Dieses Essay ist im Rahmen des Projekts Unlearning University entstanden.

„Ihr dachtet, ich hätte nichts zu sagen. Wie denn auch? Das hier, das ist nicht mein Raum1clashing differences (Regie: Merle Grimme, Deutschland 2023) – Zitat aus der Serie Clashing Differences

Merle Grimme ist eine deutsche Schwarze Regisseurin, Drehbuchautorin und Producerin. Seit über 16 Jahren hat sie in unterschiedlichsten Filmdepartments gearbeitet, wobei sie immer wieder mit Diskriminierung konfrontiert wurde. An der Filmhochschule München war sie die einzige Schwarze Person ihres Jahrgangs. Nicht selten fehlte ihr ein Raum, um über diese Erfahrungen zu sprechen. Heute hilft sie dabei neue Strukturen im Film zu schaffen, um genau das zu verändern.

Machtkritische Ansätze in der Kulturszene werden bei dem Paneltalk „Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen“ am ersten Tag des Symposiums Unlearning University diskutiert. Neben der Regisseurin Merle Grimme, waren die Intendantin Julia Wissert und die Theaterwissenschaftlerin Joy Kalu eingeladen. Alle drei sind Schwarze Frauen die sich neben ihrer Arbeit auch als Aktivistinnen gegen Diskriminierung in verschiedenen Sektoren der Kulturwelt einsetzen und klare Lösungswege bieten um sichere, diversere Räume zu schaffen. Im Paneltalk erzählen sie von Erfahrungen mit Diskriminierung, die sie auf ihrem Werdegang täglich erlebt haben, von ihrem aktivistischem Einsatz, um genau diese Dinge in der Zukunft zu verhindern und von ihren Erfolgen sowie Misserfolgen.

Sie kritisiert, dass sie in der Vergangenheit oft auf Paneltalks eingeladen wurde, um – unausgesprochener Weise – die Diversitätsquote zu erfüllen. Sollte es dabei nicht um ihre Arbeit und Kenntnisse gehen?
Genau diese und andere intersektionale Diskriminierungen und Vorurteile, die auch innerhalb von politisch-feministischen Aktivist*innen Kreise stattfinden, thematisiert sie in ihrer, von ARD und ARTE produzierten, Miniserie Clashing Differences.

In der Serie planen drei weiße Frauen einer feministischen Organisiation einen Panel Talk in Brandenburg. Nachdem ihnen auffällt, dass sie keine schwarze Frauen, Queere Personen oder Menschen mit Behinderungen eingeladen haben, wollen sie schnell für Vielfalt sorgen.

Kurzfristig wird eine Gruppe von queeren BIPOC Personen eingeladen, um die Konferenz zu diversifizieren. Dabei kommt es zu „clashes“ – das aufeinandertreffen verschieden diskrimierter Person bedeutet nämlich nicht, dass alle dieselben Erfahrungen machen und die selbe Diskriminierung erleben. Es geht um intersektionale Vorurteile, beschreibt Probleme innerhalb der linken Blase und ermutigt sich immer wieder neu zu begegnen und in den Dialog zu treten.2Vgl.: Interview mit Merle Grimme (2023), Moderation: Tom Westerholt, Deutschlandfunk Nova, URL: … Mehr anzeigen

An der Deutschen Filmakademie entwickelt Merle seit 2023 ein anitdiskriminierendes Herstellungskonzept durch die Etablierung von critical whiteness workshops, empowerment trainings, diskriminierungssensible Vertrauenspersonen am Set und ein divers besetztes Team wie auch Cast.

In Filmproduktionen besteht immer noch eine starke Hierarchisierung in den Strukturen und viel Zeitdruck. Wo bleibt da der Raum, um über Diskriminierungserfahrungen zu sprechen? Beim Film kostet jede Minute, und um diesen Disskusionsraum zu schaffen wird während der Dreharbeiten zusätzliche Zeit, und somit Geld, beansprucht. Ist es das Wert? Nach Merles Erfahrung ist er nicht nur notwendig, sondern auch Hilfreich. Sichere Räume zu schaffen sollte kein Extra sein, sondern dazu gehören.

Personen die sich in den alten Strukturen der Leitungsebenen von Filminstitutionen bewegen, erkennen nicht von alleine die Notwendigkeit und Wichtigkeit von Veränderung. Merle erzählt, wie sie trotz gehäuften Widerspruch für untypische, aber wichtige zusätzliche Positionen auf ihrem Set als Bedingung bestanden und gekämpft hat, um Strukturen zu schaffen, in denen sie sich selbst bewegen will.

Sichere Räume am Film schaffen – wie?

1. Damit Diskriminierung nicht unsichtbar bleibt, ist es wichtig, am Set eine Vertrauensperson zu haben, an die sich alle mitarbeitende Personen wenden können. Das soll einen sicheren Raum schaffen, in dem es trotz stressiger Arbeitsbedingungen möglich bleibt, Unwohlsein, Diskriminierungen innerhalb der Crew und Bedürfnisse mitzuteilen.

2. Um Regeln klar zu definieren, lässt sich mit einer angepassten Version der Antirassismusklausel arbeiten. Ihr Ziel ist es, dass betroffene Personen sich nicht alleingelassen fühlen, rassistische Äußerungen thematisiert werden und zur Selbstverantwortung verpflichten. Diese von Julia Wissert (Regisseurin und Intendantin Schauspiel Dortmund) und Sonja Laaser (Rechtsanwälting und freie Dramaturgin) aufgesetzte Vertragsvorlage soll Kulturschaffenden als Werkzeug dienen, um alte Strukturen im Kultursektor zu verändern. Basierend auf der Definition von Rassismus nach dem Artikel 1 des „Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ wird ganz klar Rassismus am Arbeitsplatz definiert:

„In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck „Rassendiskriminierung“ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“
Artikel 1, Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung3Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II, Seite 961, URL: … Mehr anzeigen

„Eine Äußerung gilt als rassistisch, wenn sich eine an einer Produktion beteiligte Person von einer Äußerung durch Mitarbeitende betroffen fühlt, welche einen Bezug zu der in der Klausel verankerten Definition von Rassismus hat. (…) Sollten sich Theater und der/die Betroffene über den Bezug von Äußerung und Rassismus streiten, könnte dieser Streit von Gerichten entschieden werden.“
– aus dem Hintergrund und Zielrichtung der Antirassismusklausel4Sonja Laaser et al., „Ziele der Antirassismusklausel“, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: … Mehr anzeigen

Gleichzeitig werden klare mögliche Konsequenzen genannt im Falle einer rassistischen Äußerung. Diese sind zum Beispiel Konfrontation mit Mediation, Empowerment für die betroffene Person oder Workshops (ohne involvieren der betroffenen Person).5Vgl.: Formulierungsvorschläge: Antidiskriminierungsklausel, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: … Mehr anzeigen

3. Gemeinsame somatische Körperkurse am Set vor Drehbeginn dienen nicht nur dem Empowerment, sondern auch dazu, Hierarchien aufzubrechen, indem durch das gemeinsame Bewegen alle Crew Mitglieder sich kennenlernen und auf Augenhöhe begegnen. Regiesseur*in und Set-Runner lernen sich zum Beispiel kennen und ein neues, entspannteres, friedliches Miteinander entsteht.

4. Workshops zur Aufklärung über intersektionale Diskriminierung werden veranstaltet, um Bewusstsein zu schaffen und sichere Räume zu bauen.

Merle berichtet über die positiven Auswirkungen durch die Implementierung dieser Bedingungen. Statt dem der Produktionsfirmen befürchteten Zeitverlust bemerkt sie, dass die Menschen am Set nach gemeinsamen Übungen viel konzentrierter, präsenter und dadurch effizienter arbeiten können.

All diese Lösungsansätze wurden von POC erarbeitet, um Veränderung zu schaffen. Das ist aufwendige zusätzliche Arbeit, um Probleme zu lösen, die sie nicht geschaffen haben. Genau das muss verändert werden. Diese Veränderungen müssen gemeinsam erkämpft werden.

Merle setzt auf die neue Generation von Filmschaffenden. Darauf, dass ein Erfahrungsaustausch stattfindet, für sichere Räume gesorgt wird, dass besser darauf geachtet wird, wer in der Filmbranche Sichtbarkeit erfährt und welche Stimmen gehört werden.

Es liegt ein großer Unterschied darin sich theoretisch kritisch auseinanderzusetzen oder dann tatsächlich umzusetzen. Es braucht einen gezielten Dialog – und noch viel wichtiger – ein Zuhören. Dabei reichen nicht nur Verständnis und Haltung von weißen Menschen gegen intersektionale Diskriminierungen, sondern benötigt gezielte Handlungen; Betroffene dürfen nicht alleingelassen werden, mit der Aufgabe sichere Räume zu schaffen. Sie müssen darin Unterstützt werden, auch von Menschen die nicht direkt betroffen sind. Eine Möglichkeit wäre das Durchsetzen von verpflichtenden Konsequenzen für rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz, zb. durch Implementierung der Antirassismusklausel.

Um Problembewusstsein zu schaffen, müssen alle Kulturschaffende es priorisieren sichere Räume zu schaffen, ein Miteinander in dem über Erfahrungen gesprochen werden kann, in denen Zugehört wird, in denen Konsequenzen klar formuliert sind. Gerade in den alten Strukturen von Filmproduktion finden die Bemühungen oft keinen notwendigen Stellenwert, deshalb braucht es eine neue Generation die sich einsetzt, aktiv Einschreitet und bereit ist sich gemeinsam immer wieder neu zu begegnen. Diese Arbeit ist kein Selbstläufer und um Veränderung zu schaffen, muss immer wieder neu argumentiert werden.

 

Zusätzliche Quellen:
https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/update-vertraege-anti-rassismus-anti-diskriminierungs-musterklausel
https://www.casting-network.de/beitraege/cn_klappe_29_09_2023_857.pdf
https://www.zdf.de/serien/clashing-differences
https://www.zdf.de/serien/clashing-differences/making-of-clashing-differences-at-102.html

Referenzen

Referenzen
1 clashing differences (Regie: Merle Grimme, Deutschland 2023)
2 Vgl.: Interview mit Merle Grimme (2023), Moderation: Tom Westerholt, Deutschlandfunk Nova, URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/zdf-serie-clashing-di%EF%AC%80erences-filmemacherin-merle-grimme-ueber-diversitaet-in-filmen-und-serien (letzter Zugriff: 19.03.2025)
3 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II, Seite 961, URL: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/ICERD/ICERD_Konvention.pdf
4 Sonja Laaser et al., „Ziele der Antirassismusklausel“, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/ziel-der-antirassismusklausel (letzter Zugriff: 19.03.2025)
5 Vgl.: Formulierungsvorschläge: Antidiskriminierungsklausel, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/update-vertraege-anti-rassismus-anti-diskriminierungs-musterklausel

Über drei Tage versammelte das Symposium Unlearning University, fakultätsübergreifend organisiert von Lehrenden, Studierenden sowie Beauftragten für Diversität und Barrierefreiheit Stimmen für eine diskriminierungskritischere Kunsthochschule im Medienhaus der UdK Berlin. Themen sind Zugänge zum Studium an der Kunsthochschule, Prozesse der Kanonisierung und die damit verbundene Notwendigkeit der Kanonkritik. Es wird danach gestrebt, neue Wege des Lernens und Lehrens zu erkunden. Doch was bedeutet es für die Kritik der traditionellen Bildungsinstitution, wenn diese Kritik in den Räumen der Institution selbst geübt wird? Es stellt sich die Frage, wie voreingenommen Räume sein können. Wie beeinflussen Räume Emotionen, Verhalten und Lernprozesse. Kann in denselben Räumen gelernt und verlernt werden?

Kunsthochschulen sind exklusive Räume. Hiermit meine ich nicht die Art von Exklusivität, die Sophie Vögele in der Studie Art.School.Differences beschreibt – in der Studie geht es um die Frage, wer zum künstlerischen Studium zugelassen wird und wer nicht.1Vögele, Sophie / Saner, Philippe (Hg.): Art.School.Differences., Zürich 2022 Mir geht es um den physischen Raum: Um das Gebäude betreten zu können, muss an der Pforte geklingelt und es muss Einlass gewährt werden. Dies gilt sowohl für Student*innen als auch Besucher*innen. Die Kunstuniversität ist kein Raum, durch den sich frei bewegt werden kann, sondern einer, der überprüft wird und dessen Zugang nur selektiv gewährt wird. Hat man es einmal in das Gebäude geschafft, fällt der Blick auf die Inneneinrichtung. Geschmackvolle Designerstühle und industriell anmutende schwarze Tische in den Unterrichts- und Arbeitsräumen situieren diesen Ort, im Gegensatz zu einer sonstigen Bildungseinrichtung, klar als Kunsthochschule, die sich wiederum in einem westlichen Designkanon verortet. Dabei ist das Darstellen von Geschmack immer auch Ausdruck von kulturellem Kapital2DiMaggio, Paul: „Classification in Art.“, in: American Sociological Review, Bd. 52, Nr. 4, 1987, S.440–455.. Die richtigen Referenzen zu kennen wird vom Mobiliar geradezu vorausgesetzt – und damit auch eine spezifische Klassenzugehörigkeit.

Das Gebäude an sich demonstriert seine Rolle durch die schiere Größe, sein Alter und der damit verbundenen Geschichtsträchtigkeit. Es beansprucht eine gewisse Ehrfurcht und Seriosität für sich. Eine Forderung, die beim Durchschreiten der Räumlichkeiten mit dem Nachhallen jedes einzelnen Schritts deutlich spür- und hörbar wird.

Die Veranstalter*innen des Symposiums haben sich bemüht, die Universität durch eine Reihe von Raumtransformationen und -erweiterungen aus ihrem gewohnten Modus zu befreien. Der Alltag an der Bildungsinstitution ist geprägt von ritualisierten Abläufen an immer denselben Orten, die über die Zeit hinweg durch Wiederholung zu einem festen Bestandteil der studentischen Erfahrung werden. Ich frage mich, inwiefern es möglich ist, diese bestehenden Erfahrungen beiseite zu lassen und so Platz für etwas Neues zu schaffen. Obwohl der Veranstaltungsort vermutlich nicht mit der bewussten Entscheidung gewählt wurde, dass dies genau der richtig Raum für diese Konferenz sei, sondern viel mehr aus praktischen Gründen, beeinflusst er doch, welche Art von Aktionen überhaupt möglich sind. Oder wie es der Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre darstellt: „Activity in space is restricted by that space; space ‚decides‘ what actually may occur, but even this ‚decision‘ has limits placed upon it.“3Lefebvre, Henri: The Production of Space, Oxford 1991 [zuerst Paris 1974], S.143 Räume sind demzufolge nicht nur Kulissen, sondern Akteure für das soziale Leben, die Wege eröffnen oder blockieren.

In der Aula des Medienhauses, dem Hauptveranstaltungsort des Symposiums, auf den ich mich für meine Argumentation beziehe, finden normalerweise Vorlesungen oder auch der Semesterauftakt statt. Unzählige Male habe ich hier schon gesessen. Diesmal soll jedoch vieles anders werden: Die Sprechenden unterscheiden sich von denen, die ich hier zuvor gehört habe, und auch der Raum sieht anders aus. Die Reihen der üblichen grauen Hartschalen-Stühle sind durchsetzt von bunten Sofas und Sitzsäcken, auf denen jeweils eine Handvoll Personen Platz finden. Im hinteren Teil des Raums wurde ein Tisch mit einer Decke versehen und zum Buffet umfunktioniert, an dem warme Getränke und Kleinigkeiten zu Essen angeboten werden. Gegenüber wurde eine Leseecke installiert. Auf einem aus hellem Holz gefertigten Podest wird Literatur bereitgestellt, die zum Thema der Veranstaltung passt. Die Aula ist auf Frontalpräsentationen ausgelegt; es geht hier um den Fokus von vielen auf eine kleine Gruppe, was sich auch in Beleuchtung und Akustik spiegelt, nicht darum, sich gegenseitig zuzuhören. Dies wird jedes Mal aufs Neue klar, sobald eine Person aus dem Publikum versucht, an dem Gespräch vorne teilzunehmen. Die Rauminterventionen erweitern zwar den Horizont an Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch, doch die grundlegende Ausprägung der Räumlichkeiten kann nicht überwunden werden. Hinzu kommt der symbolische Raum, dessen Bedeutung, selbst wenn die physische Struktur verändert wird, andauert. Was ich unter dem symbolischen Raum verstehe, möchte ich anhand der Positionen von zwei Denker*innen im Folgenden konkretisieren.

In der Phänomenologie beschreibt Edmund Husserl, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und wie diese Wahrnehmung unser Verständnis von Realität formt, anhand eines Tisches, dessen Betrachtung nicht einfach nur ein passiver Prozess sei, bei dem wir lediglich die äußeren Eigenschaften des Tisches registrieren. Husserl beschreibt seine haptische Wahrnehmung beim Berühren des Tisches: „Die Hand liegt auf dem Tisch. Ich erfahre den Tisch als ein Festes, Kaltes, Glattes.“4Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und Phänomenologischen Philoso-phie. Zweites Buch: Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution (ca. 1913) in: Husserliana Bd. IV, hg. … Mehr anzeigen, womit er die Verbindung zwischen Körpern und Objekten verdeutlicht. Die Sinneswahrnehmung der Hautoberfläche zeigt, dass das Empfinden nicht im Objekt oder im Körper liegt, sondern erst als Effekt der Begegnung Form annimmt. Husserl beschreibt das Aufeinandertreffen als eine unumgängliche Verbindung zwischen dem Körper und seiner Umgebung. Oder anders ausgedrückt: Die Räume, in denen wir uns aufhalten, werden auch ein Teil von uns; wir formen und werden geformt.

Zusätzlich möchte ich Überlegungen von Sara Ahmed, einer bekannten Theoretikerin der queeren und intersektionalen Studien, hinzuziehen, in denen sie unter anderem den Prozess der Konditionierung untersucht: „[…] what we ‚do do‘ shapes what we ‚can do‘.“5Ahmed, Sara: Queer Phenomenology: Orientations, Objects, Others, New York 2006, S. 59 Ähnlich einem Muskel, der immer wieder dasselbe tut und mit den gleichen Aufgaben und Anstrengungen konfrontiert ist, diese im Laufe der Zeit leichter fallen werden. Anforderungen hingegen, die nicht trainiert werden, werden verlernt oder sind nur schwer zu meistern. Ein weiteres Beispiel könnte eine rechtshändige Person sein, die versucht mit ihrer linken Hand zu schreiben. Was wir tun begünstigt, was wir in Zukunft tun werden. Oder: Was wir denken begünstigt, was wir in Zukunft denken werden.

