„Ihr dachtet, ich hätte nichts zu sagen. Wie denn auch? Das hier, das ist nicht mein Raum“1clashing differences (Regie: Merle Grimme, Deutschland 2023) – Zitat aus der Serie Clashing Differences
Merle Grimme ist eine deutsche Schwarze Regisseurin, Drehbuchautorin und Producerin. Seit über 16 Jahren hat sie in unterschiedlichsten Filmdepartments gearbeitet, wobei sie immer wieder mit Diskriminierung konfrontiert wurde. An der Filmhochschule München war sie die einzige Schwarze Person ihres Jahrgangs. Nicht selten fehlte ihr ein Raum, um über diese Erfahrungen zu sprechen. Heute hilft sie dabei neue Strukturen im Film zu schaffen, um genau das zu verändern.
Machtkritische Ansätze in der Kulturszene werden bei dem Paneltalk „Handwerkszeug: Aufbau einer Diversitätsinfrastruktur in Theaterinstitutionen“ am ersten Tag des Symposiums Unlearning University diskutiert. Neben der Regisseurin Merle Grimme, waren die Intendantin Julia Wissert und die Theaterwissenschaftlerin Joy Kalu eingeladen. Alle drei sind Schwarze Frauen die sich neben ihrer Arbeit auch als Aktivistinnen gegen Diskriminierung in verschiedenen Sektoren der Kulturwelt einsetzen und klare Lösungswege bieten um sichere, diversere Räume zu schaffen. Im Paneltalk erzählen sie von Erfahrungen mit Diskriminierung, die sie auf ihrem Werdegang täglich erlebt haben, von ihrem aktivistischem Einsatz, um genau diese Dinge in der Zukunft zu verhindern und von ihren Erfolgen sowie Misserfolgen.
Sie kritisiert, dass sie in der Vergangenheit oft auf Paneltalks eingeladen wurde, um – unausgesprochener Weise – die Diversitätsquote zu erfüllen. Sollte es dabei nicht um ihre Arbeit und Kenntnisse gehen?
Genau diese und andere intersektionale Diskriminierungen und Vorurteile, die auch innerhalb von politisch-feministischen Aktivist*innen Kreise stattfinden, thematisiert sie in ihrer, von ARD und ARTE produzierten, Miniserie Clashing Differences.
In der Serie planen drei weiße Frauen einer feministischen Organisiation einen Panel Talk in Brandenburg. Nachdem ihnen auffällt, dass sie keine schwarze Frauen, Queere Personen oder Menschen mit Behinderungen eingeladen haben, wollen sie schnell für Vielfalt sorgen.
Kurzfristig wird eine Gruppe von queeren BIPOC Personen eingeladen, um die Konferenz zu diversifizieren. Dabei kommt es zu „clashes“ – das aufeinandertreffen verschieden diskrimierter Person bedeutet nämlich nicht, dass alle dieselben Erfahrungen machen und die selbe Diskriminierung erleben. Es geht um intersektionale Vorurteile, beschreibt Probleme innerhalb der linken Blase und ermutigt sich immer wieder neu zu begegnen und in den Dialog zu treten.2Vgl.: Interview mit Merle Grimme (2023), Moderation: Tom Westerholt, Deutschlandfunk Nova, URL: … Mehr anzeigen
An der Deutschen Filmakademie entwickelt Merle seit 2023 ein anitdiskriminierendes Herstellungskonzept durch die Etablierung von critical whiteness workshops, empowerment trainings, diskriminierungssensible Vertrauenspersonen am Set und ein divers besetztes Team wie auch Cast.
In Filmproduktionen besteht immer noch eine starke Hierarchisierung in den Strukturen und viel Zeitdruck. Wo bleibt da der Raum, um über Diskriminierungserfahrungen zu sprechen? Beim Film kostet jede Minute, und um diesen Disskusionsraum zu schaffen wird während der Dreharbeiten zusätzliche Zeit, und somit Geld, beansprucht. Ist es das Wert? Nach Merles Erfahrung ist er nicht nur notwendig, sondern auch Hilfreich. Sichere Räume zu schaffen sollte kein Extra sein, sondern dazu gehören.
Personen die sich in den alten Strukturen der Leitungsebenen von Filminstitutionen bewegen, erkennen nicht von alleine die Notwendigkeit und Wichtigkeit von Veränderung. Merle erzählt, wie sie trotz gehäuften Widerspruch für untypische, aber wichtige zusätzliche Positionen auf ihrem Set als Bedingung bestanden und gekämpft hat, um Strukturen zu schaffen, in denen sie sich selbst bewegen will.
Sichere Räume am Film schaffen – wie?
1. Damit Diskriminierung nicht unsichtbar bleibt, ist es wichtig, am Set eine Vertrauensperson zu haben, an die sich alle mitarbeitende Personen wenden können. Das soll einen sicheren Raum schaffen, in dem es trotz stressiger Arbeitsbedingungen möglich bleibt, Unwohlsein, Diskriminierungen innerhalb der Crew und Bedürfnisse mitzuteilen.
