artist Training recently reached out to and caught up with some of its former participants and protagonists – “Conversations on exile” is a series of interviews around the themes of migration, art and work and will be published later this year. For this series Zainab Alsawah shared her experiences.

Zainab Alsawah is an actress from Syria. Born in Damascus in 1990, she grew up in Homs (Syria), where she studied English Literature at Baath University. There she started doing theater with the Labour Theatre Troupe under the direction of Farhan Bulbul. After fleeing Syria in 2013, she lived in Osnabrück for two years and resettled to Berlin in 2016 to study acting at the University of the Arts. During her studies, she performed at Theater Münster, Theaterdiscounter Berlin and Hans Otto Theater Potsdam. She has also acted in film and television. For her own project Zahn des Löwens at the University of the Arts, she won the DAAD prize for outstanding achievements of foreign students studying at German universities. In August 2020, she will become an ensemble member of the Oldenburgisches Staatstheater.

Manuela Goschy

Hi Zainab. Would you introduce yourself?

ZAINAB ALSAWAH

Hi. I am an actress from Syria. I came to Germany at the end of 2013 and started to study acting at the University of the Arts Berlin in 2016. I graduated in November last year and will soon start a two-year engagement with the state theater in Oldenburg.

Manuela Goschy

You weren’t a participant of the program, but you supported the ARTIST TRAINING in the last three years, first with moderation/translation in our workshops, later in marketing/communication, while you studied acting at UdK. How come you decided to pursue acting as a profession in Germany and change paths from what you had started in Syria?

ZAINAB ALSAWAH

Well, I kind of changed paths, but not completely. I had started doing theatre in Syria with the Labour Theatre Troupe in my hometown Homs while I was studying English Literature. I was 19 years old at that time. That was when I discovered my passion and I knew that I wanted to do this for the rest of my life. But I also knew that in Syria, you can not survive with theatre alone. So the plan was to continue studying, get a „normal“ job to earn money and still do theatre on the side. In Germany, I saw a chance to do this professionally and I was still at a reasonable age to study something new, something that will make me happy, so I went for it.

Manuela Goschy

Was it hard to get started with studying?

ZAINAB ALSAWAH

Yes, it was difficult to get started, especially if you were not from this country and you had been speaking the language for only two and a half years, as was my case. My language skills were enough to get accepted, but the first year was very hard, since we had to improvise a lot, and so I wasn’t as fast as my classmates. But I also wasn’t the only one who had these difficulties in the acting department, there were other students from different countries, and that is something I liked about studying at the UdK. I felt equal chances were given to all applicants regardless of their origin and importance was attached to diversity among students.

Manuela Goschy

And what is your view on the German theater scene in those regards?

ZAINAB ALSAWAH

I am lucky that I now have a German degree in acting. But generally speaking, it is very hard to get accepted and acknowledged as a professional if you are not from here. A lot of foreign actors and actresses suffer from discrimination in the field and most of them get casted only to play roles with a migration background, mostly because they look different or maybe have an accent. Casting in the film and television industries relies heavily on stereotypes, even for Germans, so you can imagine how it is for foreigners or people with a migration background. One might think that it could be different in theatre, where the element of illusion is somehow taken away by seeing the actors live on a stage and where a lot of situations are performed abstractly. So actually, it wouldn’t be a problem if, for example, Othello would be played by a native German or if a PoC actress would play the mother of a blond character. But this is sadly often not the case. Some theatres are doing massive steps in this direction, but we are still not at the point where it is no longer a statement to diversely cast a play, but rather a normality.

Manuela Goschy

I would think that Berlin is quite progressive in regards of diverse casts compared to smaller German towns. How do you feel about moving to Oldenburg now?

ZAINAB ALSAWAH

I am very excited about moving to Oldenburg. Yes, Berlin is probably more diverse than any other German city, but that doesn’t mean that I can only find my place as an actress in Berlin. I got a fair chance in a theatre where people are really interested in working with me, and that is exactly what I was looking for. As to Berlin, it is a nice diverse city, but it did not offer me what Oldenburg is offering me.

Manuela Goschy

Are there certain characters that are often ascribed to you? 

ZAINAB ALSAWAH

For film and television, I usually get asked to do castings for Arab roles, and I think you can imagine what the German stereotype for an Arab woman is, so I won’t bother you with the details. Of course I am not talking about every casting I did, but there is a majority. I don’t mind playing an Arab character, I mean I am an Arab woman in the end. It is rather the stereotyping that bothers me. To be seen as a certain type of actress could become a problem if I someday want to work as a freelancer, so I have to prove myself in the next few years in order not to fall into any kind of categorization. In Oldenburg I will be a part of the ensemble which means I will be able to play different roles with different biographies.

Manuela Goschy

Has living in exile opened or closed doors for you?

ZAINAB ALSAWAH

I have to admit that I got some roles because of my background and they turned out to be very good experiences. But the fact that I got accepted to study or that I got a two-year-contract at a theater didn’t have to do with where I come from, and I am very happy about that. It was my goal to have the same chances as any other German actress and to be cast for what I can do and not for where I come from. Of course, what I went through changed me and made me the person and even the actress that I am now. People who gave me these chances were also interested in my biography, but I like to think that they made their decisions because they could see me in any role.

Manuela Goschy

Your German is perfect, you earned a degree and found a job. One might think it must have been easy for you to integrate, as far as the German standard of integration is concerned.

ZAINAB ALSAWAH

I don’t know how I feel about the word „integration“. I mean, I live here now and my whole life is here and this is the only place I can call „home“ since I can’t go back. Of course, you have to adapt to some degree in order to feel that way. But the important thing is that you find a way to express yourself, because then people can start to interact with you and then you can start to feel like you belong. Otherwise it is hard and you would feel out of place. So I think „integration“, if we want to use that word, starts with the way you feel about the place you live in.

Manuela Goschy

What are your aspirations for the future?