Ergänzen wir die Ausführungen von Ahmed und Husserl, so können wir schlussfolgern, wie groß der Einfluss und wie bestimmend die Wechselwirkung zwischen unseren Körpern und ihrer Umwelt ist. In einem ersten Schritt geht der Körper eine Symbiose mit dem Raum ein, in dem er sich befindet, entsprechend der Schilderung von Husserl – ein unbewusster Prozess. Dieser entscheidet nun mit, wie wir uns durch den Raum bewegen, wie wir ihn wahrnehmen, aber auch was wir empfinden. In einem zweiten Schritt führt die Repetition, so drückt es Ahmed aus, zu einer Art Gewöhnung, die sich in unserem Körper speichert und zukünftige Erfahrungen prägt.

Von diesem Punkt an entsteht eine Spirale. Vergangene und zukünftige Erfahrung werden in einen Prozess der Angleichung versetzt. Was wir im Kontext eines Raums erlebt haben, werden wir in diesem wieder erleben. Konkludiert werden kann demgemäß, dass bestimmte Räume auch immer nur bestimmte Aktionen und Emotionen zulassen. Infolgedessen sind Räume nicht neutral; sie spiegeln Machtverhältnisse wider. Insbesondere in etablierten Bildungseinrichtungen wie Universitäten kommen solche Strukturen im physischen Raum zum Ausdruck und die Räumlichkeiten werden zu Trägern symbolischer Eigenschaften.

In Anbetracht der Theorien wird mir deutlich, weshalb es für mich, der mit den Räumlichkeiten der Veranstaltung so vertraut ist, so schwerfiel, die Trennung zwischen dem physischen und symbolischen Raum vorzunehmen. Die Räumlichkeiten sind fundamental mit der Darstellung sowie der Reproduktion von Normen, Hierarchien und Machtstrukturen verbunden – mit all dem, was während des Symposiums in Frage gestellt wurde. Mir wird klar, warum die durch das veränderte und ergänzte Mobiliar suggerierte lockere Atmosphäre fehlplatziert auf mich gewirkt hat. Es war wie ein Zwiegespräch zwischen dem Bestehenden, aufgeladen durch jahrelange Erfahrungen, und dem Hinzugefügtem, bei dem keine der Parteien die Andere zu übertrumpfen vermochten.

Dass eine Aneignung von Räumen in einem gewissen Maße möglich ist, möchte ich in keinem Fall abstreiten. Beispielhaft hierfür sind im Medienhaus der UdK Berlin die All-Gender-Toiletten bzw. die Beschilderung dieser. Sie sind mit selbst gestalteten, nicht stereotypen Piktogrammen ausgezeichnet.6Durch das Gebäudemanagement wurden inzwischen professionell gestaltete Piktogramme angebracht. Das Leitsystem weist aber immer noch ausschließlich binäre WCs aus; es bleibt eine ewige Transition. Trotz aller Bemühungen um Raumtransformationen hängt neben dem Eingang ein Schild, das die Sanitärräume in das binäre Geschlechtersystem aufteilt. Von einer vollständigen Umstrukturierung oder Eroberung des Universitätsraums kann folglich kaum die Rede sein. Dies bedeutet nicht, dass solche subversiven Eingriffe das alltägliche Leben an der Hochschule nicht bereichern können oder dazu beitragen, das vorherrschende Machtgefälle zu destabilisieren. Jedoch kann es im Licht meiner Betrachtung nicht als Überwindung des gegebenen Raums betrachtet werden; vielmehr als ein Verhandeln mit diesem.

Womöglich wäre ein dritter Ort, sprich: ein Ort ohne Verbindung zur Bildungsstätte, zu Arbeit oder Familie passender als Veranstaltungsort des Symposiums gewesen. Ein Raum, der unbefangen ist von hartnäckigen vorherigen Eindrücken und sich auf diese Weise durch den Austausch gestalten lässt. Ein Raum der Gestaltungsfreiheit bietet.

Die Teilnahme am Symposium Unlearning University hat mir ermöglicht, die komplexe Beziehung zwischen Raum und Machtstrukturen zu untersuchen. Dabei musste ich feststellen, dass keine der Rauminterventionen, die im Zuge der Tagung installiert wurden, die vorhandenen Räume grundlegend transformieren und somit keine neue, unbeschwerte Lernumgebung schaffen konnte. Ich möchte mich an dieser Stelle auf die Philosophin und Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien, Ruth Sonderegger, beziehen, die ihre Präsentation mit einem Zitat von Sharon Stein beendete, welche den Prozess des Wandels hin zu einer ethischeren Institution als „hospicing“7Stein, Sharon et al.: „Gesturing Towards Decolonial Futures: Reflections on Our Learnings Thus Far.“ Nordic Journal of Comparative and International Education (NJCIE), Bd. 4, Nr. 1, S. … Mehr anzeigen, also als eine Art Sterbehilfe, beschreibt. Ein möglichst sanftes Ende, das Platz für Neues schafft. Mir ist klar geworden, dass dies gleichermaßen für die physischen Räume der Institution gilt. Nicht ohne Grund sagen wir, dass wir aus Verhaltensmustern ausbrechen müssen, wenn wir sie ändern wollen. Veränderung (bzw. Fortbestehen) hat, wie beschrieben, eine räumliche Komponente. Wenn wir hin zu etwas Neuem wollen, dann müssen wir auch in neue Umgebungen eintauchen. Es ist erforderlich die Räume zu ändern, in denen wir lernen, und das grundlegend.

Referenzen

Referenzen
1 Vögele, Sophie / Saner, Philippe (Hg.): Art.School.Differences., Zürich 2022
2 DiMaggio, Paul: „Classification in Art.“, in: American Sociological Review, Bd. 52, Nr. 4, 1987, S.440–455.
3 Lefebvre, Henri: The Production of Space, Oxford 1991 [zuerst Paris 1974], S.143
4 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und Phänomenologischen Philoso-
phie. Zweites Buch: Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution (ca. 1913) in: Husserliana Bd. IV, hg. von Marly Biemel, Den Haag 1952, S. 146f.
5 Ahmed, Sara: Queer Phenomenology: Orientations, Objects, Others, New York 2006, S. 59
6 Durch das Gebäudemanagement wurden inzwischen professionell gestaltete Piktogramme angebracht. Das Leitsystem weist aber immer noch ausschließlich binäre WCs aus; es bleibt eine ewige Transition.
7 Stein, Sharon et al.: „Gesturing Towards Decolonial Futures: Reflections on Our Learnings Thus Far.“ Nordic Journal of Comparative and International Education (NJCIE), Bd. 4, Nr. 1, S. 43–65.

Dieses Essay ist im Rahmen des Projekts Unlearning University entstanden.

Anstatt zu fragen, wie wir arbeiten sollten, sollten wir fragen, wie wir arbeiten müssen – so Claire Cunningham. Als Claire Cunningham erläutert, was sie damit meint, sitzt die Tänzerin, Performance-Künstlerin und Choreographin im Schneidersitz auf einem Kissen und blickt in die Runde. Ihre graue Krücke hat sie vor sich abgelegt. Was es für Cunningham bedeutet, die Bedürfnisse ihres Publikums von Anfang an konsequent mitzudenken, wird im Verlauf ihres Workshops immer deutlicher. Es ist Donnerstag, der 8. Februar 2024, Tag zwei des Symposiums Unlearning University an der UdK Berlin.

Ankommen

Der Workshop findet in Raum 61Raum 6 ist ein kleiner Raum mit Podest und besonders für Filmsichtungen geeignet. Während des Symposiums war der Raum mit Kissen und Klappmatratzen ausgestattet. im Erdgeschoss des Medienhauses statt. Der Eingang ist ebenerdig und trotz der hohen Altbau-Decke und der großen Fenster wirkt der Raum gemütlich. Dazu tragen die Sitzkissen und Matratzen auf dem Boden und der Tribüne bei, die mit vier breiten Stufen einen Großteil des Raums einnimmt. Zu Beginn ihres Workshops lädt Cunningham alle Teilnehmenden dazu ein, sich in diesem Raum einen Platz zu suchen, den sie als angenehm empfinden. Kissen werden verrückt, einige Teilnehmende machen es sich auf Matratzen auf dem Boden oder der Tribüne bequem und auch ein Rollstuhl findet Platz. Cunningham setzt sich im Schneidersitz auf die Tribüne. Sie weist darauf hin, dass es nicht nur möglich, sondern erwünscht sei, die eigenen körperlichen Bedürfnisse ernst zu nehmen, sich beispielsweise auch während des Workshops zu bewegen, umzusetzen, hinzulegen oder bei Bedarf den Raum zu verlassen, auch ohne Erklärung.

Die Teilnehmenden werden außerdem dazu eingeladen, sich aus zwei Schachteln mit Stim-Toys zu bedienen. Stim Toys, auch Fidget Toys oder Stimming Tools genannt, sind Gegenstände, die zur körperlichen Stimulation durch repetitive oder ritualisierte Bewegungen, sogenanntes Stimming, genutzt werden können.2Vgl. „Stimming. Self-Stimulating Behaviors.“ in: Psychology Today Online. URL: https://www.psychologytoday.com/intl/basics/stimming (zuletzt aufgerufen am 15.03.2024). Diese Bewegungen, das Kneten eines Balls etwa, das Langziehen einer Gummischnur oder das Drehen eines Fidget Spinners, können zur Entspannung und zur Fokussierung beitragen. Sie werden insbesondere von neurodivergenten3“Wenn die kognitiven Gehirnfunktionen eines Menschen von denjenigen abweichen, welche die Gesellschaft als innerhalb der Normliegend (also als ‚normal‘ oder ‚neurotypisch‘) definiert, … Mehr anzeigen Menschen genutzt, beispielsweise von Menschen mit ASS4Autismus-Spektrum-Störungen oder mit ADHS5Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Doch auch bei neurotypischen Menschen sind die Spielzeuge beliebt.6Stimtoys Online, URL: https://www.stimtoys.ch/pages/uber- uns (zuletzt aufgerufen am 15.03.2024). Cunningham entschuldigt sich dafür, den Workshop nicht auf Deutsch anleiten zu können. Es stehen Headsets für eine digitale Flüsterübersetzung vom Englischen ins Deutsche zur Verfügung. Im Raum befinden sich neun Teilnehmende und eine Person aus dem Awareness-Team des Symposiums. Als Ruhe eingekehrt ist, stellt sich die Workshopleiterin und Künstlerin vor.

Wer ist Claire Cunningham?

Claire Cunningham bezeichnet sich als „self-identifying disabled person“ und als „queer crip“. Ihr ist wichtig zu betonen, dass es sich dabei nicht um eine Fremdzuschreibung handelt. Anfangs beschreibt sie ihr Äußeres, damit auch Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit eine Vorstellung bekommen könnten, mit wem sie es zu tun haben. Claire Cunningham bezeichnet sich als 46-jährige, etwa ein-einhalb Krücken (143cm) große weiße Frau. Die Krücken, so die Künstlerin, seien eine Erweiterung ihres Körpers; sie bezeichnet sich spaßeshalber auch als Vierbeinerin.

Cunningham ist eine international renommierte Performerin und Choreographin. Ihre Performances beruhen häufig auf dem (Fehl-)Gebrauch ihrer Krücken. Traditionelle Tanztechniken, die nicht behinderte Körper ausschließen, lehnt Claire Cunningham bewusst ab.7Vgl. Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin (HZT): Prof. Claire Cunningham, Einstein-Professorin. In: HZT Online, URL: https://www.hzt-berlin.de/zentrum/personen/claire-cunningham/ (zuletzt … Mehr anzeigen Ihre Arbeiten basieren auf einem „tiefen Interesse an der gelebten Erfahrung von Behinderung und ihren Auswirkungen nicht nur als Choreografin, sondern auch in Bezug auf gesellschaftliche Vorstellungen von Wissen, Wert, Verbindung und gegenseitiger Abhängigkeit.“8Ebd.

Seit Oktober 2023 lehrt und forscht Cunningham als Einstein-Professorin für Choreographie, Tanz und Disability Art am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT).9Vgl. Unbekannte*r Autor*in: Claire to become the Einstein Professor for Choreography, Dance and Disability Arts at the Inter-University Centre for Dance Berlin (HZT). In: Claire Cunninghams … Mehr anzeigen Das HZT wird in Kooperation mit dem Netzwerk TanzRaumBerlin von der UdK und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch getragen. Claire Cunninghams Fokus liegt in der Forschung auf Crip-Techniken behinderter Tanzkünstler*innen, Praktiken der Fürsorge (care) und Ästhetiken von Zugang (access).10Vgl. Critical Diversity Blog, URL: https://criticaldiversity.udk-berlin.de/abstracts-und-cvs/ (zuletzt aufgerufen am 10.03.2024).

Vorstellungen von Care und Access

Zur Vorbereitung, die freiwillig war, hat Cunningham im Voraus zwei Texte zur Verfügung gestellt, auf die sie im Verlauf des Workshops immer wieder eingeht. Der erste ist ihre Abhandlung „Equations of Care & Responsibility“ (Danceolitics, 2021), der zweite das Kapitel 2.6 aus der Critical Diversity Policy der UdK (2024) zum Thema „Accessibility at/of Arts Universities“. Ursprünglich hatte Claire Cunningham geplant, den Workshop zu zweit mit der Künstlerin Angela Alves anzuleiten und die Inhalte im Dialog zu vermitteln. Doch da diese kurzfristig erkrankt ist, hält Claire Cunningham den Kurs nun alleine ab. Sie hätte gerne vermieden, einen Frontalvortrag zu halten, meint sie. Die Künstlerin schlägt daher vor, sich mit ihrem Input auf eine halbe Stunde zu beschränken, bevor die Teilnehmenden ihre persönlichen Erfahrungen nach einer Pause in interaktiven Formaten teilen können. Alle Teilnehmenden stimmen zu und Claire Cunningham erzählt. Es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, auf all die Punkte einzugehen, die sie anspricht. Deshalb möchte ich hier die zentralen Aussagen festhalten. Wem das nicht reicht, der*dem empfehle ich Cunninghams Aufsatz „Equations of Care & Responsibility“ in dem Sammelband Danceolitics11Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 67–78., aus dem Claire Cunningham im Verlauf des Workshops immer wieder zitiert.

Mit dem Begriff care habe sie sich lange schwergetan, erklärt Claire Cunningham. Er provoziere zahlreiche problematische Assoziationen: „Care was a thing done to or for disabled people, rather than something that disabled people had agency or control in.“12Ebd., S. 68 In den vergangenen Jahren habe sie dennoch festgestellt, dass care ein wichtiger Teil ihrer Arbeit geworden sei. Sie habe sich mit anderen Künstler*innen und Kolleg*innen wie Luke Pell, Julia Watts Belser und Jess Curtis ausgetauscht und gemeinsam ein Konzept entwickelt, das sie „the choreography of care“ nannten.

Aus ihrer Perspektive als performative Künstlerin setzt sich Cunningham kritisch mit den Orten auseinander, an denen sie performt. Theater seien historisch betrachtet sehr ableistisch. In der Critical Diversity Policy der UdK wird Ableismus definiert als „die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden und/oder indem ihnen Zugänge erschwert bzw. verunmöglicht werden.“13Universität der Künste Berlin: Glossar, in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der Künste Berlin, Berlin 2023, S. 49. Eine Theaterperformance zu besuchen, führt Claire Cunningham aus, bringe je nach Behinderung zahlreiche unterschiedliche Herausforderungen mit sich, von der Anreise über die Frage nach der Zugänglichkeit am Veranstaltungsort, etwa für Rollstühle oder für nicht sehende Menschen, bis hin zu der Frage, ob es eine geeignete Toilette gibt. Hier wird ein Punkt deutlich, den die Künstlerin auch in „Equations of Care & Responsibility“ betont: Information ist Macht (information is power14Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 74.) und je mehr Informationen, desto besser der Zugang (access).

Neben der Angst vor Bevormundung oder ablehnender Behandlung vor Ort gebe es auch Menschen, für die bestimmte Elemente der Performance ein Problem darstellen könnten, zum Beispiel, wenn der Ton ohne Vorwarnung plötzlich laut wird, oder wenn sich die Lichtverhältnisse plötzlich verändern. Auch während der Performance berührt oder angesprochen zu werden, könnte problematisch sein, ebenso, wenn die Performer*innen oder andere Zuschauer*innen erwarten, dass man sich schnell von der Stelle bewegt.15Vgl. Ebd., S. 72 f. Cunningham zählt noch viele weitere Beispiele auf, die den Performance-Besuch für Menschen mit Behinderungen erschweren können.

Häufig gingen Veranstaltungsbesuche für Menschen mit Behinderungen auch mit höheren Kosten einher als für Menschen ohne Behinderung, etwa weil zusätzlich das Ticket und die Anreise für eine Begleitperson bezahlt werden müssen oder weil die zusätzliche Recherche im Voraus und die Planung des Veranstaltungsbesuchs viel Zeit in Anspruch nehmen. Diese Arbeit (work) wolle sie honorieren und respektieren und fühle sich daher ihrem Publikum gegenüber verantwortlich. Hier kommt auch wieder der care-Begriff ins Spiel. Die care-Arbeit, die sie ihrem Publikum gegenüber leiste, gelte insbesondere, aber nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Schließlich könne sie nicht davon ausgehen, dass der Besuch einer ihrer Performances für irgendeine Person einfach sei.16Vgl. Ebd., S. 73 f.

Daher orientiert sich Cunningham in ihrer Arbeit an den Kategorien time as care, communication as care, design as care, performance as care und the complexity of care.16 Diese Kategorien ermöglichten, ihre eigene künstlerische Arbeit zu hinterfragen. Ihr Ziel sei es, care für ihre Mitarbeiter*innen, für das Werk selbst und für das Publikum zu leisten – und zwar konsequent und von Anfang an. Darum also geht es ihr, wenn sie sagt, wir sollten uns fragen, wie wir arbeiten müssen, anstatt zu fragen, wie wir arbeiten sollten („We should ask ourselves how we must work instead of asking how we should work“). Dabei spielt Aufmerksamkeit (attention) Claire Cunningham zufolge eine zentrale Rolle. Der Akt des Wahrnehmens (noticing) der eigenen Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer werde zu einem Akt der Fürsorge (care), indem wir basierend auf Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Initiative ergreifen und aktiv werden (action).17Vgl. Ebd., S. 70 Für Claire Cunningham bedeutet das unter anderem, dass sie bei der Fortbewegung im Alltag mehr auf den Boden blickt als andere und dass sie in ihren Performances daher häufig versucht, die Aufmerksamkeit des Publikums auf den Boden zu lenken.