2. Um Regeln klar zu definieren, lässt sich mit einer angepassten Version der Antirassismusklausel arbeiten. Ihr Ziel ist es, dass betroffene Personen sich nicht alleingelassen fühlen, rassistische Äußerungen thematisiert werden und zur Selbstverantwortung verpflichten. Diese von Julia Wissert (Regisseurin und Intendantin Schauspiel Dortmund) und Sonja Laaser (Rechtsanwälting und freie Dramaturgin) aufgesetzte Vertragsvorlage soll Kulturschaffenden als Werkzeug dienen, um alte Strukturen im Kultursektor zu verändern. Basierend auf der Definition von Rassismus nach dem Artikel 1 des „Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ wird ganz klar Rassismus am Arbeitsplatz definiert:
„In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck „Rassendiskriminierung“ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“
– Artikel 1, Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung3Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II, Seite 961, URL: … Mehr anzeigen
„Eine Äußerung gilt als rassistisch, wenn sich eine an einer Produktion beteiligte Person von einer Äußerung durch Mitarbeitende betroffen fühlt, welche einen Bezug zu der in der Klausel verankerten Definition von Rassismus hat. (…) Sollten sich Theater und der/die Betroffene über den Bezug von Äußerung und Rassismus streiten, könnte dieser Streit von Gerichten entschieden werden.“
– aus dem Hintergrund und Zielrichtung der Antirassismusklausel4Sonja Laaser et al., „Ziele der Antirassismusklausel“, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: … Mehr anzeigen
Gleichzeitig werden klare mögliche Konsequenzen genannt im Falle einer rassistischen Äußerung. Diese sind zum Beispiel Konfrontation mit Mediation, Empowerment für die betroffene Person oder Workshops (ohne involvieren der betroffenen Person).5Vgl.: Formulierungsvorschläge: Antidiskriminierungsklausel, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: … Mehr anzeigen
3. Gemeinsame somatische Körperkurse am Set vor Drehbeginn dienen nicht nur dem Empowerment, sondern auch dazu, Hierarchien aufzubrechen, indem durch das gemeinsame Bewegen alle Crew Mitglieder sich kennenlernen und auf Augenhöhe begegnen. Regiesseur*in und Set-Runner lernen sich zum Beispiel kennen und ein neues, entspannteres, friedliches Miteinander entsteht.
4. Workshops zur Aufklärung über intersektionale Diskriminierung werden veranstaltet, um Bewusstsein zu schaffen und sichere Räume zu bauen.
Merle berichtet über die positiven Auswirkungen durch die Implementierung dieser Bedingungen. Statt dem der Produktionsfirmen befürchteten Zeitverlust bemerkt sie, dass die Menschen am Set nach gemeinsamen Übungen viel konzentrierter, präsenter und dadurch effizienter arbeiten können.
All diese Lösungsansätze wurden von POC erarbeitet, um Veränderung zu schaffen. Das ist aufwendige zusätzliche Arbeit, um Probleme zu lösen, die sie nicht geschaffen haben. Genau das muss verändert werden. Diese Veränderungen müssen gemeinsam erkämpft werden.
Merle setzt auf die neue Generation von Filmschaffenden. Darauf, dass ein Erfahrungsaustausch stattfindet, für sichere Räume gesorgt wird, dass besser darauf geachtet wird, wer in der Filmbranche Sichtbarkeit erfährt und welche Stimmen gehört werden.
Es liegt ein großer Unterschied darin sich theoretisch kritisch auseinanderzusetzen oder dann tatsächlich umzusetzen. Es braucht einen gezielten Dialog – und noch viel wichtiger – ein Zuhören. Dabei reichen nicht nur Verständnis und Haltung von weißen Menschen gegen intersektionale Diskriminierungen, sondern benötigt gezielte Handlungen; Betroffene dürfen nicht alleingelassen werden, mit der Aufgabe sichere Räume zu schaffen. Sie müssen darin Unterstützt werden, auch von Menschen die nicht direkt betroffen sind. Eine Möglichkeit wäre das Durchsetzen von verpflichtenden Konsequenzen für rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz, zb. durch Implementierung der Antirassismusklausel.
Um Problembewusstsein zu schaffen, müssen alle Kulturschaffende es priorisieren sichere Räume zu schaffen, ein Miteinander in dem über Erfahrungen gesprochen werden kann, in denen Zugehört wird, in denen Konsequenzen klar formuliert sind. Gerade in den alten Strukturen von Filmproduktion finden die Bemühungen oft keinen notwendigen Stellenwert, deshalb braucht es eine neue Generation die sich einsetzt, aktiv Einschreitet und bereit ist sich gemeinsam immer wieder neu zu begegnen. Diese Arbeit ist kein Selbstläufer und um Veränderung zu schaffen, muss immer wieder neu argumentiert werden.
Zusätzliche Quellen:
https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/update-vertraege-anti-rassismus-anti-diskriminierungs-musterklausel
https://www.casting-network.de/beitraege/cn_klappe_29_09_2023_857.pdf
https://www.zdf.de/serien/clashing-differences
https://www.zdf.de/serien/clashing-differences/making-of-clashing-differences-at-102.html
Referenzen
1 | clashing differences (Regie: Merle Grimme, Deutschland 2023) |
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2 | Vgl.: Interview mit Merle Grimme (2023), Moderation: Tom Westerholt, Deutschlandfunk Nova, URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/zdf-serie-clashing-di%EF%AC%80erences-filmemacherin-merle-grimme-ueber-diversitaet-in-filmen-und-serien (letzter Zugriff: 19.03.2025) |
3 | Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966, Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBL) 1969 II, Seite 961, URL: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/ICERD/ICERD_Konvention.pdf |
4 | Sonja Laaser et al., „Ziele der Antirassismusklausel“, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/ziel-der-antirassismusklausel (letzter Zugriff: 19.03.2025) |
5 | Vgl.: Formulierungsvorschläge: Antidiskriminierungsklausel, auf der Website der Kanzlei Laaser, URL: https://www.kanzlei-laaser.com/wissenspool/beitraege/update-vertraege-anti-rassismus-anti-diskriminierungs-musterklausel |