ZAINAB ALSAWAH

I hope I can have good experiences in my field and play roles that challenge me and that I get to know and work with open and creative colleagues. Someday, maybe in five or ten years, I want to have or be a part of a theatre company where I can bring in my own ideas and realize my own projects. There are a lot of stories yet to be told in this crazy world of wars and injustice, and I would like to make my contribution to the documentation of fates that often get forgotten in the exhaustion of everyday life.

Vielen fehlen gerade die Worte

In Samara Daioubs Glossaren werden Leerstellen und Privilegien benannt, um ein sensibilisiertes Problembewusstsein zu ermöglichen und die eigene Aufklärungsarbeit zu erleichtern. Die darin versammelten Begriffe setzen die notwendige und lange überfällige Auseinandersetzung weißer Menschen mit Rassismus in Gang.

Es wird schon lange, ja schon immer, vor allem von betroffenen Personen über Rassismus geredet. 

Der Rest der Welt, genauer die weiße Welt, konnte lange das Privileg genießen, wegzuschauen, wenn Schwarze Personen von der Polizei ermordet, People of Color jegliche Art von Ressourcen und Zugängen verweigert und wenn Massenmorde an People of Color, wie in Hanau, begangen wurden. 

Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu und Said Nessar Hashemi. Wir dürfen diese Namen nie vergessen. 

23. Februar 2020 der Mord an Ahmaud Arbery, USA
13. März 2020 der Mord an Breonna Taylor, USA
25. Mai 2020 der Mord an George Floyd, USA 

Viele mehr wurden vor und nach ihnen zu Opfer von rassistisch motivierter (Polizei-) Gewalt in den USA. 

Atatjana Jefferson, Aura Rosser, Stephon Clark, Botham Jean, Charleena Lyles, Phillando Castille, India Beaty, Alton Sterling, Nina Pop, Michelle Cusseaux, Tony McDade, Freddie Gray, Janisha Fonville, Eric Garner, Rekia Boyd, Akai Gurley, Gabriela Nevarez, Tamir Rice, Michael Brown, Tanisha Anderson und viele mehr. Diese Namen dürfen wir nie vergessen. 

Aber auch in Deutschland, müssen wir die Namen der Opfer von rassistisch motivierter (Polizei-) Gewalt benennen können. 

Oury Jalloh, Ousman Sey, Laya-Alama Condé, Amad Ahmad, Halim Dener , Achidi John, Kola Bankole, Zdravko Nikolov Dimitrov, Aamir Ageeb, N‘deye Mareame Sarr, Michael Paul Nwabusi, Dominique Koumadio, Slieman Hamade, Christy Schwundeck, Bekir B., Matiullah Jabarkhil, Rooble Muße Warsame, Hussam Fadl, Yaya Jabbi und viele mehr. Auch diese Namen dürfen wir nie vergessen. 

2020 ist das Jahr, in dem eine Lawine von Schmerz, Trauer und Wut endlich auch die weiße Mehrheitsgesellschaft erreicht. 

Es ist soweit: die Stimmen, die schon seit Jahrzehnten laut gegen diese Unterdrückung, Gewalt und Ungleichbehandlung sind, werden endlich gehört. Eigentlich waren sie ja immer schon laut genug, nur ist das Privileg weißer Personen, sich nicht mit dem Thema Rassismus beschäftigen zu müssen, einfach lauter. 

2020 ist das Jahr, ab dem es nicht mehr ausreichen wird, „Ich bin kein Rassist!“ zu sagen. 

2020 ist das Jahr, ab dem wir anerkennen, dass Rassismus ein weißes Problem ist, ab dem wir rassistische Handlungen als solche benennen und uns selbst sowie unsere Freunde und Familien aufklären. 

2020 ist das Jahr, ab dem man den Diskurs über Rassismus suchen, die Namen der Opfer laut sagen und aktiv gegen Rassismus vorgehen muss. 

Als weiße, bislang uninformierte Person kann es schwierig sein sich plötzlich mit der Schuld, Scham und den eigenen Privilegien auseinandersetzen zu MÜSSEN. 

Dabei war es eines der Privilegien, so lange eben nichts zu müssen. 

Umso wichtiger ist es aber, diesen anstrengenden Prozess der eigenen Aufklärung durchzumachen, um dann wiederum die eigene Familie und Freunde konfrontieren und informieren zu können. 

Die folgenden Glossare habe ich ausgehend von meiner eigenen Erfahrung mit solchen Konfrontationen und der Tatsache, dass sie oft ins Leere führen können, zusammengestellt. Einige der Begriffsdefinitionen sind von mir selbst formuliert, während der Rest der Definitionen aus dem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten von Alice Hasters und den online Glossaren von IDA e.V.Racial Equity ToolsPacific University OregonDiversity Arts Culture und Gender Glossar zitiert ist. 

Wenn wir diskutieren, geht es nicht nur darum, wichtige und richtige Argumente zu haben, es geht auch darum, wichtige und richtige Wörter für diese Argumente zu benutzen. Solange wir ein Konzept, eine Struktur oder auch ein Gefühl nicht benennen können, wird dessen Existenz immer in Frage gestellt werden. Diese Begriffe sind unsere Werkzeuge mit denen wir unsere Argumente sicher und stabil aufbauen können. Sie können uns davor schützen, manipulativen Antworten nachzugeben, wenn wir anfangen, die oft unbewussten, dennoch toxischen, Gesprächsmuster zu benennen. 

Diese Glossare sollen den ersten Schritt zur eigenen Aufklärungsarbeit erleichtern. Aller Anfang ist schwer, aber in diesem Fall dringend notwendig und lange überfällig.

Eine Policy für wirkliche Chancen

Im Hochschulvertrag mit dem Senat Berlin wurde 2016 festgelegt, dass alle Universitäten eine Diversity Policy erarbeiten müssen. Durch sie soll sichergestellt werden, dass an Universitäten ein wertschätzender Umgang mit Diversity gepflegt und Diskriminierungen jeglicher Form entgegengewirkt wird. An der Universität der Künste in Berlin ging der Auftrag zur Erarbeitung der Policy für die Hochschule an die Ständige Kommission für Chancengleichheit. Die Mitglieder Tashy Endres, Maja Figge und Claudia Hummel erzählen im Interview von den Zielen und Herausforderungen dabei.