Eine der zentralen Fragen, die sich die Künstlerin immer wieder stellt, ist außerdem, wie sie den Besucher*innen ihrer Performances das Gefühl vermitteln kann, dass es wirklich möglich ist, den Raum zu verlassen, wenn sie wollen. Dies einfach zu sagen, sei oft nicht genug. Sie versuche prinzipiell immer, möglichst alle relevanten Informationen mit dem Publikum zu teilen (information is access). Denn nur so hätten das Publikum wirklich die Wahl (choice), eine Entscheidung zu treffen: information is power. Ihre Verantwortung nehme sie sehr ernst, auch wenn die Entscheidung, Informationen vorab preiszugeben, Einfluss auf das ästhetische Erleben einer Performance haben könne.
Auch in ihrer neuen Position als Professorin am HZT steht Claire Cunningham vor der großen Frage, wie Universitäten inklusiver gestaltet werden kann.

Barrierefreiheit (in) der Kunstuniversität

Auf ihre bisherigen Erfahrungen am HZT wird sie nach ihrem Vortrag auch direkt von einer Teilnehmerin angesprochen. Mit ihrer neuen Position als Professorin gingen neue Herausforderungen einher, erwidert Claire Cunningham. Sie und ihr Team seien dabei zu lernen und herauszufinden, wie das Tanz-Studium für Menschen mit Behinderungen attraktiver werden könne. Den Bewerbungsprozess für Studierende inklusiver zu gestalten sei beispielsweise eine Stellschraube, der sie gerne mehr Aufmerksamkeit widmen würde. Sie stellte aber auch klar, dass dies eine Aufgabe der verantwortlichen Verwaltungsmitarbeiter*innen sei, für die ihr die Kapazitäten fehlten. Ihr Fokus liege auf der künstlerischen Lehre. Sie und ihr Team stellten sich deshalb die Frage, wie sie die Verbesserung der Barrierefreiheit am HZT nachhaltig unterstützen könnten. In diesem Zusammenhang spricht Claire Cunningham auch die Critical Diversity Policy der UdK an. In Kapitel 2.6 zu „Barrierefreiheit (in) der Kunstuniversität“18Vgl. Universität der Künste Berlin :Barrierefreiheit (in) der Kunstuniversität (Kapitel2.6), in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der … Mehr anzeigen bekäme sie den Eindruck, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen häufig als extrem kompliziert wahrgenommen würde. Oft müsse sie das aber gar nicht sein und kleine Veränderungen könnten schon viel bewirken. In der Policy würden viele wichtige Punkte angesprochen, von der räumlichen über die digitale Barrierefreiheit bis hin zum Nachteilsausgleich für ein barrierefreies Studium.19Vgl. Ebd., S. 44f. Ein Punkt käme ihr aber zu kurz, nämlich die Zugänglichkeit zur Lehre an Kunstuniversitäten. Mit einem höheren Anteil an der Universität angestellter Personen mit Behinderung ginge ihrer Erfahrung nach automatisch mehr Inklusion auch für Studierende einher. Das hinge sowohl mit der Sensibilisierung der Angestellten und Studierenden, als auch mit der Vorbildfunktion der Lehrenden zusammen.

„Tell me something you notice in this room.”

Nach einer Pause machen es sich die Teilnehmenden wieder im Raum bequem, zum Teil an neuen Plätzen. Ein Teilnehmer legt sich auf den Rücken. Wieder lädt die Workshopleiterin dazu ein, die Bedürfnisse des Körpers bewusst wahrzunehmen (attention and noticing): „What you need for your body, feel free to do, if you want to sleep, sleep.“ Einige Teilnehmende lachen, doch Claire Cunningham erklärt, sie freue sich sogar, wenn Besucher*innen während ihrer Performances einschliefen. Das verdeutliche, dass sie sich wohlfühlten. Doch diesmal schläft niemand ein. Stattdessen lassen sich die Teilnehmenden auf die vier Übungen ein, die die Künstlerin anleitet. Die erste Übung hat Claire Cunningham von der Choreographin und Performerin Sara Shelton Mann gelernt. Dafür setzen sich die Teilnehmenden jeweils zu zweit in Paaren zusammen. Jede Person hat eine Minute Zeit, in der sie immer wieder auf die Aufforderung „Tell me something you love“ („Erzähl mir etwas, das du liebst“) antwortet. Nach einer Minute wechseln die Partner*innen und die andere Person antwortet. Diese Übung wird mit drei unterschiedlichen Partner*innen wiederholt. Einige Paare wechseln dafür ins Deutsche. Bei dem Hinweis, bitte nicht zu versuchen, interessant zu wirken, geht ein Grinsen durch die Runde. Ich beobachte gespannt, wie diese persönliche Frage die Stimmung in der Gruppe auflockert, die Teilnehmenden haben sich erst hier und heute kennengelernt. Die zweite Übung funktioniert nach demselben Prinzip, doch diesmal lautet die Aufforderung: „Tell me something you notized today – outside or inside your body“ („Erzähl mir etwas, das du heute festgestellt hast – in deinem Körper oder außerhalb“).

Die dritte und vierte Übung beziehen sich explizit auf das Thema der Barrierefreiheit an Kunstuniversitäten. Wieder wechseln die Gruppen, so dass alle Teilnehmenden einer Person gegenübersitzen, mit der sie noch nicht gesprochen haben. Für die dritte Übung hat jede Person zwei Minuten Zeit. Die Aufgabe lautet: „Tell me something you notice in this room” („Erzähl mir etwas, das du in diesem Raum wahrnimmst“). Hier ginge es um die Frage nach design as care, präzisiert Claire Cunningham, und darum, von welchen Körpern der Raum, in dem der Workshop stattfindet, ausginge.. Alle Gruppen stellen fest, wie stark der Ort das Zusammensein beeinflusst. Zwar gibt es viele gemütliche Sitzmöglichkeiten, doch wäre mehr als ein Rollstuhl im Raum, würde es schon eng werden, das Licht lässt sich nicht ändern und die Fenstergriffe sind so hoch angebracht, dass sie nur von Menschen mit einer bestimmten Körpergröße bedient werden können. Ich muss zugeben, dass mir das als able-bodied Person ohne körperliche Einschränkungen vorher nicht aufgefallen war.

Für die letzte Übung kommt erneut Bewegung in den Raum. In Vierergruppen erzählen die Teilnehmenden aus ihrem Arbeits- und Universitätsalltag und gehen jeweils auf einen konkreten Aspekt ein, der bestimmte (körperliche) Kapazitäten voraussetzt. Wir stellen fest, dass allen Teilnehmenden zahlreiche Beispiele für fehlende Zugänglichkeit (access) im Alltag einfallen. Auch mir fallen einige Situationen ein, die mich persönlich bisher ehrlicherweise nicht gestört haben. Ich halte mich eigentlich für einen reflektierten Menschen, empfinde Barrierefreiheit als wichtig und habe „Equations of Care and Responsibility“20Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 67-78. mit Begeisterung gelesen. Deshalb nehme ich auch an dem Workshop teil. Doch in diesem Moment wird mir bewusst, wie viel sensibler ich im Alltag sein könnte und sollte.

Gemeinsam diskutieren wir in Kleingruppen optionale Lösungsmöglichkeiten. Claire Cunningham weist darauf hin, dass es manchmal unmöglich sei, eine Lösung für das jeweilige Problem zu finden. Die Zeit fehlt, mögliche Lösungen für alle angesprochenen Probleme zu diskutieren, doch es gibt viele Ideen. Die diskutierten Fragen werden wir mitnehmen, so das Feedback, wie auch die Ideen für mehr care und access im individuellen Studien- und Berufsalltag. Ich beobachte nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Teilnehmenden eine Sensibilisierung. Viel zu schnell sind zwei Stunden vergangen und der Workshop findet ein Ende. Einige Teilnehmer*innen bleiben, um noch einmal kurz persönlich mit Claire Cunningham ins Gespräch zu kommen.

Und jetzt?

Immer wieder ist im Verlauf des Workshops deutlich geworden, wie ernst Claire Cunningham ihren care-Anspruch nimmt. Das Konzept der „choreography of care“ ist offensichtlich nicht nur eine Theorie, sondern die Grundlage ihres Arbeitens. Ich bin gespannt, wie sich das in Cunninghams neuem Solowerk Songs of the Wayfarer manifestieren wird, das sie im November 2024 uraufführen wird.21Vgl. HZT Online, URL: https://www.hzt-berlin.de/zentrum/personen/claire-cunningham/ (zuletzt aufgerufen am 10.03.2024). Dass die Künstlerin in ihrem Einsatz für mehr Inklusion in den Künsten keine Einzelkämpferin ist, zeigen auch andere Projekte wie beispielsweise Making A Difference. Das Langzeitprojekt hat zum Ziel, selbstbestimmte und sichtbare Communities „behinderter, Tauber und chronisch kranker Künstler*innen in der Berliner Tanzszene“ zu fördern.22Making a Difference. Projektwebseite (2024), URL: https://making-a-dilerence-berlin.de/ueber-uns/ (zuletzt aufgerufen am 12.03.2024).

An der UdK Berlin wird die im Grundgesetz23Vgl. Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3, Satz 2. und im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen24Vgl. Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG): Behindertengleichstellungsgesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467, 1468), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Mai … Mehr anzeigen verankerte Forderung nach mehr Inklusion aktuell noch nicht ausreichend umgesetzt, denn es „existieren noch immer Barrieren auf räumlicher, zeitlicher, sprachlicher, organisatorischer und habitueller Ebene.“25Universität der Künste Berlin: Glossar, in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der Künste Berlin, Berlin 2023, S. 49.

Wie die UdK der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen entgegenwirken möchte, ist in der Critical Diversity Policy festgehalten. Zentrale Anlaufstellen an der UdK Berlin sind der Beauftrage für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen Christian Schmidts und die Vertrauensperson der Schwerbehinderten Menschen Inga Kleinecke. Ihre Kontaktdaten und weitere Informationen sind auf der Webseite zur Barrierefreiheit und der Seite zum barrierefreien Studium an der UdK Berlin zu finden.

Referenzen

Referenzen
1 Raum 6 ist ein kleiner Raum mit Podest und besonders für Filmsichtungen geeignet. Während des Symposiums war der Raum mit Kissen und Klappmatratzen ausgestattet.
2 Vgl. „Stimming. Self-Stimulating Behaviors.“ in: Psychology Today Online. URL: https://www.psychologytoday.com/intl/basics/stimming (zuletzt aufgerufen am 15.03.2024).
3 “Wenn die kognitiven Gehirnfunktionen eines Menschen von denjenigen abweichen, welche die Gesellschaft als innerhalb der Normliegend (also als ‚normal‘ oder ‚neurotypisch‘) definiert, dann wird dieser Mensch als neurodivergent bezeichnet.“– Jäggi, Claudia (01.09.2023): 07 Diversität und Eingebundenheit: 7.3 Neurodiversität. In: Schweizerische Gesundheitsstiftung RADIX Online. URL: https://www.radix.ch/de/gesunde- schulen/angebote/schoolmatters/buecher/ein-beitrag-zur-entwicklung-der-schule-mit-psychischer-gesundheit/07-diversitaet-und-eingebundenheit/73-neurodiversitaet/ (zuletzt aufgerufen am 16.03.2024).
4 Autismus-Spektrum-Störungen
5 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
6 Stimtoys Online, URL: https://www.stimtoys.ch/pages/uber- uns (zuletzt aufgerufen am 15.03.2024).
7 Vgl. Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin (HZT): Prof. Claire Cunningham, Einstein-Professorin. In: HZT Online, URL: https://www.hzt-berlin.de/zentrum/personen/claire-cunningham/ (zuletzt aufgerufen am 10.03.2024).
8 Ebd.
9 Vgl. Unbekannte*r Autor*in: Claire to become the Einstein Professor for Choreography, Dance and Disability Arts at the Inter-University Centre for Dance Berlin (HZT). In: Claire Cunninghams offizielle Webseite, URL: http://www.clairecunningham.co.uk/2023/06/claire-to-become-the-einstein-professor-for-choreography-dance-and- disability-arts-at-the-inter-university-centre-for-dance-berlin-hzt/ (zuletzt aufgerufen am 20.03.2024)
10 Vgl. Critical Diversity Blog, URL: https://criticaldiversity.udk-berlin.de/abstracts-und-cvs/ (zuletzt aufgerufen am 10.03.2024).
11 Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 67–78.
12 Ebd., S. 68
13 Universität der Künste Berlin: Glossar, in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der Künste Berlin, Berlin 2023, S. 49.
14 Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 74.
15 Vgl. Ebd., S. 72 f.
16 Vgl. Ebd., S. 73 f.
17 Vgl. Ebd., S. 70
18 Vgl. Universität der Künste Berlin :Barrierefreiheit (in) der Kunstuniversität (Kapitel2.6), in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der Künste Berlin, Berlin 2023, S. 43 f.
19 Vgl. Ebd., S. 44f.
20 Cunningham, Claire: Equations of Care & Responsibility. In: Willeit, Simone und Wolińska, Kasia (Ed.): Danceolitics, Berlin 2021, S. 67-78.
21 Vgl. HZT Online, URL: https://www.hzt-berlin.de/zentrum/personen/claire-cunningham/ (zuletzt aufgerufen am 10.03.2024).
22 Making a Difference. Projektwebseite (2024), URL: https://making-a-dilerence-berlin.de/ueber-uns/ (zuletzt aufgerufen am 12.03.2024).
23 Vgl. Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3, Satz 2.
24 Vgl. Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG): Behindertengleichstellungsgesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467, 1468), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Mai 2022 (BGBl. I S. 760) geändert worden ist.
25 Universität der Künste Berlin: Glossar, in: Critical Diversity Policy. Konzept für Antidiskriminierung & Diversität Universität der Künste Berlin, Berlin 2023, S. 49.

Dieses Essay ist im Rahmen des Projekts Unlearning University entstanden.

Null: Sexy Logistics

Dieser Text ist ein Verdauungsprozess der Taste-Performance „Institutioneller Beigeschmack“, die am 8.2.2024 beim Symposium Unlearning University stattgefunden hat. Die Unterkapitel dieses Textes tragen die gleichen Titel wie unsere Workshopelemente und geben einen Einblick in einen Abend aus unterschiedlichen Erinnerungen, Bauchgefühlen und Nachgeschmäckern.

Eins: Ankommen

Am Donnerstagabend führt der Weg zum Workshop zunächst über einen roten Teppich hinein in das Medienhaus der Universität der Künste Berlin. Als Erstes schlägt einem die distanzierte Kälte der hohen, weißen Flure entgegen. Ein kleiner Raum, etwas versteckt im zweiten Stock, lädt die Teilnehmenden an einen langen Esstisch ein. Mit Kerzen und Kräutern bestückt, will er ein wärmeres Willkommen aussprechen. Nach und nach treten zögerlich verschiedene Menschen ein und suchen sich einen Platz aus: Studierende, Lehrende der UdK oder anderer Kunsthochschulen, eine Person des Awareness-Teams, Gäst*innen, uns vertraute oder noch unbekannte Gesichter.

Wir beginnen von verschiedenen Richtungen des Tisches aus vorzulesen: Herzlich Willkommen, liebe Beischmecker*innen! Schön, dass ihr da seid und euch entschieden habt, Teil von dieser Tafel zu werden – wohl überlegt oder aus einem spontanen Impuls heraus […]. Tiefer in die Höhlen eurer Münder hinein zu spüren, zu schmecken und mit Zungenspitzengefühl zu ertasten, welche institutionellen Rückstände sich dort abgelagert haben, welche Erfahrungskrümel sich zwischen euren Zähnen eingerichtet haben […]. Bleibende Erinnerungsreste, oftmals unbemerkt, manchmal drückend, die in überraschenden Momenten – in denen ihr euch nicht einmal mehr ihrer Existenz bewusst seid einen merkwürdigen Geschmack absondern. […] Er füllt die Zwischenräume, sickert in die Schleimhäute auf der Innenseite der Wangen ein und benetzt jede neu eintretende Erfahrung mit seiner eigenen Mischung. Er verändert seine Färbung, lässt sich schwer beschreiben und schwer fassen. Und doch ist er, einmal ausgebreitet, unverkennbar: Der institutionelle Beigeschmack.

An diesem Abend soll es um die schwer verdaulichen Widersprüche gehen, die das Arbeiten in und über Institutionen wie der Kunsthochschule mit sich bringt. In einem multisensorischen Austauschformat lassen wir uns die verschiedenen Formen und Ambivalenzen von Kritik auf der Zunge zergehen – beim gemeinsamen Tischgespräch, begleitet von bittersüßen, knackenden und klebrigen Häppchen, die unsere Erinnerungen anregen.

‚Wir‘ – das sind Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel. Als Kollektiv aus (ehemaligen) Studierenden an Kunsthochschulen organisieren wir gemeinsam künstlerische Austauschformate. In unseren Veranstaltungen über strukturelle Ausschlüsse versuchen wir studentischen Zusammenhalt zu stärken und dem ‚Not-Yet‘1Walidah Imarisha und Jeanne van Heeswijk nutzen Visionary Fiction für das Imaginieren einer antidiskriminatorischen Zukunft (‚Not-Yet‘), die sie bereits in der Gegenwart herstellen: „It is a … Mehr anzeigen einer zugänglicheren und wertschätzenderen Kunsthochschule näherzukommen. Unsere Zusammenarbeit entstand aus einer Kooperation der Kollektive „Eine Krise bekommen“ (UdK Berlin) und „In the Meantime“ (HFBK Hamburg).

Während sich diese Worte in meinem Mund formen, während ich sie schmecke, während sie mir auf der Zunge zergehen, ist er schon da. Der institutionelle Beigeschmack hat sich selbst eingeladen, wie er es immer tut. Und nun nimmt er Raum ein. Kennt ihr das?

Wir geben die erste Kostprobe herum: Eine Schale mit Beeren, die gleichzeitig salzig, bitter, herb und sauer schmecken.

