Unterschiede sind unterschiedlich
Wozu ein Critical Diversity Blog?
Dieser Blog hat mehrere Anfänge. Einer ist die Pandemiesituation, in der wir derzeit gemeinsam studieren und arbeiten. Sie hat unsere Pläne durchkreuzt, eine Workshop-Reihe zu Diskriminierung an der Universität der Künste Berlin zu veranstalten. Wir haben uns keinen Ersatz, sondern etwas anderes überlegt, nämlich: Beiträge und Erfahrungsberichte hier auf diesem Blog zu versammeln, und damit aufzuzeigen, was zu Fragen von Diversität und Antidiskriminierung gerade in Gang ist – an der Universität der Künste Berlin und weit über sie hinaus. Der Blog ist eine Plattform für Fragen und Probleme, für Debatten und Projekte.
Der zweite, viel länger zurückliegende Anfang ist die Gründung der AG Critical Diversity an der UdK Berlin. Sie hat sich vorgenommen, eine Diversity Policy zu formulieren und damit einer Aufgabe nachzukommen, mit der aktuell (Berliner) Hochschulen beauftragt sind. Es besteht die Gefahr, dass eine solche Diversitätsstrategie, sobald sie einmal niedergeschrieben ist, im Wortsinn verabschiedet wird. Das heißt, es könnte passieren, dass mit der Formulierung der Diversitätsstrategie, das Thema bereits als erledigt angesehen wird. Damit eine Universität aber tatsächlich diskriminierungsfreier wird, ist ein breiter Austausch nötig, ein Prozess: Welche Diversität wünschen wir uns, wer spricht für wen und wie könnten die Maßnahmen, die als dringend erachtet werden, überhaupt umgesetzt werden – das sind schwierige Fragen. Mit ihnen beschäftigen sich viele Initiativen an der UdK Berlin und besonders viele darunter sind von Studierenden ins Leben gerufen worden. Alle sollen hier zu Wort kommen.
Unter den Bedingungen der Pandemie treten aktuell Ungleichheit und Diskriminierung besonders scharf hervor: In homes, die zu offices und Schulzimmern werden sollen, verläuft die Arbeitsteilung oft in herkömmlichen Geschlechterordnungen; viele Tätigkeiten, die die unverzichtbarsten sind, bleiben die schutzlosesten und schlecht bezahltesten; Diskriminierung alter Menschen sowie von Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten tritt zutage, sobald Ansteckungsprävention infrage gestellt wird. Und wenn Wut und Schuldzuweisung immer Personen trifft, die nicht als weiß und/oder nicht als deutsch wahrgenommen werden, sollte endlich für alle unübersehbar geworden sein, was Rassismus ist. Das alles geht auch und gerade eine Kunstuniversität an, und es treibt uns um. Hierin liegt womöglich der dritte und dringlichste Anfangspunkt dieses Critical Diversity Blogs.
Was also heißt Diversität?
Diversität ist zunächst ein beschreibender Begriff, der darauf hinweist, dass Gesellschaften heterogene Gefüge sind. Je genauer hingeschaut wird, desto mehr zeigt sich, wie heterogen bzw. vielfältig jede Gruppe ist. Im Grunde ist auch jede*r Einzelne in sich divers, denn jede Person besteht aus einer komplexen Verflechtung verschiedener Dimensionen wie Geschlecht, Hautfarbe, natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, soziale Herkunft, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung, körperlicher, mentaler und psychischer Verfasstheit und Alter. Diese Aufzählung ließe sich ergänzen.
Dass sich Unterschiede immer weiter ausdifferenzieren, macht die Unschärfe, aber auch das Potenzial des Konzepts Diversität aus. Denn Unterscheidungen stellen sich in dieser Perspektive als wandelbar und fluide heraus (wie die Konturen auf unserem Blog). Kategorien können auch irrelevant oder strittig werden (wie der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz). Diese Veränderlichkeit zeigt an, dass wir es nicht mit der Beschreibung natürlicher Gegebenheiten zu tun haben, sondern mit sozialen und kulturellen Unterscheidungen, die von Menschen getroffen werden. Unterscheidungen haben eine Geschichte und sie zu treffen, ist immer ein sozialer und kultureller Akt. Solche Akte werden im Alltag ganz nebenbei und permanent vollzogen, durch Blicke, Sprache und Gesten oder durch Zugänge, die gewährt werden oder auch nicht – es sind zuweilen gewaltsame Akte. Denn Unterschiede sind unterschiedlich: Sie können entweder mit Vorteilen und Privilegien verbunden sein oder mit Benachteiligung und Ausgrenzung.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Nicht jede Benachteiligung oder Kritik ist eine Diskriminierung. Diskriminierung liegt dann vor, wenn eine Person schlechter behandelt wird als andere Personen in ähnlichen Situationen, weil ihr bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden (als Beispiel: die Polizei nimmt bei Straftaten einen „Migrationshintergrund“ an oder sucht ihn geradezu). Hinzu kommt, dass sich Diskriminierungen überlagern und zuweilen verstärken. Eine intersektionale Perspektive fordert deshalb auf, soziale Herkunft und Geschlecht oder Rassifizierung und Bildung oder Behinderung, Alter und finanzielle Ressourcen zueinander ins Verhältnis zu setzen.