Annina Bachmeier

Wie geht ihr vor, um die Diversity Policy für die UdK zu erarbeiten? 

TASHY ENDRES

Wir haben uns innerhalb der Kommission für Chancengleichheit zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, der AG Critical Diversity, um den Prozess gezielt und konzentriert voranzubringen. Ihr gehören neben Claudia Hummel, Maja Figge und mir Mathilde ter Heinje, Samara Hammud, Katrin Köppert und Anne Merle Krafeld an. In dieser AG Critical Diversity haben wir in Bezug auf die Policy recherchiert, wie die Policies anderer Universitäten aussehen und daraus einen Anfangsfahrplan erarbeitet. Uns ist aufgefallen, dass es beim Thema Perspektivenvielfalt vor allem wichtig ist, herauszufinden, welchen Bedarf es an der UdK überhaupt gibt. Wir wollen das als hochschulweiten kollektiven Prozess gestalten. Das Thema soll an der Uni in Gesprächen und Diskussionen erörtert werden, so können wir am besten die Bedarfe in den verschiedenen Statusgruppen und  Fachbereichen herausfinden und die Problemfelder gezielt benennen. 

MAJA FIGGE

Gleichzeitig ist uns wichtig, dass das Thema Diversität und Antidiskriminierung mit der Policy eine Öffentlichkeit und Sensibilisierung erreicht, damit mehr Menschen als nur die Betroffenen darüber reden. Wir haben uns an der UdK mit vielen Menschen vernetzt, die sich mit diesen Themen beschäftigen, unter Anderem dem International Office, dem Studium Generale, der Frauenbeauftragten, der Projektgruppe Intersectional Matter, dem AStA Referat für Interkulturelles und Antidiskriminierung. Mit Ihnen zusammen haben wir einen Rat für Vielfalt und Gleichberechtigung an der UdK gegründet.

Annina Bachmeier

Gibt es konkrete Umsetzungspläne, damit die Inhalte der Policy wirklich in der Universität ankommen und nicht nur Worte auf einem Papier bleiben?

TASHY ENDRES

Gerade haben wir noch keinen kompletten Überblick, über das, was gebraucht wird. Da gibt es noch Lücken, die wir in Gesprächen, vor allem mit den möglichen diskriminierten Gruppen selbst, schließen müssen. Es handelt sich zum Beispiel um Fragen wie: haben Trans-Studierende eine selbstverständliche Zugänglichkeit für die gesamte Universität? Wie viele Professor*innen mit Arbeiter*innenhintergrund gibt es eigentlich an der Universität? Oder wie können Hürden für Studierende abgebaut werden, deren erste Sprache nicht Deutsch ist. 

Für uns geht es um Diversität, damit meinen wir aber nicht einen unkritischen “bunten Kessel”oder Management-Konzepte, sondern das Erkennen und Benennen struktureller Diskriminierungen und das Entwickeln von gezielten Maßnahmen dagegen. Als eine konkrete Maßnahme wäre es unserer Überlegung nach sinnvoll, eine Beratungsstelle für Antidiskriminierung einzurichten, an die man sich bei Problemen und Diskriminierungserfahrungen an der UdK wenden kann.

CLAUDIA HUMMEL

Man muss auch bedenken, das wir uns an der UdK als Kunsthochschule, bewusst sein müssen, dass neben den verschiedenen  Dimensionen wie Gender, Trans-/Intersexualität, Rassifizierung, sexuelle Identität, Klasse, soziale Herkunft, Behinderung, Alter, Religion, Weltanschauung und Intersektionalität, auch noch weitere Ausschlussmechanismen hinzukommen können. Unreflektierte Kunst- oder Bildungsbegriffe zum Beispiel, die identifiziert werden müssen.

Annina Bachmeier

Was kann man sich unter einem unreflektierten Einsatz von Kunstbegriffen vorstellen? 

CLAUDIA HUMMEL

In der Schweiz gibt es die Studie Art School Differences. An drei Schweizer Kunsthochschulen wurde erforscht, welche Diskriminierungsformen an den Kunsthochschulen eine Rolle spielen können. In Bezug zu Aufnahmeprüfungen für Musikstudien hat sich beispielsweise herausgestellt, dass Menschen, die in einem musikalischen Raum aufgewachsen sind, in dem man sich nicht, wie in Europa, an der Zwölftonleiter orientiert, viel leichter durch die Prüfungen für Gehörbildung fallen, weil sie sich musikalisch in einem anderen Kontext bewegen. Sie können dafür Vierteltöne hören, die viele Europäer*innen nicht gelernt haben zu hören. Da taucht eine eurozentristische Idee von Fähigkeit im Bereich Musik auf, die für alle Leute, die in einem anderen musikalischen Raum als dem europäischen sozialisiert wurden, diskriminierend ist. 

MAJA FIGGE

Allgemein sind diese Aufnahmeverfahren an den Kunsthochschulen von einem Begabungsbegriff geprägt, der von eurozentrischen Grundsätzen und Vorstellungen ausgeht, die nicht immer hinterfragt werden. Wie und auf welcher Grundlage soll gemessen werden, wer begabt ist und wer nicht? Dadurch würden in Zukunft die Aufnahmeprozesse vielleicht neu gestaltet werden.

Annina Bachmeier

Welche Ansätze gibt es, um Personen aus minorisierten Gruppen zu erreichen, denen es oft an Selbstbewusstsein fehlt, sich an Kunsthochschulen wie der UdK überhaupt zu bewerben? 