Welchen Beigeschmack hat dieser Ort für dich? In welchem ‚Wir‘ findest du dich wieder?

Zwei: Balancieren

„Trying to address an institutional problem often means, inhabiting the institution all the more. […] Inhabitance can thus involve reentry: you reenter the institution through the back door. You learn about doors, secret doors, trapdoors: how you can be shut out, how you can be shut in.“2Ahmed, Sara: Complaint, Durham 2021, S. 275f. – Sara Ahmed

Die Tür zum Workshopraum geht von einem langen Flur ab, der zu den Klassenräumen führt. Unmittelbar daneben befinden sich auch die Büros von Lehrenden und der Verwaltung.
Oftmals sind Flure die Orte, an denen Geschichten geteilt werden, die in vielen Fällen nicht die Türen der innerinstitutionellen Beschwerdestellen erreichen. An diesem Abend geht es um solche Erfahrungen, aber auch um Momente von Widerstand und Resilienz, von Umbruch und Zusammenhalt. Wir teilen Momente der Hoffnung und erzählen von Orten, die uns Kraft gegeben haben auf unseren Wegen durch die verzweigten Flure der Institution.

Egal welche Rolle wir innerhalb der Universität einnehmen, ob als begeisterte Teilnehmende, zurückhaltende Beobachter*innen oder unbequeme Kritiker*innen, wir werden durch sie geprägt. Trotz allergischer Reaktionen nehmen wir die Bewertungskriterien, Referenzen, Hierarchien und Vorlieben in uns auf, die uns auch schon viel früher oder in anderer Form in unserem Leben begegnen. Es sickert in uns ein: Das Wissen und die Wissensarten, welche in diesen Räumen wertgeschätzt, anerkannt oder abgelehnt werden, die Themen, die als relevant betrachtet werden, die Normen und die Vorstellung von Erfolg, von Scheitern und von einer Zukunft, die uns möglich erscheint. Stück für Stück setzt sich aus diesen Erfahrungen, die wir über die Jahre zu uns nehmen, eine eigene kleine Institution in unserer Bauchgegend zusammen. Wir sind an ihrem Bau, oder an ihrer Wiederherstellung, oft nur unbewusst beteiligt und bemerken ihre Existenz häufig dann, wenn eine Situation uns den Unterschied vor Augen hält, der zwischen unseren Wünschen, der Theorie und der Praxis besteht.

Wir sprechen über die Herausforderungen, in unseren selbstorganisierten Formaten nicht die gleichen Barrieren zu reproduzieren, wie wir sie in unserem Studium kennengelernt haben. Es ist uns nicht gelungen, bei unserer letzten größeren Veranstaltung wichtige Momente nicht an den Rand zu drängen: Es blieb zu wenig Zeit für Verdolmetschung, das Besprechen von Konflikten im Team, den Abwasch zwischen den Workshops und eine umfangreichere Sensibilisierung für barrierearme Veranstaltungsorganisation. Die in uns eingenistete Institution und ihr Fokus auf Produktivität und Präsentation gestaltete in vieler Hinsicht mit und wurde von den Förderungsbedingungen verstärkt.

Auch beim Workshop „Institutioneller Beigeschmack“ sind die Wirkungsweisen der Institution spürbar: sie zeigen sich unweigerlich, wenn unterschiedlichen Positionierungen in der Rolle von Lehrenden, Studierenden, Organisator*innen des Symposiums oder externe Besucher*in zusammen am Tisch sitzen. Manche können mit mehr Distanz über ihre Erlebnisse an Institutionen sprechen, da die UdK nicht ihr Studienort oder Arbeitsplatz ist, oder die Anwesenden nicht ihre Kommiliton*innen oder Kolleg*innen. Das schafft An- und Abwesenheiten von bestimmten Geschichten, die sich in diesem Rahmen erzählen oder nicht nicht erzählen lassen, was vor allem in den Kleingruppen spürbar ist. Wie transparent kann der Raum sein und wie viel Verletzlichkeit lässt er zu? Wie sind ein sensibler Austausch und Verbündung zwischen den unterschiedlichen Statusgruppen dennoch möglich, die es für emanzipatorische und respektvolle Lernräume braucht?

„That combination [in a collective] can be a matter of hearing. I listened to each account and I listened again, transcribing, reflecting, thinking, feeling. And in listening to you, becoming a feminist ear […] I also put my ear to the doors of the institution […], listening out for what is usually kept inaudible, who is made inaudible, hearing about conversations that mostly happen between closed doors. I was made able to hear the sound of institutional machinery – that clunk, clunk – from those who came to understand how it works, for whom it works. When I think of the collective assembled here, I think of institutional wisdom. I think of how much we come to know by combining our forces, our energies. I think of how much we come to know because of the difficulties we had getting through.“3ebd., S. 275 – Sarah Ahmed

Drei: Kauen

Unweigerlich lernen wir in unserer Zeit an der Kunsthochschule nicht nur künstlerische Theorie und Praxis. Mindestens genauso groß ist der Anteil an gelerntem Habitus, der sich darin zeigt, wie wir durch die Hochschule navigieren. Wir lernen von unseren institutional heartbreaks, an welchen Türen wir klopfen und in welche (Beschwerde-)Stellen wir das Vertrauen verlieren. Wir lernen, dass viele Hürden, Widersprüche und Erfahrungen uns wieder und wieder begegnen. Die öffentliche Kritik an der gegenwärtigen Lehre kommt nur schwer gegen das Prestige der Hochschulen und ihrer Hauptakteur*innen an.

Wir kauen und malmen auf den Widersprüchen herum und mit jedem neuen Versuch, sie zu zerkleinern und in mundgerechte Stücke zu teilen, scheinen sie noch ein bisschen mehr aufzuquellen. Sie bilden eine zähe Masse. Wir kauen, bleiben kleben und kommen scheinbar nicht vom Fleck.
Erinnert ihr euch, wann sich bei euch zum ersten Mal innerer Widerstand gegen die institutionellen Strukturen geregt hat? Konntet ihr Verbündete finden, etwa durch Blickkontakte und Gespräche? Oder habt ihr euch damit alleine gefühlt? Blieb es bei der einen Situation oder begegnet sie euch immer wieder, immer noch? Konntet ihr Handlungsoptionen für euch entdecken und wo haben sie hingeführt?

Was passiert wohl mit der Kiefermuskulatur, wenn immer wieder und wieder und wieder die gleichen, zähen Widersprüche durchgekaut werden. Gewöhnen wir uns irgendwann an das ständige Kauen, Knirschen und Knacken?

Vier: Nüsse knacken

Fünf: Verdauen

Ähnlich wie der institutional speed4Als institutional speed bezeichnen Tiffany Page, Anna Bull und Emma Chapman („The Group 1752“) die Zeit, die Veränderungsprozesse in Institutionen brauchen. Sara Ahmed: Complaint!, S. 286. ist unsere Verdauung ein langsamer Prozess. Manchmal löst sich ein unangenehmer Knoten im Magen erst nach Monaten oder Jahren, in denen wir schon längst die institutionellen Räume verlassen haben. Oder wir entwickeln über die Zeit Unverträglichkeiten und müssen einige Zutaten meiden. Genauso verdaut die Universität auch uns, wenn wir aus ihrem Verdauungssystem aus Fluren, Büros, Prüfungsämtern oder Seminarräumen ausgespuckt werden. In diesem Prozess verändern wir uns. Welche Spuren hinterlassen im Gegenzug auch wir in der Institution?

An diesem Abend lernen wir von den anwesenden Personen etwas über Abgrenzungen, Verbundenheiten, Aushalten und Selbstschutz. Von dem Widerspruch zwischen erwünschter Kritik und massiver Gegenreaktion auf Kritik. Von Zukunftswünschen und Tokenism. Von Rezepten für die Verdauung der institutionellen Widersprüche und Unverträglichkeiten.

Zum Abschluss schreiben wir die einen oder anderen institutional wisdoms auf kleine Zettel. Sie werden eingerollt in einen Glückskeks an andere Workshopteilnehmer*innen weitergegeben und finden ihren Weg heraus aus dem Raum mit dem Tisch voller Krümel und Nussschalen, zurück durch die Flure der Universität.

Referenzen

Referenzen
1 Walidah Imarisha und Jeanne van Heeswijk nutzen Visionary Fiction für das Imaginieren einer antidiskriminatorischen Zukunft (‚Not-Yet‘), die sie bereits in der Gegenwart herstellen: „It is a practice in unlearning and committing otherwise to sharing other realities, to other understandings of the past-present or the present-past, and starting to learn from that in order to literally train; not workshopping the not-yet, but actually training to share and commit to other realities in order to build them.“ – Walidah Imarisha in Conversation with Jeanne van Heeswijk and Rachael Rakes: „Living the Not-Yet“, Toward the Not Yet: Art as Public Practice (2021), BAK, basis voor actuele kunst, Utrecht. S. 25–33
2 Ahmed, Sara: Complaint, Durham 2021, S. 275f.
3 ebd., S. 275
4 Als institutional speed bezeichnen Tiffany Page, Anna Bull und Emma Chapman („The Group 1752“) die Zeit, die Veränderungsprozesse in Institutionen brauchen. Sara Ahmed: Complaint!, S. 286.

Das Symposium ist öffentlich.
Wenn nicht anders angegeben, ist keine Anmeldung
erforderlich.
Das Symposium hat bereits stattgefunden, es ist keine Anmeldung mehr möglich.

Veranstaltungsorte: Universität der Künste Berlin; Medienhaus, Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin, Mittwochabend: Bundesallee 1–12, 10719 Berlin

Sprachen: Die Veranstaltung findet in deutscher und englischer Lautsprache und Deutscher Gebärdesprache (DGS) statt. Die jeweils angebotenen Sprachen sind unter den Panels und Workshops angegeben. Xenia Dürr hat eine Einführung ins Programm in DGS gebärde

Knoten

Unlearning University versammelt Studierende, Mitarbeitende und Lehrende, um zusammen mit (internationalen) Gäst*innen diskriminierungskritisches Wissen und transformative Praxis in den Künsten zu diskutieren und zu erproben.

Ausgehend von der Critical Diversity Policy der UdK Berlin stehen drei Aspekte im Mittelpunkt: Wir fragen nach den Zugängen zu den Künsten und nach der Zugänglichkeit zum Studium der Künste. Wir thematisieren Prozesse der Kanonisierungen und die Notwendigkeiten der Kanonkritik. Und schließlich überlegen wir, welche Methoden des Lehrens und Lernens, des ästhetischen Bewertens und Urteilens wir praktizieren und welche wir praktizieren wollen.

PDF des Programmhefts

Informationen zu Access / Zugänglichkeit
Abstracts und CVs
Informationen zu den Räumen für kollektive Echos

UU

Mittwoch, 7.2.24

Bundesallee 1-12, 10719 Berlin, Joseph-Joachim-Saal

19.30 Uhr, Konzert
Musica inaudita Fokus Lateinamerika

Donnerstag, 8.2.24

Ab 9.30 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10 Uhr Eröffnung
Begrüßung: Ariane Jeßulat, Vizepräsidentin UdK Berlin
Einführung: Kathrin Peters (UdK Berlin)
Einladung zu den Räumen für kollektives Echo: Echo-Raum-Kollektiv

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

11–12.30 Uhr Panel
Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen
mit Merle Grimme (Clashing Differences) Joy Kalu (UdK Berlin), Julia Wissert (Theater Dortmund)
Moderation: Karina Griffith (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

14–17 Uhr Workshops
Workshop 1: Critical.Costume: Memes für Self-Empowerment

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum 103

Workshop 2: Echo-Raum Invitation to Unlearn, Mini-Performance-Workshop von und mit Alisa Tretau

Sprache: deutsche Lautsprache
Raum: Galerie, 14.45–15.30 Uhr

Pause

17.30–19.30 Uhr Workshops
Workshop 1: Conversations on Care & Access
with Angela Alves and Claire Cunningham (UdK Berlin)

Sprachen: englische Lautsprache mit deutscher Flüsterübersetzung
Raum 6, bitte anmelden und gerne Zugangsbedürfnisse mitteilen.

Workshop 2: Institutioneller Beigeschmack
mit Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache
Raum 101; bitte anmelden und Teilnahmebedürfnisse, Allergien oder Fragen mitteilen.

Freitag, 9.2.24

Ab 9 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

9.30–11.30 Panel
Die Selbstverständlichkeit von Klassismus an Kunsthochschulen: Wie können wir Ausgrenzung vermeiden, wenn sie konstitutiv ist?
mit Ruth Sonderegger (Akademie der bildenden Künste Wien) und Sophie Vögele (Zürcher Hochschule der Künste) sowie „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“
Moderation: Elena Meilicke (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche Lautsprache und Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Pause

12–12.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: Deep Tissue, ein partizipativer Selbst-Massage-Workshop von und mit Zaidda Nursiti Kemal

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Aula

12.30–14 Uhr Panel
Verlernen
mit Juana Awad, Julian Sverre Bauer, Maja Figge und Rena Onat 

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutschte Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Mittagspause

15–18 Uhr Workshops
Workshop 1: World-Café zur Critical Diversity Policy
organisiert von Alejandra Nieves Camacho und Mathilde ter Heijne (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Raum: Aula

Workshop 2: Soundscapes des institutionellen Lernens
mit Jakob* vom Kollektiv Gather

Sprache: deutsche Lautsprache (bilingual friendly)
Raum 6, bitte anmelden

Pause

Ab 18.30 Uhr Echo-Raum
Wht th fck&Tenderness – Zine- und Druck-Workshop mit Silent Dinner: für Taube, Schwerhörige und hörende Gäst*innen von und mit Mudar Al-Khufash, Barbara Bielitz, Xenia Dürr, Judith Greitemann, Ximena Gutiérrez Toro und Zoë Sebanyiga

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie
bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

Konzept und Team

Samstag, 10.2.24

Ab 10 Uhr in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin

10.30–12.30 Uhr Panel
Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
Daniele G. Daude (The String Archestra): The Myth of Opera Analysis – For a Situated Opera
Johannes Ismaiel-Wendt (Universität Hildesheim): Von Vorsingen und prekären Bretterbuden
Maiko Kawabata (Royal College of Music, London / Open University): Equality, Diversity and Inclusion in Western Classical Music Performance
organisiert von Isabelle Heiss, Johann Honnens und Christine Hoppe (UdK Berlin)

Sprachen: deutsche und englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Mittagspause

13.30–15.30 Forum und Panel
Forum: Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
mit Daniele G. Daude, Johannes Ismaiel-Wendt, Maiko Kawabata
Moderation: Tsepo Bellwinkel

Sprachen: deutscherund englische Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung
Raum: Aula

Panel: Questions towards the Logics of Canonization in Art and Design Histories
Işıl Eğrikavuk (UdK Berlin): How to collaborate? Building dialogues, co-creation, interconnectedness
Mahmoud Keshavarz (Uppsala Universitet): In Search of Makers in Police Archives: Two Snapshots from Unlearning Histories of Making
Carolin Overhoff Ferreira (Unifesp, São Paulo): How can art be decolonized in theory and practice?
Moderation: Miriam Oesterreich (UdK Berlin)

Sprache: englische Lautsprache
Raum 103

Pause

16–16.30 Uhr Echo-Raum
Unlearning verkörpern: partizipativ-somatische-Performance mit Lisa Siomicheva

Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
Raum: Galerie

16.30–19 Uhr Echo-Raum
Das zärtliche & tentakuläre Orakel – ein Workshop der Sickness Affinity Group-Mitglieder Frances Breden und Stassja Mrozinski

Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
Raum: Galerie, bitte anmelden mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen

 

 

Räume für kollektive Echos

„Unlearning (University)“ ist ein unabschließbarer kollektiver Lernprozess. Er beinhaltet somatische Trans*formationen der Machtverhältnisse, die wir verkörpern. Das Symposium Unlearning University baut auf jahrzehntelanger, oft unsichtbarer Arbeit von Positionen auf, die von der Universität meist ausgeschlossen bleiben. Räume für kollektive Echos begleiten das Symposium als partizipative Formate. Sie laden ein zu mehrperspektivischen, widerständigen und fürsorgenden Echos als Formen der kollektiven Evaluation. Sie bieten Raum für Liebesbriefe genauso wie für das Äußern von Dissens. Es

„Unlearning (University)“ ist ein unabschließbarer kollektiver Lernprozess. Er beinhaltet somatische Trans*formationen der Machtverhältnisse, die wir verkörpern. Das Symposium Unlearning University baut auf jahrzehntelanger, oft unsichtbarer Arbeit von Positionen auf, die von der Universität meist ausgeschlossen bleiben. Räume für kollektive Echos begleiten das Symposium als partizipative Formate. Sie laden ein zu mehrperspektivischen, widerständigen und fürsorgenden Echos als Formen der kollektiven Evaluation. Sie bieten Raum für Liebesbriefe genauso wie für das Äußern von Dissens. Es geht um Lernprozesse, die über das Symposium hinausreichen. Aus der Perspektive diskriminierungskritischer Kunstvermittlung wird gefragt: Was will unbedingt betont oder wiederholt werden? Was kommt zu kurz oder fehlt? Die Echos werden vom zärtlichen und tentakulären Wht-th-fck-Orakel in einem Online-Zine versammelt. Das Orakel ist ein ausgehungertes und gefräßiges Wesen. Es lebt im Echo-Raum, einem Portal, das sich auf Zukünfte hin öffnet, von denen weniger Gewalt ausgeht. Das Orakel ist gierig nach den Erfahrungen der Teilnehmenden mit kritischer Vielfalt und (Ver)lernen an der Universität und im Leben. Es ist gierig nach den Echos der Teilnehmenden auf Unlearning University, auf ihre Nachrichten, Fragen und Anliegen.

Die Räume für kollektive Echos werden vom Echo-Raum-Kollektiv verantwortet. Es besteht aus Studierenden und Lehrenden des Instituts für Kunst im Kontext sowie Mitgliedern der Sickness Affinity Group. Das Kollektiv teilt ein Interesse an diskriminierungskritischen Praxen zwischen Kunst, Bildung und Aktivismus.