Diversität ist auch ein emanzipatives Konzept. Die Betonung von Vielfalt meint ja, dass soziale Teilhabe, persönliche Ausdrucksmöglichkeit und Freizügigkeit allen gleichermaßen zustehen. In einer Gesellschaft, in der an Schwarzen Körpern eine ganze Kulturgeschichte der Rassifizierung hängt, Trans*-Personen mit dem Zweigeschlechtermodell kämpfen und Antisemitismus erstarkt, ist die Verwirklichung von Gleichheit noch nicht in Sicht.
Warum „kritische“ Diversität?
Im sogenannten Diversity-Management gibt es die Tendenz, Diskriminierung auszuklammern, sie nicht wahrzunehmen. Eine solche Auffassung von Diversität entfernt sich weit von den sozialen Bewegungen seit den 1960er-Jahren, den feministischen und schwul-lesbischen, den antirassistischen und Crip-Bewegungen, die zur Geschichte des Diversitätskonzepts gehören. Diversität wird so zu einem bunten Bild, womöglich zu einer ökonomischen Ressource im globalen Wettbewerb. Das Bewegliche von Identität kommt in solchen Ansätzen wieder zum Stillstand.
Wir sprechen hier stattdessen von kritischer Diversität. Denn die Kritik von Machtverhältnissen und Diskriminierung ist die Voraussetzung dafür, eine diversitätssensible Institution zu werden. Jede Diversitätsstrategie muss die vorhandenen Formen von Benachteiligung, Stereotypisierung und Herabsetzungen, von Ausgrenzung bis hin zu Gewalt, die Personen und Gruppen in und außerhalb der Institution erfahren, in den Blick nehmen. Denn strukturelle Ungleichbehandlung kann nur dann abgebaut werden, wenn sie wahrgenommen wird. Die Vielfalt kann nur da Anerkennung finden, wo Sensibilität und Respekt für Unterschiede besteht. Diskriminierung kann nur da abgebaut werden, wo ein Bewusstsein für das Wechselspiel von Benachteiligung und Bevorteilung besteht. Kurz: Diversitätsentwicklung heißt immer auch, Antidiskriminierungspolitik zu betreiben.
An einer Kunstuniversität drängen sich besondere Fragen auf: Wie wird Lehre organisiert, wie funktioniert eine Klasse? Wer hört zu, wer spricht? Welche Sprache? Wer gilt als „geeignet“ oder „begabt“? Wie lauten die Kriterien? Wie kommt wer in die Kunstuniversität hinein – und wieder heraus? Welche Rolle spielt Aussehen? Und Geschlecht? Können sich alle selbstverständlich bewegen, in und zwischen den Gebäuden? Und, auf einer inhaltlichen Ebene: Auf welche Kunst oder Musik, auf wessen Wissen und Können beziehen wir uns? Was und wer bleiben außen vor? Austausch ist zentral für eine offene Universität, aber Diversität ist viel mehr als Internationalisierung. Bilder, auf denen Studierende verschiedenster Hautfarben zu sehen sind, machen sich im Hochschulmarketing gut, aber das reicht nicht. Wie viele Lehrende ofcolor gibt es eigentlich? Wie sieht es aus mit der Repräsentation von migrantischen Studierenden und Lehrenden?
Um Diskriminierungen auf individueller und struktureller Ebene entgegenwirken zu können, ist eine Auseinandersetzung der Institution mit sich selbst notwendig, mit ihren Standards und Erwartungen, mit ihrer (Kolonial- und Geschlechter-)Geschichte. Das geht nicht nur die „Betroffenen“ an. Weder haben sie die Aufgabe, immer wieder zu erklären, dass und wie sie diskriminiert werden, noch, Antworten oder Lösungen gegen Diskriminierung zu entwickeln. Zugleich reproduziert die Institution ihre vorhandenen Strukturen, wenn an deren Überwindung nicht vielfältige Stimmen beteiligt werden. Alle sind aufgefordert, sich mit der Begrenztheit der eigenen Perspektive, den blinden Flecken und womöglich uneingestandener Voreingenommenheit auseinanderzusetzen. Es handelt sich um einen Prozess, der jede*n Einzelne*n betrifft.
Der Critical Diversity Blog bietet dieser Auseinandersetzung ein Forum. Er funktioniert umso besser, je mehr Beiträge und Erfahrungsberichte von Angehörigen und Gästen dieser Universität hier zusammenkommen Denn es geht schließlich um die Auseinandersetzung der UdK Berlin mit ihren impliziten und expliziten Normen, ihren hiddencurricula, mit dem, was gut und was noch nicht so gut gelingt auf dem Weg zu einer diversitätssensibleren und diskriminierungskritischeren Kunstuniversität.
KATHRIN PETERS FÜR DIE AG CRITICAL DIVERSITY
DANK AN JUANA AWAD, MAJA FIGGE, ANNIKA HAAS, CLAUDIA HUMMEL UND NAILE TANIŞ
GESPRÄCH MIT TASHY ENDRES, MAJA FIGGE UND CLAUDIA HUMMEL
Sara Ahmed: Living a Feminist Life, Duke University Press 2017
Paul Mecheril: Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit, Münster 2003.
Steven Vertovec (Hg.): Routledge International Handbook of Diversity Studies, 2014.