CLAUDIA HUMMEL

Dabei spielt der Auftritt der UdK nach außen eine große Rolle. Wo taucht die UdK auf, in welchem Kontext, welcher Bild- und Sprachpolitik bedient sie sich bei ihrem Auftritt. In welchen Räumen finden Begegnungen statt, wie und wo können Schüler*innen erfahren, dass man an der UdK studieren kann. Das muss in den Maßnahmen für Diversität noch weiter ausgebaut werden. 

TASHY ENDRES

Die Kommunikation nach außen und damit das Anziehen diverserer Bewerber*innen muss mit einem diskriminierungssensiblen und immer wieder neu zu reflektierenden Auswahlverfahren einhergehen. Wenn wir Leuten vermitteln, dass sie Chancen haben, der Auswahlprozess aber nicht die entwickelten Grundsätze aus der Policy Struktur übernimmt, ist das auch wieder problematisch. 

MAJA FIGGE

Es ist wichtig, dass bei den Lehrenden, Professor*innen und wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter*innen eine aktivere Suche nach einer inklusiveren Einstellungspolitik stattfindet. Sodass die Studierenden überhaupt Leute haben, mit denen sie sich identifizieren können, die ihre eigene Geschichte repräsentieren. Ziel wäre, dass sich die gesamte Gesellschaft in der Kunsthochschule widerspiegelt, nicht nur ein kleiner privilegierter Teil.

Die AG Critical Diversity ist eine Initiative der Kommission für Chancengleichheit der

Ableismus ist die Diskriminierung und das soziale Vorurteil gegenüber Menschen mit bestimmten körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Bedürfnissen. In der Regel handelt es sich dabei um eine Abwertung der physischen und psychischen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, die auf einer vermeintlichen biologischen (körperlichen und/oder geistigen) Norm dessen beruht, was ein nichtbehinderter, neurotypischer Mensch sein sollte. Ableismus kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung wie Rassismus und Sexismus überschneiden.

Adultismus ist die im Alltag und im Recht anzutreffende Diskriminierung, die auf ungleichen Machtverhältnissen zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen andererseits beruht.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, ist das einheitliche zentrale Regelwerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rassifizierung, ethnischer Herkunft, Geschlechtsidentität, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung umfassend regelt.

Antisemitismus ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber jüdischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, jüdischen Einrichtungen oder allem, was als jüdisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Antisemitismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Barrierefreiheit bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Umgebung für möglichst viele Menschen zugänglich ist und von ihnen genutzt werden kann. Inklusive Barrierefreiheit bewertet daher die Bedürfnisse und Wünsche aller möglichen Menschen – einschließlich derjenigen, die neurodivergent sind oder unterschiedliche Fähigkeiten haben – und bezieht diese in Design und Funktion mit ein. Änderungen, die Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten die gleiche Chance und Teilnahme ermöglichen, werden oft als behindertengerechte Anpassungen bezeichnet.

Belästigung ist ein unerwünschtes und nicht einvernehmliches Verhalten, das die Würde einer anderen Person verletzt. Belästigung kann oft ein einschüchterndes, feindseliges, demütigendes oder kränkendes soziales Klima erzeugen und kann auf der sexuellen Orientierung, der Religion, der nationalen Herkunft, einer Behinderung, dem Alter, der Rassifizierung, dem Geschlecht usw. einer Person beruhen. Belästigungen können verschiedene Formen annehmen, darunter verbale, körperliche und/oder sexualisierte.

Das binäre Geschlecht ist die Einteilung der Geschlechter in zwei unterschiedliche und entgegengesetzte Kategorien: Mann/männlich und Frau/feminin. Dieses Glaubenssystem geht davon aus, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit den traditionellen sozialen Konstruktionen von männlicher und weiblicher Identität, Ausdruck und Sexualität übereinstimmt. Eine Zuweisung außerhalb des binären Geschlechts wird in der Regel als Abweichung von der Norm betrachtet.

Das Konzept des biologischen Geschlechts bezieht sich auf den biologischen Status einer Person, welcher meist bei der Geburt zugewiesen wird – in der Regel aufgrund der äußeren Anatomie. Das biologische Geschlecht wird in der Regel als männlich, weiblich oder intersexuell kategorisiert.

Cis-Geschlechtlichkeit, oder einfach cis, bezieht sich auf Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Cis kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „auf dieser Seite von“ bedeutet.

as Konzept nach Birgit Rommelspacher geht davon aus, dass es ein System von Hierarchien, Herrschaft und Macht gibt, indem die verschiedenen rassistischen, sexistischen, klassistischen und weiteren Herrschaftsformen sich ineinander verflechten. In dieser Verflechtung hat jeweils eine dominante Gruppe die Macht, welche gesellschaftlich immer wieder ausgehandelt wird. In einer bestehenden Gesellschaft erlangt die dominante Gruppe ihre Rolle dadurch, dass sie als zur Mehrheit der Bevölkerung gehörend wahrgenommen wird und in den gesellschaftlichen Institutionen eine bedeutende Präsenz hat.

Der gefängnisindustrielle Komplex (PIC) ist ein Begriff, der die komplexen und miteinander verknüpften Abhängigkeiten zwischen einer Regierung und den verschiedenen Unternehmen und Institutionen beschreibt, die von den Praktiken der Freiheitsentziehung profitieren (z. B. Gefängnisse, Haftanstalten, Abschiebeeinrichtungen und psychiatrische Kliniken). In Anlehnung an den Begriff „militärisch-industrieller Komplex” plädiert der PIC für eine umfassendere Analyse der Art und Weise, wie die Freiheitsberaubung in einer Gesellschaft eingesetzt wird, und nennt alle Interessengruppen, die finanzielle Gewinne über Strategien der Vermeidung der Inhaftierung von Menschen stellen.

Genderexpansiv ist ein Adjektiv, das eine Person mit einer flexibleren und fließenderen Geschlechtsidentität beschreiben kann, als mit der typischen binären Geschlechtszugehörigkeit assoziiert werden könnte.

Geschlecht wird oft als soziales Konstrukt von Normen, Verhaltensweisen und Rollen definiert, die sich von Gesellschaft zu Gesellschaft und im Laufe der Zeit verändern. Es wird oft als männlich, weiblich oder nicht-binär kategorisiert.