Folgende Formate sind geplant:

  • Echo-Raum Erste Fütterung des Orakels: Zum Auftakt des Symposiums wird das zärtliche und tentakuläre Wht-th-fck-Orakel mit Wünschen, Visionen, Befürchtungen, Hoffnungen, Ängsten der Teilnehmenden in Bezug auf Unlearning University gefüttert.
    Wann: Donnerstag, 8.2.24, zwischen 10 und 11 Uhr
    Wo: Aula
    Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
  • Echo-Raum Weitere Fütterungen des Orakels: Das zärtliche und tentakuläre Wht-th-fck-Orakel ist nach allen Symposiums-Beiträgen hungrig nach Echos der Teilnehmenden auf die Beiträge. Was ist besonders wichtig für dich? Was muss betont werden? Was berührt dich? Was macht dich wütend? Was fehlt? Das Orakel-mit-Tentakeln füttert den Echo-Raum mit den Echos. Dort werden Echos verdaut, wiedergekäut, ausgeschieden und für zukünftiges „Unlearning“ aufbereitet. Sie können Teil des Echo-Raum-Online-Zines werden. 
    Wann: nach allen Symposiums-Beiträgen
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche und englische Lautsprache, DGS (wo im Programm angegeben)
  • Echo-Raum Invitation to Unlearn, Mini-Performance-Workshop von und mit Alisa Tretau. Der Workshop eröffnet den Echo-Raum/Galerie. 
    Wie verstehen die Besucher*innen des Symposiums die Praxis des „Unlearning“ und welche Erfahrungen haben sie damit bereits gesammelt? Welche Gefühle und Hoffnungen berührt die Veranstaltung und wie würde eine verlernte Universität eigentlich aussehen? Diese und viele andere Fragen werden im Mini-Workshop mit Spielen, Statements und Perücken performativ verhandelt. 
    Wann: Donnerstag, 8.2.24, 14:45–15:30 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, bei Bedarf englische Flüsterübersetzung
  • Echo-Raum unlearning verkörpern: Deep Tissue, ein partizipativer Selbst-Massage-Workshop von und mit Zaidda Nursiti Kemal
    Wann: Freitag, 9.2.24, 12–12.30 Uhr
    Ort: Aula
    Sprachen: englische Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
  • Echo-Raum Wht th fck & TendernessZine- und Druck-Workshop mit Silent Dinner: für Taube, Schwerhörige und hörende Gäst*innen von und mit Mudar Al-Khufash, Barbara Bielitz, Xenia Dürr, Judith Greitemann, Ximena Gutiérrez Toro und Zoë Sebanyiga
    Bei diesem Format kann Druck abgelassen oder aufgebaut werden, können Liebesbriefe entstehen und vieles mehr. Es ist ein kulinarisches Silent-Format, bei dem nicht lautsprachlich kommuniziert wird. Kochen und Essen sind dabei wichtige Formen sowohl von Gemeinschaftsbildung als auch für das Unlearning von Ausschlussmechanismen am Tisch (dinner table syndrome). 
    Wann: Freitag, 9.2.24, ab 18:30 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
    Teilnehmer*innen: 25, mit Anmeldung
    Bitte sende eine E-Mail mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen bis spätestens Montag, den 5. Februar an fantastische_gruende@posteo.de
    Betreff: Wht th fck&Tenderness
  • Echo-Raum unlearning verkörpern: partizipativ-somatische-Performance mit Lisa Siomicheva
    Wann: Samstag, 10.2.24, 16 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsche Lautsprache, DGS
  • Echo-Raum Das zärtliche & tentakuläre Orakel – Ein Workshop der Sickness Affinity Group Mitglieder Frances Breden und Stassja Mrozinski
    In diesem Workshop sammelt das Orakel-mit-Tentakeln eure Fragen. Darauf wird kollektiv geantwortet. Dieser Workshop wurde vom Orakel-Format der Sickness Affinity Group inspiriert. 
    Wann: Samstag, 10.2.24 von 16.30-19 Uhr
    Wo: Echo-Raum in der Galerie
    Sprachen: deutsch Lautsprache, deutsche Schriftsprache, DGS
    Teilnehmer*innen: 20, mit Anmeldung
    Bitte sende eine E-Mail mit Namen, Zugangsbedarfen und Fragen/Anmerkungen bis spätestens Montag, den 5. Februar an fantastische_gruende@posteo.de
    Betreff: Das zärtliche & tentakuläre Orakel 

Selbstbeschreibungen der Echo-Raum-Kollektiv-Mitglieder

Mudar Al-Khufashs Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Kulturwissenschaft und Kunst. Er ist der Gründer und Herausgeber des Magazins awham, einer anti-orientalistischen, kulturellen und politischen Publikation. Auf der Grundlage queerer und feministischer Theorien und in einer posthumanen Perspektive artikuliert Mudar seine Diaspora-Erfahrung als Palästinenser und entwickelt auf der Grundlage dieser Identität eine Autotheorie, die er durch eine Mischung aus Wort, Video und performativem Output kommuniziert.

Barbara Bielitz ist eine geborene Erforscherin. Sie wird von Neugier und künstlerischen Experimenten angetrieben und konzentriert sich auf den kreativen Prozess und die konzeptionellen Verbindungen/Überschneidungen/Diffraktionen zwischen Feminismen und technologischen Materialitäten. Ihre Arbeit entfaltet sich sowohl in individuellen als auch in kollektiven Projekten, wobei sich letztere auf die FLINTA*-Migrantengemeinschaft in Berlin konzentrieren. Derzeit entwickelt sie Projekte, in denen sie Sci-Fi als Raum feministischer Spekulation für die Erforschung möglicher Welten nutzt.

Frances Breden ist Kuratorin, Künstlerin und Redakteurin. Sie widmet sich dem gemeinschaftsorientierten und kollektiven Kunstschaffen in digitalen und IRL-Räumen. Sie ist ein Sechstel des queer-feministischen Kunstkollektivs COVEN BERLIN (seit 2014). Frances war 2017 Gründungsmitglied der Sickness Affnity Group, einer Unterstützungs- und Ressourcengruppe zu den Themen Zugänglichkeit, Be_hinderung und Krankheit. Frances‘ neustes Kollektiv heißt Complainers and Killjoys und bietet Workshops über Memes als Form der institutionellen Kritik an.

Xenia Dürr ist Fotograf*in und Aktivist*in. They liebt es, über die Einstellung zu Sprachen zu philosophieren und Menschen mit gesellschaftskritischen Themen, vor allem Audismus, zu konfrontieren. Mit der Fotografie möchte Xenia Aufklärungsarbeit leisten und Menschen dazu bringen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Zudem gibt Xenia regelmäßig audismuskritische Workshops – hauptsächlich im kulturellen Bereich, um hörende Institutionen für einen bewussten Umgang in der Zusammenarbeit mit Tauben Künstler*innen zu sensibilisieren.

Danja Erni übt sich in Langsamkeit und verbringt gerne Zeit mit Pflanzen. Mag unterschiedliche Arten der Kontaktaufnahme und des Austauschs und lernt dazu in Laut- oder Schriftsprache, mit Gebärden, Emotionen, in Bewegung und über Berührung. Sie* beschäftigt sich – meist in Teams – mit Fragen zu Diskriminierungskritik und Intersektionalität zwischen Kunst und Bildung aus kritisch weißer, queer-feministischer und anti-ableistischer Perspektive. 

Ximena Gutiérrez Toro trägt ihre Zeit in sich selbst und macht viele Fehler. Sie ist eine Visuelle Künstlerin mit Erfahrung in Kunstvermittlung, Kunstpädagogik und graphischer Gestaltung. Sie interessiert sich für die Entwicklung von kreativen Projekten, die eine kritische Perspektive einbringen und das Verlernen von sozialen Konstruktionen fördern.

Judith Greitemann beschäftigt sich mit der Darstellbarkeit und Vemittlung von menschlichen Körperwahrnehmungen/-ausdrücken im Spannungsfeld von Kunst und Medizin aus einer anti-ableistischen und queer-feministischen Perspektive. Judith arbeitet filmisch und performativ mit Ästhetiken der Zugänglichkeit. Das Persönliche und Subjektive betrachtet Judith als Ressource und Ausgangspunkt ihrer kollektiven Praxis.

Simon Noa Harder ist eine Wasserratte und ein* Freund* der Weichtiere, engagiert sich für trans*formative Räume am liebsten intersektional, community-basiert und kollektiv mit DIY-Charme und Glitzer. SNH bewegt sich auf Schnittstellen kulturell-politischer Bildung, Kunst/Performance, kritischen Trans*Studies, Embodied Social Justice und somatischer Arbeit. Forscht zur traumainformierten Aneignung von neuroqueeren bodyminds, der Trans*formation von Scham und zur Verkörperung von Pleasure.

Zaidda Kemal stellt viele Fragen über das Wort “being” (das Sein, das Wesen, das Dasein, die Wesenheit, das Geschöpf). Well-being (Wohlbefinden) ist eins davon. Mit Bodywork möchte sie, dass die Menschen ihr Wohlbefinden und die Geschichte ihrem politisierten Körper erzählen. 

Nastassja Isabelle Mrozinski ist Designer*in und Forscher*in. Stassja beschäftigt sich damit, wie verschiedene bodyminds und andere materiell-semiotische Akteure interagieren, sowie mit deren verflochtenen Machtverhältnissen und Geschichten. Als Mitglied der Sickness Affinity Group hilft Stassja bei der Organisation von Selbsthilfegruppentreffen und partizipativen künstlerischen Formaten mit einem Fokus auf das Umlernen von Ableismus und Praxen der Zugangsgestaltung.

Zoë Sebanyiga fühlt sich am wohlsten in Räumen der Reflektion. Nadel, Faden und Textilien sind ihre Werkzeuge, um gesellschaftliche Mauern zu überwinden oder sie einzureißen. Ihre Arbeit als Schneiderin und Modedesignerin, Kostümbildnerin oder auch als Referentin für Antirassismus hinterfragt diskriminierende Strukturen und soll kraftspendend für einen diskriminierungskritischen Weg wirken.

Lisa Siomicheva beschäftigt sich mit dokumentarisch basierter und ortsspezifischer Kunst, mit Gemeinschaften und ihren Narrativen. Durch verschiedene Medien wie Fotografie, Video, Theater, Performance und Installation arbeitet sie oft mit persönlichen und kollektiven Erinnerungen, sammelt Geschichten und Fantasien, durchblättert Archive und setzt Beobachtung und Reflexion ein, um neue verkörperte Formen des Nachdenkens zu entwickeln.

Alisa Tretau glaubt an die Gemeinschaft als Motor kreativer Transformation und übt sich in theatralen Subversionen alltäglicher Machtstrukturen. Ob als Regisseurin oder Performerin, Autorin oder Workshopleiterin – sie beschäftigt sich, am liebsten improvisierend und interaktiv, mit Fragestellungen, die das Private und das Politische performativ zusammenziehen, so zuletzt mit kognitiver Dissonanz im Angesicht der Klimakrise und emanzipatorischen Praktiken im Kontext Elternschaft.

Unlearning University – Abstracts und CVs

Musica inaudita Fokus Lateinamerika

Die uns bekannte Konzertkultur entstand im Europa des 19. Jahrhunderts und mit ihr ein Kanon westlicher Kunstmusik, der bis heute gelehrt, gespielt und gehört wird. 76% der von Orchestern weltweit gespielten Werke sind von weißen toten Männern (Donne Report 2022). Das wollen wir ändern. In diesem Konzert stellen wir zeitgenössische lateinamerikanische Musik in den Fokus, die feministisch und klimapolitisch ausgerichtet ist. Diese Musik ist beeinflusst von alten Techniken, Alltags- und Naturklängen sowie von elektronischer Musik.

Musica inaudita
ist eine studentische Initiative an der UdK Berlin. U.a. veranstalten wir Konzerte mit Musik von Künstler*innen, die wegen verschiedener Diskriminierungsgründe wie Gender, Race, sexuelle Identität, Behinderung oder Religion nicht im heutigen Kanon enthalten sind.

Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen

2018 haben Julia Wissert und Sonja Laaser (Juristin und Dramaturgin) die Anti-Rassismus-Klausel entworfen (www.antirassismusklausel.de). Die Klausel ist ein Instrument, um die an einem Vertragsverhältnis Beteiligten vor rassistischen Äußerungen und Angriffen seitens Beschäftigter des Auftraggebers zu schützen. Julia Wissert, Merle Grimme, Joy Kalu und Karina Griffith diskutieren dieses und andere konkrete Beispiele für aktives Eingreifen in deutsche Theater- und Filminstitutionen. Wie können wir in unserer Kunstpraxis Instrumente entwickeln, die unterschiedliche Ansätze und Perspektiven schützen und fördern? Wie können wir nachhaltige Vielfalt in Kunststrukturen schaffen?

Merle Grimme
ist Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin. Merle Grimmes Abschlussarbeit an der HFF München, die Miniserie Clashing Differences, wurde in allen Kategorien des Neuen Deutschen Filmpreises nominiert (Beste Regie, Beste Produktion, Bestes Drehbuch, Beste schauspielerische Leistung). Merle Grimme gewann den Preis für das Beste Drehbuch sowie den großen Publikumspreis bei den First Steps Awards.

Joy Kristin Kalu
ist Dramaturgin und Kuratorin für internationale aufführende Künste und promovierte Theaterwissenschaftlerin. Zuletzt arbeitete sie als leitende Dramaturgin an den Berliner Sophiensaelen (2017-2023). Aktuell lehrt sie als Gastprofessorin für performative Künste an der Universität der Künste Berlin.

Julia Wissert
ist die aktuelle Intendantin des Schauspiel Dortmund. Im Jahr 2023 war Julia Wissert Gastprofessorin am Institut für Kunst im Kontext in der Fakultät Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin.

Karina Griffith (Moderation)
ist bildende Künstlerin, Filmprogrammiererin und Kuratorin mit einem Doktortitel in Filmwissenschaft. Derzeit ist sie Dozentin für Medientheorie und -praxis am Institut für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin

critical.costume: Memes für Self-Empowerment

In unserem Workshop möchten wir über unsere künstlerische Praxis als Kostümschaffende sprechen und mit euch überlegen, wie gegenseitiges Empowerment aussehen könnte. Wir möchten uns mit euch vernetzen und in den Austausch darüber treten, welche Entwicklungen ihr euch in der Theater- und Filmbranche oder auch anderen künstlerischen Arbeitsfeldern wünscht. Hören, wie eure Arbeitsrealität als Kulturschaffende aussieht und welche Ähnlichkeiten und Unterschiede es gibt. Ein konkretes Mittel, wie wir Erfahrungen von Kostümschaffenden sammeln und die absurden Situationen des Arbeitsalltags sichtbar machen, sind Memes. Wir wollen mit euch ein Meme erstellen, das zeigt, womit Kostümschaffende täglich konfrontiert werden.

critical.costume
ist ein Sprachrohr für Kostümschaffende. Indem wir kollektive Erfahrungen sammeln, können wir über Social Media für Kostümbildner*innen einstehen. Unser Departement wird häufig missverstanden und nicht angemessen wertgeschätzt. Deshalb setzen wir uns für mehr Sichtbarkeit ein. Wir wollen auf Missstände im Theater, Film und in der freien Szene aufmerksam machen. Wir möchten Awareness für sensible künstlerische Praxis und intersektionales Denken schaffen.

Institutioneller Beigeschmack Institutional Aftertaste

Sich kritisch mit Institutionen wie der Kunsthochschule auseinanderzusetzen und gleichzeitig innerhalb dieser zu studieren und zu arbeiten, kann schwer verdauliche Widersprüche mit sich bringen. In einem multisensorischen Austauschformat wollen wir uns diese Ambivalenzen auf der Zunge zergehen lassen – beim gemeinsamen Tischgespräch, begleitet von bittersüßen, knackenden und klebrigen Häppchen.
Teilnehmer*innen: 20 (mit Anmeldung)

Kontaktiert uns per Mail, um uns eure Teilnahmebedürfnisse, Allergien oder Fragen mitzuteilen: hello@newschool-summerschool.org

Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel
organisieren kollektiv künstlerische Austauschformate über institutionelle Ausschlüsse, studentischen Zusammenhalt und Lernutopien. Ausgangspunkt dafür sind ihre Erfahrungen als (ehemalige) Studierende der UdK Berlin, HfBK Hamburg, Burg Halle und Universität Wien. Die Zusammenarbeit entstand aus einer Kooperation der Kollektive Eine Krise bekommen und In the Meantime. www.newschool-summerschool.org / www.einekrisebekommen.xyz / www.in-the-meantime.net

Conversations on Care & Access

In diesem Mini-Workshop sprechen wir, Claire und Angela, erst untereinander und dann mit euch über das Thema „Care & Access“. Ausgangspunkt für die Gespräche sind zwei kleine Texte, die wir gerne mit euch teilen. Das Lesen der Texte ist keine Voraussetzung für die Teilnahme am Workshop. Zwischen den Gesprächen bieten wir noch eine kleine Übung zum Ausruhen an.
Critical Diversity Policy. Strategy for Antidiscrimination & Diversity Berlin University of the Arts, Chapter 2.6 Accessibility at/of Arts Universities, Universität der Künste Berlin, 2023.
– Claire Cunningham: “Equations of Care & Responsibility”, in: Danceolitics, ed. by Simone Willeit and Kasia Wolińska, Uferstudios GmbH, Berlin 2022.

Bitte anmelden und gerne Zugangsbedürfnisse mitteilen: unlearning@udk-berlin.de

Angela Alves
ist Claire Cunninghams künstlerische Mitarbeiterin in der neu gegründeten Abteilung Choreographie, Tanz und Disability Art am HZT Berlin. Ihre künstlerische Arbeit ist stark geprägt von ihrer Lebensrealität als chronisch kranke Frau.

Claire Cunningham
wurde kürzlich als Professorin für Choreografie, Tanz und Disability Art ans HZT Berlin berufen; sie ist darstellende Künstlerin und Choreografin. Ihre Forschung befasst sich mit Crip-Techniken von behinderten Tanzkünstler*innen, Ästhetiken von Access und Praktiken der Fürsorge.

Die Selbstverständlichkeit von Klassismus an Kunsthochschulen. Wie können wir Ausgrenzung vermeiden, wenn sie konstitutiv ist?

Ausschlüsse und Diskriminierung an Kunsthochschulen wirken hauptsächlich über Klassismus, wenngleich fast immer in intersektionaler Verknüpfung mit anderen Formen der Diskriminierung. Einerseits bestätigen Resultate aus der Studie „Art.School.Differences“ (2016) eine institutionelle Normativität. Andererseits zeigt der Blick auf die historische Etablierung von Kunsthochschulen, dass ihre Existenz von Anfang an auf Klassismus fußt. In einem ersten Teil möchten wir ausloten, was das für Angehörige der Institution heute bedeutet. In einem zweiten Teil werden wir anhand von Ablehnungsbriefen Möglichkeiten einer offeneren und zugänglicheren Kunsthochschule diskutieren.