Die Geschlechtsangleichung ist ein Prozess, den eine Person durchlaufen kann, um sich selbst und/oder ihren Körper in Einklang mit ihrer Geschlechtsidentität zu bringen. Dieser Prozess ist weder ein einzelner Schritt noch hat er ein bestimmtes Ende. Vielmehr kann er eine, keine oder alle der folgenden Maßnahmen umfassen: Information der Familie und des sozialen Umfelds, Änderung des Namens und der Pronomen, Aktualisierung rechtlicher Dokumente, medizinische Maßnahmen wie Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe, die oft als geschlechtsangleichende Operation bezeichnet werden.

Der Ausdruck des Geschlechts ist die Art und Weise, wie eine Person ihr Geschlecht nach außen hin verkörpert, was in der Regel durch Kleidung, Stimme, Verhalten und andere wahrgenommene Merkmale signalisiert wird. Die Gesellschaft stuft diese Merkmale und Leistungen als männlich oder weiblich ein, obwohl das, was als männlich oder weiblich gilt, im Laufe der Zeit und zwischen den Kulturen variiert.

Geschlechtsdysphorie ist eine psychische Belastung, die sich aus der Inkongruenz zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der eigenen Geschlechtsidentität ergibt. Menschen aller Geschlechter können Dysphorie in unterschiedlicher Intensität oder auch überhaupt nicht erleben.

Die Geschlechtsidentität ist das innere Selbstverständnis einer Person in Bezug auf ihr Geschlecht. Im Gegensatz zum Geschlechtsausdruck ist die Geschlechtsidentität für andere nicht äußerlich sichtbar.

Heteronormativität ist das Konzept, dass Heterosexualität – romantische und/oder sexuelle Anziehung zwischen Menschen des „anderen“ Geschlechts –  die normative oder einzig akzeptierte sexuelle Orientierung in einer Gesellschaft ist. Heteronormativität geht vom binären Geschlechtsmodell aus und beinhaltet daher den Glauben an eine Übereinstimmung zwischen Sexualität, Geschlechtsidentität, Geschlechterrollen und biologischem Geschlecht. Als vorherrschende soziale Norm führt die Heteronormativität zu Diskriminierung und Unterdrückung derjenigen, die sich nicht als heterosexuell identifizieren.

Bei der Hormontherapie, auch geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) oder Hormonersatztherapie (HRT) genannt, werden Geschlechtshormone oder andere hormonelle Medikamente verabreicht. Diese Hormonveränderungen können körperliche Veränderungen auslösen, die als sekundäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet werden und dazu beitragen können, den Körper besser auf die Geschlechtsidentität einer Person anzupassen.

Institutionelle Diskriminierung bezieht sich auf vorurteilsbehaftete organisatorische Maßnahmen und Praktiken innerhalb von Institutionen – wie Universitäten, Unternehmen usw. –, die dazu führen, dass eine marginalisierte Person oder Personengruppe ungleich behandelt wird und ungleiche Rechte hat.

Inter* oder Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der Menschen beschreiben kann, die Unterschiede in der reproduktiven Anatomie, bei den Chromosomen oder den Hormonen aufweisen, die nicht den typischen Definitionen von männlich und weiblich entsprechen. Das Sternchen (*) unterstreicht die Vielfalt der intersexuellen Realitäten und Körperlichkeiten.

Intergenerationales Trauma bezieht sich auf das Trauma, das von einer traumaüberlebenden Person an deren Nachkommen weitergegeben wird. Aufgrund von gewalttätigen und lebensbedrohlichen Ereignissen wie Kriegen, ethnischen Säuberungen, politischen Konflikten, Umweltkatastrophen usw., die von früheren Generationen erlebt wurden, können die Nachkommen negative emotionale, körperliche und psychologische Auswirkungen erfahren. Da die ursprünglichen Ursachen von Traumata durch Formen der Diskriminierung wie Rassifizierung und Geschlecht bedingt sind, treten intergenerationale Traumata auch entlang intersektionaler Achsen der Unterdrückung auf. Schwarze Gemeinschaften haben zum Beispiel das intergenerationale Trauma der Versklavung ans Licht gebracht. Intergenerationales Trauma wird manchmal auch als historisches Trauma, multi- oder transgenerationales Trauma oder sekundäre Traumatisierung bezeichnet.

Intersektionalität benennt die Verflechtung von Unterdrückungssystemen und sozialen Kategorisierungen wie Rassifizierung, Geschlecht, Sexualität, Migrationsgeschichte und Klasse. Intersektionalität betont, dass die einzelnen Formen der Diskriminierung nicht unabhängig voneinander existieren und auch nicht unabhängig voneinander betrachtet und bekämpft werden können. Vielmehr sollten bei der Bekämpfung von Unterdrückung die kumulativen und miteinander verknüpften Achsen der verschiedenen Formen von Diskriminierung berücksichtigt werden.

Islamophobie ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber muslimischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, muslimischen Einrichtungen oder allem, was als muslimisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Islamophobie kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Klassismus ist ein Begriff, der die Diskriminierung beschreibt, die auf der Überzeugung beruht, dass der soziale oder wirtschaftliche Status einer Person ihren Wert in der Gesellschaft bestimmt. Klassismus als eine Form der Diskriminierung und Stigmatisierung basiert auf tatsächlichen oder angenommenen finanziellen Mitteln, dem Bildungsstatus und der sozialen Integration. In der Hierarchie „unterlegene“ gesellschaftliche Klassen werden problematisiert und stereotypisiert und erhalten oft ungleichen Zugang und Rechte innerhalb der Gesellschaft.

Kolonialismus ist die Kontrolle und Dominanz einer herrschenden Macht über ein untergeordnetes Gebiet oder Volk. Bei der Unterwerfung eines anderen Volkes und Landes beinhaltet der Kolonialismus die gewaltsame Eroberung der Bevölkerung, die oft mit der Massenvertreibung von Menschen und der systematischen Ausbeutung von Ressourcen einhergeht. Abgesehen von den materiellen Folgen zwingt der Kolonialismus dem unterworfenen Volk auch die Sprache und die kulturellen Werte der herrschenden Macht auf, was kulturelle, psychologische und generationenübergreifende Traumata zur Folge hat.

Kulturalistisch argumentierter Rassismus richtet sich gegen Menschen aufgrund ihres mutmaßlichen kulturellen oder religiösen Hintergrunds. Diese Form der Diskriminierung kann unabhängig davon auftreten, ob sie tatsächlich eine Kultur oder Religion ausüben und wie religiös sie sind (z. B. antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus).

Kulturelle Aneignung ist der Akt der Übernahme von Aspekten einer marginalisierten Kultur durch eine Person oder eine Institution, die dieser Kultur nicht angehört, ohne umfassendes Verständnis des Kontexts und oft ohne Respekt für die Bedeutung des Originals. Kulturelle Aneignung reproduziert Schaden, wenn sie negative kulturelle oder rassistische Stereotypen fördert. Kulturelle Aneignung kann oft die Machtdynamik innerhalb einer Gesellschaft offenbaren: So wird beispielsweise eine weiße Person, die die traditionelle Kleidung einer marginalisierten Kultur trägt, als modisch gelobt, während eine rassifizierte Person von der dominanten Gruppe isoliert und als fremd bezeichnet werden könnte.

Marginalisierung beschreibt jeglichen Prozess der Verdrängung von Minderheiten an den Rand der Gesellschaft. Marginalisierten Gruppen wird in der Regel unterstellt, dass sie nicht der normorientierten Mehrheit der Gesellschaft entsprechen und sind in ihren Möglichkeiten, sich frei zu verhalten, gleichen materiellen Zugang zu haben, öffentliche Sicherheit zu genießen usw., stark eingeschränkt.

Mikroaggression bezeichnet einzelne Kommentare oder Handlungen, die unbewusst oder bewusst Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Mitgliedern von Randgruppen zum Ausdruck bringen. Als kleine, häufige und kumulative Vorkommnisse können Mikroaggressionen aus Beleidigungen, Stereotypen, Abwertung und/oder Ausgrenzung bestehen. Mikroaggressionen wirken sich oft negativ auf die Person aus, die sie erleidet, und beeinträchtigen ihre psychische und physische Gesundheit und ihr Wohlbefinden.

Misogynie ist ein Begriff für sexistische Unterdrückung und Verachtung von Frauen, der dazu dient, Frauen in einem niedrigeren sozialen Status als Männer zu halten und so patriarchalische soziale Rollen aufrechtzuerhalten. Misogynie kann eine Haltung von Einzelpersonen und ein weit verbreitetes kulturelles System bezeichnen, das häufig alles abwertet, was als weiblich wahrgenommen wird. Frauenfeindlichkeit kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung und des Hasses überschneiden, z. B. mit Homophobie, Trans*-Misogynie und Rassismus.

Neurodiversität ist ein Begriff, der die einzigartige Funktionsweise der Gehirnstrukturen eines jeden Menschen beschreibt. Die Grundannahme, welche Art von Gehirnfunktion in einer normorientierten Mehrheitsgesellschaft gesund und akzeptabel ist, wird als neurotypisch bezeichnet.

Nonbinär ist ein Begriff, der von Personen genutzt werden kann, die sich selbst oder ihr Geschlecht nicht in die binären Kategorien von Mann oder Frau einordnen. Es gibt eine Reihe von Begriffen für diese Erfahrungen, wobei nonbinary und genderqueer häufig verwendet werden.

Das Patriarchat ist ein soziales System, in dem cis-geschlechtliche Männer sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich eine privilegierte Stellung einnehmen. In der feministischen Theorie kann der Begriff verwendet werden, um das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern zu beschreiben, das die männliche Dominanz begünstigt, sowie die Ideologie der männlichen Überlegenheit, die die Unterdrückung von Frauen und allen nicht-normativen Geschlechtern rechtfertigt und durchsetzt.

Pronomen oder persönliche Geschlechtspronomen (PGP) sind die Pronomen, die eine Person verwendet, um sich selbst zu bezeichnen, und die andere verwenden sollen, wenn sie sich auf sie beziehen. Die Liste der Pronomen entwickelt sich ständig weiter. Eine Person kann mehrere bevorzugte Pronomen haben oder auch gar keine. Die Absicht, die Pronomen einer Person zu erfragen und korrekt zu verwenden, besteht darin, die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen für diejenigen zu verringern, deren persönliche Pronomen nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen, die von einer cis-normativen Gesellschaft angenommen wird. Die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen und Begriffe sind ebenfalls inkludierende Schritte, die sich dem binären Geschlechtermodell und der Cis-Normativität widersetzen.

Rassismus ist der Prozess, durch den Systeme, politische Maßnahmen, Aktionen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen aufgrund von Rassifizierung und rassistischen Zuschreibungen schaffen. Rassismus geht über individuelle oder institutionelle Vorurteile hinaus und tritt auf, wenn diese Diskriminierung mit der Macht einhergeht, die Rechte von Menschen und/oder Gruppen einzuschränken oder zu unterdrücken. Rassismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Sex-Gender-Differenz bezeichnet die Unterscheidung zwischen dem Konzept des „biologischen Geschlechts“ als biologischer Tatsache und dem Konzept des „sozialen Geschlechts“ als Produkt kultureller und sozialer Prozesse, wie z. B. sozial konstruierte Rollen, Verhaltensweisen, Ausdrucksformen und geschlechtsspezifische Identitäten.

Sexismus ist der Prozess, durch den Systeme, Politiken, Handlungen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen auf der Grundlage ihres zugeschriebenen oder vermeintlichen Geschlechts schaffen und beschreibt die Ideologie, die diesen Phänomenen zugrunde liegt. Der Begriff wird meist verwendet, um die Machtverhältnisse zwischen dominanten und marginalisierten Geschlechtern in cisheteronormativen patriarchalen Gesellschaften zu benennen.