Ruth Sonderegger
ist Professorin für Philosophie und ästhetische Theorie an der Akademie der bildenen Künste Wien. Ihre derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind: Konstitution und Geschichte der westlichen philosophischen Ästhetik (im Kontext des Racial Capitalism), Praxistheorien, Cultural Studies, kritische Theorien und Widerstandsforschung.

Sophie Vögele
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und lehrt an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Einer ihrer Schwerpunkte umfasst institutionalisierte Mechanismen von In- und Exklusion aus feministisch-postkolonialer Perspektive (siehe hier). Aktuelle Projekte zu kultureller Teilhabe und Nachhaltigkeit sowie zu Repräsentation.

Destina Atasayar, Lu Herbst, Lucie Jo Knilli, Charlotte Perka und Lioba Wachtel
organisieren kollektiv künstlerische Austauschformate über institutionelle Ausschlüsse, studentischen Zusammenhalt und Lernutopien. Ausgangspunkt dafür sind ihre Erfahrungen als (ehemalige) Studierende der UdK Berlin, HfBK Hamburg, Burg Halle und Universität Wien. Die Zusammenarbeit entstand aus einer Kooperation der Kollektive Eine Krise bekommen und In the Meantime. www.newschool-summerschool.org / www.einekrisebekommen.xyz / www.in-the-meantime.net

Elena Meilicke
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Medientheorie an der UdK Berlin. Promotion zu Paranoia als Medienpathologie, aktuell arbeitet sie zur Wissens-, Medien- und Kulturgeschichte der Resilienz und zu filmischen Autosoziobiografien.

Verlernen

Das Panel versammelt einige Herausgeber*innen und Autor*innen des kürzlich erschienenen Bandes Künste dekolonisieren. Ästhetische Praktiken des Lernens und Verlernens (Fink Verlag 2023), der u. a. aus den Beiträgen einer im Wintersemester 2017/18 stattgefundenen Vorlesungsreihe an der UdK Berlin hervorgegangen ist. Ausgehend davon sprechen wir gemeinsam über das Konzept und die Praxen des Verlernens. Dabei soll es u. a. um Themen wie materielle Bedingungen, Zugänglichkeit oder de/koloniale Wissensproduktion gehen, die insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Kunstuniversität betreffen.

Juana Awad
studierte Semiotik, Theaterwissenschaften, Medienkunst und Kulturen des Kuratorischen. Ihre Hauptinteressen gelten den Überschneidungen von Wissensproduktion und äesthetischen Praktiken; sowie dem politischen Potenzial der Präsentation von Kunst und Kultur. Derzeit forscht und lehrt sie an der weißensee kunsthochschule berlin.

Julian Sverre Bauer
hat vor kurzem sein seinem Dissertationsprojekt „Rassisierung als Technologie bewegter Bilder“ an der UdK abgeschlossen und war zuletzt an der HBK Braunschweig tätig. Neben medienwisschaftlichen Fragestellungen interessiert er sich insbesondere für Science and Technology Studies, Post/koloniale Studien und Queer Theory. 

Maja Figge
ist Kultur- und Medienwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind insbesondere intersektionale Gender/Queer Media Studies, postkoloniale Medientheorien, transnationale Bewegtbildmedien. Sie ist Mitherausgeberin des Bandes Künste dekolonisieren. Ästhetische Praktiken des Lernens und Verlernens (transcript 2023).

Rena Onat
ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin und interessiert sich für Queer of Color Kritik in der visuellen Kultur. Sie positioniert sich als deutschtürkische Femme und hat kürzlich ihre Doktorarbeit zum Thema „Queere Künstler_innen of Color. Verhandlungen von Disidentifikation, Überleben und Un-Archiving im deutschen Kontext“ abgeschlossen. Sie hat am Institut für Medienwissenschaft der HBK Braunschweig und im Helene-Lange-Kolleg Queer Studies und Intermedialität: Kunst – Musik – Medienkultur an der Uni Oldenburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet. Seit 2023 ist sie die Hauptamtliche Frauenbeauftragte an der weißensee kunsthochschule berlin. Außerdem macht sie Lehraufträge, Vorträge und Workshops zu Kunst, Empowerment und Antidiskriminierung und mag Pferde.

World Café zur Critical Diversity Policy
organisiert von Alejandra Nieves Camacho und Mathilde ter Heijne (beide UdK Berlin)

Wir möchten dazu einladen, in wechselnden Kleingruppen die sechs zentralen Handlungsfelder der Critical Diversity Policy und eines Code of Conduct der UdK Berlin zu diskutieren. Ziel ist es, durch persönliche Begegnungen und interdisziplinäre Diskussionen die Umsetzung der Critical Diversity Policy zu fördern. Wenn wir uns gemeinsam mit relevanten Zukunftsfragen auseinandersetzen, können neue Ideen entstehen und wir lernen voneinander.
Die Teilnehmer*innen können je nach persönlichem Interesse die Themenbereiche und Fragestellungen auswählen, die sie in Gruppen diskutieren möchten.

Soundscapes des institutionellen Lernens

Wo liegt der Zugang zur eigenen Stimme und wie wird sie hörbar? Wir identifizieren Körperstellen, die in Verbindung mit universitären oder schulischen Erfahrungen stehen und übersetzen diese in Sound und Textflächen. Dafür stehen Mikrofone, Beat und Effektgerät zur Verfügung. In unseren Improvisationen steht das freie Experimentieren jenseits von Richtig und Falsch im Vordergrund.

Jakob* vom Kollektiv Gather
dipl. Performer*in, Fokus auf Körper, Stimme, digitale Performance. Teil des Band-Kollektivs „Die Schlangenknaben“ – klassische Musik aus queerfeministischer Perspektive.
Gather ist ein partizipatives Projekt mit geteiltem intersektionalen Interesse an Kunst/Musik und kollektivem Hierarchie-armen Lernen.

Rassismuskritische Perspektiven auf musikbezogene Felder und Studiengänge der UdK Berlin
organisiert von: Isabelle Heiss, Johann Honnens und Christine Hoppe (alle UdK Berlin)

Basierend auf den drei Ausgangspunkten des Symposiums Kanonkritik – Zugänglichkeit – Methodologien werden in dieser Sektion musikbezogene Felder unter einer rassismuskritischen und intersektionalen Perspektive in den Blick genommen. Nach drei Impulsvorträgen von Maiko Kawabata, Daniele Daude und Johannes Ismaiel-Wendt mündet die Sektion in ein von Tsepo Bollwinkel geleitetes Diskussionsforum, in dem an verschiedenen Thementischen ein Austausch über ausschließende Strukturen und „Verlernprozesse“ in den musikbezogenen Studiengängen der UdK Berlin im Zentrum steht.

Johannes Salim Ismaiel-Wendt: Von Vorsingen und prekären Bretterbuden

In diesem Beitrag reflektiere ich meine Versuche „dissonanter Partizipation“ (Hark 2005) am institutionalisierten Hype of Decolonisation. Ich frage danach, warum ich das Gefühl habe, immer nur „provisorische[] Bretterbuden“ (Hark 2005: 370) zu bauen in den etablierten „Institutionen des Wissens“ (Kretschmann, Pahl, Scholz 2004). Hat das auch mit den Plätzen, den Universitäten, Museen etc. zu tun, auf und in denen ich oder wir bauen? Ist es vielleicht auch gut so, weiterhin nur provisorische Konstruktionen zu platzieren? Wer lässt mich eigentlich heute vorsingen, bevor ich Zugriff auf eine einigermaßen tragfähige materielle Infrastruktur bekomme? Auf welche Deals lasse ich mich ein, um für Phantasien von Herrschaftsfreiheit kleine Proberäume bauen zu können?

Johannes Salim Ismaiel-Wendt
ist Professor für Musiksoziologie und Popular Music Studies an der Universität Hildesheim, Deutschland. Er ist Autor von tracks‘n‘treks. Populäre Musik und Postkoloniale Analyse (2011), post_PRESETS. Kultur, Wissen und populäre MusikmachDinge (2016), Herausgeber von Postcolonial Repercussions (2022 mit Andi Schoon) u. a. Ismaiel-Wendt ist Gründungsmitglied des Kollektivs ARK [Arkestrated Rhythm Komplexities], einem Kollektiv für post-repräsentative Sound Lectures und Installationen zu global verschränkten Geschichten von Musik, Sampling-Kulturen und Drum Machines. ARK präsentierte und präsentiert seine Arbeit in diversen Ausstellungen und Live-Sessions.

Daniele G. Daude: The myth of opera analysis – for a situated opera

Als Teilgebiet der musikwissenschaftlichen Analyse wird die Opernanalyse im deutschsprachigen Raum noch weitgehend als Opernmusikanalyse verstanden und gelehrt. Der Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung und Interpretation der einzelnen Elemente und ihrer Beziehung zueinander. Mehr als in anderen europäischen Ländern basiert die deutsche Opernforschung auf der scharfen Unterscheidung zwischen „dem Musikalischen“ und „dem Nicht-Musikalischen“ (Hanslick, 1875). Das bedeutet zum einen, dass die Opernanalyse auf die Erfassung der logozentrischen Elemente (Notentexte, Libretti, Briefe, Nachlässe etc.) reduziert wird, was zum anderen die szenischen Elemente als Ausführung des Werkes erklärt (Dahlhaus, Danuser). Drittens führt dies dazu, dass Opernforscher*innen ihre ideologischen und kulturellen Einflüsse sowie ihre gesellschaftliche Positionierung nie als Elemente der Analyse anerkennen und ihre Arbeit als universell, objektiv und a-historisch darstellen. Mit den Studien der kritischen Musik- und Theaterwissenschaftler*innen in den letzten Jahrzehnten wurde diese Überzeugung mehrfach in Frage gestellt. Auch wurden Alternative für neue Techniken und Methoden der Opernanalyse erarbeitet. Mein Beitrag wirft die Frage nach dem Umgang mit ideologiebeladenem Material, den Kriterien der Opernanalyse und einem kritischen System mit pädagogischer Zielsetzung auf.

Daniele G. Daude
ist Musik-, Theaterwissenschaftler*in und Dramaturg*in. Bereits während des Musikstudiums gründete und leitete Daniele G. Daude Chöre und Streicherensembles. Nach dem Musikstudium am Conservatoire National (Region Aubervilliers) promovierte Daniele G. Daude 2011 in Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Aufführungsanalyse und 2013 in Musikwissenschaft an der Université Paris 8 mit dem Schwerpunkt Opernanalyse. Seit 2008 lehrt Daniele G. Daude an deutschen und französischen Universitäten. 2013-2015 ist Daniele G. Daude Gastprofessor*in für Darstellende Kunst am Campus Caribéen des Arts (Martinique). 2016–2022 ist Daniele G. Daude Maître*sse de Conferences für Ästhetik und Philosophie. Im selben Jahr gründet Daniele G. Daude das Ensemble The String Archestra, um Werke BIPoC Komponist*innen aufzuführen, die sowohl aus der kanonischen Musikgeschichtsschreibung als auch aus dem standardisierten Konzertrepertoire unsichtbar gemacht wurden. Im Jahr 2021 wird The String Archestra für seine langjährige Arbeit mit dem TONALi Award in der Kategorie „Umbruch“ ausgezeichnet. Daniele G. Daude ist seit 2016 als Dramaturg*in für Konzert, Oper und Theater tätig. danielegdaude.com  com-chor.de/ thestringarchestra.com

Maiko Kawabata: Die neue „Yellow Peril“ in westeuropäischen Symphonieorchestern

Der Begriff „Yellow Peril“ bezieht sich auf die historische rassistische Phobie vor der Invasion von Ausländern, insbesondere aus Ostasien und beschreibt auch ein aktuelles Problem in professionellen westeuropäischen Orchestern. Meine Interviews mit ethnisch chinesischen, japanischen, ko-
reanischen und taiwanesischen Musiker*innen offenbaren, dass Mobbing, Mikroaggressionen und Diskriminierung in einer Reihe von Situationen vorkommen, die von Konservatorien bis hin zu Vorspielen, Proben, Konzerten und Tourneen reichen. Die Gründe für das Fortbestehen der allgegenwärtigen Stereotypen des seelenlosen Automaten oder des ewigen Außen- seiters scheinen letztlich strukturell bedingt zu sein: Die tief verwurzelte eurozentrische Heuchelei, dass die „universelle“ Sprache der klassischen Musik ausschließlich Weißen gehört, spiegelt eine Ideologie der weißen Vorherrschaft wider. Während US-Wissenschaftlerinnen (Mari Yoshihara, Mina Yang, Grace Wang) den Rassismus gegen ostasiatische und asiatisch-amerikanische klassische Musiker*innen dokumentiert haben, hat der „Yellow-Perilism“ in Berlin, London oder Wien in der wissenschaftlichen Literatur weniger Beachtung gefunden. Die Anerkennung bestehender Ungleichheiten ist ein notwendiger erster Schritt, wenn der Sektor wirklich vielfältiger und inklusiver werden soll.

Maiko Kawabata
Dozentin für Musik am Royal College of Music und Lehrbeauftragte an der Open University, ist eine preisgekrönte Musikwissenschaftlerin und professionelle Geigerin. Sie ist die Autorin von Paganini, the „Demonic‘ Virtuoso“ und Mitherausgeberin des Bandes Exploring Virtuosities: Heinrich Wilhelm Ernst, Nineteenth-Century Musical Practices and Beyond. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Aufführungsgeschichte, Performance Studies, Gender Studies, Musik und Race. Maikos Forschung über die japanische Komponistin Kikuko Kanai wurde von der BBC und dem AHRC gefördert. Sie spielte Violine in zahlreichen Orchestern und Kammermusikensembles in Großbritannien, den USA und Deutschland.

Tsepo Bollwinkel Keele
denkt, schreibt und spricht zu rassifizierten Identitäten und Weißsein und zu Politiken der Globalen Mehrheit – und ist gleichzeitig in der 35. Spielzeit 1. Solo Oboist an einem deutschen Stadttheater, weshalb ein machtkritischer Blick auf den Kulturbetrieb ein Arbeitsschwerpunkt ist.

Questions towards the Logics of Canonization in Art & Design Histories

Die Logik der Kanonisierung in der Kunst- und Designgeschichte für das, was in Lehre, Forschung und
Kuration als relevant angesehen wird, ist tief in der longue durée der jeweiligen Disziplinen verwurzelt (19. Jahrhundert für Kunstgeschichte und frühes 20. Jahrhundert für Designgeschichte). Die Teilnehmenden des Podiums sind in Theorie, Praxis und in Kombinationen von beidem tätig. Sie fordern eurozentrische Logiken aus verschiedenen Perspektiven heraus, um die Strukturen der Kanonisierungsprozesse zu diversifizieren, zu pluralisieren, zu de-hierarchisieren und zu dekolonisieren. Das Panel will Ansätze für einen kritischen und inklusiveren Umgang mit dem kanonischen Erbe der Kunst- und Designgeschichten sammeln, fokussieren und diskutieren.

Işıl Eğrikavuk: Wie zusammenarbeiten? Dialog, Mitgestaltung und Vernetzung aufbauen

In ihrem Vortrag wird Işıl Eğrikavuk über ihr laufendes Projekt an der UdK Berlin The Other Garden sprechen, das sie mit ihren Studierenden durchführt, sowie über ihre Doktorarbeit, bei der sie mit Ökologie- und Kunstkollektiven aus der Türkei zusammengearbeitet hat.

Işıl Eğrikavuk 
studierte westliche Literatur an der Boğaziçi-Universität, Istanbul und schloss einen MFA in Performance Art an der School of the Art Institute of Chicago (SAIC) ab, mit einem Stipendium der Koç-Stiftung. Im Jahr 2021 promovierte sie an der Istanbul Bilgi University mit der Arbeit „From A Political Protest To An Art Exhibition: Building Interconnectedness Through Dialogue-Based Art“. Eğrikavuk lebt in Berlin und arbeitet seit 2017 als Dozentin an der Universität der Künste Berlin.

Carolin Overhoff Ferreira: Wie kann Kunst in Theorie und Praxis dekolonialisiert werden?

Dekolonialität ist eine Herausforderung für die westliche Idee der Moderne, da erinnert werden muss,
dass Kolonialität, also koloniale Denkund Handlungsmuster hierfür grundlegend waren. Dies muss benannt und durch die Einbeziehung nicht-westlicher Epistemologien verändert werden. Kunst, ihre Geschichte, Theorie und Praxis müssen sich dieser Herausforderung stellen, da durch die
Hierarchisierung von Kunst und Artefakt eine Abwertung anderer Kulturen und ihrer Kunstproduktion vorgenommen wurde, die maßgeblicher Teil der Eroberung war. Die westliche Kunst, ihre Lehre und ihr Studium sind aufgefordert, Dekolonialität als Methode aufzunehmen. Dafür setzt sich der Beitrag ein, der diese Herausforderung aus brasilianischer Perspektive beschreibt.

Carolin Overhoff Ferreira
ist habilitierte Professorin (Associada) am Department für Kunstgeschichte der Bundes-Universität São Paulo. Sie war Assistenzprofessorin an der Katholischen Universität Portugals in Porto, Postdoktorandin an der Universität São Paulo, International Research Fellow an den Universitäten Oxford und Cambridge und Gastprofessorin an den Universitäten Coimbra und Bristol. Als Lehrbeauftragte war sie an der Freien Universität Berlin und an der Fachhochschule für Kunst und Design Hannover tätig. 2022 ist ihre Monographie Dekoloniale Kunstgeschichte: eine methodische Einführung beim Deutscher Kunstverlag erschienen.

Mahmoud Keshavarz: Auf der Suche in Polizeiarchiven: Zwei Case Studies, um die Geschichte des Making zu verlernen

Was passiert, wenn Polizeiarchive und nicht Sammlungen und Museen zum Kanon für die Geschichte von Handwerk und Design werden? Was sehen wir, wenn wir die Geschichte des Making und Gestaltens aus der Perspektive von rassifizierten, deportierten Makern und Designer*innen betrachten, deren kriminalisiertes Schaffen zum Grund für die Deportation und den Ausschluss aus den nationalen
Narrativen des Gestaltens wurde? Dieser Vortrag basiert auf zwei kurzen Case Studies aus den 1920er
und 2000er Jahren, die aus dem schwedischen Polizeiarchiv stammen, und skizziert einige Ideen zum Verlernen von nationalisierten Geschichten des Machens und Gestaltens.