Sexuelle Orientierung ist der Begriff, der beschreibt, zu welchem Geschlecht sich eine Person emotional, körperlich, romantisch und/oder sexuell hingezogen fühlt.

Die soziale Herkunft beschreibt die soziokulturellen Werte und Normen, in die jemand hineingeboren wird, einschließlich Faktoren wie Umfeld, Klasse, Kaste, Bildungsbiografie und mehr. Die Werte, die mit der sozialen Herkunft einhergehen, sind konstruiert, haben aber oft materielle Auswirkungen, die bestimmte Gruppen und Menschen privilegieren oder benachteiligen. Wer beispielsweise in einem westlichen Land lebt, generationenübergreifenden Reichtum geerbt hat und über eine durchweg gute Ausbildung verfügt, hat als Erwachsener bessere Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz. Die soziale Herkunft muss also berücksichtigt werden und nicht die inhärente Eignung für einen Job.

Eine soziale Norm ist ein gemeinsamer Glaube an den Standard für akzeptables Verhalten von Gruppen, der sowohl informell als auch in der Politik oder im Gesetz verankert ist. Soziale Normen unterscheiden sich im Laufe der Zeit und zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaften.

Der sozioökonomische Status, der in der Regel als niedrig, mittel oder hoch eingeordnet wird, beschreibt Menschen auf der Grundlage ihrer Ausbildung, ihres Einkommens und der Art ihrer Tätigkeit. Die Werte und Normen, die den einzelnen sozioökonomischen Klassen zugeordnet werden, sind sozial konstruiert, haben aber materielle Auswirkungen.

Strukturelle Diskriminierung bezieht sich auf Verhaltensmuster, Strategien und Einstellungen, die auf der Makroebene der Gesellschaft zu finden sind. Diese Diskriminierung sozialer Gruppen beruht auf der Natur der Gesellschaftsstruktur als Ganzes. Strukturelle Diskriminierung unterscheidet sich von individuellen Formen der Diskriminierung (z. B. eine einzelne rassistische Bemerkung, die eine Mikroaggression darstellt), obwohl sie oft den kontextuellen Rahmen für das Verständnis der Gründe für diese individuellen Fälle liefert.

Tokenismus ist eine nur oberflächliche oder symbolische Geste, die Angehörige von Minderheiten einbindet, ohne die strukturelle Diskriminierung der Marginalisierung wesentlich zu verändern oder zu beseitigen. Der Tokenismus ist eine Strategie, die den Anschein von Inklusion erwecken und von Diskriminierungsvorwürfen ablenken soll, indem eine einzelne Person als Vertreter einer Minderheit eingesetzt wird.

Weiße Vorherrschaft bezeichnet die Überzeugungen und Praktiken, die Weiße als eine von Natur aus überlegene soziale Gruppe privilegieren, die auf dem Ausschluss und der Benachteiligung anderer rassifizierter und ethnischer Gruppen beruht. Sie kann sich auf die miteinander verknüpften sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systeme beziehen, die es Weißen ermöglichen, sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene strukturelle Vorteile gegenüber rassifizierten Gruppen zu genießen. Der Begriff kann sich auch auf die zugrundeliegende politische Ideologie beziehen, die vielfältige Formen der Vorherrschaft von Weißen und nicht-weißen Anhängern erzwingt und aufrechterhält, von der Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus bis hin zu den heutigen Neofaschismen.

Weißsein ist ein gesellschaftlich und politisch konstruiertes Verhalten, das eine Ideologie, Kultur, Geschichte und Wirtschaft aufrechterhält, die zu einer ungleichen Verteilung von Macht und Privilegien zugunsten derjenigen führt, die gesellschaftlich als weiß gelten. Die materiellen Vorteile des Weißseins werden auf Kosten Schwarzer, indigener und Menschen of Color erzielt, denen systematisch der gleiche Zugang zu diesen materiellen Vorteilen verwehrt wird. Auf diesem Blog wird weiß oftmals kursiv geschrieben, um es als politische Kategorie zu kennzeichnen und die Privilegien des Weißseins zu betonen, die oft nicht als solche benannt, sondern als unsichtbare Norm vorausgesetzt werden.

Xenophobie bezeichnet die Feindseligkeit gegenüber Gruppen oder Personen, die aufgrund ihrer Kultur als „fremd“ wahrgenommen werden. Fremdenfeindliche Haltungen sind oft mit einer feindseligen Aufnahme von Einwanderern oder Flüchtlingen verbunden, die in Gesellschaften und Gemeinschaften ankommen, die nicht ihre Heimat sind. Fremdenfeindliche Diskriminierung kann zu Hindernissen beim gleichberechtigten Zugang zu sozioökonomischen Chancen sowie zu ethnischen, rassistischen oder religiösen Vorurteilen führen.

Abolition ist ein Begriff, der das offizielle Ende eines Systems, einer Praxis oder einer Institution bezeichnet. Der Begriff hat seine Wurzeln in den Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert und wird heute oft verwendet, um die Praxis der Polizei und des Militärs und/oder die miteinander verbundenen Gefängnisse, Geflüchtetenlager, Haftanstalten usw. zu beenden. Weitere Informationen finden Sie in der Definition des gefängnisindustrielle Komplexes).

Accountability oder auch Rechenschaftspflicht ist die Verpflichtung und die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit bezieht sich die Rechenschaftspflicht auf die Art und Weise, in der Einzelpersonen und Gemeinschaften sich selbst an ihre Grundsätze und Ziele halten und die Gruppen anerkennen, denen gegenüber sie verantwortlich sind. Rechenschaftspflicht erfordert oft einen transparenten Prozess und ein kontinuierliches Selbst- und Kollektivbewusstsein.

Ageism, auch Altersdiskriminierung genannt, ist eine Diskriminierung oder ein Vorurteil aufgrund des Alters einer Person, z. B. wenn Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgrund des höheren oder niedrigeren Alters einer Person in Frage gestellt und bewertet werden.

Agender ist ein Adjektiv, das von Personen genutzt werden kann, die sich mit keinem bestimmten Geschlecht identifizieren.

BIPoC steht für Black, Indigenous und People of Color. Dieser aus den USA stammende Begriff ist eine Selbstbezeichnung, die darauf abzielt, Menschen und Gruppen zu vereinen, die von Rassismus betroffen sind. Die Selbstbezeichnung rückt die spezifischen Erfahrungen Schwarzer, indigener und anders rassifizierter Gruppen in den Mittelpunkt, welche stark von systematischer rassistischer Ungleichbehandlung, deren Wurzeln in der Geschichte der Versklavung und des Kolonialismus liegen, betroffen sind.

Colorism ist ein Begriff, der die Vorurteile oder Diskriminierung beschreibt, welche rassifizierte Menschen mit hellerer Hautfarbe bevorzugt, während solche mit dunklerer Hautfarbe benachteiligt werden. Er wird vor allem verwendet, um die nuancierte Diskriminierung innerhalb einer rassifizierten oder ethnischen Gruppe zu beschreiben.

Die Critical Diversity Policy der UdK ist ein Dokument, welches die Vorstellung hervorheben und durchsetzen soll, dass Unterschiede in Werten, Einstellungen, kulturellen Perspektiven, Überzeugungen, ethnischen Hintergründen, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Fähigkeiten, Wissen und Lebenserfahrungen jeder*jedes Einzelnen in jeder Gruppe von Menschen innerhalb der Universität berücksichtigt und überwunden werden sollten.

Deadnaming ist der Akt, für eine trans*, nicht-binäre oder genderexpansive Person mit ihren Geburtsnamen oder einen falschen Namen zu nutzen, wenn diese ihren Namen als Teil ihres Geschlechtsausdrucks geändert hat. Es ist niemals in Ordnung oder notwendig, den Deadname einer Person zu verwenden, wenn sie ihren Namen geändert hat, auch nicht bei der Beschreibung von Ereignissen in der Vergangenheit. Wenn Du eine Person mit ihrem Deadname anredest, übernimm Verantwortung, indem Du dich entschuldigst und verpflichtest, dies in Zukunft nicht mehr zu tun. Erkundige Dich nach dem aktuellen Namen der Person und bemüh Dich, ihn konsequent zu verwenden.

Dieser soziologische Begriff konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Menschen Geschlecht wahrnehmen, (re-)produzieren und im täglichen Leben als relevant erachten. Im Gegensatz zur Annahme, dass Geschlecht eine angeborene Eigenschaft ist, unterstreicht das Konzept des “doing gender”, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, das die tägliche menschliche Interaktion prägt.

Misogynoir ist ein von der Schwarzen Feministin Moya Bailey 2010 geprägter Begriff, der die geschlechtsspezifische und rassistische Unterdrückung beschreibt, mit der Schwarze Cis- und Transgender-Frauen konfrontiert sind (letztere wird manchmal auch durch den Begriff Trans*-Misogynoir charakterisiert). Ausgehend von einer intersektionalen Sichtweise untersucht das Konzept, wie sich anti-Schwarzer Rassismus und Frauenfeindlichkeit zu einer besonderen Form der Unterdrückung und Diskriminierung verbinden.

Queer ist ein Oberbegriff für Menschen, die nicht heterosexuell oder cisgender sind. Er wird für ein breites Spektrum an nicht-normativen sexuellen und/oder geschlechtlichen Identitäten und Politiken verwendet.

Safer Spaces sollen Orte sein, an denen marginalisierte Gemeinschaften zusammenkommen und gemeinsame Erfahrungen austauschen können, frei von Voreingenommenheit, Konflikten oder Verletzungen, die von Mitgliedern einer dominanten Gruppe verursacht werden. In Anerkennung der Tatsache, dass es unter den gegenwärtigen Systemen unserer Gesellschaft keinen vollkommen sicheren Raum für marginalisierte Menschen gibt, verweist der Begriff „safer“ auf das Ziel einer vorübergehenden Entlastung sowie auf die Anerkennung der Tatsache, dass Verletzungen auch innerhalb marginalisierter Gemeinschaften reproduziert werden können. Beispiele für sichere Räume, die in Organisationen und Institutionen geschaffen wurden, sind Queer-only Räume und/oder Räume nur für Schwarze, Indigene und People of Color.

Social Justice ist eine Form des Aktivismus und eine politische Bewegung, die den Prozess der Umwandlung der Gesellschaft von einem ungerechten und ungleichen Zustand in einen gerechten und gleichberechtigten Zustand fördert. Social Justice beruht auf der Auffassung, dass jeder Mensch die gleichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte und Chancen verdient und das Grundrecht hat, sich psychisch und physisch sicher zu fühlen. Social Justice zielt daher darauf ab, geltende Gesetze und gesellschaftliche Normen zu ändern, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart bestimmte Gruppen gegenüber anderen unterdrückt haben. Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur die Abwesenheit von Diskriminierung, sondern auch das Vorhandensein bewusster Systeme und Unterstützungen, die Gleichheit entlang der Grenzen von Rassifizierung, Geschlecht, Klasse, Fähigkeiten, Religion usw. erreichen und erhalten.

Transgender, oder einfach trans*, ist ein Adjektiv, das sich auf Menschen bezieht, deren Geschlechtsidentität sich von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet. Trans kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „hindurch“ oder „darüber hinaus“ bedeutet. Die Selbstbezeichnung gibt als Identitätsmerkmal nicht automatisch an, ob sich diese Person mit einem anderen Geschlecht, keinem Geschlecht oder mehreren Geschlechtern identifiziert. Es gibt also mehrere Trans*-Identitäten. Das Sternchen (*) unterstreicht die Pluralität und Fluidität von Trans-Identitäten.