Mahmoud Keshavarz
ist Associate Professor für Kulturanthropologie an der Universität Uppsala, Schweden. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit der Frage, wie Grenzen durch Materialien, Bilder, Designs und Technologien geformt werden, die durch den Kolonialismus entstanden und auch heute noch in unserem Alltag präsent sind. Er ist Autor von The Design Politics of Passport: Materiality, Immobility, and Dissent
(Bloomsbury 2019), Co-Autor von Seeing Like a Smuggler: Borders from Below (Pluto Press 2021), Gründungsmitglied von Decolonizing Design und war Mitherausgeber der Zeitschrift Design and Culture.

Unlearning University – Access

Sprachen

Die Symposium findet in deutscher und englischer Laut- und deutscher Gebärdensprache (DGS) statt (Maine Callahan, Mille Skovdal Jepsen, Jona Schmitz). Die jeweils angebotenen Sprachen sind unter den Panels und Workshops im Programm vermerkt.

Xenia Dürr hat eine Einführung ins Programm in DGS gebärdet.

Kommunikationsrichtlinien

Im Rahmen von Workshops haben Studierenden der UdK Berlin Richtlinien für Kommunikation in sensiblen Diskussionen erarbeitet, um sicherzustellen, dass politische Diskussionen an der UdK Berlin von Respekt, Empathie und konstruktivem Dialog geprägt sind. Die Beauftragte für Antidiskriminierung und Diversität der UdK Berlin, Alejandra Nieves Camacho, hat die Workshops ausgerichtet.

Gebäude

Das Gebäude und die Veranstaltungsräume sind barrierearm zugänglich.

UdK-Gebäude in der Bundesallee 1-12, 10719 Berlin
– Der Joseph-Joachim-Saal liegt im ersten Stock und ist mit einem Fahrstuhl zu erreichen. Die Pforte ist bis 22.30 Uhr besetzt.
– Der Standort Bundesallee liegt direkt am U-Bahnhof Spichernstraße (U3, U9), mit Aufzug. Außerdem sind folgende Bus-Haltestellen in unmittelbarer Nähe: Friedrich-Hollaender-Platz (Linie: 249) und Spichernstraße (Linie: 204)

UdK-Gebäude, das sogenannte Medienhaus, in der Grunewaldstr. 2–5, 10823 Berlin, ist der Symposiums-Ort vom 8. bis 10.2.
– Das Gebäude liegt nahe der U-Bahnstation Kleistpark (U7), mit Aufzug, und ist über zahlreiche Busse an der Haltestelle Kleistpark erreichbar.
– Das Gebäude ist über eine Rampe zugänglich.
– Die Galerie liegt im Erdgeschoss, direkt gegenüber dem Eingang. Die Aula liegt im ersten Stock genau über der Galerie und ist mit einem Aufzug erreichbar. Während des Symposiums wird es Bean Bags in Galerie und Aula als Sitzmöglichkeiten geben.
– Raum 6 (Oral History-Raum) ist ein kleiner Raum mit Podest, besonders für Filmsichtungen geeignet. Er wird mit Kissen und Klappmatratzen ausgestattet.
– Raum 102 (Klasse Kampagnen) ist ein Seminarraum mit Stühlen und Tischen, er ist über den Aufzug erreichbar.

Während des Symposiums dient Raum 6 als Ruheraum.

Information und Unterstützung

Anmeldung und Information befinden sich in der Galerie.
Ein Awareness-Team (Zélie Dartus-Parraud und Tường Vi Nguyễn) ist vom 8.–10.2.24 vor Ort.

Die Pforte im Medienhaus ist bis 22 Uhr besetzt.
 
Bitte wenden Sie sich jederzeit an uns und teilen uns gerne Ihre Zugangsbedürfnisse mit: unlearning@udk-berlin.de
Toiletten

All-Gender-WCs befinden sich im Vorder- und im Hinterhaus des Gebäudes und sind ausgeschildert. Sie sind nur über die Treppe zu erreichen.
Im Hinterhaus befindet sich ein barrierearm zugängliches all-gender WC. Der Schlüssel dafür ist an unserem Info-Tisch erhältlich.

 

Unlearning University – Konzept und Team

 

Perspektiven für eine diskriminierungskritischere Kunsthochschule

Universität zu verlernen bedeutet, die eigene Institution zu befragen. Auf welchen Annahmen und Traditionen beruht das, was als wichtig erachtet wird? Welches Wissen und welche Wahrnehmungen kommen nicht vor?

Unlearning ist ein Konzept aus der dekolonialen Forschung und Kunst. Es fordert auf, Fähigkeiten und Kenntnisse, die selbstverständlich erscheinen, infrage zu stellen. Verlernen bedeutet dabei nicht, etwas zu vergessen oder auszulöschen, sondern andere Fähigkeiten und die Kenntnisse Anderer anzuerkennen – und es bedeutet auch, hegemoniales Wissen und eingeübte Praktiken zu revidieren. Das kann darauf hinauslaufen, sich mit Nichtwissen, Unwissen und Nichtverstehen auseinanderzusetzen.

Kunsthochschulen sind Orte, an denen Ästhetiken eingeübt werden. Es sind zugleich Orte, an denen ästhetische Praktiken Wahrnehmungen, Erfahrungen und Machtverhältnisse herausfordern können. Denn künstlerische Praktiken eröffnen Ausdrucks- und Handlungsfähigkeit, auch und gerade marginalisierter Gruppen. In den Künsten wird Subjektivität und Zugehörigkeit immer wieder neu verhandelt.

Unlearning University versteht die UdK Berlin als lernende und verlernende Kunsthochschule. Das Projekt nimmt die Critical Diversity Policy, die sich die UdK Berlin gegeben hat, beim Wort. Beteiligte aller Fakultäten, bestehende Initiativen und Gäst*innen versammeln ihre Erfahrungen und Konzepte auf dem Weg zu einer diskriminierungskritischeren UdK Berlin.

Team

Karina Griffith (Co-Projektleitung), Isabell Heiss, Johann Honnens, Christine Hoppe, Elena Meilicke, Miriam Oesterreich, Kathrin Peters (Projektleitung), Mathilde ter Heijne, Melanie Waldheim
Studentische Mitarbeiter*innen: Mika Ebbing, Loran Celebi, Charlotte Riemann, Lea Verholen
Evaluation/Echo-Räume: Danja Erni, Simon Noa Harder
Erscheinungsbild: Giada Armante, Charlotte Riemann, Yui Yamagishi; Beratung: Barbara Kotte, Gosia Warrink
Website/technischer Support: Arwina Afsharnejad
Weitere Beteiligte: Alejandra Nieves Camacho (Diversitätsbeauftragte), Christian Schmidts (Beauftragter für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen)
Kooperation mit Performances von [Weiblichkeit] in den darstellenden Künsten, 26.–28.1.24

Kontakt

unlearning@udk-berlin.de

 
 
 

Unlearning University – Veranstaltungen

7./8.12.23
Alliances – Students, Artists, Scholars at Risk Auf dem Weg in die postmigrantische Kunsthochschule

UdK Berlin, Charlotte-Salomon-Saal (Raum 101/102, Hardenbergstraße) eine Veranstaltung zusammen mit Artist Training Lab Alliances_Programm

8.12.23
Workshop: Overcoming Fear and Shame in White Spaces mit Vivian Ngozika Aghamelu

UdK Berlin, Medienhaus, Aula (Grunewaldstr. 2–5), in deutscher und englischer Lautsprache 15–18 Uhr Overcoming Fear and Shame in White Spaces_Programm

11.12.23
Workshop: Kreatives und non-hierarchisches Lernen mit Gather

UdK Berlin, Medienhaus, Raum 210 (Grunewaldstr. 2–5) In deutscher Lautsprache mit englischer Flüsterübersetzung 17–20 Uhr Kreatives und non-hierarchisches Lernen_Programm gather-berlin.de

7.-10.2.24
Symposium: Unlearning University

UdK Berlin, Medienhaus, in deutscher und englischer Lautsprache, in deutscher Gebärdensprache
Programm, Programmheft (PDF)

Die AG Critical Diversity ist eine Initiative der Kommission für Chancengleichheit der

Ableismus ist die Diskriminierung und das soziale Vorurteil gegenüber Menschen mit bestimmten körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Bedürfnissen. In der Regel handelt es sich dabei um eine Abwertung der physischen und psychischen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, die auf einer vermeintlichen biologischen (körperlichen und/oder geistigen) Norm dessen beruht, was ein nichtbehinderter, neurotypischer Mensch sein sollte. Ableismus kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung wie Rassismus und Sexismus überschneiden.

Adultismus ist die im Alltag und im Recht anzutreffende Diskriminierung, die auf ungleichen Machtverhältnissen zwischen Erwachsenen einerseits und Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen andererseits beruht.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, ist das einheitliche zentrale Regelwerk in Deutschland zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien. Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rassifizierung, ethnischer Herkunft, Geschlechtsidentität, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung umfassend regelt.

Antisemitismus ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber jüdischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, jüdischen Einrichtungen oder allem, was als jüdisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Antisemitismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Barrierefreiheit bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Umgebung für möglichst viele Menschen zugänglich ist und von ihnen genutzt werden kann. Inklusive Barrierefreiheit bewertet daher die Bedürfnisse und Wünsche aller möglichen Menschen – einschließlich derjenigen, die neurodivergent sind oder unterschiedliche Fähigkeiten haben – und bezieht diese in Design und Funktion mit ein. Änderungen, die Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten die gleiche Chance und Teilnahme ermöglichen, werden oft als behindertengerechte Anpassungen bezeichnet.

Belästigung ist ein unerwünschtes und nicht einvernehmliches Verhalten, das die Würde einer anderen Person verletzt. Belästigung kann oft ein einschüchterndes, feindseliges, demütigendes oder kränkendes soziales Klima erzeugen und kann auf der sexuellen Orientierung, der Religion, der nationalen Herkunft, einer Behinderung, dem Alter, der Rassifizierung, dem Geschlecht usw. einer Person beruhen. Belästigungen können verschiedene Formen annehmen, darunter verbale, körperliche und/oder sexualisierte.

Das binäre Geschlecht ist die Einteilung der Geschlechter in zwei unterschiedliche und entgegengesetzte Kategorien: Mann/männlich und Frau/feminin. Dieses Glaubenssystem geht davon aus, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit den traditionellen sozialen Konstruktionen von männlicher und weiblicher Identität, Ausdruck und Sexualität übereinstimmt. Eine Zuweisung außerhalb des binären Geschlechts wird in der Regel als Abweichung von der Norm betrachtet.

Das Konzept des biologischen Geschlechts bezieht sich auf den biologischen Status einer Person, welcher meist bei der Geburt zugewiesen wird – in der Regel aufgrund der äußeren Anatomie. Das biologische Geschlecht wird in der Regel als männlich, weiblich oder intersexuell kategorisiert.

Cis-Geschlechtlichkeit, oder einfach cis, bezieht sich auf Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Cis kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „auf dieser Seite von“ bedeutet.

as Konzept nach Birgit Rommelspacher geht davon aus, dass es ein System von Hierarchien, Herrschaft und Macht gibt, indem die verschiedenen rassistischen, sexistischen, klassistischen und weiteren Herrschaftsformen sich ineinander verflechten. In dieser Verflechtung hat jeweils eine dominante Gruppe die Macht, welche gesellschaftlich immer wieder ausgehandelt wird. In einer bestehenden Gesellschaft erlangt die dominante Gruppe ihre Rolle dadurch, dass sie als zur Mehrheit der Bevölkerung gehörend wahrgenommen wird und in den gesellschaftlichen Institutionen eine bedeutende Präsenz hat.

Der gefängnisindustrielle Komplex (PIC) ist ein Begriff, der die komplexen und miteinander verknüpften Abhängigkeiten zwischen einer Regierung und den verschiedenen Unternehmen und Institutionen beschreibt, die von den Praktiken der Freiheitsentziehung profitieren (z. B. Gefängnisse, Haftanstalten, Abschiebeeinrichtungen und psychiatrische Kliniken). In Anlehnung an den Begriff „militärisch-industrieller Komplex” plädiert der PIC für eine umfassendere Analyse der Art und Weise, wie die Freiheitsberaubung in einer Gesellschaft eingesetzt wird, und nennt alle Interessengruppen, die finanzielle Gewinne über Strategien der Vermeidung der Inhaftierung von Menschen stellen.

Genderexpansiv ist ein Adjektiv, das eine Person mit einer flexibleren und fließenderen Geschlechtsidentität beschreiben kann, als mit der typischen binären Geschlechtszugehörigkeit assoziiert werden könnte.

Geschlecht wird oft als soziales Konstrukt von Normen, Verhaltensweisen und Rollen definiert, die sich von Gesellschaft zu Gesellschaft und im Laufe der Zeit verändern. Es wird oft als männlich, weiblich oder nicht-binär kategorisiert.

Die Geschlechtsangleichung ist ein Prozess, den eine Person durchlaufen kann, um sich selbst und/oder ihren Körper in Einklang mit ihrer Geschlechtsidentität zu bringen. Dieser Prozess ist weder ein einzelner Schritt noch hat er ein bestimmtes Ende. Vielmehr kann er eine, keine oder alle der folgenden Maßnahmen umfassen: Information der Familie und des sozialen Umfelds, Änderung des Namens und der Pronomen, Aktualisierung rechtlicher Dokumente, medizinische Maßnahmen wie Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe, die oft als geschlechtsangleichende Operation bezeichnet werden.

Der Ausdruck des Geschlechts ist die Art und Weise, wie eine Person ihr Geschlecht nach außen hin verkörpert, was in der Regel durch Kleidung, Stimme, Verhalten und andere wahrgenommene Merkmale signalisiert wird. Die Gesellschaft stuft diese Merkmale und Leistungen als männlich oder weiblich ein, obwohl das, was als männlich oder weiblich gilt, im Laufe der Zeit und zwischen den Kulturen variiert.

Geschlechtsdysphorie ist eine psychische Belastung, die sich aus der Inkongruenz zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der eigenen Geschlechtsidentität ergibt. Menschen aller Geschlechter können Dysphorie in unterschiedlicher Intensität oder auch überhaupt nicht erleben.

Die Geschlechtsidentität ist das innere Selbstverständnis einer Person in Bezug auf ihr Geschlecht. Im Gegensatz zum Geschlechtsausdruck ist die Geschlechtsidentität für andere nicht äußerlich sichtbar.

Heteronormativität ist das Konzept, dass Heterosexualität – romantische und/oder sexuelle Anziehung zwischen Menschen des „anderen“ Geschlechts –  die normative oder einzig akzeptierte sexuelle Orientierung in einer Gesellschaft ist. Heteronormativität geht vom binären Geschlechtsmodell aus und beinhaltet daher den Glauben an eine Übereinstimmung zwischen Sexualität, Geschlechtsidentität, Geschlechterrollen und biologischem Geschlecht. Als vorherrschende soziale Norm führt die Heteronormativität zu Diskriminierung und Unterdrückung derjenigen, die sich nicht als heterosexuell identifizieren.

Bei der Hormontherapie, auch geschlechtsangleichende Hormontherapie (GAHT) oder Hormonersatztherapie (HRT) genannt, werden Geschlechtshormone oder andere hormonelle Medikamente verabreicht. Diese Hormonveränderungen können körperliche Veränderungen auslösen, die als sekundäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet werden und dazu beitragen können, den Körper besser auf die Geschlechtsidentität einer Person anzupassen.

Institutionelle Diskriminierung bezieht sich auf vorurteilsbehaftete organisatorische Maßnahmen und Praktiken innerhalb von Institutionen – wie Universitäten, Unternehmen usw. –, die dazu führen, dass eine marginalisierte Person oder Personengruppe ungleich behandelt wird und ungleiche Rechte hat.

Inter* oder Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der Menschen beschreiben kann, die Unterschiede in der reproduktiven Anatomie, bei den Chromosomen oder den Hormonen aufweisen, die nicht den typischen Definitionen von männlich und weiblich entsprechen. Das Sternchen (*) unterstreicht die Vielfalt der intersexuellen Realitäten und Körperlichkeiten.

Intergenerationales Trauma bezieht sich auf das Trauma, das von einer traumaüberlebenden Person an deren Nachkommen weitergegeben wird. Aufgrund von gewalttätigen und lebensbedrohlichen Ereignissen wie Kriegen, ethnischen Säuberungen, politischen Konflikten, Umweltkatastrophen usw., die von früheren Generationen erlebt wurden, können die Nachkommen negative emotionale, körperliche und psychologische Auswirkungen erfahren. Da die ursprünglichen Ursachen von Traumata durch Formen der Diskriminierung wie Rassifizierung und Geschlecht bedingt sind, treten intergenerationale Traumata auch entlang intersektionaler Achsen der Unterdrückung auf. Schwarze Gemeinschaften haben zum Beispiel das intergenerationale Trauma der Versklavung ans Licht gebracht. Intergenerationales Trauma wird manchmal auch als historisches Trauma, multi- oder transgenerationales Trauma oder sekundäre Traumatisierung bezeichnet.

Intersektionalität benennt die Verflechtung von Unterdrückungssystemen und sozialen Kategorisierungen wie Rassifizierung, Geschlecht, Sexualität, Migrationsgeschichte und Klasse. Intersektionalität betont, dass die einzelnen Formen der Diskriminierung nicht unabhängig voneinander existieren und auch nicht unabhängig voneinander betrachtet und bekämpft werden können. Vielmehr sollten bei der Bekämpfung von Unterdrückung die kumulativen und miteinander verknüpften Achsen der verschiedenen Formen von Diskriminierung berücksichtigt werden.

Islamophobie ist eine Weltanschauung, die auf Hass/Feindseligkeit gegenüber muslimischen Menschen als religiöser oder rassifizierter Gruppe, muslimischen Einrichtungen oder allem, was als muslimisch wahrgenommen wird, beruht oder diese diskriminiert. Islamophobie kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Klassismus ist ein Begriff, der die Diskriminierung beschreibt, die auf der Überzeugung beruht, dass der soziale oder wirtschaftliche Status einer Person ihren Wert in der Gesellschaft bestimmt. Klassismus als eine Form der Diskriminierung und Stigmatisierung basiert auf tatsächlichen oder angenommenen finanziellen Mitteln, dem Bildungsstatus und der sozialen Integration. In der Hierarchie „unterlegene“ gesellschaftliche Klassen werden problematisiert und stereotypisiert und erhalten oft ungleichen Zugang und Rechte innerhalb der Gesellschaft.

Kolonialismus ist die Kontrolle und Dominanz einer herrschenden Macht über ein untergeordnetes Gebiet oder Volk. Bei der Unterwerfung eines anderen Volkes und Landes beinhaltet der Kolonialismus die gewaltsame Eroberung der Bevölkerung, die oft mit der Massenvertreibung von Menschen und der systematischen Ausbeutung von Ressourcen einhergeht. Abgesehen von den materiellen Folgen zwingt der Kolonialismus dem unterworfenen Volk auch die Sprache und die kulturellen Werte der herrschenden Macht auf, was kulturelle, psychologische und generationenübergreifende Traumata zur Folge hat.

Kulturalistisch argumentierter Rassismus richtet sich gegen Menschen aufgrund ihres mutmaßlichen kulturellen oder religiösen Hintergrunds. Diese Form der Diskriminierung kann unabhängig davon auftreten, ob sie tatsächlich eine Kultur oder Religion ausüben und wie religiös sie sind (z. B. antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus).

Kulturelle Aneignung ist der Akt der Übernahme von Aspekten einer marginalisierten Kultur durch eine Person oder eine Institution, die dieser Kultur nicht angehört, ohne umfassendes Verständnis des Kontexts und oft ohne Respekt für die Bedeutung des Originals. Kulturelle Aneignung reproduziert Schaden, wenn sie negative kulturelle oder rassistische Stereotypen fördert. Kulturelle Aneignung kann oft die Machtdynamik innerhalb einer Gesellschaft offenbaren: So wird beispielsweise eine weiße Person, die die traditionelle Kleidung einer marginalisierten Kultur trägt, als modisch gelobt, während eine rassifizierte Person von der dominanten Gruppe isoliert und als fremd bezeichnet werden könnte.

Marginalisierung beschreibt jeglichen Prozess der Verdrängung von Minderheiten an den Rand der Gesellschaft. Marginalisierten Gruppen wird in der Regel unterstellt, dass sie nicht der normorientierten Mehrheit der Gesellschaft entsprechen und sind in ihren Möglichkeiten, sich frei zu verhalten, gleichen materiellen Zugang zu haben, öffentliche Sicherheit zu genießen usw., stark eingeschränkt.

Mikroaggression bezeichnet einzelne Kommentare oder Handlungen, die unbewusst oder bewusst Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Mitgliedern von Randgruppen zum Ausdruck bringen. Als kleine, häufige und kumulative Vorkommnisse können Mikroaggressionen aus Beleidigungen, Stereotypen, Abwertung und/oder Ausgrenzung bestehen. Mikroaggressionen wirken sich oft negativ auf die Person aus, die sie erleidet, und beeinträchtigen ihre psychische und physische Gesundheit und ihr Wohlbefinden.

Misogynie ist ein Begriff für sexistische Unterdrückung und Verachtung von Frauen, der dazu dient, Frauen in einem niedrigeren sozialen Status als Männer zu halten und so patriarchalische soziale Rollen aufrechtzuerhalten. Misogynie kann eine Haltung von Einzelpersonen und ein weit verbreitetes kulturelles System bezeichnen, das häufig alles abwertet, was als weiblich wahrgenommen wird. Frauenfeindlichkeit kann sich mit anderen Formen der Unterdrückung und des Hasses überschneiden, z. B. mit Homophobie, Trans*-Misogynie und Rassismus.

Neurodiversität ist ein Begriff, der die einzigartige Funktionsweise der Gehirnstrukturen eines jeden Menschen beschreibt. Die Grundannahme, welche Art von Gehirnfunktion in einer normorientierten Mehrheitsgesellschaft gesund und akzeptabel ist, wird als neurotypisch bezeichnet.

Nonbinär ist ein Begriff, der von Personen genutzt werden kann, die sich selbst oder ihr Geschlecht nicht in die binären Kategorien von Mann oder Frau einordnen. Es gibt eine Reihe von Begriffen für diese Erfahrungen, wobei nonbinary und genderqueer häufig verwendet werden.

Das Patriarchat ist ein soziales System, in dem cis-geschlechtliche Männer sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich eine privilegierte Stellung einnehmen. In der feministischen Theorie kann der Begriff verwendet werden, um das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern zu beschreiben, das die männliche Dominanz begünstigt, sowie die Ideologie der männlichen Überlegenheit, die die Unterdrückung von Frauen und allen nicht-normativen Geschlechtern rechtfertigt und durchsetzt.

Pronomen oder persönliche Geschlechtspronomen (PGP) sind die Pronomen, die eine Person verwendet, um sich selbst zu bezeichnen, und die andere verwenden sollen, wenn sie sich auf sie beziehen. Die Liste der Pronomen entwickelt sich ständig weiter. Eine Person kann mehrere bevorzugte Pronomen haben oder auch gar keine. Die Absicht, die Pronomen einer Person zu erfragen und korrekt zu verwenden, besteht darin, die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen für diejenigen zu verringern, deren persönliche Pronomen nicht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmen, die von einer cis-normativen Gesellschaft angenommen wird. Die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen und Begriffe sind ebenfalls inkludierende Schritte, die sich dem binären Geschlechtermodell und der Cis-Normativität widersetzen.

Rassismus ist der Prozess, durch den Systeme, politische Maßnahmen, Aktionen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen aufgrund von Rassifizierung und rassistischen Zuschreibungen schaffen. Rassismus geht über individuelle oder institutionelle Vorurteile hinaus und tritt auf, wenn diese Diskriminierung mit der Macht einhergeht, die Rechte von Menschen und/oder Gruppen einzuschränken oder zu unterdrücken. Rassismus kann im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen variieren und sich in verschiedenen historischen Momenten intensivieren.

Sex-Gender-Differenz bezeichnet die Unterscheidung zwischen dem Konzept des „biologischen Geschlechts“ als biologischer Tatsache und dem Konzept des „sozialen Geschlechts“ als Produkt kultureller und sozialer Prozesse, wie z. B. sozial konstruierte Rollen, Verhaltensweisen, Ausdrucksformen und geschlechtsspezifische Identitäten.

Sexismus ist der Prozess, durch den Systeme, Politiken, Handlungen und Einstellungen ungleiche Chancen und Auswirkungen für Menschen auf der Grundlage ihres zugeschriebenen oder vermeintlichen Geschlechts schaffen und beschreibt die Ideologie, die diesen Phänomenen zugrunde liegt. Der Begriff wird meist verwendet, um die Machtverhältnisse zwischen dominanten und marginalisierten Geschlechtern in cisheteronormativen patriarchalen Gesellschaften zu benennen.

Sexuelle Orientierung ist der Begriff, der beschreibt, zu welchem Geschlecht sich eine Person emotional, körperlich, romantisch und/oder sexuell hingezogen fühlt.

Die soziale Herkunft beschreibt die soziokulturellen Werte und Normen, in die jemand hineingeboren wird, einschließlich Faktoren wie Umfeld, Klasse, Kaste, Bildungsbiografie und mehr. Die Werte, die mit der sozialen Herkunft einhergehen, sind konstruiert, haben aber oft materielle Auswirkungen, die bestimmte Gruppen und Menschen privilegieren oder benachteiligen. Wer beispielsweise in einem westlichen Land lebt, generationenübergreifenden Reichtum geerbt hat und über eine durchweg gute Ausbildung verfügt, hat als Erwachsener bessere Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz. Die soziale Herkunft muss also berücksichtigt werden und nicht die inhärente Eignung für einen Job.

Eine soziale Norm ist ein gemeinsamer Glaube an den Standard für akzeptables Verhalten von Gruppen, der sowohl informell als auch in der Politik oder im Gesetz verankert ist. Soziale Normen unterscheiden sich im Laufe der Zeit und zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaften.

Der sozioökonomische Status, der in der Regel als niedrig, mittel oder hoch eingeordnet wird, beschreibt Menschen auf der Grundlage ihrer Ausbildung, ihres Einkommens und der Art ihrer Tätigkeit. Die Werte und Normen, die den einzelnen sozioökonomischen Klassen zugeordnet werden, sind sozial konstruiert, haben aber materielle Auswirkungen.

Strukturelle Diskriminierung bezieht sich auf Verhaltensmuster, Strategien und Einstellungen, die auf der Makroebene der Gesellschaft zu finden sind. Diese Diskriminierung sozialer Gruppen beruht auf der Natur der Gesellschaftsstruktur als Ganzes. Strukturelle Diskriminierung unterscheidet sich von individuellen Formen der Diskriminierung (z. B. eine einzelne rassistische Bemerkung, die eine Mikroaggression darstellt), obwohl sie oft den kontextuellen Rahmen für das Verständnis der Gründe für diese individuellen Fälle liefert.

Tokenismus ist eine nur oberflächliche oder symbolische Geste, die Angehörige von Minderheiten einbindet, ohne die strukturelle Diskriminierung der Marginalisierung wesentlich zu verändern oder zu beseitigen. Der Tokenismus ist eine Strategie, die den Anschein von Inklusion erwecken und von Diskriminierungsvorwürfen ablenken soll, indem eine einzelne Person als Vertreter einer Minderheit eingesetzt wird.

Weiße Vorherrschaft bezeichnet die Überzeugungen und Praktiken, die Weiße als eine von Natur aus überlegene soziale Gruppe privilegieren, die auf dem Ausschluss und der Benachteiligung anderer rassifizierter und ethnischer Gruppen beruht. Sie kann sich auf die miteinander verknüpften sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systeme beziehen, die es Weißen ermöglichen, sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene strukturelle Vorteile gegenüber rassifizierten Gruppen zu genießen. Der Begriff kann sich auch auf die zugrundeliegende politische Ideologie beziehen, die vielfältige Formen der Vorherrschaft von Weißen und nicht-weißen Anhängern erzwingt und aufrechterhält, von der Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus bis hin zu den heutigen Neofaschismen.

Weißsein ist ein gesellschaftlich und politisch konstruiertes Verhalten, das eine Ideologie, Kultur, Geschichte und Wirtschaft aufrechterhält, die zu einer ungleichen Verteilung von Macht und Privilegien zugunsten derjenigen führt, die gesellschaftlich als weiß gelten. Die materiellen Vorteile des Weißseins werden auf Kosten Schwarzer, indigener und Menschen of Color erzielt, denen systematisch der gleiche Zugang zu diesen materiellen Vorteilen verwehrt wird. Auf diesem Blog wird weiß oftmals kursiv geschrieben, um es als politische Kategorie zu kennzeichnen und die Privilegien des Weißseins zu betonen, die oft nicht als solche benannt, sondern als unsichtbare Norm vorausgesetzt werden.

Xenophobie bezeichnet die Feindseligkeit gegenüber Gruppen oder Personen, die aufgrund ihrer Kultur als „fremd“ wahrgenommen werden. Fremdenfeindliche Haltungen sind oft mit einer feindseligen Aufnahme von Einwanderern oder Flüchtlingen verbunden, die in Gesellschaften und Gemeinschaften ankommen, die nicht ihre Heimat sind. Fremdenfeindliche Diskriminierung kann zu Hindernissen beim gleichberechtigten Zugang zu sozioökonomischen Chancen sowie zu ethnischen, rassistischen oder religiösen Vorurteilen führen.

Abolition ist ein Begriff, der das offizielle Ende eines Systems, einer Praxis oder einer Institution bezeichnet. Der Begriff hat seine Wurzeln in den Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert und wird heute oft verwendet, um die Praxis der Polizei und des Militärs und/oder die miteinander verbundenen Gefängnisse, Geflüchtetenlager, Haftanstalten usw. zu beenden. Weitere Informationen finden Sie in der Definition des gefängnisindustrielle Komplexes).

Accountability oder auch Rechenschaftspflicht ist die Verpflichtung und die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit bezieht sich die Rechenschaftspflicht auf die Art und Weise, in der Einzelpersonen und Gemeinschaften sich selbst an ihre Grundsätze und Ziele halten und die Gruppen anerkennen, denen gegenüber sie verantwortlich sind. Rechenschaftspflicht erfordert oft einen transparenten Prozess und ein kontinuierliches Selbst- und Kollektivbewusstsein.

Ageism, auch Altersdiskriminierung genannt, ist eine Diskriminierung oder ein Vorurteil aufgrund des Alters einer Person, z. B. wenn Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgrund des höheren oder niedrigeren Alters einer Person in Frage gestellt und bewertet werden.

Agender ist ein Adjektiv, das von Personen genutzt werden kann, die sich mit keinem bestimmten Geschlecht identifizieren.

BIPoC steht für Black, Indigenous und People of Color. Dieser aus den USA stammende Begriff ist eine Selbstbezeichnung, die darauf abzielt, Menschen und Gruppen zu vereinen, die von Rassismus betroffen sind. Die Selbstbezeichnung rückt die spezifischen Erfahrungen Schwarzer, indigener und anders rassifizierter Gruppen in den Mittelpunkt, welche stark von systematischer rassistischer Ungleichbehandlung, deren Wurzeln in der Geschichte der Versklavung und des Kolonialismus liegen, betroffen sind.

Colorism ist ein Begriff, der die Vorurteile oder Diskriminierung beschreibt, welche rassifizierte Menschen mit hellerer Hautfarbe bevorzugt, während solche mit dunklerer Hautfarbe benachteiligt werden. Er wird vor allem verwendet, um die nuancierte Diskriminierung innerhalb einer rassifizierten oder ethnischen Gruppe zu beschreiben.

Die Critical Diversity Policy der UdK ist ein Dokument, welches die Vorstellung hervorheben und durchsetzen soll, dass Unterschiede in Werten, Einstellungen, kulturellen Perspektiven, Überzeugungen, ethnischen Hintergründen, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Fähigkeiten, Wissen und Lebenserfahrungen jeder*jedes Einzelnen in jeder Gruppe von Menschen innerhalb der Universität berücksichtigt und überwunden werden sollten.

Deadnaming ist der Akt, für eine trans*, nicht-binäre oder genderexpansive Person mit ihren Geburtsnamen oder einen falschen Namen zu nutzen, wenn diese ihren Namen als Teil ihres Geschlechtsausdrucks geändert hat. Es ist niemals in Ordnung oder notwendig, den Deadname einer Person zu verwenden, wenn sie ihren Namen geändert hat, auch nicht bei der Beschreibung von Ereignissen in der Vergangenheit. Wenn Du eine Person mit ihrem Deadname anredest, übernimm Verantwortung, indem Du dich entschuldigst und verpflichtest, dies in Zukunft nicht mehr zu tun. Erkundige Dich nach dem aktuellen Namen der Person und bemüh Dich, ihn konsequent zu verwenden.

Dieser soziologische Begriff konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Menschen Geschlecht wahrnehmen, (re-)produzieren und im täglichen Leben als relevant erachten. Im Gegensatz zur Annahme, dass Geschlecht eine angeborene Eigenschaft ist, unterstreicht das Konzept des “doing gender”, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, das die tägliche menschliche Interaktion prägt.

Misogynoir ist ein von der Schwarzen Feministin Moya Bailey 2010 geprägter Begriff, der die geschlechtsspezifische und rassistische Unterdrückung beschreibt, mit der Schwarze Cis- und Transgender-Frauen konfrontiert sind (letztere wird manchmal auch durch den Begriff Trans*-Misogynoir charakterisiert). Ausgehend von einer intersektionalen Sichtweise untersucht das Konzept, wie sich anti-Schwarzer Rassismus und Frauenfeindlichkeit zu einer besonderen Form der Unterdrückung und Diskriminierung verbinden.

Queer ist ein Oberbegriff für Menschen, die nicht heterosexuell oder cisgender sind. Er wird für ein breites Spektrum an nicht-normativen sexuellen und/oder geschlechtlichen Identitäten und Politiken verwendet.

Safer Spaces sollen Orte sein, an denen marginalisierte Gemeinschaften zusammenkommen und gemeinsame Erfahrungen austauschen können, frei von Voreingenommenheit, Konflikten oder Verletzungen, die von Mitgliedern einer dominanten Gruppe verursacht werden. In Anerkennung der Tatsache, dass es unter den gegenwärtigen Systemen unserer Gesellschaft keinen vollkommen sicheren Raum für marginalisierte Menschen gibt, verweist der Begriff „safer“ auf das Ziel einer vorübergehenden Entlastung sowie auf die Anerkennung der Tatsache, dass Verletzungen auch innerhalb marginalisierter Gemeinschaften reproduziert werden können. Beispiele für sichere Räume, die in Organisationen und Institutionen geschaffen wurden, sind Queer-only Räume und/oder Räume nur für Schwarze, Indigene und People of Color.

Social Justice ist eine Form des Aktivismus und eine politische Bewegung, die den Prozess der Umwandlung der Gesellschaft von einem ungerechten und ungleichen Zustand in einen gerechten und gleichberechtigten Zustand fördert. Social Justice beruht auf der Auffassung, dass jeder Mensch die gleichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte und Chancen verdient und das Grundrecht hat, sich psychisch und physisch sicher zu fühlen. Social Justice zielt daher darauf ab, geltende Gesetze und gesellschaftliche Normen zu ändern, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart bestimmte Gruppen gegenüber anderen unterdrückt haben. Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur die Abwesenheit von Diskriminierung, sondern auch das Vorhandensein bewusster Systeme und Unterstützungen, die Gleichheit entlang der Grenzen von Rassifizierung, Geschlecht, Klasse, Fähigkeiten, Religion usw. erreichen und erhalten.

Transgender, oder einfach trans*, ist ein Adjektiv, das sich auf Menschen bezieht, deren Geschlechtsidentität sich von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet. Trans kommt von der lateinischen Vorsilbe, die „hindurch“ oder „darüber hinaus“ bedeutet. Die Selbstbezeichnung gibt als Identitätsmerkmal nicht automatisch an, ob sich diese Person mit einem anderen Geschlecht, keinem Geschlecht oder mehreren Geschlechtern identifiziert. Es gibt also mehrere Trans*-Identitäten. Das Sternchen (*) unterstreicht die Pluralität und Fluidität von Trans-Identitäten.